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Zweites Kapitel Das Bewusstsein,
die Bewusstheit und das Ich

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§1. Das Bewusstsein als Problem. Die geschichtliche Orientierung ergab als das eigene Problem, welches zu seiner Auflösung einer besonderen Wissenschaft, der Psychologie, bedarf, das Problem des Bewusstseins oder der Subjektivität als solcher. Alles was in irgendeinem Sinne Objekt ist oder objektive Geltung beansprucht, fällt, als Objekt oder hinsichtlich seines objektiven Geltungsanspruchs, unter andere Wissenschaften: Natur- und Kulturwissenschaften (denn auch diese sind, samt und sonders, objektivierend), und schließlich unter die philosophischen Wissenschaften, welche für jene alle die letzten, wiederum objektiven Gesetzesgrundlagen nachzuweisen haben: Logik, Ethik, Ästhetik und Religionsphilosophie. Die Subjektivität allein bleibt übrig als ein Problem, das gänzlich außer dem Gesichtskreis objektivierender Wissenschaft oder deren Begründung in wiederum objektiven Gesetzen liegt; ein Problem aber, das zugleich durch jene insgesamt unabweislich gestellt ist; denn nichts ist Objekt anders als für ein Subjekt oder Bewusstsein; in aller erkannten oder angenommenen Objektivität liegt das Gegenverhältnis zur Subjektivität: dem Subjekt soll das Objekt gelten; dem Subjektiven gegenüber, zwar in Gegenstellung gegen es, aber damit zugleich in unablöslicher Beziehung zu ihm, das Objektive. Selbst der Begriff der Objektivität kann nicht endgültig bestimmt sein, ohne dass auch der der Subjektivität es ist. Somit muss das Problem der Subjektivität anerkannt werden völlig auf gleicher Linie mit dem der Objektivität; ja es wird der Irrtum – in den zurückzufallen wir jetzt nicht mehr in Gefahr sind – wenigstens begreiflich, dass jene dieser sogar sachlich vorgeordnet sei. Denn alle Objektserkenntnis ist, als Erkenntnis, doch eine wie auch immer bevorzugte Art von Bewusstsein; das Bewusstsein aber muss wohl, eben vom Bewusstsein aus gesehen, das Erste zu sein scheinen. Wie anspruchsvoll auch und gebieterisch das Objektive dem Subjektiven gegenübertritt, es bleibt immer sein Gegenüber, von ihm aus gegenübergestellt. Sobald diese Reflexion einmal platzgegriffen hat, ist jedenfalls die naive Ansicht, der das Objekt nicht bloß das Nächste, sondern das Einzige ist, auf immer dahin; zu ihr schlechthin zurückzukehren ist nicht ferner möglich für den, der nicht die Entschlossenheit aufbringt, eine der größten, der zweifelsfreiesten Errungenschaften der gereifteren philosophischen Besinnung lediglich zu ignorieren.

Anders, für manchen vielleicht zugänglicher ausgedrückt: das unmittelbare Erlebnis des Subjekts ist jedenfalls etwas, es will als etwas schlechthin eigner Art gewürdigt sein, vor aller Frage nach Objekten, die, von der Subjektivität des Erlebens unabhängig, „an sich“ dasein oder gelten sollen. „Mein“ Empfinden, Vorstellen, Denken, „mein“ Fühlen, Begehren, Wollen ist etwas, ganz abgesehen von der Frage, was das Objekt sein mag, außerdem dass und wie „ich“ es empfinde, vorstelle, denke, fühle, begehre, will. Das unmittelbare Erlebnis des Bewusstseins verlangt, nachdem es einmal als etwas Eigenes entdeckt ist, nicht bloß in seiner vollen Selbständigkeit – Selbständigkeit jedenfalls als Problem – anerkannt, sondern als schlechthin erstes, ursprünglichstes Faktum gewürdigt zu werden, das auch in jeder Aussage vom Objekt stillschweigend vorausgesetzt sei; das sachlich jedenfalls zugrunde liege, auch wenn es sich der Reflexion ganz entzieht oder sich wenigstens erst zuletzt ihr erschließt. So droht die Subjektivität, einmal anerkannt, die Objektivität sogar ganz zu verschlingen, da doch alles noch so gegenständlich Vorgestellte, Gedachte, Erkannte, als vorgestellt, gedacht, erkannt, jedenfalls Inhalt von Bewusstsein ist. Es erscheint weit schwieriger, der Objektivität eine eigene, unabhängige Bedeutung gegenüber der Subjektivität zu sichern, als es zuvor war, gegen das übermächtige Interesse an der Objektivität das Eigenrecht der Subjektivität des Bewusstseins überhaupt erst zur Anerkennung zu bringen.

So hängt das Interesse der Psychologie innerlichst zusammen mit den Grundfragen aller Philosophie. Aber nicht auf diese zu antworten ist hier die Aufgabe; was an dieser Stelle uns interessiert, ist nur, dass unfraglich und uranfänglich dieser Begriffsgegensatz besteht, und dass das Bewusstsein, die Subjektivität als solche, jedenfalls etwas ist, dem nachzufragen, das als eigenes Problem anzuerkennen sei, wie auch immer bei der Beantwortung dieses Problems auf die Gegenständlichkeit, auf die Objektivität jeder Art und Stufe Rücksicht zu nehmen sein mag.

§2. Momente der Bewusstseinstatsache. Es gilt nun aber etwas mehr Klarheit zu gewinnen über den Inhalt dieses Problems, über den ganzen Sinn der Frage nach der Subjektivität. Diese sehr nötige Klärung kann füglich ihren Ausgang nehmen von der Besinnung darauf, was schon das Wort „Bewusstsein“, in dem ja die Grundfrage der Psychologie sich zusammenfasst, an Problemgehalt in sich birgt.

Der Infinitiv „Bewusstsein“ enthält in sich gleichsam verdichtet den allgemeinen Sinn der Aussage: „Etwas ist – mir oder irgendwem – bewusst.“ Auf Grund dieser volleren Umschreibung der Bewusstseinstatsache zerlegt sich das Problem deutlich in zunächst zwei Fragen: Was ist der Sinn des Bewusst-seins, d.h. was ist allgemein die Bedeutung der Aussage, dass etwas (mir oder irgendwem) bewusst sei, und zweitens: Was ist es allgemein, das einem bewusst ist, und wie? Gibt es irgend ein Merkmal, welches das, was bewusst ist, sofern es bewusst ist, allgemein charakterisiert, im Unterschied, sei es nun von etwas, das überhaupt keinem bewusst ist, oder, wenn diese Voraussetzung (wie sich schon jetzt absehen lässt) sich als unstatthaft erweisen sollte, im Unterschied von dem, wodurch irgend etwas (das immerhin jemandem bewusst sein mag) charakterisiert wird, nicht sofern es Einem bewusst, sondern sofern es Objekt ist; denn die Objektivität als Gegensatz oder Gegenseite der Subjektivität steht ja nun bereits fest. Man kann diese beiden Fragen, die des „Dass“ und des „Was“, füglich unterscheiden als die formale und die materiale Frage des Bewusstseins. In diesem Kapitel soll es sich um die erstere handeln.

