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Ein König wächst auf

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Die Erziehung eines Thronfolgers, gar eines minderjährigen Throninhabers, stellte zu allen Zeiten eine Herausforderung dar. Und die Frühe Neuzeit hatte dabei einige bemerkenswerte, mehr als schwerwiegende Erziehungskatastrophen zu bieten, sei es etwa am preußischen, am russischen Hof oder auch anderwärts. Zugrunde lagen dem freilich oft – etwa bei den zwei angesprochenen Beispielen – politisch aufgeladene Vater-Sohn-Konflikte. Dazu konnte es nun am Hofe der Regentin Anna von Österreich schlechterdings nicht kommen, dennoch waren die Konfliktrisiken nicht gering. Das Kind Ludwig, dann der Heranwachsende, wurde natürlich von seiner Stellung geprägt. Die Überlegenheit seiner Position war ihm von klein auf bewusst. Zwar konnte ihm die mütterliche Autorität Grenzen setzen, doch im Umgang mit Höflingen, Erziehern, Spielgefährten – auch dem jüngeren Bruder – kam es zwangsläufig zu Streit und Spannungen, in denen kindlicher Trotz oder Übermut, notwendige Strenge und höfische Unterwürfigkeit sich zuweilen ungut verbanden. Der jüngere Bruder, Philipp von Orléans, wurde dem „König“ gegenüber offenbar systematisch zurückgesetzt. Für beide gab es zwar Körperstrafen, doch mit der üblichen Reverenz vertrugen die sich naturgemäß kaum. Zwar florierte gerade im 17. Jahrhundert das Genre der fürstlichen Erziehungslehren, der sogenannten Fürstenspiegel, doch pädagogische Reflexion stand nur bedingt dahinter. Ludwig erfuhr also früh, dass er Macht besaß und dass es letztlich sein Wille war – oder doch irgendwann sein würde –, der zählte. Ein hohes Selbstwertgefühl, das hieraus resultieren musste, war durchaus Erziehungsziel. Es lag dieses dann allerdings von der Selbstüberschätzung nicht weit entfernt, ein Tatbestand, der sich dann auch in Ludwigs Repräsentation und Regierungspraxis nur schwer wird übersehen lassen. Doch Beispiele für diesen Zusammenhang finden sich vielleicht nicht nur am französischen Hofe. Anna von Österreich war, was selbstgewissen Fürstenstolz angeht, ihrem Sohn eine gute Lehrmeisterin, und zwar durchaus in der Tradition ihres Hauses. Ludwig wuchs so jedenfalls in die Rolle des absoluten Monarchen geradezu und vollständig hinein, sie wurde ihm zur Natur.14

Verantwortlich für Unterweisung und Ausbildung waren neben der Mutter der Kardinal-Premierminister Mazarin als „Oberintendant“, der Abbé Beaumont de Péréfixe als Präzeptor. Bis zum Alter von sieben Jahren war der Junge in weiblicher Obhut gewesen, den Gepflogenheiten der Zeit entsprechend. 1646 begann der von männlicher Umgebung geprägte Lebensabschnitt und mit ihm Unterricht und Vorbereitung auf das Amt, das er auszufüllen haben würde.

Der Herzog von Saint-Simon, der wichtigste Memorialist der Regierungszeit Ludwigs, zeichnet ein betont kritisches, geradezu abschätziges Bild von Bildung und vor allem Bildungslücken des Königs. „Sein Geist überragte wohl den Durchschnitt, war aber noch in der Lage sich zu entwickeln […]. Nur mit Mühe hatte man ihn Lesen und Schreiben gelehrt […].“15 Derartiges allerdings ist kaum zum Nennwert zu nehmen. Saint-Simon war dem Monarchen in heftiger Abneigung verbunden, die aus dessen mangelnder Wertschätzung resultierte (für die es wiederum sowohl politische wie persönliche Gründe gab). Doch auch Ludwig selbst erkannte im Rückblick manche Defizite seiner Jugendjahre. Auf fruchtbaren Boden fielen wohl die Unterweisungen in der Geschichte, im Lateinischen, das er allerdings nur noch passiv beherrschte, und auch die religiösen Inhalte, denen die Mutter, Mazarin und Péréfixe einen hohen Stellenwert zumaßen. Zudem erlernte Ludwig das Italienische und Spanische, wenn auch zumindest Letzteres wohl eher oberflächlich. Doch ein Mann des Buches, der Wissenschaften gar, war und wurde er niemals. Lektüre, so der savoyische Graf Primi Visconti, ein langjähriger Beobachter, ermüdete ihn leicht; seine Handschrift blieb tatsächlich lange unsicher. Und wenn es eines sichtbaren Zeichens bedurfte, dass Bücher und Bildung nicht eben Ludwigs Herzenssachen waren, so findet man sie in der Anlage von Versailles: Eine nennenswerte Bibliothek nämlich besaß das Schloss nicht – anders als etwa der Escorial Philipps II. von Spanien, in dem die königliche Büchersammlung einen zentralen Platz einnahm.16 Auch Ludwigs Auffassungsgabe galt zumindest in seinen frühen Jahren zunächst eher als langsam oder gar schwerfällig. Gegenüber den höfischen Spielkameraden begründete das die eine oder andere lebenslange Abneigung. Lerninhalte, dies war erkennbar, fielen dem jungen Ludwig nicht zu. Erkennbar waren bzw. wurden jedoch auch große Vorzüge des Jungen, etwa Ausdauer, Willensstärke, Selbstbeherrschung und ein ruhiges Urteil. Das alles verband ihn wiederum mit Philipp II., seinem spanischen Urgroßvater, so, wie dann auch Auftreten und Arbeitskraft.17

Dem Studium zog Ludwig körperliche Übungen vor: Ausritte, die Jagd, die Fechtkunst und nicht zuletzt den Tanz, in dem er es zu einer gewissen Meisterschaft brachte, von der noch die Rede sein wird. Interesse brachte er auch für die Musik auf. Das deckte sich durchaus mit dem adelig-fürstlichen Bildungsideal der Zeit, in dem Körperlichkeit und Körperbeherrschung weiterhin eine beträchtliche Rolle spielten. Es deckte sich ebenso mit der guten Gesundheit und Konstitution Ludwigs und stärkte sie wohl auch weiter.18 Ein König von Frankreich brauchte auch gar kein Intellektueller zu sein; er durfte schlechterdings – in der Sprache und nach den Idealen von Renaissance wie Klassik – nicht zum „Pedanten“ werden. Denn Pedanterie, also Spezialistentum auf der Grundlage von Buchwissen, war unhöfisch bzw. unaristokratisch. Haltung und Anmut lernte man nicht aus Büchern; Entschlusskraft, Mut und Durchsetzungswillen schon gar nicht. Das aber waren die Qualitäten, nach denen sich der Wert eines Mannes – vor allem der eines Edelmannes – bemaß.19

Nun hatte bekanntlich die Schule der Könige ihren Ort ohnehin nicht oder nicht nur im Klassenzimmer – bzw., richtiger gesagt, nicht im Unterrichtsraum –, sondern in der Arena der politischen Auseinandersetzung und damit also, nach Meinung mancher, im Krieg. In Ludwigs Fall war es der Bürgerkrieg.20

Ludwig XIV.

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