Читать книгу Königreich zu verschenken - Nicole Gozdek - Страница 10

7

Оглавление

„Sie glauben doch nicht, dass Sie mit dieser Unverschämtheit durchkommen!“, empörte sich Julien und machte zwei Schritte nach vorne. Eine Handbewegung. Julien machte zwei Schritte zurück.

„Ich werde mich über Sie alle beschweren und glauben Sie nicht, dass Sie danach noch einen Job haben werden!“, fuhr er erbost fort und fuchtelte mit den Fäusten. Nach kurzer Überlegung unterließ er es aber dann doch lieber.

Schweigen antwortete ihm. Frustriert und wütend starrte er den Mann vor ihm an. Wie konnte er es wagen? Glaubte er denn wirklich, dass sein Handeln keine Konsequenzen hatte?

„Packen Sie endlich diese verdammten Dinger weg!“, befahl er.

Die erste Reaktion seit zehn Minuten: „Nein.“

„Was heißt hier nein? Sie haben wohl vergessen, wen Sie vor sich haben!“

„Nein.“

Langsam wurde es Julien zu bunt. Seine Selbstbeherrschung, die in den letzten Minuten schon arg gebröckelt hatte, kam ihm nun vollends abhanden. „Packen Sie endlich dieses Scheißding weg, Sie verdammter Mistkerl, oder Sie werden es bereuen, das verspreche ich Ihnen!“, brüllte er.

Walter grinste nur und fuchtelte mit seiner Waffe vor Juliens Nase herum. „Meinen Sie etwa das hier?“, fragte er scheinheilig. „Warum sagen Sie das nicht gleich? Sie müssen sich deutlich ausdrücken, sonst versteht man Sie nicht!“, belehrte er ihn gönnerhaft.

„Also, packen Sie sie jetzt weg oder nicht?“

„Nein“, antwortete Walter und grinste erneut.

Julien schwieg einen Moment ungläubig. Sein Tonfall wurde wieder ruhiger. „Hören Sie, ich weiß ja nicht, welche Probleme Sie haben, aber Sie haben keinen Grund, mich ständig mit Ihrer Waffe zu bedrohen! Überlegen Sie doch mal! Wissen Sie denn nicht, dass Ihr Verhalten Sie Ihren Job kosten wird und den der anderen noch dazu? Sie haben mich praktisch mit vorgehaltener Waffe entführt!“

Walter schüttelte langsam den Kopf. „Ich denke nicht“, erwiderte er gleichmütig. „Ich habe strikte Anweisungen erhalten, die besagen, dass ich Sie schnellstmöglich hierherschaffen soll und dass ich jede Maßnahme ergreifen kann, die dazu nötig ist.“

Julien schnaubte ungläubig. „Selbst wenn das stimmen sollte, was ich nicht glaube“, meinte er selbstsicher, „dann haben Sie fünf zwar nur Ihren Job getan, dafür geht es Ihrem Boss aber an den Kragen. Ist Ihnen klar, dass Sie mit Ihrer Aussage soeben Ihren Boss den Job gekostet haben? Wer ist das noch gleich? Ach ja, Piers. Wo steckt der Mann überhaupt? Im Flugzeug habe ich ihn nicht gesehen.“

Walter zuckte desinteressiert mit den Schultern. „Keine Ahnung. Aber bis er kommt, habe ich das Kommando“, erklärte er genüsslich. „Und ich beabsichtige, meinen Befehlen nachzukommen. Und wenn Sie noch so wettern und fluchen, das ist mir egal.“

„Ist es Ihnen auch egal, wenn ich meinem Großvater erzähle, was Sie getan haben und welche Befehle Sie von Piers bekommen haben?“, wollte Julien wissen.

Walter grinste. „Die Befehle kamen nicht von Piers“, erklärte er langsam und ließ genüsslich jedes Wort auf der Zunge zergehen.

