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Reisetage

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Wandermond

Wenn er die Augen schloss, konnte er in der Ebene Witstein sehen. Roman blinzelte in die Morgensonne, die für einen neuen klaren Herbsttag empor stieg. Der Herbst war Gorderleys schönste Jahreszeit mit seinen sonnigen, nicht zu warmen Tagen und den von zwei Monden hellen Nächten. Lerchen stiegen auf und sangen ihre trillernden Lieder über der beruhigenden Weite des Graslandes, noch höher kreiste ein Adlerpaar auf der Suche nach Beute. Das Land rund um Burg Witstein war kein Lehnsland, sondern gehörte dem Fürsten. Also mir, dachte Roman belustigt, denn so ein Gedanke konnte eigentlich nur ein Brandai haben. Der Fürst war Gorderley niemals nur eine Person, sondern eine Institution, und er hatte das Land noch nie als sein persönliches Eigentum betrachtet. Eher als eine Verpflichtung. Er öffnete die Augen vollständig und natürlich gab es keine Burg am Horizont. Er hatte ihren Weg viel zu weit nördlich gelegt, vorbei an seinem Geburtsort und Fürst Elders Thronsitz. Timbermeyn würde dort inzwischen eingetroffen sein, um die Regentschaft zu übernehmen. Seine eigene Anwesenheit war nicht notwendig, redete er sich ein, aber er wusste, dass es nicht stimmte. Er brachte es einfach nicht fertig, Fürst Elders Burg zu betreten. Jedenfalls jetzt noch nicht.

Eine Bewegung in der Ferne lenkte ihn von den grüblerischen Gedanken ab und er beschattete die Augen mit der Hand. Als er sicher war, sich nicht getäuscht zu haben, zog er die Stute herum und trabte zu ihrem Lager. Hier draußen gab es keine Siedlungen, so dass sie seit zwei Tagen in ihren mitgeführten Zelten schliefen, und Roman genoss jede einzelne Nacht. Er liebte das Leben im Freien und im Sattel und auf niemanden passte die gordische Weisheit, dass ein Fürst vom Rücken seines Pferdes herrschte, mehr als auf ihn. Die Knappen waren eifrig damit beschäftigt, das Frühmahl zu bereiten und der Duft von frischem Kaffee zog ihm in die Nase, als er neben seinem Zelt anhielt. Kai eilte herbei und führte die Stute zu Seite, während Axel auf den Fersen am Feuer hockte und geröstetes Brot auf einem Teller stapelte. Er sprang sofort auf, als der Fürst sich näherte und ohne dass Roman etwas sagen musste, brachte er einen Becher Kaffee und deutete auf ein Tuch am Boden, wo Butter, ein Stück saftiger Schinken, ein Topf mit Schmalz und Trockenwurst ausgebreitet lagen. „Das Frühstück ist vorbereitet, Fürst Roman. Darf ich Euch etwas bringen?“ Der Fürst schüttelte den Kopf, setzte sich auf einen Sattel als Hocker und bediente sich selbst. Baron Esterhazy kam vom Rand des Lagers und auf ein stummes Nicken des Fürsten, setzte er sich ebenfalls und griff zu. Er aß noch immer für zwei und als der der Fürst sich zurück lehnte und deutlich machte, dass er seine Mahlzeit beendet hatte, säbelte er mit entschuldigendem Blick den Rest des Schinkens in mundgerechte Stücke und stopfte sie in sich hinein. „Udo und die Brüder sind schon unterwegs. Sie wollen noch ein paar Kaninchen für das Abendmahl aufscheuchen“, berichtete er und nahm noch eine Scheibe Brot. Axel flitzte heran und füllte neuen Kaffee in seinen Becher.

Roman lächelte in sich hinein. Er hatte den jungen Brandai eher aus Mitleid mitgenommen, aber langsam gab er tatsächlich einen brauchbaren Knappen ab. Axel konnte in acht Wochen nicht aufholen, was ein gordischer Junge zwölf Jahre lernte, bevor er überhaupt in den Dienst eines Ritters trat, aber er besaß eine natürliche Demut, die keinem gordischen Knappen nachstand. Es machte Roman inzwischen Freude, ihn zu unterrichten und er hoffte, Graf Hochfels würde zu schätzen wissen, statt eines überzähligen Knappen einen gut ausgebildeten Jungritter zurück zu bekommen.

Er stand auf. „Nördlich von uns zieht eine Herde Sagilas vorbei. Vielleicht möchtet Ihr mit mir auf die Jagd gehen?“

Der Baron war sofort auf den Beinen. „Was immer das ist, ich bin dabei. Allerdings habe ich keinen Bogen, nur meinen Speer.“ Roman gab auf Axels fragenden Blick sein Einverständnis, worauf der junge Brandai eilig die Feuerstelle verließ und das Pferd des Barons sattelte.

„Sagilas sind Antilopen, eine Art sehr großer Hirsche. Ein Speer ist genau das Richtige“, erklärte er. „Oh, dann haben sie Geweihe? Eine hübsche Trophäe?“, freute sich Esterhazy und der Fürst schmunzelte. „Lasst Euch überraschen.“

Die sanfte Hügellandschaft rund um Burg Witstein wurde immer wieder von Felsabbrüchen durchbrochen, deren Klippen über die Grasebene ragten, als hätte sich der Boden erhoben, um seine steinernen Zähne zu zeigen. Auf einer Seite waren diese Klippen bis zu dreißig brandaianische Meter hoch und schroff wie ein Gebirge, doch die andere Seite ging in sanfte Abhänge über, mit Heidelbeerbüschen an den Kanten, Mulden voll fettem Gras und sumpfigen Rinnen, in denen sich das Wollkraut wiegte. Die Grate bildeten regelrechte Korridore und waren ausgezeichnete Jagdgebiete, da das Wild nur in eine Richtung fliehen konnte. Roman kannte jeden Fußbreit dieses Geländes, hatte er doch einen großen Teil seiner Jugend damit verbracht, zusammen mit seinem Halbbruder das Land rund um Burg Witstein zu durchstreifen.

