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Quellen

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Ein Universalschlüssel zur Tür der innersten Motive existiert nicht. Einblicke in die Gefühls- und Denkwelt der Täter gewähren jedoch Selbstzeugnisse wie die handgeschriebenen Lebensläufe in den SS-Personalakten, die das ehemalige Berlin Document Center (BDC) dem Bundesarchiv in Berlin-Lichterfelde übergab. Neben den Lebensläufen enthalten die SSO (SS Offiziers)- und RuSHA (Rasse- und Siedlungshauptamt)-Akten sogenannte Ariernachweise, Personalberichte, Beurteilungen, Dienstleistungszeugnisse, ärztliche Untersuchungsbefunde, Beförderungen, Lichtbilder, Verleihungen, Stammkarten und Stammrollen, Ernennungen, Enthebungen und Kommandierungen (einschließlich der Anträge), mit denen sich ein Leben zu einem Gutteil rekonstruieren lässt. Allerdings ist die Dichte der Überlieferung von Fall zu Fall verschieden. Bombenkrieg und Spurenbeseitigung rissen Löcher in das Vermächtnis der SS-Bürokratie. Hinzu kommt, dass während des Krieges verbrannte Unterlagen nur erneuert wurden, wenn der SS-Führer noch am Leben beziehungsweise für seine Hinterbliebenen zu sorgen war. Im BAB sucht man daher vergeblich nach der SSO- und RuSHA-Akte Franz Trautmann. Er und Franz Razesberger sind aber die Einzigen in der Untersuchungsgruppe, für die sich dieser Quellenbestand als Fehlanzeige erwies.

Lücken in den Biografien schlossen Dokumente aus den personenbezogenen Sammlungen des NS-Archivs des Ministeriums für Staatssicherheit (MfS) der ehemaligen DDR. Sie enthalten Ernennungsvorschläge des Reichsministeriums des Innern, Bewerbungen für den Sipo/SD-Dienst in den Kolonien, ärztliche Untersuchungsbögen, tabellarische und handschriftliche Lebensläufe, Einbürgerungsurkunden, eidesstattliche Erklärungen, Schriftverkehr zwischen NSDAP, Gestapo und Ministerien et cetera. Nach Mauerfall und Wiedervereinigung werden diese Dokumente entweder im Bundesarchiv oder vom Bundesbeauftragten für die Unterlagen der Staatssicherheit der ehemaligen Deutschen Demokratischen Republik (BStU) für die Forschung zugänglich gemacht. Als eine überaus wertvolle Ergänzung hierzu stellte sich im Österreichischen Staatsarchiv/Archiv der Republik (ÖStA/AdR) der Bestand des Gaupersonalamtes Wien heraus. Die „Gauakten“ geben detailliert Auskunft über den Eintritt in die NSDAP, SA und SS sowie über den Kampf des Einzelnen im Untergrund. Mitunter enthalten sie darüber hinaus Informationen über die Zeit nach 1945. Doch dafür sind die Quellenbestände der Landesarchive in Berlin (LAB), Linz (OÖLA), Graz (StLA), Innsbruck (TLA), Klagenfurt (KLA) und Wien (WStLA) die wichtigsten Anlaufstellen. In Berlin lagern die Ermittlungsunterlagen, die westdeutsche Staatsanwälte und Kriminalbeamte zu Österreichern anhäuften, die im RSHA führende Positionen besetzten. Über die Alpenrepublik verteilen sich die Volksgerichtsakten. Die der Außenstelle des Bundesarchivs in Ludwigsburg (BAL) übergebenen Ermittlungsakten der im selben Gebäude untergebrachten Zentralen Stelle der Landesjustizverwaltungen dienten dank zahlreicher Zeugenaussagen Überlebender der Rekonstruktion von Verbrechen. Einer dort angelegten Zentralkartei (ZK) waren zudem Sterbedaten zu entnehmen. Die Täter selbst kommen noch einmal in den digitalisierten ZS-Beständen (Zeugenschrifttum) des Münchener Instituts für Zeitgeschichte (IfZ) zu Wort.