Julien explodierte. „Ich habe es gewusst! Sie verdammter Scheißkerl! Das waren Sie! Das ist alles auf Ihrem Mist gewachsen!“

Walter beobachtete ihn, wie man eine kleine Maus beobachtet, die einen anspringt, bevor man sie zertritt. „Die Befehle kamen von Ihrem Großvater.“

„Was?“

Julien stand, wie vom Donner gerührt, vor Walter und starrte ihn ungläubig an. Das konnte nicht sein! Das würde sein Großvater niemals tun! Nie hätte er Julien so demütigen lassen! Das hatte sich Walter ausgedacht, um ihn zu ärgern!

Walter grinste schadenfroh. „Das können Sie mir ruhig glauben! Aber bitte, Sie können Ihren Großvater selbstverständlich auch fragen, wenn Sie es aus seinem Mund hören müssen.“

„Aber, aber ... warum?“

Julien dachte an den vorherigen Abend zurück. Wie er, einem Schwerverbrecher gleich, mit vorgehaltener Waffe und in Handschellen aus dem Hotel geführt worden war. „Schließlich müssen wir ja sicher sein, dass Sie uns nicht wieder abhauen, nicht wahr?“, hatte Walter grinsend gemeint und Juliens Empörung ignoriert. Zuerst hatte er es nicht glauben wollen, doch Julia Carpenters fassungsloser Blick hatte ihm klar gemacht, dass das doch alles die Wirklichkeit und kein besonders absurder Albtraum war. Sein Gesicht verzog sich verdrießlich. Bei ihr würde er sich nicht mehr blicken lassen können.

Juliens Entrüstung über ein vermasseltes Rendezvous wich einem regelrechten Schock, als er Walters Antwort hören musste. „Weil Ihr Großvater die Nase voll von Ihnen, Ihren Launen und Mätzchen hat“, lautet seine brutale Entgegnung. „Ich habe gehört, dass Ihr Großvater ernsthaft daran denkt, Sie zu enterben und Ihre Konten zu sperren. Dann wäre es vorbei mit dem Faulenzen, den endlosen Frauengeschichten und den kostspieligen Reisen. Dann können Sie sich das nicht mehr leisten.“

Das konnte nicht sein! Walters Worte hinterließen eine eisige Kälte in Juliens Innerem. Seine Worte konnten einfach nicht wahr sein! Würde sein Großvater tatsächlich so etwas Ungeheuerliches tun? Ungeachtet dessen, was seine Freunde und Bekannten zu diesem Schritt sagen würden?

Aber natürlich, die steckten doch wahrscheinlich hinter dieser ganzen Sache! Das war alles ein abgekartetes Spiel, eine große Intrige von ein paar neidischen, alten Säcken, die es nicht verwinden konnten, dass Julien so viel Glück bei Frauen hatte! Jetzt wurde die ganze Geschichte klarer! Doch was konnte er bloß dagegen unternehmen?

Julien starrte Walter an, der immer noch seine Waffe in der Hand hatte. Und der gehörte bestimmt auch dazu, so wie er grinste und sich über ihn lustig machte! Kein Wunder, dass er bei den Frauen keine Chance hatte! Er erinnerte Julien an einen ungelenken Bullen oder einen tapsigen, unbeholfenen Bären, viel Kraft, aber kein Gehirn, von Anmut oder Eleganz gar nicht erst zu reden! Ja, der Kerl steckte mit Sicherheit mit den anderen alten Säcken unter einer Decke!

Aber wie passte Piers ins Bild? Julien glaubte nicht, dass Piers von der Intrige wusste, das passte einfach nicht zu dem Saubermann. Nein, er hatte doch Recht gehabt und Walter hatte sich das alles selbst ausgedacht.