Sobald Esterhazys Pferd bereit war, brachen sie auf und erreichten nach einer knappen Stunde den auslaufenden Rand eines Felsenkamms. Roman musterte den Baron, aber der schnelle Ritt hatte ihm nichts ausgemacht. Auch wenn er noch immer aussah, als hätte er ein Jahr Hungerkerker hinter sich, besserte sich seine Kondition Woche für Woche. Seine Kraft nahm ebenfalls wieder zu, wie Roman bemerkte, wenn sie miteinander fochten und in stillem Vergnügen beobachtete er, dass sowohl die Kamener als auch Udo sich zunehmend schwer taten, Esterhazy etwas entgegen zu setzen.

Aber jetzt ging es nicht um den Schwertkampf. Er ließ die Stute stehen, stieg ein paar Schritte den Abhang hinauf und kniete sich an die Kante. Esterhazy tat es ihm nach und stützte den Kopf auf die aufgestellten Unterarme. Eine Weile sagte er nichts, dann wandte er sich mit leuchtenden Augen zum Fürsten: „Euer Land ist wirklich voller Wunder.“

Auch Roman schaute fasziniert auf die kleine Herde unter ihnen. Die Sagilas wirkten trotz ihrer Größe grazil. Die Weibchen waren bereits schneeweiß bis auf den dunklen Rückenstreifen, bei den Männchen sah man noch die braune Tüpfelung der Sommerfärbung auf den Flanken. Alle Tiere trugen gedrehte Hörner, die leicht gebogen gut einen Meter Länge erreichten. Der Leitbock umkreiste in federndem Gang seine Herde und die langen Haare seines Brustfells strichen fast über den Boden.

„Sie sind beinahe zu schön, um sie zu jagen“, flüsterte Esterhazy andächtig. Der Fürst zog sich von der Kante zurück. „Tatsächlich ist es nicht erlaubt. Sie sind selten und vermehren sich nur langsam.“ Sie stiegen den Kamm hinunter und er machte sich an seinem Sattel zu schaffen. „Es ist ein Vorrecht der fürstlichen Familie.“

„Dann bin ich Euch einmal mehr zu Dank verpflichtet.“

„Mitnichten Baron. Die Jagd auf Sagilas ist ein Vergnügen, das auch mir selten vergönnt ist. Seid Ihr bereit?“

Esterhazy ließ sich hinter einem Felsbrocken auf die Fersen sinken und atmete aus. Er hatte sich im Schutz der Felsen dem Standort der Herde genähert, aber nun musste er eine deckungslose Ebene überqueren. Einem Feind in der Ferne wichen die Sagilas durch Flucht aus, einen Feind in der Nähe griffen sie jedoch an und die Hörner waren eine furchtbare Waffe, da sie nicht nur zum Stoßen eingesetzt wurden, sondern auch wie ein Schwert zum Schneiden. „Ein Sagila kann einen Mann schneller köpfen, als ein Henker“, hatte der Fürst gewarnt, „je näher Ihr kommt, desto vorsichtiger müsst Ihr sein.“

Das Herz klopfte Esterhazy vor Aufregung, als er geduckt einen Fuß vor den anderen setzte. Nicht anhalten, keine hektischen Bewegungen, mahnte er sich selbst und trotz des kühlenden Windes perlten ihm Schweißtropfen von der Stirn. Er blinzelte, hielt aber nicht inne und erreichte schließlich den verabredeten Punkt, eine Reihe Felszacken, die wie der Rücken eines Drachen aus dem Boden ragten.

Esterhazy umfasste den Speer in seiner feuchten Hand fester und blieb gebeugt neben einem hüfthohen Steinbrocken stehen. Es war eine unbequeme Haltung, aber im nächsten Moment vergaß er alle Schmerzen und hatte nur noch Augen für das reiterlose Pferd, das sich der Herde im Galopp näherte. Die Sagilas hoben bei dem Geräusch der trommelnden Hufe die Köpfe und schauten sich unruhig um, waren aber noch unschlüssig, ob das Pferd eine Gefahr bedeutete. Als die Stute in spitzem Winkel auf die Herde zuschwenkte, sah Esterhazy den Fürsten, der mit einem Bein über dem Sattel an ihrer Seite hing. Erst wenige Pferdelängen vor den letzten Tieren, schwang er sich zurück in den Sitz und im nächsten Augenblick federten die Sagilas herum und flüchteten. Der Fürst deckte den Weg in die Ebene ab, so dass dem Leitbock nur der Weg entlang der Felsen blieb, vorbei an Esterhazys Lauerplatz, der mit dem Speer eines der Tiere erlegen sollte. Doch der Anblick der springenden Sagilas ließ den Baron für einen Moment völlig vergessen, wo er sich befand und er richtete sich überwältigt auf. Die Herde verlangsamte ein wenig, doch dann senkte der Leitbock den Kopf und stürmte direkt auf ihn zu. Esterhazy hob den Arm mit dem Speer und wartete und wartete....und schleuderte den Speer auf das Tier hinter dem Leitbock, während er zur Seite hechtete. Hörner zischten an ihm vorbei und für einen Sekundenbruchteil sah er ein wildes Auge neben sich, dann traf ihn ein Huf, ein zweiter. Er rollte sich ab, sprang auf und hechtete abermals zur Seite, als der Leitbock erneut angriff. Wieder verfehlten ihn die Hörner um Haaresbreite und dann drehte der Bock plötzlich auf der Hinterhand herum und folgte der fliehenden Herde. Ein schwarzer Schatten setzte über Esterhazy hinweg und kam neben dem niedergebrochenen Sagila zum stehen. Esterhazys Speer war dem Jungbock zwar tief in die Brust gedrungen, aber er schlug wild mit den Hufen um sich und versuchte wieder auf die Beine zu kommen, um der Herde zu folgen. Der Fürst sprang aus dem Sattel, griff von hinten durch die Hörner den Kopf des Tiers und durchtrennte die Halsschlagader mit einem tiefen Schnitt.