In dieser scheint aber noch eine weitere Frage sich zu verbergen, nämlich die nach dem Ich (oder Du oder Er usw.), dem etwas bewusst sei. Es wären demnach im ganzen drei Momente, die in dem Ausdruck „Bewusstsein“ eng in Eins gefasst, aber durch Abstraktion doch auseinanderzuhalten sind: 1. das Etwas, das einem bewusst ist; 2. das, welchem etwas oder das sich dessen bewusst ist; 3. die Beziehung zwischen beiden: dass irgend etwas irgendwem bewusst ist. Ich nenne, lediglich der Kürze der Bezeichnung halber, das Erste den Inhalt, das Zweite das Ich, das Dritte die Bewusstheit.

Inhalt des Bewusstseins, Bewusstseinsinhalt: das ist natürlich ein bildlicher Ausdruck; denn das Bewusstsein ist nicht ein Gefäß oder Behältnis, das eine Materie in sich fasst. Zwar hat das Gleichnis guten Grund: es scheint allem Bewusstsein eigen zu sein, dass es jederzeit einen Inbegriff, eine Zusammenfassung einer Mannigfaltigkeit in einer Einheit darstellt. Indessen darf von dieser seiner Eigenheit vorerst ganz abgesehen werden; es ist für diese ganz vorläufige Sondierung noch von keinem besonderen Belang, ob das, was einem bewusst ist, ein schlechthin Einzelnes oder eine zur Einheit zusammengefasste Mehrheit ist. Wir entnehmen die Bezeichnung „Inhalt“ einfach einem in der Psychologie vielfach angenommenen Sprachgebrauch, und verstehen darunter bis jetzt durchaus nichts mehr als: das, wovon es irgendwie Bewusstsein gibt; was Einem, oder wessen irgendwer sich bewusst ist, es sei übrigens, was es sei. Manche Philosophen behaupten einen radikalen Unterschied zwischen „Inhalt“ und „Gegenstand“ des Bewusstseins. Wir werden dazu Stellung nehmen; vorerst aber tragen wir kein Bedenken – da es vom Gegenstand doch sicher Erkenntnis oder Vorstellung, kurz irgend eine Art von Bewusstsein gibt – ihn insofern mit zum „Inhalt“ zu rechnen. An sich wäre für das, was wir bezeichnen wollen, gerade der Ausdruck „Gegenstand“ sehr wohl brauchbar, wenn man uns nämlich gestatten wollte, ihn einfach grammatisch zu verstehen: als das, wovon es Bewusstsein gibt, was als Genetivus objectivus zu „Bewusstsein“ treten kann. Da indessen jene andere Auffassung einmal besteht und eine gewisse Verbreitung gefunden hat, welche den „Gegenstand“ vom „Inhalt“ völlig trennt, den Inhalt „subjektiv“, den Gegenstand aber „transsubjektiv“ nennt; da überhaupt der „Gegenstand“, als das „Objekt“, gerade die Gegenseite der Subjektivität zu bezeichnen dient: so würde ein solcher Wortgebrauch die Verständigung erschweren und wird darum von uns lieber vermieden. Freilich will man von jener Auffassung aus begreiflich dem Worte „Inhalt“ (Bewusstseinsinhalt) die Weite der Bedeutung, in der wir ihn nehmen, nicht zugestehen. Ich werde daher jedes Mal, wo auf jene mögliche Auffassung besondere Rücksicht zunehmen ist, auch den Ausdruck „Inhalt“ lieber vermeiden und (wenn es auch ohne Unbequemlichkeit des Ausdrucks nicht abgeht) bloß von dem reden, was Einem, oder wessen er sich bewusst sei. Auf alle Fälle bitte ich, wo hier von „Inhalt“ überhaupt gesprochen wird, nichts anderes als dies darunter verstehen zu wollen.

Das zweite Moment am Bewusstsein: das, welchem irgendetwas, oder welches sich dessen bewusst ist, pflegt in der Philosophensprache das „Ich“ genannt zu werden. Man kann ohne Gefahr auch das Wort „Subjekt“ dafür gebrauchen, vorbehalten nur, dass darunter rein das grammatische Subjekt verstanden wird. Denn es heften sich freilich auch an dieses Wort, wie nicht minder an den Ausdruck „Ich“, leicht allerlei besondere Vorstellungen und Reflexionen, von denen hier gänzlich abzusehen ist, namentlich die Meinung von einem für sich seienden permanenten Etwas (Ding, res), dem es nur je und dann begegne, dass ihm das und das bewusst sei, das an sich aber auch ohne wirkliches Bewusstsein fortbestehe; vom Ich als einer Substanz oder Wesenheit, dem beharrlichen Träger des Bewusstseins oder der Bewusstseinsmöglichkeit als ihres Attributes (bleibender Eigenschaft) oder Modus (vorübergehenden Zustands). Was an dieser Vorstellung etwa begründet sein mag, wird an seiner Stelle zu untersuchen sein; vorerst kann und soll davon gänzlich abgesehen werden, denn es soll an dieser Stelle noch durchaus nichts supponiert, keinerlei besondere Voraussetzung eingeführt werden für etwas wie eine Theorie des Bewusstseins, sondern es handelt sich bis jetzt rein darum, Klarheit zu gewinnen über das Problem, welches durch das Faktum des Bewusstseins der Psychologie gestellt sei. Als solches bloßes Problemwort jedenfalls schließt das „Bewusstsein“ nicht sogleich in sich ein Ich als auch abgesehen vom Akte des Bewusstseins, für sich bestehende Substanz, sondern allein als in diesem Akte selbst gegebenen Bezugspunkt; so wie andererseits nicht den „Inhalt“ als auch abgesehen von seinem Bewusstsein vorhandenes Objekt, sondern lediglich als den zu jenem korrelativen anderen Bezugspunkt im Akte des Bewusstseins selbst.

Das Dritte aber ist die Beziehung zwischen diesen beiden Punkten: dem, was bewusst, und dem, dem es bewusst ist. Denn eine solche Beziehung scheint das Bewusstsein in jedem Fall zu bedeuten, jene, die sich sprachlich eben ausdrückt in dem Satze: Etwas ist mir, oder Ich bin mir eines Etwas bewusst. Etwas ist mir bewusst, d.h. im Akte des Bewusstseins auf mein Ich bezogen; ich bin mir seiner bewusst, d.h. das Ich bezieht sich im Akte des Bewusstseins auf das Etwas, das ihm bewusst ist; und nichts anderes als diese stets wechselseitig zu verstehende Beziehung des Ich auf das Etwas, des Etwas auf das Ich bedeutet für das Eine wie für das Andere der „Akt“ des Bewusstseins.