Persönliche Hinterlassenschaften bereichern die Detailstudien zu Humbert Achamer-Pifrader, Gerhard Bast, Rudolf Mildner und Helmut Glaser. Sie wurden von ihren Kindern der wissenschaftlichen Aufarbeitung der österreichischen NS-Geschichte in Kopie zur Verfügung gestellt. Darunter befinden sich Schul- und Universitätszeugnisse, Privataufnahmen, Urkunden und diverse Schriftstücke. Allein von Mildner sind über 20 Briefe erhalten, die er in der Gefangenschaft seiner Frau schrieb. Eine ebensolche Trouvaille sind zwei Zeitzeugeninterviews. Das eine wurde mit Dr. Hellmut Peter41, Pifraders Schwager, im April 2007 aufgezeichnet. Es entstand im Rahmen meiner Magisterarbeit, in deren Mittelpunkt ausschließlich Achamer-Pifrader stand. Teile der MA-Arbeit gingen in die Dissertation ein.42 Das zweite Interview machte der Sohn Helmut Glasers mit seiner Mutter im Juni 2011. Kurz danach starb Gertrude Glaser im hohen Alter von 98 Jahren. Beide Befragungen vermittelten persönliche Eindrücke von dem Menschen, der in der SS-Uniform steckte. Gerhard Basts familiärer Background ist zudem durch das Buch seines Sohnes Martin Pollack ausgeleuchtet.43 Dank Peter Black, der mit der Familie Kaltenbrunner kooperierte, besitzen wir intime Kenntnisse über den Chef des RSHA.44 Die Strickner-Kinder ließen sich nicht ausfindig machen. Eine andere Quelle ist für seine Person aber von zentraler Bedeutung. Es handelt sich um den Bericht, den er über die Entstehung und Einwicklung der „Deutschen Volksliste“ in Posen Ende 1942 anfertigte.45

Die verwendete Literatur (Aufsätze, Monografien und Sammelbände) im Einzelnen aufzuführen, wäre in Anbetracht der Vielzahl unverhältnismäßig. Mit Blick auf anhaltende Diskussionen sei jedoch der Hinweis gestattet, dass sie ohnehin restlos in den Fußnoten sowie im Quellen- und Literaturverzeichnis nachgewiesen ist. Um den Lesefluss zu fördern, wird davon abgesehen, das NS-Vokabular (wie „Führer“, „Reich“, „Anschluss“, „Ostmärker“ usw.) durchgängig in Anführungszeichen zu setzen. In den Zitaten wurden aus demselben Grund offensichtliche Fehler sowie grobe Verstöße gegen die deutsche Sprache stillschweigend korrigiert. Andernfalls dient ein „Sic“ in einer eckigen Klammer dazu, Fehler kenntlich zu machen. Der Verzicht auf das Kürzel „SS“ vor den Diensträngen der Himmler-Truppe soll ebenfalls zur Lesbarkeit beitragen.

1 Zitiert nach Segev, Soldaten, S. 18 u. 265. Zu Hüttig vgl. ebd., S. 230–235; Stuldreher, KL Herzogenbusch, S. 337f.

2 Segev, Soldaten.

3 Mallmann, Dr. Jekyll & Mr. Hyde, S. 292; Wildt, Generation, S. 11f.

4 Schwarz, Sippengemeinschaft, S. 256. Zu Ohlendorf vgl. Kitterman, Ohlendorf, S. 379–393; Angrick, EG D, S. 408–413.

5 Zum folgenden Überblick über den Täterdiskurs in der Wissenschaft vgl. Paul, Psychopathen, S. 13–90; Mallmann, Dr. Jekyll & Mr. Hyde, S. 292–318; Wildt, Generation, S. 15–23.

6 Kogon, SS-Staat.

7 Reitlinger, Endlösung.

8 Höß, Kommandant, S. 168f. u. 235.

9 Arendt, Eichmann, S. 99.

10 Mallmann, Dr. Jekyll & Mr. Hyde, S. 299.

11 Hilberg, Vernichtung.

12 Die Verwendung von Shoah („Vernichtung“, „Katastrophe“) statt Holocaust („Brandopfer“) ist in der modernen Forschung Usus. Beide Termini für den nationalsozialistischen Judenmord stammen aus der Bibel, wobei Shoah den Genozid der Nazis treffender charakterisiert, als dies der Begriff Holocaust vermag (vgl. Paul, Täter, S. 7; Wildt, Shoah, S. 327).

