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1.4.2 Research Utilization und EBN

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Research Utilization ist nicht EBN

In Publikationen wird der Begriff Research Utilization (RU) vielfach synonym mit evidence-basierter Praxis verwandt (Köpke et al. 2013; Estabrooks 1999). Jedoch ist bei synonymer Verwendung das EBN-Konzept zu reduziert abgebildet, denn es ist breiter oder auch weit umfassender als der eher allgemeine Prozess der Forschungsanwendung (DiCenso et al. 2006, S. 6). Verschiedene Autoren (z. B. Estabrooks 1999) verstehen die Forschungsanwendung als einen Teilaspekt von EBN. Oder andersherum, EBN umfasst die Forschungsanwendung und erweitert diese um den Einbezug der Perspektive der Empfänger*innen von Pflege und der klinischen Expertise der professionell Pflegenden (Guegel 2004, S. 250; DiCenso et al. 2006, S. 6).

Research Utilization kann ein komplexer, langwieriger und ungeordneter Prozess sein. Daher hat sich in den letzten Jahrzehnten die professionelle Praxisentwicklung von der Forschungsanwendung zur evidence-basierten Praxis unter Einbezug der Stärken von Forschungsanwendung entwickelt. Für die Pflege führte die Entwicklung von evidence-basierter Pflege über den Weg der Research Utilization.

Diese erfordert die Integration der besten Forschungsergebnisse von qualitativ hochwertigen Studien in einem gesundheitsbezogenen Bereich, wobei der Schwerpunkt auf Gesundheitsförderung, Krankheitsprävention und der Bewertung, Diagnose und Behandlung akuter und chronischer Erkrankungen liegt. Darüber hinaus sind – entsprechend den vier Merkmalen des EBN-Konzeptes – klinisches Fachwissen und der Einbezug der Patient*innenbedürfnisse bei der Bereitstellung von qualitativ hochwertiger und kosteneffizienter Gesundheitsversorgung wesentliche Komponenten für die bewusste Integration von Forschungsergebnissen in die Praxis. Evidence-basierte Pflege ist ein umfassendes Konzept, das spezifisch auch darauf zielt, die Patient*innensicherheit zu verbessern, die Kosten für das Gesundheitswesen zu senken und letztlich einen Rahmen zu schaffen, der die Entscheidungsfindung in patient*innenspezifischen Situationen unterstützt.

Im Vergleich der Konzepte zur Forschungsanwendung und evidence-basierter Pflege besteht ein Unterschied in der Einschätzung und Bedeutungszuweisung des wissenschaftlichen Beweises. EBN versteht sich als ein Handeln auf der Grundlage des besten verfügbaren wissenschaftlichen Beweises. Die Unterscheidung zwischen beiden Konzepten besteht in dem Vorhandensein von Kriterien, mittels deren die kritische Bewertung der wissenschaftlichen Ergebnisse erfolgt und die Einschätzung vorgenommen wird, was in der Konsequenz als bestes Ergebnis und damit wissenschaftlich bewiesen eingeordnet wird (Mayer 2004, S. 70 f.; Estabrooks 2009). Für das EBN-Konzept liegen Evidencehierarchien und damit Einstufungen für die Qualität der Forschung vor, die es in dieser Form für Research Utilization nicht gibt. Letztere verfügt zur Einschätzung von Forschungsarbeiten über die allgemeinen Gütekriterien und differenzierte Checklisten zur Prüfung der Qualität. Sie bezieht sich in der einfachsten Verwendung lediglich auf die Forschungsnachweise zur Handlungsbegründung (Mayer 2004, S. 71; Estabrooks 2009). Das Ergebnis ist dann ein Hinweis auf die wissenschaftliche Qualität einer Forschungsarbeit. Demgegenüber implizieren im EBN-Konzept die Kriterien zur Beurteilung der Evidence eine Hierarchie über die Beweiskraft von verschiedenen Studiendesigns. Weil die Aussagen zur Evidence auf ganz konkreten Vorstellungen zu methodischen Standards und auf einem bestimmten Typus von Forschung basieren, können die Begriffe »evidence-basiert« oder »wissenschaftsbasiert« und »auf Forschungsergebnissen aufbauend« nicht synonym genutzt werden (Wingenfeld 2004, S. 79).

Zusammengefasst legen EBN und Research Utilization beide die Theorie-Praxis-Kluft als Ausgangspunkt zugrunde, verfolgen ein identisches Ziel und fokussieren zur Zielerreichung Erkenntnisse aus der Forschung. Beide Konzepte können geeignet sein, die Entwicklungen in der Pflege voranzutreiben (Estabrooks 2009). Jedoch ist Research Utilization weniger stark strukturiert sowie konzeptionell dicht beschrieben (z. B. zur methodischen Bewertung der vorhandenen externen Evidence) als das EBN-Konzept (Estabrooks 1999; Guegel 2004; DiCenso et al. 2006).

Seit Jahrzehnten konzentrieren sich die wissenschaftlichen Arbeiten zur Forschungsanwendung in der Pflege fast ausschließlich auf die Determinanten der Forschungsnutzung, d. h. auf jene Faktoren, Merkmale und Eigenschaften von Individuen, Organisationen und Innovationen, die den Einsatz von Forschung beeinflussen. Der größte Teil der bisherigen wissenschaftlichen Arbeiten hat sich mit den individuellen Einflussfaktoren zur Forschungsnutzung befasst. Darunter werden die Eigenschaften und Faktoren verstanden, die der Einzelne bei der Nutzung von Forschungsergebnissen aufweist. Hierzu zählen beispielsweise eine positive Einstellung zur Forschung, Autonomie bei Handlungsentscheidungen, Besuche von Fachtagungen, Kooperationsbereitschaft und Selbstwirksamkeit, die Beteiligung an pflegerischen Forschungsaktivitäten und der Zeitaufwand für das Lesen von Fachzeitschriften. Allerdings variieren die Studiendesigns und -methoden stark; zugleich sind die Stichprobengrößen gering und die Ergebnisse sind so uneinheitlich, dass gemeinsame oder gar einheitliche Empfehlungen für Strategien zur Forschungsanwendung nicht ausgesprochen werden können (Estabrooks 2009).

In der Praxis werden zunehmend verschiedene Strategien, Modelle und Konzepte (z. B. Effective Practice and Organisation of Care Group Taxonomy; vom Royal College of Nursing: PHARIS – »promoting action in research implementation in health services«; von der University of Rochester das Advancing Research and Clinical Practice Through Close Collaboration – ARCC-model; Iowa-Modell) eingesetzt und miteinander kombiniert, um die verschiedenen Barrieren bei der Implementierung von Forschungsergebnissen zu überwinden (Breimaier 2017; Bartholomeyczik 2008; Hallas & Melnyk 2003). Auch zahlreiche Organisationen wie die US-amerikanische Agency for Health Care Policy and Research (AHCPR), die Cochrane Collaboration, das National Forum on Health (NFH), das National Centre of Excellence und das Health Evidence Application and Linkage Network (HEALNet) in Kanada haben zunehmend ihre Aufmerksamkeit darauf gerichtet, wie wissenschaftliche Erkenntnisse auf verschiedenen Entscheidungsebenen in der Gesundheitspraxis eingesetzt werden (DiCenso et al. 2006, Estabrooks 2009).

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