Читать книгу Jesus für Manager - Paul J. Kohtes - Страница 7

Zur Einstimmung

Оглавление

Ich bin ihm vor etwa zwölf Jahren begegnet. Damals stand ich draußen vor der Stadtmauer von Jerusalem. Es war ein schöner, milder Tag. Die Wiesen waren grün, die Bäume trugen schon Früchte. Durch das Stadttor zog ein ganzer Tross von Menschen direkt an mir vorbei.

Inmitten der Menge sah ich Jesus, den man zu seiner Hinrichtung führte. Die ganze Prozession wirkte völlig alltäglich, so als ob die Beteiligten auf dem Weg zu einem geschäftlichen Ereignis waren. Jesus ging in der Mitte, ohne Kreuz, nur seine Hände waren mit einem Strick gefesselt. Ich sah dem Treiben fasziniert zu, so wie man einem spannenden Film folgt – und doch war alles ganz real.

Jesus kam ganz dicht an mir vorbei. Das allein war schon ziemlich beeindruckend für mich. Doch dann blieb er vor mir stehen, um mich anzusehen, tief in die Augen. Und bis in den letzten Winkel meiner Existenz. Dieser Moment war absolut und vollkommen. Himmel und Erde kamen zwischen ihm und mir zusammen.

Es dauerte eine ganze Weile, bis ich aus diesem Erlebnis aufwachen konnte. Und seitdem hat mich dieser Traum nicht mehr losgelassen. In den folgenden Jahren habe ich mich immer wieder mit Jesus und seinen Geschichten beschäftigt: in Vorträgen, in Sesshins und natürlich im Alltag. Dank einer christlichen Erziehung sind mir viele der Erzählungen aus dem Neuen Testament bereits seit meiner Kindheit gut bekannt. Es waren für mich schon immer wundersame, erbauliche Geschichten, fromme Märchen eben, gewesen.

Erst durch diesen Traum und ein jahrelanges Zen-Training ist mir aufgegangen, dass viel mehr dahintersteckt. Wer also hier vorallem eine fromme Auslegung der Erzählungen aus dem Neuen Testament erwartet, der wird von diesem Buch enttäuscht sein. Denn nach meiner Überzeugung sind die Evangelien weder Wort für Wort zu interpretieren, noch historisch, noch theologisch. Im ersteren Fall ergibt sich ein übermäßiges Verhaftetsein an eine Sprach-, Bilder- und Gedankenwelt, die für die Zeit vor 2000 Jahren angemessen gewesen sein mag, die heute jedoch nur über solides historisches Fachwissen – oder über gewagte Annahmen – nachvollziehbar wird.

Allerdings, auch theologische Interpretationen werden uns nicht weiterhelfen. Denn diese setzen eine Denkschablone voraus, die selbst zum Maßstab der Verständlichkeit wird. Wenn wir heute, nach mindestens 2000 Jahren, die Ereignisse rund um Jerusalem zwischen den Jahren null bis ungefähr 35 theologisch deuten, dann ist dieses Unterfangen auch deswegen so komplex, weil unvermeidlicher Weise die Denkwelten aus der jüdischen, der hellenistischen und der römischen Traditionen sowie unser heutiges Bewusstsein einfließen werden. Schlimmer noch: Ein solches Herangehen führt zu einer überwiegend intellektuellen Auseinandersetzung mit Weisheitsgeschichten, die letztlich nicht intellektuell erklären wollen, sondern auf persönliche Erfahrung aus sind.

Was meine ich damit? Die Texte der Evangelien sind – insbesondere historisch betrachtet – tatsächlich eine einzige Katastrophe. Die Inhalte sind kaum belegbar, die Authentizität der Autoren ist gering, die Intentionalität der Texte ist offenkundig. Wenn wir also die Texte philologisch analysieren oder sie mithilfe von theologischen Systemen erklären wollen, dann wird das Ergebnis zwangsläufig immer ein Kompromiss sein, um es einmal vorsichtig auszudrücken. Zweifelsohne werde auch ich mich mit einem bestimmten Gedankenmodell, einem so genannten Paradigma, dem Thema annähern. Allerdings will ich den Versuch wagen, die Überlieferung so sprechen zu lassen, dass sich ihr Sinn und ihre Wirkung unmittelbar offenbaren.