13 Krausnick/Wilhelm, EG, S. 281–285.

14 Vgl. dazu Mallmann, Türöffner, S. 437–463.

15 Browning, Ganz normale Männer; Goldhagen, Hitlers willige Vollstrecker.

16 Mallmann, Dr. Jekyll & Mr. Hyde, S. 308.

17 Ders., „Genickschuß“.

18 Black, Kaltenbrunner; Herbert, Best; Banach, Heydrichs Elite; Wildt, Generation.

19 Deschner, Heydrich; Gerwarth, Heydrich; Seeger, Gestapo-Müller.

20 Ingrao, Hitlers Elite.

21 Paul/Mallmann, Mythos; dies., „Heimatfront“; dies., Karrieren; Paul, Täter; Mallmann/Böhler/Matthäus, EG Polen; Mallmann/Angrick, Gestapo; Mallmann/Rieß/Pyta, Deutscher Osten; Mallmann u.a., „Ereignismeldungen“; Wildt, Nachrichtendienst; ders., Instrument; ders., Streckenbach. Um nicht den Rahmen einer Fußnote zu sprengen, wurden allein die Sammelbände zitiert, die zahlreiche Aufsätze der oben genannten Autoren beinhalten.

22 Wegner, Waffen-SS; Birn, HSSPF; Smelser/Syring, SS; Orth, Lager-SS; Angrick, EG D; Cüppers, Wegbereiter; ders., Rauff; Matthäus u.a., Ausbildungsziel; Schreiber, Elite; Ullrich, Mörder; Šindelářová, EG H.

23 Longerich, Himmler.

24 Vgl. dazu das Kapitel „Der Umgang mit Altlasten“ der Arbeit.

25 Mallmann/Angrick, Mörder, S. 35–39.

26 Albrich, Holocaust, S. 61–64; Knight, Krieg, S. 39f.

27 Vgl. Schwarz, Adenauer, S. 308f.

28 Enzyklopädie des Holocaust, Bd. 1, S. 14–18 u. 546, u. Bd. 2, S. 618f. Zu Globocnik vgl. Black, Globocnik, S. 103–115; Pucher, Globocnik. Zur „Aktion Reinhardt“ vgl. jetzt auch Berger, Experten. Zu den Opferzahlen von Belzec, Sobibor und Treblinka vgl. ebd., S. 254.

29 Albrich, Holocaust, S. 40ff.; Botz, Österreich, S. 141–152; Steur, Emissäre, S. 403–436; Safrian, Eichmann-Männer; BAL, ZK, Franz Stangl u. Irmfried Eberl.

30 Vgl. Gehler, Affäre, S. 355f. u. 383; Mallmann/Angrick, Mörder, S. 38; Gentile, Reder, S. 188–195.

31 Gehler, Affäre, S. 356–383.

32 Domarus, Hitler-Rede v. 15.3.1938, S. 823.

33 Vgl. ebd., 823f.

34 Botz, Nationalsozialismus, S. 99–105 u. 154–247; Kershaw, Hitler (1936–1945), S. 130ff. Zum „Anschluss“ vgl. Schausberger, Griff; Schmidl, März.

35 Vgl. Botz, Nationalsozialismus, S. 71–76 u. 126–145; Schmidl, März, S. 232–237.

36 Zuckmayer, Horen, S. 84. Zu seinen jüdischen Wurzeln vgl. ebd., S. 184–195.

37 Bischof, Instrumentalisierung, S. 360f. Zur Kritik an dieser These vgl. Albrich, Holocaust, S. 83ff. Eine Zwischenposition nimmt Heidemarie Uhl, „Opfer“, ein. Sie sieht die Opferthese durch eine Mitverantwortungsthese ersetzt. Stuhlpfarrer, Österreich, erkennt nur ein partielles Aufgeben der Opferthese, worunter er das Abrücken von unhaltbaren Positionen versteht.