„Sie glauben mir nicht, was?“, meinte Walter spöttisch. „Aber Sie werden noch sehen! Nun ist es aus mit dem Lotterleben!“

Julien schnaubte ungläubig. Nicht wenn er noch ein Wörtchen mitzureden hatte! Er brauchte nur fünf Minuten, fünf Minuten mit seinem Großvater alleine, und dann konnten diese alten Neidhammel ihre mühsam gesponnene Intrige vergessen! Das wäre doch gelacht, wenn es ihm nicht gelingen sollte, seinen Großvater umzustimmen!

Schritte auf dem Flur ließen ihn herumfahren. Na endlich! Schon seit Stunden hielten die fünf ihn hier fest. Wo immer dieses Hier auch war. Noch nicht einmal auf die Toilette durfte er alleine gehen. Wahrscheinlich dachten sie, dass er durchs Badezimmerfenster abhauen würde. Von wegen! Dafür war es leider viel zu klein.

Die Schritte kamen näher und hielten dann abrupt an. Julien glaubte, jemanden murmeln zu hören. Wer waren sie? Welche von diesen miesen Intriganten? Oder war Piers dem Ganzen auf die Schliche gekommen? Oder sein Großvater? Das wäre natürlich noch das Beste, dann würde Walter aber was erleben!

Julien bemerkte, dass Walter ihn weiterhin scharf im Auge behielt. Die beiden Frauen blickten zur Tür, was die beiden anderen Männer, die ihn bewachten, machten, konnte Julien von seiner Position aus nicht erkennen.

Die Tür öffnete sich und Piers trat ein. Er warf einen Blick auf Julien, dann auf Walter und auf dessen Waffe. Walter grinste und Piers schüttelte den Kopf.

Julien triumphierte. Hatte er es doch gewusst! Piers steckte nicht mit Walter unter einer Decke! Nun würde der Kerl aber was erleben!

„Julien, Walter“, grüßte Piers. Seine Stimme klang müde. Er sah aus, als hätte er die letzte Nacht nicht geschlafen. „Ist das wirklich nötig?“, wollte er von Walter wissen und deutete auf die Waffen.

Walter nickte grimmig. „Du hättest mal sein Gesicht sehen sollen, als er auf der Toilette gewesen ist. Wenn er gekonnt hätte, wäre er sofort getürmt. Meinst du, ich will mir die Arbeit machen und ihn noch mal von der anderen Seite der Welt zurückholen? Nein, danke, dann doch lieber auf diese Weise.“

Julien hatte verdutzt ihrem Wortwechsel zugehört. Das lief doch etwas anders, als er es erwartet hatte. Das hörte sich viel zu nett an. Wo blieb das Gebrüll, wo waren die gegenseitigen Beschuldigungen?

„Was ist hier los?“, wollte er irritiert von Piers wissen.

Piers seufzte müde. „Das könnte ich Sie auch fragen“, erwiderte er. „Sie wussten doch genau, was gestern für ein Tag war, oder? Der Wohltätigkeitsempfang sagt Ihnen doch sicher was. Behaupten Sie jetzt nicht, Sie hätten es vergessen!“, drohte er. „Das hatten Sie schon die letzten Male behauptet und jeder wusste, dass es gelogen war.“

„Was unterstellen Sie mir hier eigentlich?“, schimpfte er. „Wollen Sie etwa behaupten, ich sei ein Lügner?“

„Ich behaupte es nicht nur, es ist bedauerlicherweise eine Tatsache“, entgegnete der ältere Mann ruhig. Ein weiteres Seufzen folgte.

„Und was sollen wir jetzt mit ihm machen, Boss?“, erkundigte sich Walter und zeigte mit dem Finger auf seinen Schützling. Piers zuckte ratlos mit den Schultern.