Diese Beziehung nun, rein als solche, bloß hinsichtlich ihres Stattfindens überhaupt, zu bezeichnen wäre gerade der Infinitiv „Bewusstsein“ an sich wohl geeignet. Nur ist der infinitivische Sinn dieses Ausdrucks durch den vielfältigen Gebrauch etwas zu sehr verblasst; er hat, ähnlich dem Infinitiv „Sein“, durch die Substantivierung viel von der bezeichnenden Kraft des Infinitivs, von dem ursprünglich verbalen Charakter desselben eingebüßt; stößt man doch in philosophischen Büchern nicht ganz selten sogar auf den barbarischen Plural „Bewusstseine“; worunter man meint: die verschiedenen Ich oder Subjekte mit ihrem bewussten Inhalt, keineswegs die verschiedenen Akte oder Vorkommnisse von Bewusstsein, wie es der Infinitivbedeutung des Wortes entspräche. Zweckmäßig schiene es mir, den Ausdruck „Bewusstsein“ zu gebrauchen für das Ganze des Sinns der Aussage „Etwas ist mir bewusst“, d.h. die drei Momente: das Ich, das bewusste Etwas und die Beziehung zwischen beiden darin einzuschließen, dagegen für das abstrakte Moment dieser Beziehung das seltenere, nur in der Kunstsprache der Psychologie gebräuchliche Substantivum abstractum „Bewusstheit“ vorzubehalten. Indessen ist auch darüber kein Einvernehmen bisher erreicht, sondern es werden beide Ausdrücke fast von jedem Psychologen anders, nach besonderer eigener Festsetzung oder auch ohne solche, gebraucht. Ich werde daher der Regel nach einfach reden erstens vom Inhalt oder bewussten Etwas, zweitens vom Ich, und drittens von der Beziehung zwischen beiden, die ich nur Kürze halber bisweilen mit dem Worte „Bewusstheit“ bezeichnen werde.

§3. Die Bewusstheit ein unreduzierbar Letztes. Fragt man nun: „was ist das Ich?,“ so ist schon geantwortet: nichts als der andere Bezugspunkt zum bewussten Etwas, in eben der Beziehung, welche das Bewusstsein für beide bedeutet. Fragt man aber weiter: was ist diese Beziehung? so kann die Antwort nur lauten: ein Letztes, das, eben als solches, keiner weiteren Erklärung oder Reduktion mehr fähig noch bedürftig ist. Alle Beziehung findet im Bewusstsein, kraft des Bewusstseins statt; Beziehung überhaupt ist ein Charakter, der Grundcharakter des Bewusstseins; wie könnte eine besondere Art der Gattung „Beziehung“ es sein, welche das Bewusstsein von sonstiger Beziehung unterschiede? Beziehen heißt: in einem Bewusstsein, und zwar in einem Bewusstsein, zugleich auseinanderhalten und vereinigen; wenn man also das Bewusstsein überhaupt als eine Beziehung erklärt, so sagt man damit nichts Neues, sondern bringt nur in Erinnerung, dass in allem Bewusstsein ein Auseinanderhalten und zugleich Vereinigen stattfindet; es kann aber nicht weiter die Forderung gestellt werden, dass man ein unterscheidendes Merkmal der Beziehung, sofern diese eben im oder mit Bewusstsein stattfinde, angeben solle.

Überhaupt lässt sich von dieser Beziehung, wie es scheint, gar nichts weiter aussagen; sie lässt sich nur tautologisch umschreiben, aber mit nichts anderem, als bekannterem, vergleichen, von nichts anderem, als ursprünglicherem, ableiten oder durch es, als in sich klareres, erklären. Wohl hat man analogische Umschreibungen dafür seit lange schon gebraucht, aber diese erläutern immer nur den allgemeinen Fall durch irgendeinen besonderen; wie wenn man sagt, es finde in allem Bewusstsein eine Beziehung statt wie die der Punkte der Peripherie auf das Zentrum. Die Vergleichung trifft in einigem, aber nicht in jedem Betracht zu; der Mittelpunkt des Kreises gehört mit den Punkten der Peripherie doch in eine Ordnung von Gegenständen, er hat zu ihnen ein Verhältnis im allgemeinen gleicher (nämlich räumlicher) Art wie sie zu ihm. Nicht so in unserem Fall. Das Ich, als gemeinsames letztes Beziehungszentrum zu dem ihm bewussten Inhalt, steht dem Inhalt nicht gleichartig, sondern völlig unvergleichlich gegenüber; es hat, so sehr die Beziehung zwischen beiden eine wechselseitige ist (d.h. mit der Beziehung des Etwas zum Ich die des Ich zum Etwas stets zugleich gegeben ist), nicht zum Inhalt eine Beziehung gleicher Art wie der Inhalt zum Ich; es ist eben nicht dem Inhalt bewusst, wie der Inhalt ihm; es zeigt sich vielmehr eben darin nur sich selbst, keinem anderen gleich, dass wohl Anderes ihm, aber nie es selbst Anderem bewusst sein kann. Das heißt: es kann selbst nicht Inhalt (bewusstes Etwas) werden und ist in nichts dem gleichartig, was irgend Inhalt von Bewusstsein (bewusstes Etwas) sein kann. Eben darum muss es wohl jeder weiteren Beschreibung unzugänglich sein; denn alles, wodurch man es, oder die Beziehung auf es, zu beschreiben versuchen wollte, würde doch nur aus dem Inhalt des Bewusstseins genommen werden können, also es selbst, das Ich, und die Beziehung auf es nicht treffen, wohl aber – voraussetzen.

Anders ausgedrückt: jede „Vorstellung“, die wir uns von ihm machen würden, würde es zum „Gegenstand“ machen („Gegenstand“ im allgemeinsten Sinne des Gegenüber zum Ich); man hat aber schon aufgehört es als Ich zu denken, wenn man es als Gegenstand denkt. Ich sein heißt, nicht Gegenstand, sondern allem Gegenstand gegenüber das sein, dem allein etwas Gegenstand ist. Und ganz dem Entsprechendes gilt von der Beziehung auf das Ich. Bewusst sein heißt: Gegenstand für ein Ich sein; dies Gegenstand-sein lässt sich nicht selbst wiederum zum Gegenstand machen.

