Читать книгу Das Weg ist das Ziel - Max Kohlhaas - Страница 14

Morgen

Оглавление

„Guten Morgen, Herr K., hab' ich mit Ihnen eigentlich schon mal übers Lügen gesprochen?“

Der Alte sitzt an meinem Bett. Er raucht gezwungen entspannt eine Zigarette und ascht in den Ascher, den er auf Höhe meiner Knie aufs Bett gesetzt hat.

„Wenn ich zum Beispiel „Guten Morgen“ sage, will ich damit bezwecken, dass Sie mir zuhören, aufwachen, die Augen öffnen und mir im Rahmen Ihrer Möglichkeiten zeigen, dass Sie da sind.“

Ich schaue auf seine Zigarette. Er hält sie zwischen Daumen und Mittelfinger. Der Rest seiner Finger ist so weit wie möglich von der Glut gespreizt.

„Wie viel Uhr ist es?“, frage ich. „Ich weiß währenddessen aber, dass ich Sie glauben lasse, dass ich Ihnen Gutes für diesen neuen Tag wünsche.“ - „Ich habe etwas Hunger, gibt's Frühstück?“,

„Wer ist es also den ich zuerst belüge? - Ich! - Genau! - Mich selbst! - Ich lüge mir vor, Ihnen etwas zu wünschen, weiß aber, dass es mir hier nur darum geht, einen Zuhörer zu finden. Sie denken sich vielleicht sogar, dass es abstrus, geschmacklos,... penetrant-lächerlich! ist, dass Ihnen einer der beiden die Sie hier eingesperrt haben, einen schönen guten Morgen entgegnet, während er seelenruhig seine erste Zigarette seit 17 Tagen raucht.“ - „Kaffee? Tee? Eine Scheibe Toast vielleicht?“ - „Sehen Sie! - Wieso mache ich das?! Es ist ihnen ja nicht mal aufgefallen! - Ganz klar!“ - „Dass der Roomservice hier nicht gerade für das Hotel spricht?“ - „Ich lüge mir selbst etwas vor!“, er zieht an seiner Zigarette und die Asche fällt ihm auf die Hose. „Niemand sonst erntet mehr Betrug und Enttäuschung aus unseren Lügen als wir selbst.“

Ich denke laut: „Immerhin einer also, der uns zuhört.“, „Wachen Sie auf, Herr K.! Wachen Sie auf! Aufwachen! Genug gefaulenzt! Jetzt wird gearbeitet! Sie haben Überstunden abzubauen, die ich Ihnen später nicht anrechne! Wachen Sie doch endlich auf! Gut sehen Sie heute aus! So erholt und gesund. Auf Wiedersehen, Herr K.! Auf das Wiedersehen.“

Er sitzt leicht nach vorn gebeugt in erwartender Haltung, die Beine auf doppelte Schulterbreite geöffnet da und starrt mir ins Gesicht. „Auf Wiedersehen!“, sagt er schon wieder.

Er bleibt sitzen, starrt und zündet sich, die bereits hinter seinem Ohr klemmende, Nächste an. Er zupft sich das Hemd zurecht, wischt die Asche von seinem Schoß, steht auf, schiebt den Stuhl mit der Sitzfläche unter mein Bett, nimmt den Aschenbecher in die Hand, atmet aus, ein, aus, zieht an der Zigarette und geht zur Tür. In seinen Wolken eingedeckt spricht er dann, halb in der Tür stehend, mit dem Fußboden: „Es ist zehn nach elf, Frühstückszeit ist vorbei“, geht schlendernd aus der Tür und lässt sie hinter sich zufallen. Der übrige Rauch wirbelt immer langsamer und findet auch bald, dass das Gespräch nun vorüber ist.

Das Weg ist das Ziel

Подняться наверх