38 Befehlsblatt (BB) CdS, Jg. 1940–1945, BAB, RD 19/2; Dienstaltersliste (DAL) der SS, Stand 1.12.1938, 30.1.1944 u. 1.10.1944; Geschäftsverteilungsplan RSHA, Stand 1.3.1941, IMT, Bd. 38, S. 1–24; dto., Stand 1.1.1942, LAB Berlin, B Rep. 057–01, Nr. 369; dto., Stand 1.10.1943, IMT, Bd. 38, S. 60–85; dto. Amt III (RSHA), Stand 15.9.1944, BAB, R 58/792; dto. Amt IV (RSHA), Stand 15.3.1944, BStU, RHE-West 340/3; dto. Amt V (RSHA), Stand 1942, BAB, R 58/1085; dto. Gestapa, Jg. 1933–1939, BAB, R58/840; Anschriftenverzeichnis IdS u. BdS, Stand 15.7.1942, ebd., R 58/241; EG Jugoslawien, Stand 16.5.1941, ebd.; Übersicht SD-OA u. SD-UA, Stand 5.12.1935, ebd.; Anschriftenverzeichnis EG u. EK Böhmen u. Mähren, ebd.; dto. Kripo-Stellen, ebd.; Aufstellung EK 16 (Westpreußen) v. 12.9.1939, ebd.; Übersicht HSSPF, IdS u. Ordnungspolizei (Orpo), Stand 15.10.1939, ebd.; Dienststellenverzeichnis IdS, BdS u. KdS (1943/44?), ebd., R 58/415; dto. Stapo-Stellen, ebd.; Protokoll Gruppenleiter- u. Referentenbesprechung Amt VI (RSHA) v. 19.11.1941 u. 15.6.1942, ebd., R 58/482; Anschriftenverzeichnis Stapo-Stellen, Stand 1938 u. 1939, ebd., R 58/727; dto. SD-Leit-Abschnitte, Stand 1.5.1940, ebd.; Amtschefs, Abteilungs-, Gruppen- u. Geschäftsstellenleiter RSHA, Stand 21.12.1944, ebd., R 58/849; Standarten- bis Obergruppenführer (RSHA) mit Offiziersrang in der Polizei (1944?), ebd., R 58/855; Verzeichnis der Angehörigen der leitenden, gehobenen u. mittleren Laufbahn im SD, Stand 1944, ebd.; dto. Sipo/SD-Führer im Generalgouvernement u. bei den HSSPF Ostland u. Russland-Mitte, undatiert, ebd.; Fernsprechverzeichnis RSHA v. Mai 1942, Juni 1943 u. März 1945, ebd., R 58/927; Geschäftsverteilungspläne, Personallisten, Fernsprech- und Namensverzeichnisse v. Stapo u. Kripo, Jg. 1933–1945, ebd., R 58/1112; Aufstellung Angehörige Amt IV (RSHA), undatiert (1953?), IfZ, ZS 249; Anschriftenverzeichnis Stapo- u. KdS-Stellen, Stand 1.4.1940, BAL, Dok. Slg. 301-Ar.; Dienststellenverzeichnis Stapo-Stellen u. SD-Leit-Abschnitte (1941?), BAB, Dok. Slg. Schumacher 458; Anschriftenverzeichnis BdS u. IdS, Stand 15.7.1942, ebd.

39 Ende September 1939 reorganisierte Heydrich den SD, indem er die Unter- und Oberabschnitte (SD-UA u. SD-OA) durch Abschnitte und Leitabschnitte (SD-A u. SDLA) ersetzte. Die österreichischen Führer von SD-UA wie Ernst Lerch, Fritz Dietrich und Josef Trittner blieben für das Sample unberücksichtigt, weil keiner von ihnen zum Führer eines SD-A oder SD-LA aufstieg, sich geschweige denn sonst wie in der Chefetage von Sipo und SD etablierte. Früher oder später wechselten sie in einen anderen Bereich des SS-Polizei-Apparats (Befehl Heydrichs v. 23.9.1939, IMT, Bd. 38, S. 107–110; BAB, BDC, SSO- u. RuSHA-Akten Lerch, Dietrich u. Trittner).

40 Zu den Fragen der aktuellen Täterforschung vgl. Paul, Täter, S. 13–67; ders./Mallmann, Sozialisation, S. 3–23; Mallmann, „Genickschuß“, S. 109–128.

41 Hellmut Peter, Jg. 1913, starb 2011.

42 Für Humbert Achamer-Pifraders Personenporträt und das Kapitel „Typologie“ konnten Passagen der MA-Arbeit übernommen werden (Gafke, Achamer-Pifrader, S. 4, 11–14, 24f., 38–67 u. 71–98).

43 Pollack, Bunker.

44 Black, Kaltenbrunner.

45 Strickner, Volksliste.

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