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Herkunft und Bildung

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„Eine Untersuchung der Herkunft der SS-Angehörigen ergibt fast in jedem einzelnen Fall, daß es sich bei ihnen um Tiefunzufriedene, Nichterfolgreiche, durch irgendwelche Umstände Zurückgesetzte, um Minderbegabte aller Art und häufig genug um sozial gescheiterte Existenzen handelte“, so das vernichtende Urteil des Buchenwald-Überlebenden Eugen Kogon, das aus seinem 1946 erstmals veröffentlichten Buch SS-Staat stammt. Setzt man die Lektüre fort, stößt man kurz danach auf eine Textpassage, in der Kogon seine These, das Himmler-Imperium sei ein Auffangbecken für menschliches Strandgut gewesen, für das Spitzenpersonal von Gestapo und SD spezifiziert: „Ihre obersten Häuptlinge hatten nicht selten gerade für die maßgebenden Stellungen Männer ausgewählt, die mit den Gesetzen bereits in Konflikt geraten waren, oder sie haben sie bewußt in solche Konflikte gebracht, damit ihre Treue einen ‚gesunden Unterbau‘ durch Sozialdeklassiertheit erhielt; damit es für sie ‚keinen Rückweg‘ mehr gab. Die Mannschaft des Apparates bestand überwiegend aus Menschen, die im normalen Polizeidienst nicht vorwärtsgekommen waren, und aus einer Fülle frisch hereingenommener verkrachter Existenzen, meist ohne jede charakterliche oder fachliche Vorbildung.“39

Einem Vergleich mit den Arbeiten von Banach und Wildt hält diese früheste Täterforschung nicht stand. Banachs Quellenstudium ergab, dass 63 Prozent der Führungsmannschaft von Sicherheitspolizei und SD das Abitur besaßen. Für die Funktionselite des RSHA ermittelte Wildt sogar einen Wert von rund 79 Prozent. Nach einem Abgleich mit ihren zehn Millionen Altersgenossen, von denen 1931 gerade einmal 39.840 die Reifeprüfung ablegten, kommt Banach zu dem Schluss, von einer dramatischen Überrepräsentation des Abiturs in seiner Untersuchungsgruppe zu sprechen. Erwartungsgemäß hoch war denn auch der Anteil an Akademikern auf den Chefsesseln von Gestapo, Kripo und SD: Vom RSHA-Führungskorps hatten mehr als zwei Drittel eine Hochschule besucht. Fast die Hälfte der RSHA-Angehörigen mit abgeschlossenem Studium – bis auf acht beendeten alle ihre akademische Ausbilung – war promoviert. Banachs Zahlen für das Gesamtführerkorps fallen zwar nüchterner aus, weisen aber durchaus in dieselbe Richtung. Mit einer Abbrecherquote von 27 Prozent studierte etwa die Hälfte der von ihm untersuchten Sipo/SD-Funktionäre. Beinahe ein Drittel von ihnen schloss die Hochschulausbildung mit der Promotion ab. Wildt konstatierte genauso wie Banach, dass 62 Prozent der Studenten an einer juristischen Fakultät eingeschrieben waren. Danach sind alle möglichen Studienfächer auszumachen, wobei die Geisteswissenschaften am zweitstärksten frequentiert wurden.40

Das hohe Bildungsniveau legt die Vermutung nahe, die Spitzenpositionen von Gestapo, Kripo und SD besetzten nicht durch die Bank Outlaws und Parias, die alles, was sie waren, Himmler und der SS verdankten. Über die Hälfte von Heydrichs Elite, so die Ergebnisse von Banach, gehörte vor dem Aufstieg im SS-Polizei-Apparat dem oberen Mittelstand an, der sich aus Angestellten und Beamten in leitenden Funktionen, Offizieren, Unternehmern, Fabrikanten, Selbständigen, Gutsbesitzern, Akademikern/Studenten und hauptamtlichen NS-Führern zusammensetzte. Rund 39 Prozent kamen aus dem unteren Mittelstand, worunter Banach Handwerksmeister, Landwirte, Kaufleute sowie untere und mittlere Beamte begreift. Verschwindend gering dagegen war der Anteil der Unterschicht, der etwa fünf Prozent betrug.41

Was die Bildungsabschlüsse und die erreichte beruflich-soziale Stellung anging, stellten die Ostmärker ihre reichsdeutschen Kameraden weit in den Schatten: von den 88 Prozent, die das Abitur besaßen, nahmen alle ein Studium auf, das kein Einziger abbrach. 39 von 45 beendeten ihre Hochschulausbildung mit der Promotion. Die Verteilung der Studienfächer ist allerdings fast wieder deckungsgleich mit den Ergebnissen von Jens Banach und Michael Wildt. Der Jurist dominierte von Berlin bis Wien das Bild eines exponierten Sipo/SD-Angehörigen. Einziger Unterschied: die Wirtschaftswissenschaften waren genauso beliebt wie die Geisteswissenschaften.

