Читать книгу Traumspuren - Nadja Solenka - Страница 5

3. Kapitel

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"Löse, kröse, döse döse, maule waule, kaule daule, gekröse, wöse … ." Karla sang lustvoll und ohne Unterlass einen Text, der sehr phantasievoll klang. "Mausi, sag mal, was singst du da", fragte ich sie. „Ach, das ist die neue Art. Das ist sehr schwierig, das kann nur ich singen.“

"Ach so", sagte ich. Langsam kamen wir zu dem See, der romantisch gelegen an einer Waldlichtung lag. Da es lange Zeit nicht geregnet hatte, war das Wasser sehr niedrig und schlammig. Karla wollte natürlich sofort ans Wasser, und in die schmutzige Brühe steigen, wovon ich sie gerade noch abhalten konnte. Gemeinsam setzten wir uns auf eine Bank am Ufer. Sie legte sich auf meinen Schoß und sang weiter irgendeine ausgedachte Komposition. Fest drückte ich sie an mich.

Wie ungerecht das Leben ist, dachte ich und, dass man nahezu alle Männer in den Wind schreiben konnte. Sie waren egoistisch auf ihre Karriere bedacht oder auf ihren Spaß. Auf Denis traf eher das letztere zu. Das Erstere benutzte er nur als Vorwand, um Letzteres ausleben zu können. Man konnte nach einem anstrengenden Workshop ja prima noch hinterher ins Cabaret gehen, so zum Ausgleich, oder ins Kino zum Beispiel. Irgendwas mussten Mütter stets aufs neue mit der Erziehung ihrer Söhne falsch machen, dass die so gerieten, sinnierte ich. Vielleicht, dass sie sie so erfolgreich im Leben haben wollten, damit sie ihren eigenen nicht gelebten Ehrgeiz und die Suche nach Selbstbestätigung ausleben konnten - ein Erfolg aus zweiter Hand sozusagen. Oder vielleicht waren es aber auch die Väter schuld, die nichts anderes vor ihren Söhnen lebten und nicht aufzufinden waren bei der Erziehung der männlichen Kinder. Wer weiß?

Eines war auf jeden Fall klar, an mir war die lebenslange, schöne, aber auch verantwortliche Lebensaufgabe mein Kind großzuziehen allein hängen geblieben. Aber für die Liebe zu meinem Gott tat ich fast alles.

"Mama, was ist das da oben?", fragte meine kleine. "Das sind Blätter, die der Wind hin- und herbewegt, und ein Drache, der dort hängt", antwortete ich. "Sollen wir hoch steigen und mal nach gucken," meinte Karla dazu. "Ach, das ist zu mühsam Süße. He, schau mal, wer da kommt", versuchte ich sie von dem unsinnigen Vorhaben abzulenken. Mit rasender Geschwindigkeit kamen Daniel und Kevin, Nachbarskinder mit ihren Fahrrädern angefahren und hatten einen kurzen Halt an unserem kleinen See. "Dr. X an Dr. O, Dr. X an Dr. O holen sie schnell die Akte, holen sie schnell die Akte", sagte Daniel als Dr. X im Geschäftston.

Kevin als Dr. O stieg von seinem Rad und rannte schnell um den See. Bald fand er die imaginäre Akte, übergab sie an Dr. X und gemeinsam fuhren die beiden wieder einträchtig los. Karla schaute mich verschwörerisch an. Wir lächelten uns zu. Der Tag war gerettet.

Die süßeste Tochter der Welt schlief einen seligen späten Nachmittagsschlaf und ich überlegte, wie ich einen Artikel über die Geschichte der Dünnsäure-Verklappung in die Nordsee am besten recherchieren, und an welche Zeitung ich diesen lancieren könnte.

Nicht wirklich war ich an Geld interessiert, und wenn man sich mit Kindern beschäftigen kann und dann mehr will vom Leben, sollte man es schon in der Kombination richtig hinkriegen.

Vielleicht sollte ich versuchen, mir durch Greenpeace einschlägiges Material zuschicken zu lassen. Mit diesem Artikel würde ich dann mit hundertprozentiger Sicherheit den Durchbruch als Star-Journalistin haben, und mit Karla in Zukunft nicht mehr so finanziell am Boden sein müssen. Bei diesen Überlegungen angelangt, aß ich akribisch das Brötchen von Karla, das sie nicht aufgegessen hatte.

