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Mein Vater ist Franzose

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Ich mochte Oskar von Anfang an. Seine Haut war braun wie meine, seine Augen ebenso. Wir sahen nicht so blass aus wie die Leute hier.

Er holte mich manchmal von der Schule ab. Bei jeder Begegnung küssten wir uns auf die Wangen. Links, rechts, links. Die anderen Kinder fanden das komisch. „Mein Vater ist Franzose, in Frankreich ist das üblich“, erklärte ich zwischen Scham und Stolz.

Wir konnten einander wunderbar necken. Wenn er seine Baskenmütze wieder mal nach halblinks ins Gesicht gezogen hatte, zerrte ich sie zurecht. „Man trägt die Mütze grade, Okela!“

„Man kann sie tragen, wie man will, Keter, und ich trage sie, wie ich will, wenn du erlaubst.“

Ich erlaubte. Und das war wenig, gemessen an dem, was ich mir alles gestattete und er tolerierte. Einmal wurde ich des Diebstahls von Gummibärchen überführt, nachdem ich sie an Dorfkinder verteilt hatte.

Statt mich zu bestrafen, ging Oskar zum Besitzer des Kolonialwarenladens und sagte: „Wenn der Junge wieder einmal kommt und Süßes will, gib es ihm. Schreib es an, ich bezahle am Monatsende.“

Das ging nur einen Monat lang gut, denn ich konnte mein Privileg nicht geheim halten. Zuerst begleitete mich Emil. Später kamen weitere Kinder mit und ließen an-schreiben – auf Oskars Rechnung. „Das ist jetzt arg viel. Musst nicht mehr gehen, gell?“, sagte Oskar nur. Ich hatte verstanden.

Oskar brauchte nicht zu drohen. Es genügte, wenn er einen Wunsch äußerte.

Dabei war ich ansonsten nicht, was man einen artigen Jungen nennt. Lehrern fiel ich ins Wort oder lachte, wenn sie uns in ernstem Ton Wichtiges erläuterten. Hausarbeiten erledigte ich, wenn ich Lust hatte. Beim Völkerball trat ich den Jungs vors Schienbein. Mädchen zog ich an den Zöpfen. Alles weil, ... weil ich … ich hatte keine Ahnung.

Oskar hatte sich eingelebt in Riezlern. Die Einheimischen akzeptierten ihn. Die Sympathie der einen gewann er mit französischem Charme, die der anderen mit derben Witzen. Die Achtung aller erlangte er durch soziales Engagement gegen Missbrauch von Steuergeldern.

Mit seinem Privileg, in Spezialläden der französischen Kaserne einkaufen zu können, erwies er vielen Dörflern Gefälligkeiten. Als er seiner Ille eine adrette Nylon-Kittelschürze: bunt, ärmellos mit Taschen, geschenkt hatte, fragten andere Männer: „Hast mir net auch so oane wie dei Alte hat?“ Die meisten Frauen liefen damals auch sommers in dicken Leinensachen und waren doch auch gerne „chic“. Oskar besorgte die Schürzen. Oskar, der Schürzenjäger.

Oskar war klein, doch wenn sein gescheiteltes Haar sich bei starkem Wind aufrecht stellte, konnte er verwegen aussehen.

Kamen Franzosen ins Tal und brauchten einen Dolmetscher, wurde er gerufen. Er war kontaktfreudig und vermittelte gern zwischen Deutschem und Französischem. Seine akzentuierte Aussprache mit dem trockenen R mochten alle.

Ich liebte sein H. Er sprach es nicht so hart wie die Deutschen, doch anders als andere Franzosen artikulierte er es deutlich. Er konnte Bauer Herrmann richtig ansprechen und der Himmel wurde bei ihm auch zu keinem Immel.

Oskar kannte die Welt, alle Welt kannte Oskar. Mit Gerd Bucerius, Asta Nielsen, Resi Hammerer war er per Du. Sie verbrachten ihren Winterurlaub in Riezlern.

Bei einem Ausflug sprach er die Herbergsleute der Almgasthütte mit Vornamen an. „Der ist bekannt wie ein bunter Hund!“ sagte Mutter.

Er war nicht nur allbekannt, er wollte auch alles genau wissen. Wohin wir kamen, er lief auf jeden Fall in die Küche und kontrollierte: „Gell, du machst für uns mit guter Butter!“

Wenn Oskar etwas dachte, sprach er es aus: “Leopoldine, ma Belle, du kommst in die runden Jahre. Mach dir nichts draus, bei dir hängt‘s oben, bei mir hängt‘s unten.“

Mutter war seine Direktheit peinlich. Mit Augenrollen und empörtem: „Oskar, so was sagt man nicht!“, versuchte sie, seine Zügellosigkeit zu zügeln. Vergeblich.

Hinausgeboren

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