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2 Ansätze und Methoden interkultureller Philosophie

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Die Philosophie ist durch die interkulturelle Situation, in der wir heute stehen, herausgefordert. Sie kann die Vielfalt der Stimmen, mit denen sich die verschiedenen Kulturen, Lebenswelten, Religions- und Sprachgemeinschaften überall auf der Welt zu Wort melden und eigene Einsichten, Überzeugungen und Werte, aber auch Erfahrungen, Sprachen und geschichtlich gewachsene »Weltansichten« (W.v. HumboldtHumboldt, Wilhelm v.) vertreten, nicht ignorieren, sondern muss irgendwie darauf antworten. Die Antworten der Philosophie auf die interkulturelle Herausforderung freilich fallen sehr unterschiedlich aus, was sich auch in der großen Vielfalt unterschiedlicher Ansätze und Methoden interkultureller Philosophie widerspiegelt. Die Antworten fallen allerdings weniger deswegen unterschiedlich aus, weil sich die Philosophen so uneinig wären, als vielmehr deswegen, weil sie auf verschiedenen Ebenen auf die interkulturelle Situation reagieren. Die verschiedenen Ansätze und Methoden interkulturellen Philosophierens entsprechen deshalb unterschiedlichen Dimensionen interkultureller Begegnung. Sie alle haben in ihrer jeweiligen Dimension ihre Berechtigung, wie ich in diesem Kapitel zeigen möchte. Das bedeutet aber gerade nicht, dass sich die verschiedenen Ansätze und Methoden frei kombinieren ließen.1 Sie sind im Gegenteil dimensional voneinander unterschieden und darum strikt zu trennen.

Es wäre darum auch falsch, einfach vorauszusetzen, dass die verschiedenen Ansätze interkultureller Philosophie denselben Gegenstand lediglich unterschiedlich in den Blick nehmen. Je nach Dimension, in der angesetzt wird, stellen sich die Herausforderungen, die die interkulturelle Situation an die Philosophie stellt, ganz anders dar. Das liegt zum einen daran, dass dann die Philosophie selbst jeweils auf ganz unterschiedlichen Ebenen angesprochen ist; so macht es beispielsweise einen Unterschied, ob auf dem Boden der Transzendentalphilosophie über Konstitutionsbedingungen gestritten oder aber der transzendentalphilosophische Ansatz im Ganzen in Frage gestellt wird. Zum anderen erscheint die Vielfalt der kulturellen Stimmen in jeweils anderem Licht; z.B. bedeutet Verständigung auf personaler Ebene etwas ganz anderes als auf interkultureller Ebene – und das auch dann, wenn die Personen verschiedenen kulturellen Traditionen zugehören. Es muss im Folgenden also darum gehen, immer auch die jeweilige Dimension zu klären, in der sich die verschiedenen Ansätze bewegen.2

