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Das Ei

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Das Ei lag auf dem Grund einer Felsspalte. Es unterschied sich mit seiner aschgrauen Färbung kaum von den umliegenden Felsbrocken. Die Oberfläche des Eies war glatt und zu einem perfekten Oval gerundet. Es hatte eine überdimensionale Größe, an der längsten Stelle fast achtzig Zentimeter lang. Im Hintergrund zeichneten sich dunkle Umrisse einer Grotte ab. Es könnte aber auch der Zugang zu einer verborgenen Höhle sein, die mit aufgetürmten Gesteinsbrocken unzugänglich gemacht worden war. Die hochstehende Sonne schien durch die enge Felsspalte und erhellte das riesige Ei, dessen Schale im Licht glänzte. Jeden Tag um diese Zeit erwärmte das einfallende Sonnenlicht das Ei, so, als läge es in einer natürlichen Brutmaschine. Seit wie vielen Tagen oder gar Jahren dem so war, vermochte keiner zu sagen. Doch am heutigen Tag fing das Ei an sich zu bewegen. Langsam, kaum mit bloßem Auge erkennbar, schaukelte es leicht hin und her. Wenn man genau hinhörte, konnte man ein dumpfes Klopfgeräusch hören.

„Tack, Tack, Tack“, als würde jemand von innen auf das Ei einhacken. Die schwankenden Bewegungen nahmen zu, aber das übergroße Ei kam nicht ins Rollen. Der Felsboden war eben und verhinderte somit, dass das Ei gegen einen Stein stieß und zerbrach. So musste sich das, was in dem ovalen Rund steckte, aus eigener Kraft befreien. Dass etwas schlüpfen wollte war nun ganz offensichtlich. Die hackenden Geräusche nahmen zu. Obwohl die engen Felswände den Klang zum Teil verschluckten, konnte man sie deutlich hören.

„Tack, Tack, Tack.“

Ein feiner Riss bildete sich auf der glatten Oberfläche des Eies. Dann zeichneten sich weitere fadengleiche Risse ab. Mehr und mehr entstand ein Netz aus haarfeinen Äderchen. In der Mitte des Netzes formte sich eine geringfügige Wölbung, die stetig anwuchs. Dann hielt das Ei dem Druck nicht mehr stand und ein kleines Stück Schale brach aus der Wölbung heraus. Es fiel an der Außenhaut entlang hinunter und kam auf dem Felsboden zum Liegen. Das herausgebrochene Stück Schale war außergewöhnlich dick. Es folgte ein weiteres „Tack, Tack, Tack“, welches nun anders klang als bei dem geschlossenen Ei. Nach einigen weiteren Hackgeräuschen durchbrach ein spitzer, leicht gebogener Schnabel das Netz aus Rissen, woraufhin erneut ein Stück Schale zu Boden fiel.

Es herrschte eine gespenstische Ruhe. Der Bewohner des Eies schien sich zu erholen. Man konnte bei genauerem Hinhören schmatzende Geräusche vernehmen. Kurze Zeit später bewegte sich das gigantisch anmutende Ei wieder.

Zwei kleine dunkle Finger ragten plötzlich aus dem entstandenen Loch, dann folgte eine menschliche Hand. Die kleine Hand machte sich an der Eischale zu schaffen, brach systematisch weitere Stücke heraus. Langsam aber stetig vergrößerte sich das Loch. Mit scheinbar stoischer Ruhe verschaffte sich das Wesen im Ei immer mehr Freiraum und eine zweite Hand kam zum Vorschein. Etwas Schleimiges tropfte von der Hand und lief die Außenhülle des Eies hinab. Das Schlupfloch nahm an Umfang zu. Als das Loch scheinbar groß genug war, verdunkelte es sich, und langsam stieß ein Kopf hindurch. Vorsichtig schob sich der Kopf durch die Öffnung nach oben. Dann blickten ein paar Augen ins Freie. Schleim lief vom Schädel über die Augen. Der kleine Eibewohner wischte es ab. Mit seinen kleinen geballten Fäusten schlug das Wesen auf die sperrige Oberfläche ein, dabei tropfte weiterer Schleim von dessen spitzem Kinn. Als die dicke Schale weit genug herausgebrochen war, stemmte sich das Neugeborene vollends aus dem Ei. Ein menschliches Baby mit dunkler Hautfarbe hatte das Licht der Welt erblickt.

Das Neugeborene legte sich auf den harten Felsboden und ließ sich von der einfallenden Sonne wärmen. Die glibberige Masse an seinem Körper trocknete ab und hinterließ helle Flecken auf der dunklen Haut. Nase und Mund des Babys sahen noch etwas unförmig aus, bildeten sich aber sichtlich zurück, und nahmen menschliche Züge an. Es atmete gleichmäßig, dabei gab es schmatzende Geräusche von sich. Unverkennbar war, dass es sich bei dem geschlüpften Baby um einen Jungen handelte. Nach wenigen Minuten sah der Säugling ganz normal aus. Mit hellwachen Augen erkundete der dunkelhäutige Junge die neue Umgebung. Die nun klaren Formen des Gesichtes bildeten ein verschmitztes Lächeln. Der Säugling rappelte sich an dem Ei hoch und griff mit beiden Händen hinein. Er schöpfte den schleimigen Dotter ab und trank es aus seinen Händen. Immer wieder langte der Kleine in das Loch und trank die grünlich gelb aussehende Flüssigkeit. Als er gesättigt zu seien schien, legte der Säugling sich hin, schloss die Augen und schlief ein.

Mit den ersten Sonnenstrahlen des neu angebrochenen Tages wachte der kleine Junge auf. Sofort machte er sich an dem Ei zu schaffen und trank, daraufhin ruhte er eine Weile und trank weiter. Als während einer längeren Erholungsphase, ein dicker schwarzer Käfer über seine Beine krabbelte, griff sich der Junge den Käfer und aß ihn auf.

Am Nachmittag inspizierte er die befremdende Umgebung. Besonders interessiert sah er nach oben die Felsspalte hinauf. Sie war eng, aber er würde hindurchpassen, noch war er klein genug, er durfte nur nicht allzu lange warten. Der Junge erhob sich vom Boden und ging mit leicht wackeligen Beinen zum Ei. Ein letztes Mal trank er von dem schon stark riechenden Inhalt. Das Menschenkind ruhte noch zwei Tage und Nächte. In den Wachphasen ernährte es sich von krabbelndem Getier, sammelte somit Kraft und Energie, bis sein kleiner Körper stark genug war, um den Aufstieg bewältigen zu können. Geleitet von seinem Instinkt wandte der kleine Junge aus dem Ei sich der Felswand zu, nahm noch einmal alles in Augenschein, und kletterte hoch.


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