Plötzlich klingelte das Telefon. Ich raste die Holztreppe hinunter und nahm den Hörer ab. Meine Ex-Schwiegermutter war am anderen Ende. Ich benannte sie so, auch wenn sie nie meine wirkliche Schwiegermutter war, und nun titulierte ich sie eben als meinen Ex-Drachen. "Hallo, Luise. Hier ist Käthe, ich wollte mal wissen, wie es euch so geht?", flötete sie mit ihrer melodischen Stimme in den Hörer. Mit Käthe war ich immer noch in Kontakt, wenn auch wenig, weil sie Karla über alles liebte, aber mich zu oft stehen ließ. "Es geht uns ganz gut, besser kann es uns nicht gehen", log ich wie gedruckt. "Ich wollte euch beiden einen Vorschlag machen … ." Käthe tat wirklich sehr geheimnisvoll. „Ich mag das aber nicht am Telefon erzählen, willst du nicht Übermorgen zum Kaffee zu mir kommen, dann besprechen wir alles weitere?" Gerne wollte ich. Meldete sich bei Käthe nun das schlechte Gewissen? Ihren Sohn empfand ich nicht als Vater, es war ja irgendwie nahe liegend, dass sie bei Denis irgendetwas falsch gemacht haben musste.

Nach einem unergiebigen Plausch über Käthes Gelenkwehwechen und Familienklatsch gerade noch erträglicher Sorte, stellte ich überrascht den Hörer wieder auf die Station. Was Käthe mir wohl anbieten wollte? Ich war neugierig, schon allein aus diesem Grund wollte ich nicht Nein sagen.

Ich dachte wieder an Denis und spontan wollte ich wieder zu einer Zigarette greifen. Aber noch in der Bewegung zur Zigarettenpackung hielt ich inne. Ich spürte, dass mein Magen sehr empfindlich auf die Erinnerungen reagierte. Also sagte ich mir: Rauchen ist gänzlich überflüssig. Ich fühle mich ruhig, zufrieden und geborgen; Magenkanal arbeitet völlig normal. Überall und jederzeit finde ich Freiheit, Sicherheit und Geborgenheit. Ich bin empfinde mich als ruhig und sicher. Mein Magen- Darmtrakt arbeitet ganz frei! Diese Formel, die ich mir aus einem Buch für autogenes Training extra umformuliert hatte, wollte diesmal nicht so richtig greifen. Wie stark ich mir auch diese Formel verinnerlichte, es klappte nicht. Hektisch zündete ich mir also eine Zigarette an und pustete hastig den Rauch aus.

Viel zu viele Erinnerungen über die Vergangenheit kamen hoch und es fehlte mir gerade jetzt jemand, der mich trösten konnte. Ich hatte mir den meisten Besuch abgeschafft, wegen ihren Wünschen sich unentwegt nur aus sich selbst heraus auf ihr geerdetes Selbst zu beziehen, um Gott unentwegt sich selbst gefallen zu lassen. Wenige Freunde waren mir eh nur gewesen, nachdem Denis mich so verlassen hatte.

Vor mir lag das Buch "Schicksal als Chance", das ich momentan las. Ohne groß zu überlegen griff ich mir Thorwald Dethlefsen Buch, und schlug es beim Lesezeichen auf. Ich las unter der Kapitelüberschrift "Das Gesetz des Karma": "(...) Wirkungszusammenhang zwischen den Taten der Vergangenheit und dem aktuellen Schicksalsablauf nennt man allgemein das Karma. Karma ist das Gesetz des Ausgleichs, das dafür sorgt, dass der Mensch immer wieder mit demselben Problemtypus konfrontiert wird, bis er durch sein Handeln das Problem erlöst und sich der Gesetzmäßigkeit untergeordnet hat. Hierdurch wird jede Handlung, sogar jeder Gedanke unsterblich und unauslöschlich. Denn alle Taten und Gedanken warten darauf, durch eine Gegenbewegung kompensiert zu werden."

Zornig schob ich mir eine Locke hinters Ohr. Ja, ich war bisher immer mit demselben Problemtypus konfrontiert gewesen und zwar mit demselben Problemtypus Mann. Aber jetzt wollte ich eine geeignete Gegenbewegung starten. Würde ich bei mir und nur bei mir anfangen. Anfangen mich von anderen unabhängig zu machen. Ich wollte lernen, ganz ich selbst zu sein, denn was kam schon dabei heraus, wenn man sein Schicksal nicht begreift? Auch ich wollte mich darin nicht einbringen, aber nur wenn es mir nicht gut ging.

Karla tapste die Treppe herauf, setzte sich auf meinen Schoß und drückte mir zärtlich und unbeholfen einen Kuss aufs Kinn. Dann fragte sie: "Mama, wo ist mein gelber Flummi.“

Ja verflixt nochmal, wo war der gelbe Flummi eigentlich?

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