Dann war es still.

Schwer atmend stand Esterhazy auf und blieb einen Moment benommen stehen, bis sein Herzklopfen sich beruhigte.

Roman blickte ihm entgegen: „Waidmannsheil, Baron.“ Esterhazy brachte kein Wort heraus. Er betrachtete den toten Sagila, der wie ein müdes Fabelwesen auf dem Boden lag. Die langen Haare des Brustfells waren blutbesudelt und die offenen Augen schienen erst jetzt ihren warmen Glanz zu verlieren. Er sank auf ein Knie und strich mit der Hand über die braun gemaserte Stirn. „Waidmannsdank“, sagte er und dann zum Fürsten, „Euch auch, Fürst Roman, habt Dank.“

Der Jungbock mochte an die hundert Kilo wiegen, aber der Fürst bestand darauf, ihn erst im Lager zu zerlegen und so beluden sie Esterhazys Pferd mit ihrer Beute und der Baron stieg hinter dem Fürsten auf die Stute. Sie ritten trotz der Last zügig und erreichten mit dem Sonnenmittagsstand das Lager. Die Zurückgebliebenen empfingen sie begeistert und Udo begann sofort mit dem Abhäuten und Ausnehmen, unterstützt von Aik, der den Knappen jeden Handgriff erklärte. Roman bemerkte, wie der Baron sich nach kurzem Zusehen abwandte und zum Rand ihres Lagers schlenderte, wo er sich gegen sein Pferd lehnte, während er den Blick, ohne wirklich etwas zu sehen, über die Ebene gleiten ließ.

Er wandte den Kopf, als der Fürst neben ihn trat und den Braunen die Stirn kraulte.

„Erschöpft?“

Esterhazy nickte und schüttelte gleichzeitig den Kopf.

„Aufgeregt und erschöpft?“, lächelte Roman, „Ihr fühlt Euch als hättet Ihr etwas Großes vollbracht, nur dass Ihr nicht wisst, ob es gut oder schlecht ist?“ Als sich Esterhazy mit vor Staunen großen Augen zu ihm drehte, nickte er wissend.

„Nur ein Narr kann Sagilas jagen, ohne bewegt zu sein. In Gorderley werden sie verehrt, als die Krone der Schöpfung.“

Esterhazy nickte heftig, „Ja, ja! Als ich dort vor ihm stand, vor dem Leittier, meine ich, da konnte ich ihn nicht töten. Es wäre als wenn...als wenn ich einen König erstechen würde. Ich dachte Ihr würdet mich für ein jammerndes Waschweib halten.“ Roman legte ihm eine Hand auf die Schulter. „Euer Respekt ehrt Euch, Baron. Sie sind wunderbar, aber sie sind dennoch Wild und die Götter haben uns das Recht gegeben, sie zu jagen. Ihr habt….gehandelt wie ein Gorderley“, wollte er sagen, aber er änderte den Satz beim Sprechen, „die Trophäe verdient.“

„Aber Ihr habt den Bock getötet.“

„Ich habe nur seinen Tod herbei geführt. Erlegt hat ihn Euer Speer.“

Esterhazy ballt die Fäuste. „Ich hätte ihn besser treffen müssen!“

„Oh ja! Eine Herde Sagilas in Panik rannte auf Euch zu und Ihr habt gestanden wie ein Fels, bis die Spieße des Leitbocks Euch die Brust kratzten und dann an ihm vorbei den ebenfalls galoppierenden Jungbock präzise in die Brust getroffen. Ich muss sagen: Es ist geradezu jämmerlich, dass Ihr dabei das Herz verfehlt hat“, spottete Roman und fuhr versöhnlicher fort, „Baron, ich habe in meinem ganzen Leben noch nicht solche Kaltblütigkeit gesehen.“

Ein verlegenes Grinsen breitete sich auf Esterhazys Gesicht aus. „Vielleicht war ich ja nur starr vor Angst.“

„Es sah nicht danach aus.“ Roman hielt inne, denn aus dem Lager erklangen verärgerte Stimmen und laute Rufe. „Lasst uns sehen, wieweit Udo mit dem Zerlegen ist. Heute haben wir genug Fleisch, dass sogar Ihr satt werdet.“

Sie kamen gerade rechtzeitig, um zu erleben, wie Dennis seinen Knappen verprügelte. In Ermangelung eines Stocks benutzte er dafür seinen ungespannten Bogen und Kai gelang nur unvollkommen, seine Schmerzschreie zu unterdrücken.

Udo und Aik hielten das abgehäutete Fell zwischen sich und betrachteten es, während Pale und Axel mit dem Fleisch beschäftigt waren, als gäbe es momentan nichts Wichtigeres auf der ganzen Welt. Esterhazy sah erschrocken die blutigen Striemen, die sich auf Kais Rücken abzeichneten, doch Dennis schlug unbeeindruckt weiter auf ihn ein und der Fürst schenkte dem Schauspiel gar kein Interesse, sondern trat zu Udo, der die Arme sinken ließ und zerknirscht seufzte: „Fürst Roman, ich bitte um Vergebung. Ich hätte das Fell selbst bearbeiten müssen.“

Der Schaden war beträchtlich. Ein Schnitt hatte den Vorderlauf mit dem langen Behang abgetrennt. Das Fell war ruiniert ohne das vierte Bein, vielleicht noch ein hübscher Fetzen, aber keine Trophäe für einen erfolgreichen Jäger. Roman schloss einen Moment die Augen, um seinen Ärger zu unter Kontrolle zu bekommen. Die Zerstörung kam einem Sakrileg gleich und der ungeschickte Knappe verdiente seine Strafe zurecht, mehr ließ sich nicht tun. Der Schaden war geschehen und der Baron um ein wertvolles Geschenk betrogen. Doch Esterhazy schenkte dem Fell keinen Blick, sondern starrte mit sichtlichem Widerwillen auf die Strafaktion, wo Kai inzwischen bei jedem neuen Hieb laut aufschrie. Er schien eingreifen zu wollen und der Fürst trat ihm in den Weg und schüttelte stumm den Kopf. Für einen kurzen Moment glaubte er, der Baron würde ihm einfach ausweichen, aber natürlich geschah das nicht, auch wenn der wortlose Vorwurf in seinen Augen Roman daran erinnerte, wie geradezu fahrlässig nachsichtig Esterhazy mit seinem eigenen nutzlosen Knappen umging.