§4. Das Ich nicht Gegenstand. Das lautet nun freilich paradox, dass das Ich und die Beziehung auf es sich in keinem Sinne solle zum Gegenstand machen lassen, d.h. selber bewusst werden können. Wie können wir dann überhaupt mit Sinn davon reden, wie überhaupt seines Daseins, seines Vorkommens gewiss sein, wenn es in keiner Weise bewusst sein, wir also in keiner Weise sollen wissen können, was denn das sei, dessen Dasein wir behaupten? In der Tat lässt sich ihm nicht einmal Dasein, Vorkommen, Tatsächlichkeit beilegen, im gleichen Sinne; wie sonst diese Aussagen verstanden werden. Zu jeder Aussage, welches Inhalts auch immer, auch zu der Aussage der Existenz oder Tatsächlichkeit, ist ja das Bewusstsein schon Voraussetzung; also lässt es sich, in dieser seiner letztgültigen Bedeutung, so wenig wie dem Begriff „Beziehung“, etwa dem Begriff „Tatsache“ oder „Existenz“ als Spezialfall unterordnen. Ich hatte in meiner Einleitung in die Psychologie nach kritischer Methode vielleicht noch etwas zu skrupellos von der „Tatsache“, daneben von dem „Phänomen“ des Bewusstseins gesprochen1. Diese Redeweise ist wenigstens nicht gegen das Missverständnis genügend geschützt, als sei „Tatsache“ oder „Phänomen“ ein Gattungsbegriff, unter dem durch irgendeine spezifische Differenz das Bewusstsein als eine Art Tatsache oder Phänomen von anderen sich sondere. Jede solche Absonderung ist durch die absolute Ursprünglichkeit des Bewusstseins ausgeschlossen. Hobbes sagt einmal, an sich tief und der allgemeinen Intention nach zweifellos richtig: von allen Erscheinungen (Phänomenen) sei das merkwürdigste (und ursprünglichste) das Erscheinen (das ) selbst2. Aber das Erscheinen kann jedenfalls nicht im gleichen Sinne ein Erscheinendes (Phänomen) genannt werden wie das, von dem es ausgesagt wird; es selbst, das Erscheinen, erscheint eben nicht wiederum. Erscheinen heißt hier nur: Einem bewusst sein, als von ihm selbst, dem es bewusst ist, Verschiedenes, weil doch ihm (im weiten Sinne des Wortes) Objekt (Gegenüberstehendes). Was ist denn nun das, dem es bewusst ist? Stellt man es selbst – ihm selbst – wiederum gegenüber, so macht man es wieder zum Objekt, verwandelt also seine Natur, ja verkehrt es in sein Gegenteil; man stellt es selbst auf die Gegenseite, auf die Seite des bewussten Etwas. Das ist vielleicht unvermeidlich, wenn man überhaupt von ihm reden und es zum Gegenstand (Vorwurf) einer eigenen Reflexion machen will. Wir fordern also (von uns selbst und von Andern) nicht, dass man diese Objektivierung des Ich sich durchaus verbiete; nur muss man wissen: es ist dann nicht mehr ganz es selbst, was man vor Augen hat, sondern gleichsam sein Spiegelbild, sein Reflex, sein Repräsentant in seinem Gegenüber, dem Inhalt oder Objekt, d.h. dem bewussten Etwas. So wie die Netzhaut nicht buchstäblich sich selbst sehen kann, sondern allenfalls nur ihr Gegenbild im Spiegel, so kann das Bewusstsein nicht wiederum sich selber bewusst sein im eigentlichen Sinne, sondern nur, gleichsam durch seinen Reflex im Inhalt. Das Erstere würde nichts Geringeres besagen, als dass das Ich zugleich Gegenstand für es selbst, zugleich Erkennendes und Erkanntes, zugleich Subjekt und Objekt eines und desselben Erkenntnisaktes, oder dass es, als numerisch und inhaltlich dasselbe, doch sich selbst gegenüber, also nicht es selbst sei. Dergleichen scheinen nun zwar einige Philosophen allen Ernstes behaupten zu wollen, aber es widerspricht dem Augenschein. Ein Akt wie Vorstellung, Erkenntnis, überhaupt Bewusstsein kann unmöglich so gedacht werden, dass Subjekt und Objekt dieses Aktes in jeder Hinsicht, inhaltlich und numerisch, dasselbe wären. Bewusstsein ist, wie gesagt, eine Relation, die als solche zwei Termini gebraucht, nicht mit einem sich begnügen kann. Wenn wir also sagen, dass wir ein Bewusstsein von uns selbst haben, so verdoppeln wir künstlich das, was doch in sich schlechthin Eines sein soll; wir machen (künstlich) uns selbst zum Gegenstand; das heißt, es ist dann das, was in diesem Akte uns bewusst ist, nicht mehr das ursprüngliche Ich, dem dies bewusst ist, denn das ist eben Subjekt (d.h. das, dem etwas bewusst ist); es kann nicht zugleich auch Objekt zumal dieses selben Bewusstseinsaktes (d.h. das, was darin bewusst ist) sein. Ich schließe: also muss wohl das Objekt des Aktes, den wir Selbstbewusstsein nennen, nicht mehr das ursprüngliche Ich, sondern ein abgeleitetes sein. Indem ich, wie man richtig sagt, mir selber gegenübertrete, versetze ich mich gleichsam außer mir selbst, um mich selbst als Objekt anzuschauen oder irgendwie in Betracht zu nehmen oder irgend einen Erkenntnisakt auf mich zu richten. Das aber kann ich nur uneigentlicher Weise, nur durch eine Fiktion. Aber nicht das Subjekt ist dabei ein fiktives; ich3 bin in jedem Fall der Betrachtende; also muss wohl das Objekt ein bloß fiktives, nämlich nicht das ursprüngliche Ich, sondern irgendetwas Anderes, ein „Inhalt“ sein, durch den es nur vertreten wird. Das drückt der seit alter Zeit dafür gebrauchte Vergleich der Spiegelung in der Tat ganz zutreffend aus: der so betrachtete Inhalt ist nicht mehr das Original, sondern bloß sein Reflex. So sage ich auch: ich sehe mich selbst im Spiegel, und meine doch offenbar: mein Gegenbild; denn nur das ist im Spiegel, nicht aber das Original. Was ist denn der Spiegel, in dem das Ich sich reflektiert? Offenbar der Inhalt, das bewusste Etwas. So zeigt es sich auch klar am Ergebnis: alles, wodurch man je versucht hat das Ich wie einen gegebenen Gegenstand zu beschreiben, ist offenbar vom Inhalt geborgt. Man beschreibt nicht bloß (wie schon gesagt) das Allgemeine durch das Besondere, das Ursprüngliche durch das Abgeleitete, sondern man beschreibt überhaupt nicht das Bewusst-sein selbst (dies ist immer schon vorausgesetzt), sondern beschreibt nur, wie im Bewusstsein der Inhalt sich darstellt. Man versuche nur irgendeine solche Umschreibung beim Wort zu nehmen, so zeigt sich sofort, dass es erstens nur ein besonderer Fall von Bewusstsein ist, durch den man den allgemeinen Fall erläutert, und dass es zweitens nicht das Bewusst-sein selbst, sondern ein Verhalten des Inhalts ist, was man beschrieben hat. Namentlich wird man die räumlichen Vergleiche niemals los, während doch alles darüber einig ist, dass die Beziehung zwischen Ich und Bewusstseinsinhalt keinesfalls eine räumliche, dass Räumlichkeit nur ein Merkmal des Inhalts ist.

