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Karolina fühlte sich miserabel. Sie war noch nie verhaftet worden und ehrlich gesagt, hätte sie auf diese Erfahrung auch gut verzichten können. Diese Demütigung, mit Handschellen gefesselt abgeführt zu werden! Und das auch noch vor den Augen von rund einem Dutzend neugieriger Gaffer! Aber das Schlimmste waren die Blicke dieser Hundequäler gewesen, dieses höhnische Grinsen, dieses Geschieht-euch-recht-Verhalten! Wenn sie nur daran dachte, konnte sie vor lauter Wut ausrasten.

Karolina schnaubte missmutig. Wenigstens hatten sie nur vier von ihnen erwischt, die anderen drei waren glücklicherweise entkommen. Daniel war vor lauter Angst so kopflos gewesen, dass er, statt zum Ausgang zu rennen, Richtung Haus gelaufen war. Die Polizei musste ihn aus dem Springbrunnen fischen, in den er gefallen war. Trotz der ganzen Situation bedauerte Karolina, dass sie das nicht gesehen hatte. Sie hätte nur zu gerne Daniels Gesicht gesehen, als die Polizisten ihn endlich von der kleinen Springbrunnenfigur holten. Daniel war klitschnass gewesen und der Tierquäler hatte ein großes Handtuch für ihn holen müssen, da die Polizisten sich strikt geweigert hatten, ihn so, pudelnass wie er war, mitzunehmen. Die Gesichter der Hundequäler waren sehenswert gewesen.

Als Nächstes hatten sie Marie und ihren Bruder Philipp entdeckt. Marie hatte ihr später erzählt, dass Philipp sich schützend vor sie gestellt und sich geweigert hatte, sie alleine zu lassen, obwohl er mit Leichtigkeit davonrennen und über die Mauer hätte klettern können.

Karolina bewunderte ihn dafür. Als Marie ihr davon erzählt hatte, hatte sie sich für einen Moment lang auch so einen großen Bruder gewünscht, der sich für sie einsetzte, bis ihr klar wurde, dass sie sogar zwei davon hatte. Nur dem Jüngsten ihrer drei Brüder, der ihr im Alter am nächsten stand, hätte sie so eine Tat nie zugetraut, dafür war er viel zu egoistisch und zu unachtsam.

Von ihren Brüdern kam sie natürlich zwangsläufig auf ihren Großvater und das waren keine schönen Gedanken. Inzwischen hatte Anna sicher entdeckt, dass sie nicht in ihrem Bett geschlafen hatte, schließlich war es schon neun Uhr morgens, und sicherlich war sie voller Sorge zu ihrem Großvater gerannt, um es ihm zu erzählen. Ihr Großvater würde toben. Sie mochte sich gar nicht vorstellen, was er sagen würde, sollte er auch noch von ihrer Verhaftung erfahren und er würde davon erfahren, da war sie sich sicher.

Marie seufzte. Sie machte einen sehr niedergeschlagenen Eindruck. Die Polizisten hatten die beiden Mädchen zusammen in eine Zelle gesperrt und die jungen Männer in die Zelle nebenan. Marie wünschte sich wahrscheinlich ebenso sehr wie Karolina, dass sie mit ihnen sprechen könnten. Das Warten brachte sie beinahe um und alleine kamen sie beide nur auf düstere Gedanken.

Warum kam denn bloß keiner? Wollten sie sie hier etwa den ganzen Tag versauern lassen?

Karolina hätte am liebsten irgendwo gegengetreten, aber das traute sie sich dann doch nicht. Schließlich waren sie hier im Gefängnis und womöglich kämen sie sonst noch auf die Idee, sie noch eine Nacht länger dazubehalten.

Als dann eine Minute später ein Schlüssel in der Tür geräuschvoll herumgedreht wurde, fuhren Karolina und Marie erschrocken zusammen. Ob sie nun dem Richter vorgeführt wurden?