„Dennis ist sein Schwertherr“, erklärte er ruhig und zwang den Baron ihn anzusehen, „es ist allein seine Angelegenheit, ihn zu strafen.“ Esterhazy presste die Lippen zusammen und schien nur mit Mühe einen Widerspruch zurück zu halten. Gerade deswegen achtete Roman ihn um so mehr, denn letztlich war Esterhazy ihm keinen Gehorsam schuldig, also tat er, als bemerke er den Widerwillen nicht und fragte stattdessen Udo: „Wie ist das geschehen?“ Der Ritter hatte das Fell am Boden ausgebreitet und kniete davor. „Der dreimal verdammte Trottel sollte die Fleischreste abschaben. Das ist doch nicht so schwer! Aber er war mal wieder mit seinen Gedanken wo anders. Dabei kann er sich glücklich schätzen, einen Sagila überhaupt berühren zu dürfen!“ Udo schwankte zwischen Wut, Trauer und Verlegenheit und strich mit der Hand über die Schnittstelle. „Was soll ich damit nun anfangen, Fürst Roman?“

Roman wies auf den Baron: „Es ist Eure Beute Baron. Ich bedauere, dass Ihr kein ein besseres Andenken an diesen Tag erhaltet.“

Esterhazy zwang sich, nicht auf die Schreie des Delinquenten zu hören, sondern das Fell zu betrachten. Zu seinen Füßen lag das abgeschnittene Stück und er bückte sich, um es aufzuheben. Die Unterseite war schon beinahe trocken und die Haare auf der Fellseite waren lang, seidenweich und federleicht. „Kann ich dies behalten?“, fragte er ohne jemanden anzusehen. „Das ganze Fell gehört Euch Baron“, wiederholte Roman, „nur dass es leider verdorben ist.“

Esterhazy zückte sein Speisemesser und schubste Udo zur Seite. „Dann sollte ich es selbst bearbeiten“, stieß er hervor und begann, Sehnenreste, Haut und Fett von der Unterseite zu schaben. Udo wollte protestieren, aber auf einen stummen Wink des Fürsten schwieg er und wich zurück. Roman dachte, dass es nun auch nichts mehr ausmachte, wenn das Fell weiteren Schaden erlitt, aber zu seiner Überraschung handhabte der Baron das Messer geübt wie ein Kürschner und entfernte penibel auch die kleinsten Fleischreste, bis die Haut schließlich glatt und glänzend in der Sonne lag. Unterdessen hatte auch Dennis die Bestrafung seines Knappen beendet, den Bogen wütend zur Seite geworfen und war, ohne sich umzusehen in die Weite des Graslandes davon gestapft. Kai lag auf dem Bauch und krallte die Hände in den Boden. Sein Rücken war blutig und auch auf Beinen und Armen hatte der Bogen seine Spuren hinterlassen. Keiner der Ritter beachtete ihn, als er sich mühsam erst auf die Knie aufrichtete und nach einer Weile taumelnd auf die Füße kam. Er hob sein Wams und sein Hemd auf und schlich mit gesenktem Kopf zu seinem Schlafplatz hinter dem Zelt der Kamenbrüder, wo er in seinen Taschen wühlte. Axel sah sich verstohlen um und nahm schließlich einen Wasserschlauch, aber der Fürst rief ihn barsch zurück, bevor er zwei Schritte in Kais Richtung getan hatte und befahl ihm, den schleimigen Abfall, den der Baron neben dem Fell liegen gelassen hatte, am Abortplatz zu vergraben.

Esterhazy ließ die verspannten Schultern kreisen, während er Axel zuschaute, der gehorsam aber angeekelt die Reste auf die Grabschaufel schob und damit abzog. Die konzentrierte Arbeit hatte ihn beruhigt und das Verstummen der Schreie half ebenfalls, seine innere Aufruhr zu mildern. Ihm war nicht entgangen, dass gordische Knappen schon für kleinste Verfehlungen streng bestraft wurden, meist mit Stockschlägen oder der Rute, aber weder Dennis noch Aik hatten in der Zeit ihres gemeinsamen Reisens besondere Brutalität gezeigt. Im Gegenteil schienen sie ihre Knappen wirklich zu mögen, und um ihre Erziehung besorgt zu sein.

Er linste zu Kai, der auf seiner Decke lag, den Kopf auf die Arme gebettet und den Rücken mit seinem Hemd locker abgedeckt. Er rührte sich nicht. Pale schaute ebenfalls immer wieder zu seinem Kameraden, machte aber keine Anstalten, ihm zu helfen und schien auch nicht verängstigt. Waren die Gorderley grausam, oder verstand er sie einfach nicht? Es ging doch nur um ein Fell! Zweifellos um ein besonderes Fell, aber trotzdem nur eine Jagdbeute. Immerhin war es ja noch fast vollständig! Hätten nicht ein paar Ohrfeigen genügt?

