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Fremde Betten

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Es riecht überall nach Wald.

Als ich aus meinen Erinnerungen erwache, finde ich mich in einem kleinen Raum. Ich stehe mittendrin und auch außerhalb. Es ist das vermeintliche Krankenzimmer.

Die Bettlägerige starrt mich an ohne zu blinzeln. Ihr Gesicht ist deutlich zu erkennen, obwohl es nahezu gänzlich dunkel hier ist. Es ist ohne jegliche Mimik, frei von Ausdruck oder Beschwerden.

Sie schaut einfach nur.

Die beiden Alten sind nicht hier, sie müssen noch im Laden sein. Sicher sind sie im Laden. Ich bin es ja schließlich auch.

Ich bewege mich nicht, weil mir nicht danach ist. Stehe wie fest gekettet und erwidere den Blick der mir Unbekannten. Sie muss sich doch das Gleiche von mir denken: „Steht da einfach nur und tut nichts, schaut mich einfach nur an.“ Also spreche ich: „Weshalb liegen sie“, ich werde unterbrochen. Ihr Mund öffnet sich, aber ich verstehe kein Wort. Ich ziehe die Brauen zur Geste, dass ich nichts gehört habe. Sie nimmt den rechten Zeigefinger vor ihren Mund, befielt mir still zu sein und zieht die Decke zurecht. Die Türe öffnet sich und meine Augen schmerzen vom plötzlichen Licht. Einer der Männer steht im Rahmen, der ältere, und er hält einen Gegenstand in der linken Hand. Es sieht aus wie eine Streichholzschachtel.

Aber was will er jetzt damit?! Licht ins Dunkle bringen! Es hängt keine Lampe an der Decke, er will also den Raum erhellen. Aber eine Kerze steht auch nirgendwo.

Er macht zwei lange Schritte und steht vor dem Bett, schaut über seine Schulter zu mir rüber, so als stelle er sicher, dass ich zuschaue bei dem was er tut.

Er gibt die Schachtel an die Frau im Bett, deren Gesichtsausdruck lange nicht mehr neutral ist. Seit sie mich ruhig gestellt hat, wirkt sie angespannt. Ihre Spannung droht fast zu zerreißen, als sie die Zündhölzer in den Händen hält. Mit einer Bewegung schiebt sie die Lade aus der Hülle und verteilt den Inhalt auf ihrer Brust.

Ohne lange zu zögern, zieht sie mehrere Hölzer nacheinander an der Zündfläche entlang. Keines geht an, keines verhält sich so, wie man es von ihm erwartet hätte.

Zusehens fängt die Frau an zu zittern und zu schwitzen. Sie wird noch unruhiger, zappelt umher, während sie die Hölzer entlang streicht und als das Letzte nach mehreren kläglichen Versuchen unter einer kleinen Rauchwolke bricht, bricht ihr Frust in einem Wutanfall aus. Sie tobt im Bett umher, beißt ins Laken, schlägt ihre Fäuste gegen die Wand und schreit.

Nein. Moment.

Ich schlage mir mit der flachen Hand gegen die Ohren. Ich höre nichts. Sie tobt, aber ich höre keinen Mucks.

Der alte Mann dreht sich vom Bett weg und muss mich wohl sofort verstanden haben: „Ganz ruhig, unsere Frau Blattzweig hier ist eben etwas durcheinander.“

Dem Himmel sei Dank, ich bin nicht taub.

„Was meinen Sie mit durcheinander? Ist sie stumm?“

„Nun, wissen Sie, sie war einst eine angesehene Online Journalistin...

Sie schrieb Kolumnen für eine große Zeitung, Berichte für viele regionale Blätter und landete ihren größten finanziellen Erfolg mit einem Skandal über einen bekannten Politiker, in einem Schmierblatt, dessen Verwaltungsgebäude vor einigen Jahren Opfer eines politischen Anschlags wurde und nicht mehr länger existiert.

Von ihrem Honorar für diesen bahn- und intimitätsbrechenden Bericht, flog sie mit ihrem alten Vater an sein Wunschziel auf dieser Erde: Alaska.

Sie versuchte den Vater zuerst noch zu überzeugen, doch in einem Hotel zu übernachten, aber er hatte sich diesen Trip sein Leben lang erträumt und genauestens ausgemalt.

So mieteten sie also eine kleine Holzhütte am Knie eines Berges von einem Einwohner der nächstgelegenen Stadt.

Gemütlich an einem See gelegen, um sie herum nur Felsen und Schnee.

In der dritten Nacht gab es ein Erdbeben.

Sie wurden von einem Schneerutsch überrollt.

Eingesperrt in der Hütte und ohne Handyempfang, versuchten sie den Kamin wieder frei und an zu bekommen, denn der Schnee hatte sich durch den Schornstein auf die Feuerstelle verschlagen und sie erlischt. Es wurde kälter und kälter in der Hütte, sie zogen alle warmen Sachen an, die sie fanden. Schließlich war die Feuerstelle wieder frei. Unsere Frau Blattzweig nahm also die übrig gebliebenen Streichhölzer und versuchte das Feuer wieder zu entfachen, aber keine Chance, jedes Holz brach ab oder wollte einfach nicht zünden. Sie mussten sich also zusammenlegen und sich gegenseitig warm halten, aber ihr Vater schaffte es nicht. Er erfror.

Eine bis zwei Stunden später fand man sie unter dem Schnee, sie hatte ihren Vater immer noch in die Arme geschlossen und bewegte sich keinen Zentimeter von ihm.“

„Sie grausames Monster! Und Sie geben ihr immer wieder defekte Streichhölzer!“

Ich will meiner Wut Ausdruck verleihen, schreie und will den alten Mann schlagen. Aber ich kann mich nicht bewegen. „Was haben Sie mit uns gemacht?! Wieso kann ich mich nicht bewegen, aber schreien und sie kann sich bewegen, aber nicht schreien?!“

„Bleiben Sie ruhig, ich werde Sie gleich erlösen.“

„Nein! Sie werden es jetzt tun, ich möchte Ihnen weh tun!“

„Wenn dem so ist, werde ich Sie noch etwas hier stehen lassen. Bis morgen.“

Er dreht sich um und geht in Richtung Tür.

Er stoppt und greift nach etwas auf dem Boden. Da liegt noch ein Streichholz. Unbenutzt.

Die Hülle der Hölzer hat Frau Blattzweig vor Wut durch den Raum geworfen. Er hebt sie auch auf und zündet mit einem Gesichtsausdruck der sagt: „Geht doch.“ und einem leichten Kopfschütteln das Holz.

Ich blicke zu ihr herüber, aber sie ist schon vor Erschöpfung eingeschlafen. Ansonsten wäre sie wohl vollends ausgerastet. Der Mann schließt die Tür.

Das Weg ist das Ziel

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