In bangem Schweigen folgten sie dem Aufseher in einen kleinen Raum, wo neben Daniel und Philipp auch John und ein anderer, Karolina unbekannter Mann auf sie warteten. Hatten sie ihn etwa doch noch erwischt? Polizisten oder gar ein Richter waren nicht in Sicht. Karolina wartete ängstlich darauf, dass einer von ihnen etwas sagte und das beklemmende Schweigen brach. Nach einigen Sekunden räusperte sich John schließlich und beantwortete die Frage, die Karolina nicht zu stellen gewagt hatte. „Nein, sie haben mich nicht erwischt. Ich habe mich freiwillig auf dem Polizeirevier gemeldet.“

„Sag mal, bist du denn völlig übergeschnappt?“ Philipp starrte ihn fassungslos an. „Warum hast du denn nicht die Klappe gehalten? Wir hätten dich schon nicht verpfiffen!“

John machte eine beschwichtigende Handbewegung. „Das weiß ich doch. Aber ich hielt es für wichtig, der Polizei unser Beweismaterial, das heißt, unsere Notizen und unsere Aufnahmen, zu übergeben. Oder willst du diese Tierquäler etwa ungestraft davonkommen lassen?“

Das wollte keiner von ihnen. Doch Karolina war sich nicht sicher, ob Johns Vorgehen der richtige Weg gewesen war, schließlich konnte die Polizei ihre Notizen und ihre Aufnahmen auch gegen sie selbst verwenden. Sie glaubte nicht, dass John je auf diese Idee gekommen wäre. In seinem Weltbild gehörten sie zu den Guten und die Guten wurden immer belohnt. Das mochte ja in Comics so sein, aber in der Wirklichkeit?

„Aber wie konntest du ihnen denn das Videoband geben?“, wollte Daniel verdutzt wissen. „War die Videokamera nicht auch im Springbrunnen?“

John grinste. „Nein, Kumpel. Die Videokamera war das Erste, das du fallen gelassen hast, als du losgerannt bist. Danach kamen dann die Leinen, aber bei denen habe ich mir nicht die Mühe gemacht, sie aufzusammeln. Ich habe mir nur die Kamera geschnappt und bin über die nächste Mauer. Später habe ich mich dann unbemerkt unter die gaffenden Nachbarn gemischt und habe gesehen, wie sie mit euch weggefahren sind.“

„Und die anderen?“, erkundigte sich Marie besorgt, vermied es aber, mit einem Blick auf den schweigenden Fremden neben ihr, Namen zu nennen.

„Keine Bange, denen geht es gut. Um die müsst ihr euch keine Sorgen machen und euren Eltern habe ich auch Bescheid gesagt. Sie wissen, wo ihr seid, darüber müsst ihr euch also keine Gedanken zu machen“, beteuerte John.

Daniel guckte skeptisch. Der Gedanke, dass seine Eltern wussten, dass er die Nacht im Gefängnis verbrachte hatte, war für ihn nicht gerade beruhigend. Er glaubte kaum, dass seine Eltern dafür Verständnis haben würden.

Marie und Philipp dagegen waren weniger besorgt. Kein Wunder, ihre Eltern waren schließlich auch alte Greenpeace-Aktivisten und hatten selbst schon mal eine Nacht im Gefängnis verbringen müssen. Karolina vermutete, dass die beiden sogar etwas stolz auf ihre Sprösslinge sein würden, die die Familientradition aufrecht hielten. Nur schade, dass es in ihrer Familie keine solche Tradition gab. Sie würde kaum mit Verständnis rechnen können.

„Nur deine Eltern habe ich nicht erreichen können, Karolina“, wandte sich John nun direkt an sie. „Philipps Mutter hat schon alles durchsucht, aber keine Telefonnummer gefunden, noch nicht mal eine von dir.“

Oh je, wie sollte sie das jetzt erklären? Karolinas Gedanken rasten. Maries Mutter hatte keine Telefonnummer finden können, weil noch nicht einmal Marie sie hatte und dabei kannten sie sich schon seit zwei Jahren. Aber das Risiko, dass Marie anrief und einer vom Personal ans Telefon ging, war einfach zu groß.

„Meine Eltern sind leider beide schon lange tot“, sagte sie ausweichend.

Maries Gesicht nahm daraufhin einen besorgten Ausdruck an. Sie wusste, dass Karolina nicht gerne über sie sprach.

Doch mit dieser ausweichenden Antwort ließ John sie nicht davonkommen. „Und deine anderen Verwandten? Bei wem wohnst du? Du wohnst doch nicht alleine, oder?“, hakte er nach.