„Das habe ich mich auch gefragt.“

Julien fuhr herum. „Großvater!“, rief er überrascht. „Ich ...“

„Schweig!“, donnerte sein Großvater wütend. „Ich will keine von deinen Ausreden hören! Die kenne ich schon zur Genüge! Was hast du dir dabei gedacht? Nur ein einziges Mal bitte ich dich um etwas und du hast nichts Besseres zu tun, als dich wieder einmal aus dem Staub zu machen! Sag jetzt nicht, du hättest einen dringenden Termin gehabt und konntest nicht kommen! Weißt du, was meine Leute herausgefunden haben? Nachdem ich dich gebeten haben, zum Empfang zu kommen – woraufhin du eingewilligt hast, wohlbemerkt! -, hattest du nichts Besseres zu tun, als das Reisebüro anzurufen und einen Flug in die Vereinigten Staaten zu buchen! Meinst du, ich lasse mir dreist und ungestraft ins Gesicht lügen? Sieh mich an, wenn ich mit dir spreche!“, befahl er grimmig.

Julien guckte trotzig. „Diese Empfänge sind doch sowieso immer gleich“, maulte er schließlich. „Immer nur die gleichen Leute, das gleiche Blabla, das ist doch langweilig. Ich möchte mal was Neues sehen, neue Leute kennen lernen, neue Erfahrungen machen.“

„So?“, fragte sein Großvater spitz. „Langweilig sind wir also? Nun gut, du musst deine Zeit nicht mit uns verbringen, wenn du nicht willst. Damit tust uns wirklich keinen Gefallen.“

Julien mochte den Tonfall seines Großvaters nicht. Er wurde nicht schlau aus ihm. Nach einem Augenblick beschloss er, die Sache erst einmal positiv zu sehen.

„Ehrlich? Ich muss zu keinem Empfang, wenn ich nicht will?“, hakte er nach.

Sein Großvater schnaubte verächtlich. „Ich will es mal anders ausdrücken. Du darfst zu keinem Empfang mehr, du bist unerwünscht. Ist dir eigentlich klar, dass die meisten dich nur meinetwegen noch einladen? Dass du dich so unbeliebt gemacht hast, dass keiner mehr etwas mit dir zu tun haben will? Dass ich mich für dein Verhalten schäme?“

Julien ließ die Strafpredigt ungerührt über sich ergehen. Sollte sein Großvater doch sagen, was er wollte, und dies war auch nicht die erste Strafpredigt, die er sich anhören musste. Hauptsache, er bekam letzten Endes, was er wollte.

Sein Großvater beobachtete ihn aufmerksam. Nach und nach wurde sein Gesicht immer länger. „Dir ist egal, was ich sage, oder?“

Schweigen war die einzige Antwort, die er erhielt. Sein Großvater riss sich sichtbar zusammen. Sein Tonfall wurde kälter. „Nun gut, du wolltest es nicht anders. Von nun an wirst du die Konsequenzen zu spüren bekommen!“, drohte er. „Du willst nicht zu uns gehören, gut, dann aber auch mit allen Folgen, die dazugehören. Von heute an bekommst du keinen Cent mehr von mir. Deine Konten habe ich sperren lassen, ob du sie jemals zurückbekommst, hängt ganz von dir ab. Du willst nicht zu unseren Kreisen gehören, dann kannst du dir unseren Lebensstandard auch nicht mehr leisten.“

„Das kannst du nicht machen!“, protestierte Julien schockiert. „Wie soll ich denn dann leben?“

„Wie wäre es mit arbeiten?“, fragte Walter süffisant. „Sie wissen schon, Hände und Köpfchen benutzen, um etwas Nützliches zu tun.“

Julien warf ihm einen scharfen Blick zu. Wie konnte es dieser Kerl nur wagen, ihn zu verspotten! Das Ganze war überhaupt nicht lustig! Hier ging es schließlich um sein Leben! Darüber machte man keine Scherze!

Er musste versuchen, seinen Großvater wieder zur Vernunft zu bringen! Er setzte einen reumütigen Gesichtsausdruck auf. „Vielleicht hast du Recht“, räumte er ein. „Nein, ganz sicher hast du Recht“, korrigierte er sich sofort. „Ich habe mich falsch verhalten und es tut mir leid, dass du dir Sorgen gemacht hast und dass du alleine zum Empfang gehen musstest. Wirklich. Kannst du mir noch einmal verzeihen? Es kommt auch nie wieder vor, das verspreche ich. Ehrenwort“, beteuerte er und es herrschte einen Augenblick gespannte Stille.