Jesus war unzweifelhaft einer der großen Weisheitslehrer der Menschheitsgeschichte. Das Besondere an Weisheitslehrern ist, dass sie nicht für sich, für ihre eigene Geschichte auftreten. Sie sind in der Welt, um den Menschen zu helfen, sich aus ihren leidvollen Verstrickungen in der Dualität zu befreien. Deshalb ist ihr historischer Kontext zu ihrem Verständnis im Allgemeinen nicht sonderlich wichtig. Wenn wir ihre Biografie nutzen, um theologische Zusammenhänge herzustellen, dann verfestigen wir damit nur die Erstarrung in einer konventionellen, der dualen Welterfahrung. Aus diesem Grund ist es mir ein besonderes Anliegen, der Originalität der Lehren dieses so genannten Jesus von Nazareth nachzuspüren. Dazu ist es hilfreich, wenn nicht geradezu notwendig, sich von zu viel historischem oder theologischem Wissen frei zu machen. Der jüdische Theologe Pinchas Lapide sagt: Man kann die Bibel wörtlich nehmen, oder man nimmt sie ernst.

Eine intuitive Unbekümmertheit, ja sogar Naivität, ist – für manche sicher ziemlich provozierend – erforderlich, um herauszufinden, was dieser Jesus uns zu sagen hat. Er selbst weist uns sogar diesen Weg zu einem besseren Verständnis: „Wenn ihr nicht umkehrt und werdet wie die Kinder, so werdet ihr nicht ins Himmelreich kommen.“ Und genau diese Haltung ist es, die uns ihm näherbringt. Von zentraler Bedeutung scheint es mir deshalb zu sein, Jesus und seine Erlebnisse nicht zu entrücken. Das geschieht in dem Moment, wo wir ihn zu einem „Übermenschen“ machen. Schon mit den Bezeichnungen „Sohn Gottes“ oder „Erlöser“ erfährt er eine Überhöhung, die ihn – meiner Meinung nach – auf unnötige Weise von uns „Normalmenschen“ entfernt und trennt. Erst wenn wir herausfinden, dass alles, was Jesus sagt, denkt, erfährt und tut, auch für jeden Einzelnen von uns Gültigkeit haben muss, dann sind wir, so meine ich, auf der richtigen Spur.

Ein Weisheitslehrer kommt nicht in die Welt, damit wir über ihn staunen, ihn erhöhen oder gar anbeten. Er ist nur dazu da, uns auf etwas hinzuweisen, das wir bisher nicht von alleine gesehen haben oder nicht erfahren konnten, was jedoch für unsere persönliche Weiterentwicklung von besonderer Bedeutung ist. Deshalb ist die Identifikation mit Jesus, ja die intime Annäherung an ihn, in diesem Buch für die Erfahrung seiner Botschaft entscheidend. Das ist mir durch meinen Traum noch einmal deutlich geworden.

Vielleicht werden Sie sich fragen, nach welchem Prinzip die Auswahl der Gleichnisse und Geschichten für dieses Buch erfolgt ist. Die Antwort lautet: nach gar keinem. Beim Durchsuchen des Neuen Testaments habe ich die Geschichten ausgesucht, von denen ich glaube, dass sie für die Zielgruppe dieses Buches, nämlich vor allem für Menschen in Führungsverantwortung, eine besondere Relevanz haben könnten. Dabei ist mir aufgefallen, wie sehr Jesus im normalen Leben der Menschen verankert war. Das unterscheidet ihn übrigens sehr von Buddha. Der war ja bekanntlich Fürstensohn und dann – bis zu seiner „Erleuchtung“ – vor allem in den Cliquen der Asketen und Wandermönche unterwegs. Jesus dagegen war „einer von uns“. Er war vertraut mit all den alltäglichen kleinen und größeren Unstimmigkeiten des Lebens, gleich ob es um die elementaren Bedürfnisse wie Hunger und Durst ging, wie bei der Speisung der Fünftausend, oder gewöhnliche Unzulänglichkeiten wie die Heuchelei der Pharisäer und Schriftgelehrten, als er mit den Zöllnern aß, oder die existenziellen Fragen von Verrat, Leben und Tod – und danach.

