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Brückstück

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Es ist ein langer Samstag und man kann die Leute noch um kurz vor Acht auf der Straße hören.

Ich liege in meinem Bett und denke nach. Ich denke an eine meiner früheren Freundinnen.

Sie war sehr handzahm, klein und verspielt. Ein Kind fast, aber im Alter und mit den Angewohnheiten einer 23-Jährigen. Sie wohnte zusammen mit einer Freundin aus ihrer Kindeszeit jetzt zum Studium in Osnabrück. Ich fuhr sie einmal die Woche besuchen, wenn sie nicht zu mir kam. An diesem Wochenende, an das ich mich erinnere, liefen wir zu dritt, ich und sie mit ihrer Mitbewohnerin durch das große Dorf, die schöne eng gebundene Innenstadt, auf der Suche nach einer Möglichkeit zu tanzen. Wild und frei, wie es unserem Alter entsprach. Mit Alkohol, verwirrten aber lustigen Blicken, quer über die Tanzfläche, wenn man sich gegenseitig dabei ertappt, nicht zu wissen und gerade zu raten, wie man zu solcher Musik wohl tanzt.

Ein Ort an dem man die Zeit vergessen kann, wenn man nur genug trinkt und hoffentlich nichts aufweckend dazwischen geschoben wird, in Form von Auswurf durch die Speiseröhre oder die Erinnerung an das wirkliche Leben und seine Probleme, die angesichts dieser scheinheilen Welt, verständlicherweise noch viel überdimensionierter wirken.

Wir fanden in einer Seitengasse, parallel zur durch die Innenstadt führenden Hauptstraße, einen kleinen, in dunklem, grünen Licht schimmernden Eingang. Eine alte Holztür ohne Fenster, wie sie an vielen alten Kellereingängen zu finden ist. Über oder neben der Tür stand nichts geschrieben.

Nur ein kleines Klingelschild mit der Aufschrift Debauche. Wir gingen hinein ohne zu klingeln.

Wie ich schon vermutet hatte, gingen wir erst mal eine Treppe hinab, sehr schmale, hohe und kurze Stufen, fast als würde man in eine freigelegte Salzgrotte hinab steigen, nur nicht ganz so schwül.

Die beiden Mädchen liefen voraus, als wären sie schon einmal hier gewesen, ich kam geduckt und mit den Armen zum Schutz über dem Kopf, damit ich mir ihn nicht stieß, langsam hinterher.

Unten angekommen war die Schiebetür schon offen von meinen Vorläuferinnen. Ein roter Schein fiel hindurch, jedoch nur sehr schwach.

Ich betrat den Raum und vor mir fand ich einen Haufen von buckligen Decken, auf einer Liegefläche oval angeordnet, die fast den kompletten, winzigen Raum einnahmen. Beim genaueren Hinsehen und nachdem sich meine Augen an die Dunkelheit gewöhnt hatten, dachte ich meine Freundin dort, unter einer dieser Decken, schlafen zu sehen. Ich wartete und schaute genauer hin. Sie drehte sich auf die andere Seite und sie sah ihr tatsächlich sehr ähnlich, genau wie ihre Nachbarin. Dort lagen auf einer Art Bühne, die vollständig Matratze war, jede Menge Mädchen die meiner Freundin ähnlich sahen, aber keine war sie. Einige hatten ihren Klamotten von gestern an, andere ihre Frisur der letzten Woche kopiert, aber ich fand immer kleine Unterschiede, wie eine zu lange Nase, einen zu spitz geformten Unterkiefer oder eine andere Art Entspannung in der Mimik während sie schläft. Alle schliefen sie tief und fest, aber keine davon konnte eine von denen sein die ich suchte, dessen war ich mir sicher.

An der rechten Seite der Liegefläche sah es aus als wäre der Boden gekachelt. Plötzlich Klick und überall rote Punkte an der Wand die sich bewegten, alle in die gleiche Richtung. Ruhig, ohne Musik, überhaupt hörte ich keinen Ton in dieser Bar. Die Kacheln waren, stellte sich heraus, eine weitere, winzige Treppe, die entlang des Bettes ein paar Meter tiefer führte, in einen Abschnitt den man noch als Flur hätte gelten lassen können.

Der kleine Flur war schwach beleuchtet. Ich ging ein paar Meter und alles war schwarz. Der Boden, die Wände, die Hocker und die Theke die hier auf der linken Seite standen. Alles was glänzte waren die Flaschen auf der Theke, vor den bar-typischen Spiegeln und die Zapfanlage. Aber niemand stand hinter der Theke.