Gebrauchen wir wieder, der bequemeren Fassung halber, den Ausdruck „Gegenstand“ im erklärten allgemeinen Sinne, so erhält das Gesagte diesen Ausdruck: Das Ich lässt sich, in seiner Ursprünglichkeit, nicht zum Gegenstand machen, da es vielmehr, allem Gegenstand gegenüber, das ist, dem allein etwas Gegenstand ist. Es selbst kann keinem Andern (ursprünglich – sondern nur abgeleiteter, fiktiver Weise) Gegenstand sein; nur Anderes ihm. Es kann auch nicht, wie man geglaubt hat, sich selber Gegenstand sein; sondern man hat schon aufgehört es als Ich zu denken, indem man es als Gegenstand denkt. Und dasselbe gilt von der Bewusstheit. Bewusst-sein heißt Gegenstand für ein Ich sein; dies Gegenstand-sein lässt sich nicht wiederum zum Gegenstand machen, es sei denn durch eine Übertragung, die nicht mehr das unmittelbare Wesen der Sache ausdrückt.

§5. Das Ich nicht Problem der Psychologie, aber Problemgrund. Wir bestätigen durch dies alles aber schließlich nur die absolute Ursprünglichkeit des Erlebens. Erleben ist ursprünglicher als aller Begriff. Also war es von Anfang an verkehrt, von ihm wiederum einen Begriff zu fordern. Eben von der letzten Unmittelbarkeit und Ursprünglichkeit des Erlebens entfernt man sich, wenn man es selbst unter einen Begriff zu fassen, das heißt es mit Anderem, als logisch Gleichstehendem, zu koordinieren und einem Dritten, als logisch Höherstehendem, zu subordinieren versucht. Man steht dann immer schon, ohne es zu merken, bei seinem Gegenüber, dem bewussten Etwas. Man glaubt es selbst sich selber gegenüberzustellen; aber das ist, wenn es eigentlich verstanden werden sollte, in sich widersprechend; als Gegenüber wäre es eben Objekt; aber seine ganze Natur ist vielmehr, im Unterschied von allem Objekt das zu sein, dem allein etwas Objekt ist.

Daraus ergibt sich nun freilich (wie schon bemerkt) die paradoxe Konsequenz, dass das ursprüngliche, reine Ich, das Ich der Bewusstheit, in eigentlicher Bedeutung weder Tatsache, noch Existierendes, noch Phänomen ist. Aber die Paradoxie hebt sich auf, sobald man sich klar macht: es ist Grund aller Tatsache, Grund aller Existenz, alles Gegebenseins, alles Erscheinens; nur darum kann es selbst nicht eine Tatsache, eine Existenz, ein Gegebenes, ein Erscheinendes sein. Dagegen mag es wohl ihm wesentlich sein, dies alles letztlich (im subjektiven Sinne) zu begründen; und wenn man sich die Freiheit nimmt, unter „Tatsache“ das alle Tatsächlichkeit Begründende, unter „Existenz“ das alle Existenz Begründende, unter dem „Gegebenen“ den Grund aller Gegebenheit, unter „Erscheinung“ den Grund des Erscheinens mitzuverstehen, so mag man unter diese „Begriffe“ das Bewusstsein – scheinbar und formal – subsumieren; aber es ist dann nicht mehr eine Subsumtion im sonstigen Sinne; es wird damit das Bewusstsein nicht anderen Tatsachen, anderem Existierenden oder Gegebenen oder Erscheinenden logisch koordiniert und gemeinsam mit ihm einem höheren, d.i., allgemeineren Begriff subordiniert, sondern es bleibt ihnen allen – nicht als Gattungsbegriff, als höherer Begriffsgrund übergeordnet, aber als letzter Seinsgrund vorgeordnet.

Für unsere nächste Absicht nun ergibt sich aus diesem allen eine klare, aber freilich nur negative Konsequenz: die reine Ichheit, desgleichen die reine Beziehung auf das Ich, ist nicht Problem für die Psychologie. Sie ist selbst nicht Problem, eben weil sie Grund und Voraussetzung alles psychologischen Problems ist. Allein kraft ihrer gibt es Psychologie auch nur als Problem; aber sie selbst kann eben darum für die Psychologie nicht Problem sein. Was heißt es denn, dass ein Problem existiert? Es heißt, dass ein sicherer, nicht selbst wiederum problematischer Grund ist, kraft dessen das Problem überhaupt nur besteht, kraft dessen es aber auch der Lösung zugänglich ist. So also, als Problemgrund, nicht selbst als Problem, hat die Psychologie die Bewusstheit überhaupt oder die Ich-Beziehung zugrunde, recht eigentlich „zum Grunde“ zu legen, zu supponieren; aber einen Gegenstand der Untersuchung für die Psychologie bildet sie fernerhin nicht.

§6. Der Inhalt allein Problem. Auseinandersetzung mit Husserl. Gegenstand psychologischer Untersuchung ist dagegen: wie in der Beziehung auf ein und dasselbe Ich allemal das, was bewusst ist, also der Bewusstseinsinhalt, sich darstellt: nämlich eben als „Inhalt“, das heißt – wie nun zu betonen wichtig wird – als Inbegriff, als Mannigfaltiges einerseits auseinandergehalten (oder der Auseinanderhaltung wenigstens fähig), andererseits in einer Einheit sich zusammenfassend (oder doch zusammenfassbar).

In dieser Gedankenrichtung hat Edmund Husserl4 meine Aufstellung über das Ich und die Bewusstheit zu berichtigen geglaubt. Jeder Vernünftige wird nur dankbar sein für eine überzeugende Verbesserung der eigenen Aufstellungen; und von nicht vielen würde ich eine solche lieber hinnehmen als von diesem Philosophen, mit dessen „phänomenologischen“ wie allgemein methodischen Auffassungen ich mich vielfach begegne5. Ich finde gegen seine Berichtigung auch nur das Eine zu erinnern, dass das, was er in Bezug auf meine Aufstellung, in der Meinung, sie zu berichtigen, an sich zutreffend aufstellt, schon in meinem früheren Entwurf einer Methodik der Psychologie (der Einleitung in die Psychologie nach kritischer Methode, 1888) klar ausgesprochen, nur allenfalls nicht genug in den Vordergrund und in genügend helle Beleuchtung gerückt war. Es wurde nämlich dort6 gesagt, die „Verbindung“, das heißt, die Einheit, in der in jedem Akte des Bewusstseins der Inhalt sich darstellt, sei der konkrete Ausdruck der Bewusstheit selbst; in ihr erhalte sie ihren bestimmten, positiven Wert. Auch sei im Grunde nichts damit gesagt, die Verbindung finde statt vermöge der gemeinschaftlichen Beziehung der Inhaltsbestandteile auf ein und dasselbe Ich, da umgekehrt das Ich eins und dasselbe allemal nur sei für eine Mehrheit von Inhaltsbestandteilen, sofern unter ihnen Verbindung (in einem Bewusstsein) sei. Verbindung sei Beziehung auf ein und dasselbe Ich, Beziehung auf ein und dasselbe Ich sei Verbindung; eins durch das andere erklären heiße dasselbe durch dasselbe erklären7.