Er betrachtete die gesäuberte Innenhaut und fand, dass er Kai schuldig war, etwas damit anzufangen. Udo sah ihn erstaunt an, als er nach dem Kopf des Sagila fragte und zeigte ihm den Schädel mit den Hörnern. „Sie gehören natürlich auch Euch, so hat es Fürst Roman verfügt.“ Er fuhr mit der Hand fast ehrfürchtig über die Windungen: „Seht diese Kanten, sie sind messerscharf. Da weiß man nicht, ob man lieber von der Spitze erstochen oder von der Seite durchgeschnitten werden möchte.“

„Eher keins von beiden“, entgegnete Esterhazy kurz angebunden, denn Udos Fröhlichkeit erschien ihm unangemessen. „Ich brauche das Gehirn, wo habt Ihr das gelassen?“

Der Schädelinhalt lag auf einem größeren Haufen mit anderen Fleischabfällen und Esterhazy kümmerte sich nicht um die teils neugierigen, teils angewiderten Blicke, als er mit den bloßen Händen die graue Masse nahm, auf der Hautseite des Fells verteilte und mit gleichmäßigen Bewegungen einmassierte. Erst als ein Schatten über ihn fiel, erklärte er ohne seine Arbeit zu unterbrechen: „Das Sumpfland liegt vor unserer Haustüre und wir jagen dort alles, was der Sumpf eben hergibt. Das ist eine schöne Zusatzeinnahme. Allerdings können wir uns keinen Kürschner leisten, deshalb müssen wir uns selbst um die Felle kümmern. Die Hirnmasse hält die Haut geschmeidig, bis man mit dem eigentlichen Gerben anfangen kann.“ Mit energischem Druck seiner Handballen trieb er den letzten Rest des klebrigen Breis in die Haut und stand auf.

„Baron, Ihr verblüfft mich immer wieder mit neuen Talenten“, gab Roman zu und bedeutete Aik, der ebenfalls zugesehen hatte, das Fell zusammen zu rollen. Esterhazy antwortete nicht, sondern rieb sich die fettigen Hände an der Hose ab. Die kleine Quelle, die ihren Rastplatz bestimmt hatte, gab gerade genug Wasser zum trinken, er würde sich mit Sand begnügen müssen, um die Reste von der Haut zu reiben, nichts was ihn störte, gab es doch eine willkommene Gelegenheit, sich vom Lager zu entfernen.

Der Fürst unterdrückte den Impuls, dem Baron zu folgen. Er hatte den Eindruck, dass Esterhazy allein sein wollte. Noch schien die Nachmittagssonne warm und verwandelte die Steppe in ein goldenes Meer, in der sich die Silhouette des schnell ausschreitenden Brandais gut abhob. Ein Gorderley hätte wohl ein Pferd genommen und wäre schwer einzuholen gewesen, aber zu Fuß konnte der Baron nicht weit kommen, so dass er wohl kaum in Gefahr geraten würde.

Axel näherte sich mit einem vollen Wasserschlauch und einem Becher und Roman trank in langen Schlucken und ließ sich nachschenken, wobei er den Knappen musterte. „Die Antwort ist nein“, schnitt er Axel das Wort ab, als dieser den Mund öffnete.

Der Knappe machte einen Schritt zurück, aber er schien tatsächlich dennoch etwas sagen zu wollen, so dass Roman ihn ungehalten anfuhr: „Bereite das Abendessen und wenn dir noch Zeit bleibt ….“, er unterbrach sich, denn ihm fiel ein, dass Axel ja ein Brandai war und zudem nicht einmal sein Knappe, „…..striegle mein Pferd und das des Barons!“, beendete er etwas milder den Satz, denn er konnte den Brandai ja nicht wie einen gordischen Knappen strafen, wenn dieser nicht einmal wusste, was er falsch machte.

Wie erwartet erschien Esterhazy bei Sonnenuntergang im Lager und sie nahmen ein schweigendes Mahl ein. Das Fleisch des Sagila war zart und von kräftigem Geschmack und die beiden Knappen hatten genug vorbereitet, dass sogar der Baron irgendwann sein Messer einsteckte und bekundete, keinen Bissen mehr in sich hinein zu bekommen. Udo und Aik wechselten einen Blick und erhoben sich fast gleichzeitig, um, wie sie sagten, noch etwas zu erledigen. Pale nahm zwei leicht angebrannte Stücke, die er verstohlen zur Seite gelegt hatte und stupste Axel an, der erschrocken zusammen zuckte. „Wir verschwinden“, flüsterte der gordische Knappe und zog ihn die Dämmerung.

Das kleine Feuer gab nur wenig Licht, aber am Nachthimmel hing im Norden der rötliche Glutmond, zwar schon abnehmend aber immer noch mit warmem roten Leuchten, und im Osten der Hellmond in voller Pracht, so klar, wie man ihn in der feuchten Luft Brandais nie sah, so dass es gar nicht richtig dunkel wurde. Esterhazy legte den Kopf in den Nacken und erkannte auf der Mondscheibe die Augen, von denen Sagen und Märchen berichteten, die er aber daheim immer vergeblich gesucht hatte. Noch so ein Wunder in diesem seltsamen Land voller Wunder.

Der Fürst beobachtete ihn eine Weile, dann fragte er: „Möchtet Ihr etwas wissen, Baron?“

Esterhazy richtete sich auf und hockte sich im Schneidersitz gegenüber. „Ich glaube nicht“, antwortete er, strafte aber seine eigenen Worte sofort Lügen, indem er fortfuhr: „Oder doch: Wo ist Dennis?“

Roman hatte eigentlich damit gerechnet, dass Esterhazy die Bestrafung des Knappen umtrieb und nicht der Verbleib dessen Herrn und war zu verblüfft, um gleich zu antworten.

„Ich frage mich, ob Ihr gestattet, dass ich ihm die Hörner schenke“, erstaunte ihn der Baron weiter. Das Feuer flackerte und drohte zu erlöschen und Esterhazy schob einen getrockneten Kuhfladen in die ersterbende Flamme und pustete vorsichtig, bis das Material sich entzündete.