Während – sehr vereinfacht gesagt – für Buddha die „Technik der Erleuchtung“ einen hohen Stellenwert hatte, war für Jesus ganz offensichtlich die Erfahrung des „Numinosen“, des Göttlichen im Alltag, von besonderer Wichtigkeit. In unserer Zeit haben wir das besondere Glück, beide Wege miteinander verbinden zu können. Für die Puristen beider Religionen dürfte diese Vorgehensweise ein Graus sein. Ich bin mir jedoch sicher, dass ihre Gründer diese Form der Auseinandersetzung sehr begrüßen würden. Denn gemeinsam ist ihnen, sich über jede Ausgrenzung und Fixierung hinwegzusetzen. Und ich glaube, dass wir auf diese Weise leichter und präziser erkennen können, was die alten Geschichten wirklich für uns heute meinen – und wie sie uns helfen können, ein bereicherndes Leben zu führen.

Es ist wie bei der Landvermessung: Um die richtige Entfernung zwischen uns und einem Punkt zu ermitteln, brauchen wir zwei Bezugspunkte. Erst durch dieses Dreieck ergibt sich die korrekte Distanz. Um in diesem Bild zu bleiben: Wenn wir die Entfernung zwischen Jesus und uns heute erkunden wollen, nutzen wir Buddha dazu gleichsam als Bezugspunkt. Buddha meint in meinem Sinne insbesondere die Zen-Erfahrung. Als Leser, zum Beispiel ohne Zen-Erfahrung, dürfte Ihnen das letztlich egal sein. Hauptsache es nutzt. Dazu müssen Sie auch nicht eine Führungskraft im herkömmlichen Sinne sein. Allerdings werden Sie nur auf dieses Buch gestoßen sein, wenn Sie ohnehin dabei sind, „Ihr Leben zu managen“.

Noch einige Hinweise zur Lektüre: Sie können die zwölf Kapitel hintereinander oder in beliebiger Reihenfolge lesen. Die Essenz dieses Buches ist nämlich – wenn auch in unterschiedlicher bildhafter und sprachlicher Form – in jedem einzelnen Kapitel zu finden. Etwa so, wie in jedem menschlichen Gen auch der ganze Mensch erkannt werden kann. Allerdings werden Sie vom Lesen alleine – selbst wenn es Ihnen, was ich natürlich sehr hoffe, Freude macht – niemals erleuchtet, sprich die Widersprüchlichkeiten der Welt durchschauen. Das braucht viel Training und ist ein lebenslanger Prozess, weil die Beharrungskräfte des Egos enorm sind und uns immer wieder in die Verwicklung der Dualität zurückzerren. Das ist auch der Grund, warum letztlich die Wirksamkeit aller großen Weisheitslehrer in dieser Welt bisher so gering war. Unser Ego ist auf rasche Effekte und nicht auf Wandlung programmiert. Schon gar nicht will es sich selbst überflüssig machen. Deshalb ist es so wichtig – allen vermeintlichen Rückschlägen zum Trotz – „dranzubleiben“. Die zwölf Kapitel dieses Buches, die in verschiedenen Variationen eigentlich immer das Gleiche mitzuteilen versuchen, sind eine Möglichkeit dazu. Es geht um die Veränderung unserer Perspektive, mit der wir die Welt wahrnehmen. Es geht um die Ent-Spannung, die Ent-Fixierung unserer Wahrnehmung, weil wir nur auf diese Weise die Chance haben, das Ungeteilte, das Ganze, das Göttliche in allem und jedem erkennen können.