Nichts anderes (das wenigstens überzeugend wäre) besagt aber Husserls Korrektur meiner Aufstellung. Er betont einerseits, was ich auch betont hatte: der Beziehung des Erlebten zum erlebenden Bewusstsein (nach meiner Ausdrucksweise: der Bewusstheit) entspreche kein eigentümlicher „phänomenologischer Befund“8 (in meiner Sprache: sie sei selbst kein „Inhalt“ des Bewusstseins); sondern ihr entspreche, eben „phänomenologisch“, nur die „reale Erlebniskomplexion“, die „Verknüpfungseinheit“ der Erlebnisse. Er betont andererseits: das Gegenstand-sein (für ein Ich) könne allerdings wiederum Gegenstand – anderer Akte sein (meine Frage war aber, ob es Gegenstand dieses selben Aktes – dass es sich eines Inhalts bewusst ist – sein könne). Akte richten sich auf die Eigenheit von Akten, in denen etwas erscheint9. Übrigens sei die Beziehung des Ich auf den Bewusstseinsinhalt keineswegs aller Unterschiede bar, denn die Weise, wie sich die Inhalte in die Erlebniseinheit einfügen (das nämlich und nur das bedeutet ihm die Beziehung auf das Ich) sei doch sicher verschieden. – Für die Ichbeziehung nach ihrer konkreten, in Husserls Sinne „phänomenologischen“ Bedeutung habe ich das gar nicht bestritten, sondern selber betont; und es gilt damit auch für die „Akte“, sofern darunter eben (nach Husserl) die konkreten Vereinigungen (Einfügungen in die Erlebniseinheit) verstanden werden, die ich auch selbst gelegentlich als „Akte“ bezeichnet habe10. Für diesen konkreten Sinn des „Aktes“ hat es gewiss auch seine volle Richtigkeit, dass ein Akt wiederum Gegenstand anderer Akte sein, d.h. dass Verbindungen, Fügungen von Inhalten sich wieder in andere Verbindungen oder Fügungen einfügen, Relationen untereinander wiederum in Relation treten können. Es ist auch durchaus zu verstehen, dass Husserl, nach der ganzen Absicht seiner „Phänomenologie“, sofort beim „phänomenologischen Befund“, d.h. in meiner Sprache, beim Bewusstseinsinhalt, der ja gerade nach meiner Behauptung das einzige Untersuchungsfeld für die Psychologie ist, mit seiner Betrachtung einsetzt. Das reine Ich, das Ich der Bewusstheit überhaupt, auf welches allein meine These sich bezog, kommt für ihn daher gar nicht erst in Frage11.

Es geht indessen schwerlich an, die Ichbeziehung restlos, auch nach ihrer letzten, schlechthin ursprünglichen Bedeutung gleichzusetzen der Fügung der Inhaltsmomente, das heißt zu erklären: „Etwas ist mir bewusst“, heiße überhaupt nur, es füge sich als Bestandteil in eine bestimmte Gesamtheit von Inhaltsmomenten; „a ist mir bewusst“ heiße überhaupt nur, es sei Bestandteil einer Inhaltsgesamtheit S (a, b, c …), welche eben das Ich ausmache. Gemeint wird dies mit der Aussage „Etwas ist mir bewusst“ sicherlich nicht, denn wir sagen doch nicht bloß von den Einzelbestandteilen des Inhalts (a, b, c usw.), sondern auch von solcher Gesamtheit S (a, b, c …) aus, dass sie uns bewusst sei, während sie doch nur sehr künstlich Bestandteil ihrer selbst genannt werden könnte; sondern etwa eine Gesamtheit S (a, b) ist Bestandteil einer anderen Gesamtheit S (a, b, c), diese wieder einer dritten S (a, b, c, d) usf. Nach Husserl müsste man sagen können: der Einzelinhalt sei bewusst der Inhaltsgesamtheit, diese dagegen, die Inhaltsgesamtheit (sofern sich die Betrachtung auf diese beschränkt und nicht ihre Unterordnung unter eine höhere zur Frage steht), sei überhaupt nicht bewusst. Es bleibt aber unzweifelhaft immer die Supposition des Bewusst-seins und zwar Einem-bewusst-seins, also auch des Ichs, dem der Inhalt, gleichviel ob Einzelinhalt oder verbundene Vielheit, bewusst, das selbst aber eben damit nicht Inhalt (weder Einzelinhalt noch verbundene Vielheit) sei.

Man könnte vielleicht versuchen zu sagen (und nach einzelnen Wendungen scheint es von Husserl so gemeint zu sein), es sei die Einheit der allemal verbundenen Inhalte, und nicht die Inhalte, obwohl in ihrer Vereinigung; d.h. es käme die Unterscheidung von Inhalt und Ich hinaus auf die logisch gewiss wohlbegründete Unterscheidung zwischen dem Vielen, das in Verbindung steht, und dessen Verbindung, im Sinne der Einheit, in der das Viele vereinigt sei (Verbundenheit). Das Ich sei also allerdings nicht identisch mit den Inhaltsbestandteilen, weder den einzelnen noch sämtlichen (einzeln genommen und dann summiert), wohl aber mit ihrer (jedesmaligen) Einheit. Aber die „Form“ (aristotelisch gesprochen) der Verbindung, als im Mannigfaltigen dargestellt, gehört ohne Zweifel zu dem mir Bewussten, also zum Inhalt, so gut wie die „Materie“, das Mannigfaltige selbst; das Ich aber, dem beides, das Mannigfaltige wie dessen Einheit, das Mannigfaltige in Einheit, die Einheit im Mannigfaltigen bewusst ist, wird nicht gedeckt durch die „Verknüpfungseinheit“ der Inhalte, obgleich als „phänomenologischer Befund“ nur diese ihm entspricht, es also für die psychologische Untersuchung durch sie durchaus vertreten werden kann und muss, denn in nichts anderem ist es (wie ich fort und fort betont habe) konkret zu fassen. Wohl aber ist es unabhängig von ihr abstrakt zu supponieren. Als was denn? Die Antwort kann nur lauten: nicht als eine, als die jedesmalige Verknüpfungseinheit, sondern als die Einheit, als letzter Seinsgrund der Vereinigung, und damit als Einheitsmöglichkeit, mit einem Wort als Einheitsgrund überhaupt. Es ist ein Unterschied wie der der platonischen „Idee“ von dem an ihr „Teilhabenden“, worauf wir hinauskommen. Die Idee erscheint als solche nicht, aber sie ist darum nicht weniger zu supponieren, und zwar mit Notwendigkeit, da ohne ihre Supposition die Erscheinung selbst nicht fundiert wäre, also nicht gelten könnte (nämlich kraft der „Teilhabe“). Und hier erkennen wir nun die begreifliche Veranlassung des Anstoßes, den man nahm: man sucht als Faktum in der Erscheinung, was als Grund alles Faktums und alles Erscheinens selbst nicht Faktum, nicht Erscheinung sein kann.