Schließlich räusperte sich der alte Mann. „Ob ich dir verzeihen kann, ist nicht die Frage. Die Frage ist, ob ich mich auch auf dein Wort verlassen kann. Und meine Erfahrung hat leider gezeigt, dass dein Wort, dein Ehrenwort, nicht viel wert ist. Deshalb musst du mir jetzt in Wort und Tat beweisen, dass du es ehrlich meinst.“

Julien guckte skeptisch. Das lief nicht so wie geplant. „Was heißt das?“

„Das heißt, dass ich dir verzeihe“, Julien lächelte erleichtert, „wenn du mir beweist, dass du es ernst meinst. Von heute an musst du dir meine Vergebung erarbeiten. Und du fängst sofort damit an. Deine Schlüssel!“

„Was?“

„Deine Schlüssel!“, befahl sein Großvater und streckte fordernd die Hand aus.

Widerwillig zog Julien seinen Schlüsselbund aus der Tasche. Er hatte keine andere Wahl. Walter sah so aus, als würde er Gewalt anwenden, sollte er nicht gehorchen.

Sein Großvater nickte zufrieden und steckte die Schlüssel ein. Dann gab er Piers einen Wink. Dieser grub in seinen Taschen, bis er gefunden hatte, was er suchte. Er lächelte triumphierend, holte einen Schlüssel aus seiner linken Hosentasche und drückte ihn Julien in die Hand.

„Was soll das?“, fragte Julien verblüfft.

„Das ist der Schlüssel zu deiner neuen Wohnung“, erklärte sein Großvater. „Von heute an hast du eine eigene Wohnung. Leibwächter stehen dir nicht mehr zu, du wirst dir also in Zukunft keine Sorgen mehr darüber machen müssen, wie du Piers und Walter entwischen kannst. Die Wohnung ist eingerichtet und der Kühlschrank voll. Um alles Weitere musst du dich selbst kümmern.“

Das hörte sich doch gar nicht so schlecht an, dachte Julien. Eine eigene Wohnung, keine Leibwächter mehr, die ihm die Ohren vollquasselten oder ihm ihre Waffen unter die Nase hielten. Doch irgendwie traute er der ganzen Sache noch nicht. Irgendwo in dieser Geschichte war ein Haken. Er sah nur noch nicht wo.

„Wir sehen uns morgen beim Abendessen. Acht Uhr. Sei pünktlich!“, befahl sein Großvater und ging.

Walter starrte seinen Vorgesetzten an. „Und was machen wir nun?“

„Nun bringen wir Julien zu seiner neuen Wohnung“, meinte Piers. „Danach verschwinden wir. Du hast es doch gehört. Und packt endlich die Waffen weg!“, befahl er unwirsch. „Das macht mich noch ganz nervös.“

„Ach, darum hat das also so lange gedauert“, erkannte Walter. „Ich habe mich schon gewundert, warum wir hier so lange warten mussten.“

Piers nickte. Dann gab er Julien einen Wink. „Kommen Sie.“

Julien gehorchte. Während der Autofahrt sprach niemand ein Wort. Sie benutzten einen unscheinbaren Kombi, nur Walter, Piers und er. Die anderen hatte Piers nach Hause geschickt.

Julien war in Gedanken versunken. Wo sie wohl hinfuhren? Er wusste, dass sein Großvater mehrere Häuser in der Gegend hatte, und nun sollte Julien eines davon sein Eigen nennen, ein aufregender Gedanke. Ob er wohl das schöne Herrenhaus aus dem 18. Jahrhundert bekam? Das wäre toll, sein absoluter Favorit unter den Besitztümern seines Großvaters. Und die Gegend war einfach atemberaubend, sie verlieh dem ganzen Anwesen etwas Märchenhaftes, Romantisches. Julien malte sich schon romantische Abendessen im Kerzenschein aus.