Weil ich aus eigener Erfahrung weiß, wie schnell uns der Alltag, und damit unsere Ego-Verwicklung, immer wieder in den Bann zieht, gibt es zu jedem Kapitel Übungen. Diese haben ebenfalls nur eines im Sinn: Sie sollen die rauschartige Verwicklung unseres geschäftigen Treibens für einen Augenblick unterbrechen. Ihr Ziel ist es, zurückzuführen in einen distanzierten Bewusstseinzustand, in dem wir den Film identifizieren können, in dem wir gerade als Darsteller agieren. Im allgemeinen Sprachgebrauch nennen wir diesen Film übrigens Realität oder Wirklichkeit.

Damit dieses Umschalten möglichst einfach gelingt und immer häufiger möglich wird, sind die „30-Sekunden-Übungen“ alle „managementtauglich“. Sie können sie aufgrund ihrer Kürze nämlich ganz einfach in Ihren normalen Berufsalltag aufnehmen. Aus den Tests, die ich damit bei Führungskräften bereits durchführen konnte, weiß ich, dass selbst diese 30 Sekunden eine ziemliche Hürde darstellen können. Führungskräfte sind offensichtlich bestens darin trainiert, nicht eine einzige Sekunde Zeit zu haben. Deshalb finden sie sofort Erklärungen oder Ausreden, warum es gerade jetzt nicht passt oder völlig unmöglich ist, ein solches Programm in den Alltag zu integrieren. Das ist sehr schade, weil sie sich auf diese Weise einer einfachen Chance berauben, ihr Leben in ein harmonisches Fließen zu bringen. Aber: Vielleicht wollen das ja viele Manager gar nicht?

Wenn Sie in einem fremden Land in einem Restaurant ein exotisches Gericht serviert bekommen, regt sich in Ihnen vielleicht auch Widerstand, dieses einfach zu probieren. Ich nehme an, Sie gehören zu den Menschen, die es dennoch wagen. Denn wer weiß, ob Sie nicht sonst eine Köstlichkeit verpassen? Dafür werden Sie bereit sein, das Risiko, dass es Ihnen nicht schmeckt, in Kauf zu nehmen. So ist das auch mit den Übungen. Einige werden Ihnen vielleicht zunächst tatsächlich nicht schmecken. Andere werden Sie sogar ablehnen. Die meisten jedoch, das ist meine Testerfahrung, werden Sie als existenzielle Köstlichkeiten schätzen lernen. Gerne höre ich von Ihren persönlichen Erfahrungen.

DIE HOCHZEIT ZU KANA

Und am dritten Tage war eine Hochzeit in Kana in Galiläa, und die Mutter Jesu war da. Jesus aber und seine Jünger waren auch zur Hochzeit geladen. Und als der Wein ausging, spricht die Mutter Jesu zu ihm: Sie haben keinen Wein mehr. Jesus spricht zu ihr: Was geht’s dich an, Frau, was ich tue? Meine Stunde ist noch nicht gekommen. Seine Mutter spricht zu den Dienern: Was er euch sagt, das tut. Es standen aber dort sechs steinerne Wasserkrüge für die Reinigung nach jüdischer Sitte, und in jeden gingen zwei oder drei Maße. Jesus spricht zu ihnen: Füllt die Wasserkrüge mit Wasser! Und sie füllten sie bis obenan. Und er spricht zu ihnen: Schöpft nun und bringt’s dem Speisemeister! Und sie brachten’s ihm. Als aber der Speisemeister den Wein kostete, der Wasser gewesen war, und nicht wusste, woher er kam – die Diener aber wussten’s, die das Wasser geschöpft hatten –, ruft der Speisemeister den Bräutigam und spricht zu ihm: Jedermann gibt zuerst den guten Wein und, wenn sie betrunken werden, den geringeren; du aber hast den guten Wein bis jetzt zurückbehalten. Das ist das erste Zeichen, das Jesus tat, geschehen in Kana in Galiläa, und er offenbarte seine Herrlichkeit.

Und seine Jünger glaubten an ihn.

(JOHANNES 2, 1-11)

Jesus für Manager

Подняться наверх