Karolina seufzte und gab sich geschlagen. Irgendetwas musste sie ihnen anscheinend erzählen. „Ich wohne seit dem Tod unserer Eltern mit meinen drei älteren Brüdern bei meinem Großvater. Inzwischen ist der Älteste zwar ausgezogen, aber die beiden anderen wohnen immer noch bei uns, auch wenn sie nicht viel zu Hause sind. Und mein Großvater?“ Karolina entfuhr ein Seufzer. „Ganz ehrlich, ich habe euch die Nummer nicht gegeben, damit er nichts von euch erfährt.“

„Was?“, fragte Marie ungläubig.

„Sag mal, in was für Familienverhältnissen lebt ihr eigentlich?“ Philipp schüttelte fassungslos den Kopf. „Wieso soll er denn nicht erfahren, dass du mit uns befreundet bist? Oder schämst du dich für uns?“

„Nein, natürlich nicht!“, protestierte Karolina ängstlich. Wie kam er bloß auf so einen Gedanken? „Es ist nur, er ...“ Ihr fehlten die Worte, um es zu erklären.

„Er ist altmodisch, streng und etwas schwierig.“

Karolina zuckte zusammen und drehte sich zu dem fremden Mann um, der ihr die Worte aus dem Mund genommen hatte. Wer war er und wieso kannte er ihren Großvater? Hatte ihr Großvater ihn etwa geschickt? Aber danach hatten sich seine Worte nicht angehört.

„Vielleicht sollte ich mich erst einmal vorstellen“, meinte er und lächelte freundlich. „Ich heiße Thomas Stein und falls ihr euch wundern solltet, warum ich nicht wie meine übrigen Verwandten von unserem riesigen Vermögen lebe, sondern mich entschlossen habe, mir wie ein ganz normaler Mensch meine Brötchen selbst zu verdienen, dann muss ich euch sagen, dass ich schon immer das schwarze Schaf der Familie gewesen bin.“

Er lächelte erneut, während die fünf ihn anstarrten. Jeder von ihnen hatte schon mal von der Familie Stein gehört, einer der zehn reichsten Familien des Landes. Sie hatten, wie John sagen würde, ihre Finger wirklich überall drin.

„Und was machen Sie hier? Sind Sie Reporter und spionieren Sie Leuten hinterher, die im Gefängnis sitzen? Wirklich ein toller Beruf!“, meinte Philipp bissig.

Thomas Stein lächelte amüsiert. „Ich denke doch, dass Anwalt ein achtbarer Beruf ist, auch wenn ich zu der eher aufdringlichen Sorte gehöre und manchmal sogar ins Gefängnis gehe, um mir meine Klienten zu suchen. Ich habe heute Morgen auf dem Polizeirevier vorbeigeschaut, habe da von eurem Fall gehört und bin dann schnurstracks hergefahren, um euch meinen fachlichen Beistand anzubieten. Ich nehme nicht an, dass ihr schon einen Anwalt habt, oder?“ Er lächelte Philipp, der ihn immer noch misstrauisch beäugte, freundlich an.

„Nein“, gab dieser mürrisch zu.

„Ich sehe auch nicht ein, wozu wir einen brauchen sollten!“, mischte sich John ins Gespräch ein. „Wir haben schließlich nichts Unrechtes getan! Warum bieten Sie nicht diesen Tierquälern ihre Hilfe an? Die hätten sie doch viel eher nötig!“

Das war mal wieder typisch John, dachte Karolina.

„Das mag sein“, räumte Stein gutmütig ein. „Vom moralischen Standpunkt aus würde ich dir jederzeit Recht geben. Das, was Herr Kron mit seinen Hunden gemacht hat, ist wirklich eine große Sauerei und mir würde es, ehrlich gesagt, überhaupt nicht passen, müsste ich je für einen solchen Typen die Verteidigung übernehmen.“ Damit hatte er John und Philipp für sich eingenommen. „Fakt ist aber auch, dass ihr das Gesetz gebrochen habt, indem ihr widerrechtlich sein Grundstück betreten und versucht habt, fremdes Eigentum von dort zu entfernen.“

„Fremdes Eigentum!“, empörte sich Marie. „Das waren doch keine wertvollen Gegenstände oder leblose Dinge, sondern fühlende Wesen!“

Karolina hätte sich nicht so über Steins Wortwahl aufgeregt, schließlich schien Stein auf ihrer Seite zu sein, aber wenn Marie etwas gegen den Strich ging, dann musste sie es loswerden.