Schließlich räusperte sich Piers. „Wir sind da.“

Julien beendete abrupt seine Tagträumereien. Ungläubig starrte er aus dem Fenster. Das konnte nicht sein! Das war nicht das Herrenhaus aus dem 18. Jahrhundert und man konnte noch nicht einmal von einem Herrenhaus sprechen.

Piers hatte vor einem zweistöckigen Backsteingebäude gehalten, das mitten im Nirgendwo zu stehen schien, und lächelte zufrieden. Julien ließ er nicht aus den Augen und so sah er erst Unglauben, dann Verwirrung und zuletzt offenes Entsetzen über seine Züge huschen.

„Das kann nicht sein!“, protestierte Julien schließlich. „Sie müssen sich verfahren haben! Sind Sie wirklich sicher, dass die Adresse stimmt? Das hier ist nicht eines der Anwesen meines Großvaters.“

„Stimmt“, erwiderte Piers ungerührt. „Ich habe es heute erst gemietet. Wir hatten Glück, dass es schon etwas länger leer stand. So mussten wir nur einmal gründlich putzen und ein paar Möbel herschaffen. Aber das war ein Klacks. Wollen wir reingehen?“

Wie betäubt ließ sich Julien zum Haus führen. Das rote Backsteingebäude wirkte trotz seiner kleinen Ausmaße irgendwie bedrohlich auf Julien. Das konnte sein Großvater doch nicht gebilligt haben!

„Weiß mein Großvater davon?“, fragte er und wies auf das Haus. „Von dieser ... Abscheulichkeit?“

Piers schmunzelte. „Ich bitte Sie, das ist doch etwas übertrieben! Das Haus ist weder verfallen noch hässlich, es ist nur nichts Besonderes. Sie werden sich schon daran gewöhnen. Das meinte Ihr Großvater übrigens auch, als ich es ihm gezeigt habe.“

Das konnte nicht wahr sein! Aber ein Blick in Piers‘ Gesicht zeigte ihm, dass es doch Realität war. Hier würde er von nun an leben müssen, in dieser ... dieser Bruchbude!

Piers öffnete die Tür, die nicht abgeschlossen war. Drinnen lief amerikanische Popmusik. Irgendwo brutzelte etwas. Es roch gut.

Piers zeigte nach links. „Hier ist das Wohnzimmer. Neben der Treppe ist das Bad und auf unserer Rechten ist die Küche. Oben sind die beiden Schlafzimmer und noch ein weiteres Bad. Über die Schlafzimmer müssen Sie sich mit Ihrem Mitbewohner einig werden.“

Julien glaubte, sich verhört zu haben. „Mitbewohner?“, wiederholte er ungläubig.

Piers lächelte. „Ja. Sie werden schon miteinander klarkommen“, meinte er, doch dann verfinsterte sich sein Gesicht. „Falls nicht, so hat er das Sagen. Ist das klar? Das ist eine klare Anweisung von Ihrem Großvater. Falls Sie diese nicht befolgen, können Sie sich das Herrenhaus aus dem 18. Jahrhundert abschreiben!“

„Woher wissen Sie ...?“, fragte Julien verblüfft.

„Dass Sie ein Auge auf das Anwesen geworfen haben?“ Piers schüttelte den Kopf, als könnte er so viel Naivität nicht fassen. „Junge, werden Sie endlich erwachsen! Das ist doch allgemein bekannt, schließlich haben Sie Ihrem Großvater deswegen schon lange in den Ohren gelegen. Sehen Sie diese Zeit als Prüfung an. Sollten Sie bestehen, gehört das Herrenhaus Ihnen. Wenn nicht, werden Sie hier noch eine Weile länger wohnen bleiben müssen.“

„Und wie lange soll diese ... Prüfung dauern?“, erkundigte sich Julien bitter. Das konnte doch alles nicht wahr sein!