Dass die letzte, übergreifende Einheit des Bewusstseins sich selbst nicht in einem eigenen „phänomenologischen Befund“ aufweisen lässt, kann auch aus folgender Erwägung kein stichhaltiger Einwand sein. Müsste das „Erleben“, um als Faktum anerkannt werden zu dürfen, selbst wiederum (als „Inhalt“) erlebt werden, so würde dasselbe mit gleicher Notwendigkeit gelten vom Erleben des Erlebens, und vom Erleben wiederum dieses Erlebens, und so ins Unendliche weiter. Der Rückgang ins Unendliche ist aber hier ganz unannehmbar. Denn wenn gewiss ein begrenztes Erlebnis wiederum Inhaltsbestandteil eines anderen begrenzten Erlebnisses sein kann, so kann dies doch nicht ins Unendliche fortgehen, wenn wenigstens das Erleben je wirklich sein soll, wie doch der Einwand es fordert. Der Rückgang ins Unendliche ergäbe sich aber unter der gedachten Voraussetzung nicht bloß als möglich, sondern als unausweichlich notwendig. Das haben alle die, welche (wie auch Husserl) gegen dies Argument vom Rückgang ins Unendliche Einspruch erhoben haben, nicht beachtet; darum wird es durch die Einwendungen nicht getroffen. Indessen bedarf es nicht erst dieses künstlichen Umwegs über das Gedankenexperiment des Rückgangs ins Unendliche, auf welches daher auch ein besonderes Gewicht nicht gelegt wird.

§7. Das Ich als Unmittelbares, höchst Konkretes. Was die Unterscheidung von abstrakter und konkreter, oder reiner und im Inhalt sich darstellender Einheit, oder von Einheit als Idee und als Erscheinung (phänomenologischer Befund) besagen will, muss freilich dem unzugänglich bleiben, der die Bewusstseinserscheinungen gleichsam nur statisch betrachtet, d.h. allemal nur eine bestimmt begrenzte Inhaltsgesamtheit als gegeben annimmt, während im wirklichen Leben des Bewusstseins es gar keine solche starren Verknüpfungseinheiten gibt, sondern alles im Fluss ist, was für einen willkürlich, für die Betrachtung abgegrenzten Bewusstseinsakt ein geschlossenes Ganzes, für einen anderen bloßer Bestandteil, was Bestandteil, wiederum Ganzes sein kann; welche „Akte“ selbst im lebendigen Bewusstsein keineswegs starr und fest, gegeneinander abgeschnitten sind, sondern gänzlich ineinander überfließen, so dass überhaupt niemals anders als willkürlich, für die Reflexion, solche bestimmt abgegrenzte Inhaltsgesamtheiten bestehen. Sollte nun das Ich in diesen Fluss gänzlich mithineingerissen sein, so würde es damit, noch ganz anders als bei David Hume, der im Ich nichts als ein „Bündel“ von Vorstellungen sah12, jener Identität verlustig gehen, die nun doch eben das ist, was das Ich den wechselnden Inhalten gegenüber auszeichnet und den Vergleich vom Zentrum rechtfertigt. Das Zentrum eben kann identisch bleiben nicht bloß für alle Verschiedenheit der Peripheriepunkte bei ruhender Peripherie, sondern auch für allen Wechsel derselben wie auch ihrer besonderen Verknüpfungsweisen (z.B. der Krümmung der Peripherie), wenn man die Peripherie selbst nicht fest, sondern mit wechselndem Radius, und zwar unendlich, vielleicht unendlichfach unendlich, nämlich in unendlichen Dimensionen beweglich, sich weiter und weiter hinausschiebend oder umgekehrt enger und enger zusammenziehend denkt. Der Vergleich, so sehr immer Vergleich, reicht dennoch hin, auch noch das zu veranschaulichen, wie gar nicht es eines besonderen „phänomenologischen Befundes“ bedarf, damit man eine solche Beziehungseinheit behaupten dürfe; wie sie in gar keiner begrenzt gegebenen Verknüpfung dargestellt zu sein nötig hat noch überhaupt dargestellt sein könnte, sondern allenfalls nur, theoretisch ausgedrückt, in dem Bestande des Gesetzes, durch das sie alle ins Unendliche, also ohne gegeben zu sein, d.h. a priori, bestimmt oder doch im allgemeinen bestimmbar sind.

Kühner mag es scheinen, diesen (natürlich zeit- und raumfreien) „Bestand“ der Einheitsidee nun nach seiner konkreten Bedeutung ausgedrückt zu finden in der absoluten Unmittelbarkeit und Ursprünglichkeit des Erlebens. Denn jene ideale oder Gesetzeseinheit ist eben höchst abstrakt, während das Erlebnis schlechthin konkret, das Konkreteste von allem, das Urkonkrete ist. Aber vielleicht verhält es sich hier wie sonst, dass gerade die Extreme koinzidieren. Sie koinzidieren im Momente der Kontinuität. Jedenfalls wird doch in der Unmittelbarkeit des Erlebens alle begriffliche Abgrenzung aufgehoben, die durchgängige Wechselbezüglichkeit des durch den Begriff Auseinandergestellten, des logisch Diskreten ursprünglich und unaufheblich bestehend gedacht; so aber fällt auch im Gesetz alle Isolierung der Einzelsetzungen weg; es werden diese in die ursprüngliche Kontinuität wieder einbezogen, aus der sie nur durch Abstraktion für die mühsam von Haltpunkt zu Haltpunkt fortschreitende Reflexion sich herauslösten; das heißt, das Gesetz will eigentlich das letzte Konkrete bedeuten, obgleich dieses in ihm nur einen abstrakten Ausdruck findet. Es bedeutet das Konkrete, das heißt, es fordert die Konkretion, und ist selbst abstrakt nur, sofern es bei der Forderung stehen bleibt, nicht aber nach dem erfüllten Sinn des Geforderten. Wenn nun im Begriff des Erlebnisses unfraglich die wirkliche Identität des erlebenden Ich, und zwar nicht als bloße etwa willkürliche Annahme, sondern als absolutes Faktum, vielmehr als Fieri, ja als Facere, als absolute „Tat“ (Akt) – se faire sagt Bergson13 – eingeschlossen liegt, d.h. gedacht sein will, – eine Identität, die nicht in der jedesmaligen begrenzten Inhaltskomplexion sich erschöpfe, sondern über jede solche Begrenzung mindestens der Möglichkeit nach hinausreiche, also auch nicht durch diese erst gesetzt sei, sondern ihr voraus, eben darum auch unbeschränkt über sie hinaus bestehe –: so hat diese Supposition, wie wir jetzt erkennen, das tiefste und innerlichste Recht auf ihrer Seite. Denn genau in diesem Sinne ist das Bewusstsein als Bezugseinheit gegründet in der Idee dieser Einheit, die somit zwar Supposition, aber schlechthin notwendig zu supponieren ist, wofern überhaupt Bewusstsein stattfinden soll; zu supponieren nicht sowohl als Begriff (obwohl man nicht umhin kann sich auch eine Art Begriff von ihr zu machen), sondern als Urerlebnis, als das Urerlebnis. Es gibt eben nicht bloß die Erscheinungen, es gibt auch das Erscheinen selbst, obgleich dies selbst – natürlich – nicht wiederum erscheint. Und es gibt – das besagt, nur in anderer Wendung, dasselbe – jenes ursprüngliche Ich, das nicht in den jeweils sich begrenzenden und in dieser Begrenzung beständig wechselnden Inhaltskomplexionen aufgeht, sondern, in sich grenzenlos und beharrend (in dem Sinne, wie die Idee beharrt), über diese alle hinausragt, also wiederum in diesen nicht erscheint, aber als Grund des Erscheinens (so wie die Idee Grund ist) sie alle „allein möglich macht“. Und zwar als letzter Sachgrund, nicht bloß Begriffsgrund.