„Es ist nicht so, das ich Eure Großzügigkeit nicht zu schätzen weiß“, erklärte er, als der Fürst nicht antwortete, „aber er soll wissen, dass ich ihm nicht zürne. Kai übrigens auch nicht, aber ich fürchte, dafür erlaubt Ihr mir keine Lösung.“

Roman verspürte tatsächlich für einen Herzschlag Enttäuschung bei der Vorstellung, dass Esterhazy so leichtfertig die Sagila-Trophäe weggab, sein Geschenk immerhin, eine Auszeichnung, die nur wenigen Menschen und noch nie einem Brandai vergönnt war. Aber noch bevor dieser Gedanke ganz gedacht war, begriff er, dass er dem Baron Unrecht tat.

Esterhazy sah ihn über das Feuer hinweg an und legte nun die Hände auf die Knie und setzte sich zurecht. „Es ist doch so“, begann er und ruckte noch ein wenig an dem Brennmaterial, das leise zischte, als eine eingeschlossene Wasserblase verdampfte, worauf er die Hand hastig zurück zog. „Kai hat einen Fehler gemacht und wird bestraft. Aber weil das Fell dem Fürsten gehört, hat er auch Euch beleidigt, was wiederum bedeutet, dass sein Schwertherr ihn nicht gut genug beaufsichtigt oder ausgebildet hat oder meinetwegen Udo zu leichtfertig war. Weil sie aber Ritter sind und Ihr sie nicht einfach bestrafen könnt, bekommt der schuldige Knappe diese Strafe auch noch ab. Dennis weiß das und deswegen ist er da draußen und hadert mit sich selbst. Kai weiß das und deshalb ist er zwar halbtot, aber nicht entehrt. Damit sind dann alle anderen auch zufrieden. Ist es so?“ Es war eine sehr brandaianische Sichtweise der Dinge, aber der Baron hatte wirklich den Kern erfasst. Roman war verwundert über sich selbst, wie sehr ihn das freute.

„Es ist eine Frage des gegenseitigen Respektes“, erklärte er und Esterhazy seufzte. „Das habe ich wohl verstanden. Aber bitte gesteht mir zu, auch meinen Respekt deutlich zu machen. Dennis kommt doch zurück, oder?“

„Ritter Dennis wird spätestens morgen früh zum Aufbruch bereit sein. Sein Knappe übrigens auch.“

Esterhazy fuhr auf: „Wir reiten morgen weiter? Der Junge wird nicht mal stehen können!“ Roman wurde klar, dass der Baron die Handlungsweise der Gorderley zwar verstand, aber deshalb noch lange nicht gut hieß. „Sorgt Euch nicht um den Knappen. Ritter Dennis ist kein Mann, der das Augenmaß verliert. Kai wird morgen seine Pflicht tun. Und um auf Eure Bitte zurück zu kommen: Es wäre kein Geschenk, wenn Ihr nicht über Eure Beute verfügen dürftet. Ihr solltet aber bedenken, dass Eure Großzügigkeit den Ritter mehr verpflichten wird, als Euch möglicherweise lieb ist.“

Esterhazy riss ein Grasbüschel aus und schleuderte es in die Flammen. „Ja, das Problem kenne ich allerdings“, murmelte er nachdenklich. Es knisterte und zischte, als die Samenkapseln zersprangen und kleine Funken stoben empor, so dass Esterhazy ein Stück nach hinten rutschte, um nicht getroffen zu werden. Der Fürst verfolgte das Manöver abwesend. Esterhazy verhielt sich in vielen Belangen so gordisch, dass man leicht vergaß, wie durch und durch brandaianisch er eigentlich war. Er räusperte sich: „Ich muss Euch um Verzeihung bitten, Baron.“ Esterhazys Kopf zuckte hoch „Wie bitte?“

„Es war mein Wunsch, Euch Gorderley zu zeigen. Wenn Ihr deswegen eine Verpflichtung spürt, so ist diese mit Eurer Nachsicht gegenüber unseren seltsamen Sitten bereits abgegolten. Ihr schuldet mir nichts!“

Esterhazy wollte widersprechen, aber der Fürst hob die Hand und erklärte nachdrücklich: „Die Beziehungen unter den Rittern in Gorderley sind geprägt von gegenseitigen Abhängigkeiten, aber der Fürst steht über allen Rittern. So wenig wie seine Position in Frage gestellt wird, ist seine Gunst zu kaufen oder muss entgolten werden.“ Er lachte leise und faltete die Hände. „Ich spreche von mir, falls das noch nicht klar sein sollte.“

Jetzt lachte auch Esterhazy, wenn auch nur verhalten, „Gorderley ist ziemlich kompliziert!“

„Das könnte ein Gorderley auch von Brandai behaupten.“

Ungewöhnlich fügsam nickte Esterhazy und streckte dann die Beine nacheinander aus: „Ich würde mich gern zurück ziehen?“

„Erlaubt Ihr mir noch eine Frage?“

Der Baron war bereits aufgestanden und hielt inne.

„Was wollt Ihr mit dem Fetzen vom Behang. Es war das erste, dass Ihr angesehen habt.“

Verlegen zog Esterhazy das Fellstück aus der Tasche. Es war inzwischen trocken und hart, aber die langen Haare schimmerten sogar im Mondlicht. „Ihr wollt es vielleicht lieber nicht wissen“, wich er aus, aber die Augen des Fürsten ließen ihn nicht los und so seufzte er ergeben. „Meine Schwester Isabella hat ein kleines Mädchen. Irmingard. Über eine Puppe mit diesen Haaren würde sie sich sehr freuen. Ich dachte, wenn es doch sowieso Abfall ist….aber wenn Ihr meint, dass es sich nicht gehört ...“ Er verstummte und wickelte die Haare über dem Zeigefinger zu einer Locke und schüttelte sie wieder ab.