Piers zuckte mit den Schultern. „Das weiß ich nicht. Stellen Sie sich aber auf einen längeren Zeitraum ein. Ein Jahr auf jeden Fall, vielleicht auch zwei oder drei.“

Zwei oder drei Jahre in dieser Bruchbude?

„Das kommt ganz auf Sie an. Und wie Ihr Großvater Ihr Verhalten beurteilt. Ihr Mitbewohner ist in der Küche. Sie sollten sich miteinander bekannt machen. Vergessen Sie morgen nicht das Abendessen bei Ihrem Großvater.“

Er drehte sich um und ging zur Tür. Walter folgte ihm grinsend. An der Tür blieb Piers noch einmal stehen. „Ehe ich es vergesse, Arbeitsbeginn ist um sieben Uhr. Sie dürfen ausnahmsweise mal etwas später kommen, weil es ja Ihr erster Tag ist. Gute Nacht!“

„He, was soll das heißen?“, rief Julien. Arbeitsbeginn? Er und arbeiten? Das sollte doch wohl ein Scherz sein! Und dann noch um sieben Uhr? Hatte er wirklich sieben Uhr früh gemeint? Musste er ja wohl, wenn um acht Uhr abends das Abendessen bei seinem Großvater war.

Unentschlossen stand er auf dem Flur. Was sollte er jetzt machen? Missmutig starrte er aus dem Fenster. Walter und Piers waren längst mit dem Auto davongefahren und weit und breit war kein anderes Fahrzeug in Sicht.

Keine Fluchtmöglichkeit. Langsam sickerte dieser Gedanke zu Julien durch. Von hier kam er nicht so schnell wieder weg. Weit und breit waren keine anderen Häuser in Sicht. Das nächste Dorf musste Kilometer weit weg sein.

Und nun? Julien beschloss, dass er genauso gut auch in die Küche gehen konnte, um sich seinen neuen Mitbewohner anzusehen. Wenigstens hatte der schon Essen gekocht. Anscheinend der einzige Komfort in diesem Haus, sein Mitbewohner kochte. Na toll.

Langsam ging Julien in die Küche. Dies war das erste Mal, dass er eine Küche von innen sah. Nicht, dass er nicht wusste, wie eine Küche aussah oder was diese Dinger, die sich überall stapelten, bezweckten. Er war ja schließlich nicht dumm oder so was. Trotzdem erschien es Julien, als betrete er eine fremde, ihm feindliche Welt.

Jemand pfiff zu den Klängen eines englischsprachigen Popsongs. Ein Radio stand in der Ecke, wenigstens das wusste Julien eindeutig zu benennen. Sein Mitbewohner stand mit dem Rücken zu ihm und hielt ein Metallteil in der Hand. Eine Pfanne, erkannte Julien.

Schließlich nahm sein Mitbewohner die Pfanne vom Herd und drehte sich um. Julien erhaschte einen Blick auf sein Gesicht, während der andere die Pfanne auf den gedeckten Tisch setzte.

Das konnte doch nicht wahr sein, dachte Julien. Er kannte dieses Gesicht - leider! Ungläubig starrte er ihn an. Sie hatten sich einen Scherz mit ihm erlaubt, anders konnte er sich das nicht erklären. Aber wenn, dann war das ein schlechter Scherz, ein sehr schlechter Scherz. Aber was sonst hatte der Kerl hier verloren?

„Hallo, da bist du ja. Du kommst gerade rechtzeitig zum Abendbrot. Sieht so aus, als würden wir eine Weile miteinander auskommen müssen, nicht wahr? Ich muss gestehen, ich wollte schon immer mal was von Europa sehen und dass ich jetzt hier eine Weile wohnen darf, ist doch klasse!“, meinte Jack begeistert und grinste Julien an.

Julien blinzelte. Mehrmals. Das war kein Traum, keine Halluzination.

Oh, Scheiße!

Königreich zu verschenken

Подняться наверх