„Diese Haltung ist lobenswert“, meinte Stein und lächelte das Mädchen an, „aber leider ist sie es auch, die euch in diesen Schlamassel gebracht hat. Und vor dem Gesetz sind Hunde leider nicht mit Menschen gleichgestellt. Das würde das Vorgehen gegen Tierquäler viel einfacher machen.“

Stein schwieg in Gedanken versunken. Karolina vermutete, dass er an einen seiner Fälle dachte, in dem es um Tierquälerei ging. Wie lange das wohl zurückliegen mochte? Allzu lange konnte Stein noch nicht als Anwalt praktizieren, Karolina schätzte ihn auf Ende zwanzig, höchstens dreißig.

„Ich habe gerade darüber nachgedacht, wie wir jetzt am besten vorgehen. Ich hatte nicht damit gerechnet, Euch hier zu sehen, Karolina“, sagte er und schenkte ihr ein Lächeln. „Das macht die Sache nicht gerade einfacher.“

Die anderen guckten interessiert von Stein zu Karolina und wieder zurück.

„Sag mal, kennt ihr euch, Karo?“, wollte Marie wissen.

„Wieso nennen Sie sie eigentlich Karolina? Sie heißt doch Karo und außerdem ist Karolina ziemlich versnobt und altmodisch“, wandte Philipp ein.

Stein schüttelte fassungslos den Kopf. „Sie haben wirklich keine Ahnung, wer Ihr seid, oder?“

Karolina verneinte. Anscheinend musste sie doch noch weitere Dinge über sich preisgeben, auch wenn es ihr schwer fiel. Sie seufzte.

„Ich habe keine Ahnung, ob ich Herrn Stein schon einmal begegnet bin“, sie lächelte ihn entschuldigend an, „aber ich denke mal, dass es sehr wahrscheinlich ist. Wir verkehren schließlich in den gleichen Kreisen. Vielleicht sind wir uns dort vorgestellt worden. Und selbst wenn nicht, so hat er mich doch wahrscheinlich von einem Foto erkannt.“

„Der Weihnachtsball letztes Jahr“, frischte Stein ihre Erinnerung auf. „Aber kein Wunder, dass Ihr Euch daran nicht mehr erinnert. Ihr müsst Tausenden von Leuten die Hand geschüttelt haben.“

Jetzt erinnerte sich Karolina wieder. Ihr Großvater hatte seinen jährlichen Weihnachtsball gegeben und sie hatte zum ersten Mal daran teilgenommen, nachdem sie im Jahr zuvor mit einer Erkältung im Bett gelegen hatte.

Daniel machte ein verdutztes Gesicht. „Wieso sollte er dich von einem Foto her kennen?“, fragte er verwirrt. „Arbeitest du nebenbei als Model?“

Karolina war so verblüfft, dass sie im ersten Augenblick nicht wusste, was sie sagen sollte. Dann erinnerte sie sich daran, dass Daniel noch weniger über sie wusste als Marie und Philipp oder gar John.

„Ich muss euch etwas gestehen“, meinte sie zerknirscht, doch sie schaute nur Marie an, deren Meinung als einzige für sie zählte. „Diese Feier meines Großvaters gestern, von der ich dir erzählt habe, war keine einfache Feier mit Bekannten oder Freunden. Auch würden zu einer solchen Feier niemals weniger als fünfzig Leute kommen“, meinte sie wehmütig, als sie an die gemütliche, kleine Grillparty von Maries Eltern dachte, zu der sie vor einem Jahr eingeladen gewesen war. „Ich schätze sogar, dass man in unseren Kreisen auch bei hundert oder zweihundert Personen noch von einer kleinen Feier sprechen würde.“

„Deine Eltern haben anscheinend richtig Kohle!“, entfuhr es John.