Der Fürst kannte keinen Menschen, der ihn an einem einzigen Tag so oft überraschen konnte wie Esterhazy. Er winkte ein wenig fassungslos ab. „Ich hoffe, dass ich die Dame einmal kennen lerne. Nehmt das Fell und tut, was Ihr für richtig haltet, mit jedem einzelnen Teil. Ich wünsche Euch eine angenehme Ruhe.“

Axel erwachte kurz vor Sonnenaufgang und huschte zur Quelle, wo er des Abends einige Tücher in den kümmerlichen Ablauf gelegt hatte. Über Nacht waren sie vollgesogen und tropften, als er sie aufnahm. Sorgsam pflügte er einige Halme ab, die sich in den Fasern verfangen hatten, faltete die Tücher locker zusammen und brachte sie zum Zelt, wo der Fürst sich bereits bewegte. Axel füllte einen Becher mit Wasser und suchte das Stäbchen aus Elfenbein heraus, mit dem der Fürst des morgens seine Zähne reinigte und legte alles bereit.

Fürst Roman betrachtete kurz die feuchten Tücher und griff nach dem obersten, um sich Gesicht und Arme abzuwischen und nickte Axel anerkennend zu. Die Gorderley wuschen sich für gewöhnlich zweimal am Tag, und betrieben überhaupt einen unerklärlich Aufwand um Sauberkeit, aber Axel hatte sich längst daran gewöhnt. Die kleine Quelle gab allerdings nicht genug Wasser, für eine ausgiebige Morgenwäsche und so nahmen auch Udo und Aik erfreut die feuchten Tücher und rieben sich gründlich ab. Udo schlug mit dem Lappen freundschaftlich nach Axel und sagte zu Pale: „Nimm dir ein Beispiel an dem Brandai, der denkt wenigstens über seine Nasenspitze hinaus.“ Es klang aber nicht verärgert und Pale senkte zwar pflichtbewusst beschämt den Kopf, zwinkerte Axel aber fröhlich zu.

Dennis hockte neben Kai, der noch immer auf dem Bauch lag und und sprach leise auf ihn ein. Axel wartete höflich einige Schritte entfernt, bis der Ritter seinen Knappen mit der Faust leicht gegen den Kopf knuffte und sich erhob. Sein Gesicht war staubig und hinterließ schwarze Spuren in dem Waschtuch, während er Axel mit einem unbestimmten Blick musterte. Unterdessen stützte Kai sich auf die Ellbogen und stöhnte leise. Axel wollte ihm helfen, aber Dennis warf ihm das schmutzige Tuch zu, und schickte ihn mit einer energischen Handbewegung fort.

Pale entfachte bereits ein Feuer und Axel füllte gerade ihre kleine Pfanne mit Kaffeebohnen, als der Fürst ihn rief. Fast täglich unterrichtete er seinen zeitweiligen Knappen, ein Privileg, um dass Axel von den anderen Knappen glühend beneidet wurde, auch wenn er stets fürchtete, den Ansprüchen seines Herrn nicht gerecht zu werden.

Auf einen Wink holte er sein Pferd und folgte dem Fürsten mit bangem Gefühl einige hundert Schritte in die Steppe hinaus, denn ohne Sattel und Zaumzeug war sein gordisches Ross nur schwer zu bändigen.

Es stellte sich heraus, dass er heute gar nicht reiten sollte. Der Fürst zeigte ihm, wie man ohne Steigbügel und Sattel auf- und abstieg und dann durfte Axel üben. Nur die ersten Male hielt der Fürst dabei das Pferd am Führstrick fest, danach war er auf sich gestellt. Erst nach einigen Fehlversuchen gelang es ihm, die richtige Stelle an Widerrist und Mähne zu packen, um den Schwung seines Anlaufes in einen Aufsprung umzusetzen, aber selbst wenn er oben auf dem Pferderücken ankam, konnte er sich dort nicht halten, da sein Pferd sofort los lief, wenn es den Reiter auf dem Rücken spürte. Immerhin hatte er in den letzten Wochen schon gelernt, sich bei Stürzen weich abzurollen, so dass er sich mit Ausnahme einiger Abschürfungen nicht verletzte. Der Fürst beobachtete seine Bemühungen und gab hin und wieder einen Hinweis, aber obwohl Axels Bewegungen mit der Zeit flüssiger wurden, blieb ihm ein Erfolg verwehrt. Mit gesenktem Kopf blieb er stehen, als der Fürst die Übung schließlich beendete. Ein gordischer Knappe hätte jetzt mit Tadel oder Strafe rechnen müssen, aber der Fürst zeigte sich ihm gegenüber immer nachsichtig. Anfangs war er froh darüber gewesen, aber inzwischen wünschte er sich manchmal, einfach wie ein gordischer Knappe behandelt zu werden, und nicht wie ein schonungsbedürftiger Brandai.

„Wir machen mit dem Schwert weiter“, befahl der Fürst und Axel beeilte sich, seine Waffe aufzuheben und sich in Position zu bringen.

Der Fürst gewährte ihm mehr als eine halbe Stunde, und Axel war am Ende so erschöpft, dass seine Beine zitterten und seine Arme schmerzten, als wäre er verprügelt worden.

„Deine Rückhand ist stärker geworden“, lobte der Fürst, „aber du bist zu langsam. Keine Technik ersetzt Beweglichkeit.“ Er trat einen Schritt zurück und Axel verhedderte sich beinahe in seinem Schwertgurt, als er schnell seine Waffe einsteckte. „Ich werde mich bemühen“, versprach er ernsthaft und blickte den Fürsten aufrecht an. Pale und Kai verbrachten tatsächlich viel mehr Zeit mit unangenehmen Kraft- und Ausdauerübungen als mit richtigen Kämpfen, da musste er sich zukünftig wohl anschließen, obwohl er lieber besser fechten lernen würde.