Für die Aufgabenbestimmung der Psychologie aber gewinnen wir damit wahrlich nichts Geringes: die schrankenlose Freiheit, Inhaltsbeziehungen und Beziehungen von Beziehungen anzusetzen über jede willkürliche Abgrenzung hinaus, die für die analysierende Betrachtung freilich unerlässlich, aber eben als solche niemals endgültig, sondern stets wieder überschreitbar und notwendig zu überschreiten ist. Schon hier lässt sich absehen, dass gerade damit die psychologische Empirie erst von jeder hemmenden Fessel befreit, dass sie einer allseitigen Entwicklung fähig wird. Sie wird erlöst von den Schranken einer bloßen Statik „gegebener“ Bewusstseinsfakten, sie weitet sich zu einer freien Dynamik. Sie überwindet die starren Diskretionen, die künstlichen Stillstände der Betrachtung, sie mündet ein in den allgewaltigen Strom des Werdens und der Kontinuität. Eben damit wird die Ichbeziehung so allbefassend in ihrer Konkretheit und Aktualität, wie sie es zuvor nur im Abstraktionssinne, d.h. in der bloßen Potenz war. Gerade indem sie nicht selber erscheint, nicht selber erlebt wird, erweist sie sich als der volle, konkrete Ausdruck des Erscheinens, des Erlebens selbst in seiner absoluten Unmittelbarkeit und Ursprünglichkeit.

1 Vgl. Einleitung in die Psychologie nach kritischer Methode, S. 11–15(§4. „Begriff des Bewusstseins. Die Bewusstheit“). – Anm. d. Hrsg.

2 Vgl. Thomas Hobbes, De Corpore, S. 213: „Of all the phenomena or appearances that are near to us, the most admirable is apparition itself, ; namely that some natural bodies have in themselves the patterns almost of all things, and others of none at all.“ Übers.: „Von allen Phänomenen oder Erscheinungen, die uns nahestehen, ist das Erscheinen selbst das merkwürdigste, ; nämlich dass manche natürliche Körper in sich selbst die Muster fast aller Dinge tragen, und andere überhaupt keine.“ – Anm. d. Hrsg.

3 Im Original „Ich“ – Anm. d. Hrsg.

4 Logische Untersuchungen, II [Husserliana XIX/1 & 2].

5 Man vergleiche besonders die Grundgedanken von Logische Untersuchungen I [Husserliana XVIII] mit meiner Sozialpädagogik (1. Auflage 1898), §4, und schon mit der Abhandlung des Jahres 1887, „Ueber objective und subjective Begründung der Erkenntniss“. Im Übrigen siehe Kap. XI.

6 Einleitung in die Psychologie nach kritischer Methode, S. 30 [Hier schreibt Natorp: „Allgemein also bildet die Verbindung der Inhalte im thatsächlichen Bewusstsein (daher ohne Rücksicht des Unterschieds objectiver oder bloss subjectiver Gültigkeit) das Object der psychologischen Untersuchung.“ – Anm. d. Hrsg.].

7 Ebd., S. 31. [Hier schreibt Natorp: „Verbindung ist die Beziehung auf ein und dasselbe Ich; Beziehung auf ein und dasselbe Ich, das ist die Verbindung; Eins durch das Andere erklären heisst idem per idem erklären.“ – Anm. d. Hrsg.].

8 S. 331 [der ersten Auflage der Logischen Untersuchungen, Husserliana XIX/1, S. 363; bei Husserl ist „phänomenologischer Befund“ kursiviert – Anm. d. Hrsg.].

9 S. 342f. [der ersten Auflage der Logischen Untersuchungen, Husserliana XIX/1, S. 374f. – Anm. d. Hrsg.].

10 S. 358 [der ersten Auflage der Logischen Untersuchungen, Husserliana XIX/1, S. 393 Anm.–Anm. d. Hrsg.] bemerkt Husserl selbst, dass ich, wenn ich die besonderen Akte (des Hörens usw.) ablehne, „Akt“ im buchstäblichen Sinne psychischer Betätigung verstehe (s. darüber Kap. III). [Husserl schreibt in dieser Anmerkung: „Wenn Natorp (Einleitung in die Psychologie, S. 31) gegen die ernstgenommene Rede von psychischen Akten als Betätigungen des Bewußtseins oder des Ich einwendet: ‚nur weil Bewußtsein oft oder immer von Streben begleitet ist, erscheint es als ein Tun und sein Subjekt als Täter‘ – so stimmen wir ihm vollkommen zu. Die ‚Mythologie der Tätigkeiten‘ lehnen auch wir ab; nicht als psychische Betätigungen, sondern als intentionale Erlebnisse definieren wir die ‚Akte‘.“ – Anm. d. Hrsg.]

11 Husserl korrigiert sich in der zweiten Auflage der Logischen Untersuchungen von 1913 hinsichtlich dieser Auffassung und ausdrücklich unter mehrmaliger Berufung auf den Einfluss Natorps. Er schreibt in einer in der zweiten Auflage hinzugefügten Anmerkung (zum Satz „Nun muß ich freilich gestehen, daß ich dieses primitive Ich als notwendiges Beziehungszentrum schlechterdings nicht zu finden vermag.“): „Inzwischen habe ich es zu finden gelernt, bzw. gelernt, mich durch Besorgnisse vor den Ausartungen der Ichmetaphysik in dem reinen Erfassen des Gegebenen nicht beirren zu lassen.“ (Husserliana XIX/1, S. 374, Anm.). – Anm. d. Hrsg.

12 Vgl. A Treatise of Human Nature, I, IV, vi. – Anm. d. Hrsg.

13 Vgl. die Diskussion von Bergson in Kap. XII. – Anm. d. Hrsg.

Allgemeine Psychologie nach kritischer Methode

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