„Mein Großvater“, verbesserte Karolina ihn. „Ja, er hat richtig Kohle, wie man so schön sagt. Wahrscheinlich sogar noch mehr als seine Familie“, sagte sie und blickte kurz zu Stein hinüber, „nicht dass es bei diesen Größenverhältnissen eine Rolle spielen würde. Theoretisch könnte ich mir jeden Tag ein neues Kleid kaufen, Champagner schlürfen und mich durch die Gegend kutschieren lassen.“

Marie nahm dieses Geständnis regungslos auf. Karolina konnte ihrer Miene nicht entnehmen, was sie dachte. Daniel hingegen schien schwer beeindruckt zu sein, während Philipp sie ungläubig und John sie ablehnend anstarrten. Würde sie jetzt ihre Freunde verlieren?

„Das war also gestern keine Party“, sagte Marie schließlich und brach damit das unangenehme Schweigen. „Und was war es stattdessen?“

Karolina hätte am liebsten geseufzt, aber sie zwang sich, auf Maries Frage einzugehen. „Ein Empfang. Das heißt, man lädt aus irgendeinem Grund, manchmal nur, um im Gespräch zu bleiben, Hunderte von Leuten zu sich ein, die sich dann alle ein neues Kleid oder einen neuen Anzug kaufen müssen, damit alle steif herumstehen und belangloses Zeug austauschen und über die anderen Gäste tratschen.“

„Und über diejenigen, die nicht eingeladen worden sind“, fügte Stein hinzu und grinste. „Karolina hat Recht, das Ganze geht doch eher etwas steif über die Bühne. Ich habe mich auch schon mehrmals bei der Frage ertappt, was das Ganze soll.“

„Und warum hast du uns das nicht erzählt?“, wollte Philipp wissen.

Karolina fühlte eine Welle von Furcht in sich hochsteigen. „Ich hatte Angst davor, wie ihr darauf reagiert“, gestand sie leise. „Wisst ihr, Verwandte kann man sich nicht aussuchen und auch nicht, ob sie Geld haben oder nicht, und obwohl ich das nicht möchte, gehöre ich nun mal in andere soziale Kreise als ihr. Zu den Reichen.“

„Zu den Mackern“, fügte Marie hinzu. Noch immer war ihrer Miene nichts zu entnehmen. Karolina wünschte sich beinahe verzweifelt, dass sie irgendeine Reaktion zeigen würde, wütend, fassungslos oder ungläubig war, aber nicht diese kühle Teilnahmslosigkeit.

„Ja“, flüsterte sie traurig.

Philipp guckte betreten. Verschämt trat er von einem Fuß auf den anderen. „Karo, so haben wir das doch gar nicht gemeint. Nicht jeder Reiche ist ein schlechter Mensch und dass wir über die meisten Reichen lästern, heißt nicht, dass wir dich nicht mögen, so wie du bist. Ich finde dich echt in Ordnung, auch wenn dein Großvater Kohle hat. Ich habe doch Recht, meint ihr nicht auch?“ Hilfesuchend sah er die anderen an. Karolina seufzte erleichtert.

„Nein!“, sagte John hart und funkelte Karolina so hasserfüllt an, dass sie zusammenzuckte. „Die hat uns - euch - doch die ganze Zeit nur etwas vorgemacht! Du wirst doch jetzt nicht etwa auf diesen Mist reinfallen wollen, Philipp! Ich bin zwar reich, aber im Grunde bin ich doch nicht anders als ihr!“, höhnte er und äffte Karolinas Stimme nach.

Karolina spürte, wie ihr die Tränen in die Augen traten, während Stein neben sie trat, den Arm um sie legte und John wütend anfunkelte. Wie konnte er so etwas nur sagen!

„Und der ist auch nicht besser!“, zischte John den Anwalt an. „Erzählt uns, dass er uns helfen will! Als bräuchten wir seine Hilfe und müssten Freudensprünge machen, wenn der Herr Anwalt uns mit seiner Gegenwart beehrt!“

„John!“, protestierte Philipp erschrocken. „Was soll das? Das meinst du doch nicht ernst!“

„Doch!“, sagte John fest. „Das meine ich ernst, todernst sogar! Der Kerl soll verschwinden, wir brauchen seine Hilfe nicht! Wozu auch? Ihr habt das Gesetz gebrochen! So ein Unsinn! Der will uns doch nur eine Strafpredigt halten, damit er auf uns runterschauen kann! Der genießt das doch richtig!“

Unsicher mischte sich nun auch Daniel ein. „Also ich denke, wir brauchen einen Anwalt“, erklärte er leise. „Und ich glaube Herrn Stein auch, wenn er sagt, dass er uns helfen will. Ich möchte nicht im Gefängnis landen. Diese eine Nacht hat mir gereicht.“

Philipp und Marie nickten. Ungläubig starrte John sie an.