Ich tappte weiter durch den Flur und fand die nächste Tür nur durch abtasten der Wand, da sie schwarz wie alles andere war. Ich stieß sie offen und sofort hörte ich ein Klavier spielen und helles Tageslicht fiel durch den Spalt. Es war fast unglaublich was ich dann sah.

Ein Raum so groß, dass es eine Eingangshalle eines Bahnhofs hätte sein können. Zwei in Holz verkleidete, viereckige Säulen ragten vom Boden bis zur Decke und stützen den Raum. Statisch und emotional. Laminatboden.

An der Kopfseite, in vier bis fünf Meter Höhe, befand sich eine Fensterreihe, die sich über die gesamte Raumlänge erstreckte. An der linken und rechten Seite des Raumes führten jeweils zwei Stufen auf einen podestartigen Rand. Ich schlich mich zwischen den beiden Säulen hindurch und sah das Klavier, an dem ein Mann, mit dem Rücken zu mir, hellblaues Hemd, beige Schirmmütze, Jeans und schwarze Lederschuhe und meine Freundin saßen. Er spielte gerade schwere Akkordfolgen die den Raum, so hell er auch war, mit Misstrauen erfüllten.

Vielleicht vertonte er meinen Eintritt.

Schirmmützchen stieß meine Freundin leicht an und sie entlockte der Klaviatur eine kleine Verzierung, ein Solo sozusagen, bestehend aus 9 Tönen, dass dem Spiel ein Ende brachte. Als die Töne sich verloren, sprach der Kerl mit seinem ganzen Körper, wie einer ihrer besten Freunde mit ihr: „Wow! Wo hast du das denn gelernt? Das war ja unglaublich schön!“ und fuchtelte dabei mit seinen Händen viel zu doll in der Luft und an ihr herum. „Ach, das war doch gar nichts..“ sagte sie beschämt und ich dachte mir, dass es das wirklich nicht war.

„Wollen wir nicht etwas trinken gehen und uns danach etwas gehen lassen?“, fragte er. „Zu den andern nach oben?“, fragte meine Freundin in froher Erwartung.

„Nein, wir können zu mir gehen, da sind wir ungestörter.“

Er fragte nur sie. Ihre Mitbewohnerin stand, genau wie ich, einfach nur herum und horchte dem Schauspiel. Ich war inzwischen auf den Tribünenplätzen der Vorstellung angekommen. Auf den Seitenpodesten des Raumes führten weitere Treppen nach oben, auf eine Art Innenterrasse. Dort stand ich wortlos. Meine Freundin schaute mich an und ich las in ihrem Blick die Frage, ob das in Ordnung sei, wenn sie jetzt mit ihm gehe. Ich fuchtelte mit der Hand, dass sie schon endlich gehen sollen und sagte: „Solang du den Kerl nicht fickst.“ Sie lachte mir zu und sagte: „Du bist der Beste!“

Dann zeigte Schirmmützchen ihr den Weg und sie verschwand. Mitbewohnerin ging zurück an die Bar und war auch aus dem Raum verschwunden. Nur noch Schirmmützchen und ich waren übrig geblieben.

Ich ging zu ihm hinunter auf die Klavierfläche. Er hatte furchtbar schlechte Haut, fast als würde er Kette rauchen und jede Zigarette mit dem Gesicht aus machen.

Er stand auf und lief durch die Gegend. Dann unterhielten wir uns.

Ich Hast es ja schön hier.

Er Ja es ist schon etwas Besonderes.

Ich Aber wie hält sich so ein Scheißladen denn eigentlich?

Er Was soll das denn jetzt bedeuten?

Ich Seien wir mal ehrlich, das Beste hast du hier nicht zu bieten, noch nicht einmal den durchschnittlichen Eckkneipenkram.

Er Findest du?

Ich Hier läuft keine Musik, du bist ganz allein hier, es ist sehr teuer ausgestattet. Wie

machst du das? Wie kannst du dir diesen Scheiß leisten?! Wieso ist dieser Laden immer noch geöffnet?! Du hast doch keine zahlenden Kunden!

Er Aber dafür Glückliche.

Ich Papperlapapp! Du bist ein Arschloch und das weißt du auch! Verführst hier meine Freundin, mit deiner ach so mysteriösen Art und Bar, redest ihr ein, sie sei ein Talent sondergleichen!

Er Oh, das ist sie wirklich!

Ich Halt's Maul! Du verlogener Hund!

Er Es tut mir Leid, ich muss jetzt gehen. Auf Wiedersehen.

Ich Ja, auf Wiedersehen. Typen wie dich seh' ich jeden Tag.

Also ging er und beendete die Beziehung zwischen mir und ihr.

Das Weg ist das Ziel

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