Daraus ergibt sich auch ein kritischer Methodenbegriff: Wissenschaftliches Arbeiten muss sich methodisch ausweisen. Ebenso wichtig wie die Erkenntnis, die über eine Sache erlangt wird, ist es darum, den Weg zu dieser Erkenntnis zu reflektieren und auszuweisen. Als wissenschaftlich gesichert darf eine Erkenntnis nur gelten, wenn der Weg, der zu ihr führt – das ist die Methode –, für jedermann nachvollziehbar ist, wenn also grundsätzlich jeder auf dem gleichen Weg zur selben Erkenntnis gelangen kann. In diesem Sinne will ich versuchen, im Folgenden verschiedene Methoden interkultureller Philosophie vorzustellen. Nun ist mit dem Begriff der Methode allerdings gewöhnlich auch die Annahme verbunden, der zu erforschende Gegenstand bestehe unabhängig von der jeweiligen Forschungsmethode; abhängig von der Methode offenbare er zwar unterschiedliche Aspekte seiner selbst, aber in allen diesen Aspekten, so die Annahme, handele es sich doch immer um denselben Gegenstand. Dieser werde durch die methodisch gewonnenen Erkenntnisse nach und nach geklärt, er werde erklärt. Schon DiltheyDilthey, Wilhelm hat dem Erklären freilich den Begriff des Verstehens zur Seite gestellt.3 Verstanden wird eine Sache nicht dadurch, dass sie erklärt wird; vielmehr zielt das Verstehen auf die Bedeutung, die einer Sache zukommt, und das heißt, dass das Verstehen eine Sache in ihrem Sinnzusammenhang aufspüren muss. Das einfachste Beispiel dafür liefert uns das Verstehen von Sprache. Es reicht nicht aus, den Kasus und die Flexion eines Wortes erklärt zu bekommen, wir müssen die Bedeutung verstehen, und dazu benötigen wir eine Kenntnis davon, in welchem Zusammenhang das Wort gebraucht wird. Dieser Zusammenhang wiederum muss uns etwas sagen, andernfalls bleibt auch die Klärung des Zusammenhangs auf der Stufe des Erklärens stehen. Ob er uns etwas sagt, hängt nun aber davon ab, welches Vorverständnis wir mitbringen. Die Klärung des Zusammenhangs muss gleichsam auf fruchtbaren Boden fallen, etwa weil wir ähnliche Zusammenhänge aus der eigenen (Sprach-)Erfahrung kennen. Fehlt uns jegliches Vorverständnis, dann können wir auch die Sache, um die es geht, in diesem Fall also die Bedeutung des Wortes, nicht verstehen. GadamerGadamer, Hans-Georg spricht in diesem Sinne von der positiven Funktion des Vorurteils.4 Verstehen, so könnte man sagen, ist so etwas wie die Korrektur und Erweiterung bestimmter Vorverständnisse; es klärt also mehr die eigenen Horizonte bzw. das eigene Denken, als dass es einen davon unabhängigen Gegenstand erklärt. Die »Sache«, um die es im Verstehen geht, ist denn auch nicht der vermeintliche ›Gegen-Stand‹, sondern letztlich die je eigene Lebenswirklichkeit des Verstehenden.

Die Vorstellung eines einheitlichen Gegenstandes interkultureller Philosophie, der in verschiedenen und sich ergänzenden methodischen Zugängen erforscht wird, geht deshalb an der Sache vorbei. Hermeneutisch stellt sich die Sache, um die es der interkulturellen Philosophie geht, ganz anders dar als etwa der bloß vergleichenden Analyse. Tatsächlich liegt zwischen dem gewöhnlichen Methodenverständnis, das auf Erklären abzielt, und dem hermeneutischen Verstehen eine dimensionale Differenz. Es ist dies aber nicht die einzige dimensionale Differenz, die wir zwischen den verschiedenen Ansätzen interkultureller Philosophie finden können. Jenseits des hermeneutischen Verständnisses lässt sich, das sei hier nur angedeutet und wird im dritten Abschnitt dieses Kapitels ausgeführt, danach fragen, wie die Lebenswirklichkeiten anderer Kulturen und Lebenswelten für diese selber aussehen. Die Klärung dieser Frage ist weder Gegenstand des Erklärens noch Sache des Verstehens, sondern verlangt den Sprung zur Erfahrung. Erst die (Nach-)Erfahrung der Lebenswirklichkeit einer anderen Kultur erlaubt es, diese von sich selbst her zu beschreiben und nicht mehr das Vorverständnis aus der eigenen Lebenswirklichkeit an die andere Kultur heranzutragen. Die hier angestrebte Form der Erfahrung freilich versteht dann gar nicht mehr, sie schließt nicht mehr an die eigenen Erfahrungen und Horizonte an; schon gar nicht taugt sie zum Vergleich verschiedener kultureller Lebensformen miteinander. Dafür aber vermag sie der unhintergehbaren Wirklichkeit der verschiedenen Kulturen und Lebenswelten gewahr zu werden.

Interkulturelle Philosophie

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