Das Schweigen schien sich endlos hinzuziehen. Irgendwann schüttelte John den Kopf. „Anscheinend kann man euch nicht mehr helfen. Bitte schön, dann lasst euch doch von diesem Rechtsverdreher beraten und macht lieb Kind mit dieser reichen Heuchlerin, aber ich mache da nicht mit!“, zischte er, drehte sich auf dem Absatz um und stürmte zur Tür hinaus, ohne ihnen noch einen einzigen Blick zu gönnen.

Schließlich räusperte sich Marie und legte Karolina den Arm um die Schulter. „Keine Bange, der wird sich schon wieder beruhigen, Karo! Du kennst doch John, er regt sich schnell über irgendetwas auf und bereut es später meistens.“

„Meistens, aber nicht immer“, meinte Karolina. Trotzdem fiel ihr ein großer Stein vom Herzen. „Du bist nicht mehr wütend auf mich?“, fragte sie.

Marie schüttelte den Kopf. „Ich musste an unsere erste Begegnung denken“, erzählte sie. „Ich glaube, wir haben dir gar keine Chance gegeben, uns von deinem reichen Großvater zu erzählen, da John und Philipp gleich wieder über diesen rücksichtlosen Porschebesitzer und danach über die Reichen im Allgemeinen gelästert haben. Ich glaube, unter diesen Umständen hätte ich genauso gehandelt.“

„Danke.“

Marie lächelte. „Aber eines musst du mir versprechen, Karo!“

„Was?“, wollte Karolina verdutzt wissen.

„Dass du uns mal zu dir einlädst! Was denn sonst!“ Sie grinste. „Ich wollte schon immer mal so eine richtig tolle Villa von innen sehen und so wie ich das sehe, habe ich nun die perfekte Gelegenheit dazu! Vorausgesetzt, dein Großvater hat nichts dagegen, dass du uns einlädst.“ Sie sah bittend zu ihrem Bruder und Daniel.

„Gerne“, erwiderte Karolina erleichtert.

Stein nickte zufrieden. „Ich denke nicht, dass Ihr Großvater etwas dagegen haben wird, wenn er sich erst einmal wieder beruhigt hat. Manchmal kann er ein richtiger Drache sein.“

„So, so, du hältst mich also für einen Drachen, Thomas!“, polterte Karolinas Großvater hinter ihnen.

Daniel, Philipp und Marie fiel vor Überraschung die Kinnlade herunter. Das hatten sie nun wirklich nicht erwartet!

Karolina zuckte zusammen. Das durfte doch nicht wahr sein! Wie hatte er nur so schnell davon erfahren? Das konnte ja heiter werden!

Stein lächelte leicht zerknirscht. „Schuldig im Sinne der Anklage“, bekannte er, doch schuldig sah er gar nicht aus.

Langsam drehte sich Karolina zu ihrem Großvater um und zuckte unter seinem zornigen Blick zusammen. Das Schlimmste daran war, dass sie seine Wut dieses Mal nur zu gut nachvollziehen konnte.

„Es tut mir leid“, entschuldigte sie sich.

„Das sollte es auch!“, donnerte er sofort zurück. Doch dann wurde sein Gesicht weicher und Karolina erschrak, als sie sah, wie alt ihr Großvater dadurch wirkte.

„Keine Strafpredigt heute?“, fragte sie kleinlaut.

„Heute nicht. Und was sollte sie auch bringen? Du hörst ja doch nie auf mich. Nein, das überlasse ich lieber anderen.“ Er drehte sich um zur Tür. Karolina folgte seinem Beispiel und bekam einen fürchterlichen Schreck.

Anna!

Oh, Scheiße!

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