Tabelle 2: Akademische Ausbildung der österreichischen Funktionselite


Stützt man sich auf Banachs Schichtmodell, hatten etwa 82 Prozent der Ostmärker vor ihrer Karriere in der SS eine zum oberen Mittelstand zählende beruflich-soziale Stellung erreicht. Fast die Hälfte davon übte den Polizeiberuf aus, was für eine erhebliche Nazifizierung der österreichischen Polizei vor dem Anschluss spricht. Da dies nicht uninteressant erscheint, wird hier kurz der braune Klüngel der Ordnungshüter gestreift. Beim Quellenstudium tauchte auffallend oft der Name Otto Steinhäusl auf. Steinhäusl, 1879 im südböhmischen Budweis geboren, war ein promovierter Jurist, der von 1922 bis 1931 die Bundespolizeidirektion in Salzburg leitete, bei der Mildner 1923 und Pifrader 1926 eine Anstellung fanden. Letzterer schrieb dies später seiner nationalen Einstellung zu, die dem Polizeidirektor bekannt gewesen sei. Steinhäusl selbst stand nämlich seit 1923 im nationalsozialistischen Lager. Es spricht also einiges dafür, dass auch schon Mildner die Aufnahme in den Polizeidienst seinem rechtsschlagenden Herzen verdankte. Am 1. Januar 1933 übernahm Steinhäusl die Leitung der Wiener Kriminalpolizei, die er bis zu seiner Verhaftung am 25. Juli 1934 innehatte. Von den Juliputschisten als Polizeipräsident vorgesehen, wurde er am 20. Dezember 1935 zu sieben Jahren schwerem Kerker verurteilt. Der braune Hofrat kam allerdings in den Genuss einer Amnestie, sodass er nur einen Bruchteil der Strafe absaß und am 23. Juli 1936 zu seiner Familie zurückkehrte. Auf die wiedergewonnene Freiheit stieß Steinhäusl mit seiner Gattin und den beiden Töchtern in einem Wiener Gasthaus an. Mit dabei war Kamillo Brichta, der sich bei der Polizeidirektion Wien um Eigentumsdelikte und Betrugsfälle kümmerte. Zu Brichtas Freunden gehörte der Führer der österreichischen SS, Ernst Kaltenbrunner, der sich im März 1938 für Steinhäusls Ernennung zum Polizeipräsidenten von Wien einsetzte. Razesberger und Leo waren wiederum Brichta zu Dank verpflichtet, der sich als alter Nazi nach dem Anschluss für beide verbürgte.42

Ein Blick auf das Elternhaus der Ostmärker führt die Kogonsche These von den Parvenüs und Profiteuren an der Spitze von Gestapo, Kripo und SD ebenfalls ad absurdum. Die Berufe ihrer Väter lesen sich mitnichten wie eine Hierarchie des Bodensatzes. Rund 71 Prozent gaben an, ihr Vater sei ein Polizeibeamter/Gendarm, Rechtsanwalt, promovierter Mediziner, Beamter, Lehrer, Notar, Landtagsabgeordneter, Architekt, Ingenieur oder Offizier gewesen. Nicht mehr als 13 Protagonisten wiesen den väterlichen Elternteil als Zimmermann, Knecht, Landwirt, Magazinarbeiter, Fleischhauer, Hilfsarbeiter, Weinhändler, Kaufmann, Schmied oder Schuhmachermeister aus.43 Vergleicht man die Schicht, in der die Väter der Ostmärker wurzelten, mit der beruflich-sozialen Stellung, die ihre Söhne vor dem Aufstieg im SS-Polizei-Apparat erreichten, ergibt sich nicht wie bei Wildt das eindeutige Bild einer Gruppe sozialer Aufsteiger, die ihre Eltern überflügelten.44 Vielmehr reproduzierten sich die Gutverdiener trotz der schwierigen Verhältnisse im Nachkriegsösterreich selbst. Hier wurde nicht für Hitler geschwärmt, weil er Arbeit und Brot versprach. Denn all das hatte man schon.

Heydrichs Ostmärker

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