Unter dem strengen Blick des Fürsten rieselte Axel ein kalter Schauer den Rücken hinab. Er kann es nicht wissen, dachte er mit einem Anflug von Panik.

„Möchtest Du mir etwas sagen?“

Er wusste es scheinbar doch. In der Nacht war Axel aufgestanden und hatte sich mit einem Wassersack zu Kai geschlichen. Der Knappe hatte ihn erst ungläubig angesehen, aber dann gierig getrunken und sich den Rücken mit einem kühlen Tuch abtupfen lassen. Alles war wortlos vor sich gegangen und im ganzen Lager hatte sich nichts geregt. Später hatte er das Tuch sorgfältig ausgewaschen und den Wassersack wieder an den Quell gelegt, so dass er des Morgens aufgefüllt war.

Axel hielt den bohrenden Augen nicht lange stand und sah zu Boden, aber da der Fürst keine Anstalten machte, ihn zu entlassen hob er den Kopf wieder und straffte die Schultern. „Ich habe Kai Wasser gebracht.“

„Gegen meinen Befehl“, stellte der Fürst fest und es war nicht zu erkennen, ob er verärgert war oder nur eine Tatsache feststellte.

Axels Mund war staubtrocken und er hätte jetzt gern ebenfalls einen Schluck getrunken. „Ihr..habt es nicht wirklich verboten“, entgegnete er beklommen.

„Doch das habe ich und du weißt es“, korrigierte der Fürst.

Axel gab auf. „Ja“, sagte er einfach und wartete auf das Ungewitter, dass nun über ihm ausbrechen würde, aber es geschah gar nichts. Die Sonne stieg am Himmel empor und wärmte seinen Rücken, vom Lager klangen Alltagsgeräusche herüber, sein Pferd reckte sich nach einem Grasbüschel, ohne sich von der Stelle zu bewegen und obwohl es jetzt völlig unwichtig war, wurde Axel klar, dass es wohl abgerichtet war, stehen zu bleiben, solange die Führleine am Boden schleifte. Ob der Fürst ihm noch eine Gelegenheit geben würde, dieses Wissen zu nutzen?

Er fiel auf die Knie: „Ich bitte um Vergebung. Es schien mir das Richtige, aber ich hätte Eurem Befehl nicht zuwider handeln dürfen.“

Roman schaute auf den Knappen hinab. Es war wirklich erstaunlich, was aus dem schüchternen Jungen geworden war, den Graf Hochfels ihm abkommandiert hatte, als er ohne Diener zu den Truppen vor Langweiler stieß. Der junge Brandai hatte sich damals nach Kräften bemüht, ihm zu dienen, aber erst in Gorderley blühte er auf, wie ein Veilchen in der Frühlingssonne. Der tägliche Kampf gegen seine Defizite auf fast allen Gebieten gordischen Knappentums hatten sein Selbstbewusstsein gestärkt, statt es gänzlich zu zerrütten. Das bewies Charakter, befand Roman und ließ ihn erbarmungslos knien, zumal sich Axel eine sehr ungünstige Stelle ausgesucht hatte: Amüsiert beobachtete der Fürst die Ameisenkolonne, die über den Oberschenkel des Knappen krabbelte und unter dessen Wams verschwand. Er wartete auf das erste Zusammenzucken und dann kam es auch schon, aber außer einem leichten Verspannen der Schultern, verblieb Axel in seiner Stellung. Strafe muss sein, dachte Roman, aber als Udo am Rand des Lagers erschien und Ausschau hielt, entschied er, dass es für den Brandai reichte und gebot: „Steh auf. Mitleid ist eine ritterliche Tugend. Gehorsam auch. Bedenke bei deinen Entscheidungen sorgfältig die Konsequenzen.“

Axel sprang hastig auf, aber er widerstand der Versuchung, sich die Ameisen aus dem Wams zu schütteln, bis der Fürst sich abwandte. „Ich danke Euch, Herr“, rief er und zählte mit zusammengepressten Zähnen die Schritte des Fürsten bis zehn, bevor er sein Hemd aus der Hose zerrte.

Die nächsten Tage rasteten sie öfter und Esterhazy kam der Gedanke, dass es nicht mehr seinetwegen geschah, sondern aus Rücksicht auf Kai. Die meiste Zeit wurde der Knappe zum Dungsammeln ausgeschickt. Die getrockneten Kuhfladen waren ein gutes Brennmaterial und Esterhazy überlegte bereits, ob man den Mist in Sturmingen nicht ähnlich nutzen konnte. Im brandaianischen Hochland gab es zwar genug Buschholz zum feuern, aber die trockenen Fladen brannten langsam, ähnlich wie Torf und kosteten nichts. Das mochte für seine Leibeigenen manche Winternacht erträglicher machen.

Kai kam zuverlässig zu den Rastplätzen und kümmerte sich um das Feuer, am ersten Tag noch mit sichtlichem Schmerz, aber ohne von irgend jemandem Mitleid zu erwarten. Niemand verlor ein Wort darüber, dass der größte Teil der Arbeit von den beiden anderen Knappen erledigt wurde. Es gab eine so seltsame schweigende Übereinstimmung zwischen allen Gorderley und Axel, dass sich Esterhazy beinahe ausgeschlossen fühlte.

Dennis hatte sich schlichtweg geweigert, das Gehörn des Sagila anzunehmen und es fehlte nicht viel und er wäre vor Esterhazy auf die Knie gefallen, um ihm zu danken. „Sie bestrafen mich mit Respekt“, klagte der Baron später, als er mit dem Fürsten ihrem nächsten Rastplatz entgegen ritt. Der hüllte sich in beredetes Schweigen und so blieb Esterhazy nichts anderes übrig, als den unverdienten Rang zu akzeptieren, den ihm die Ritter aufdrängten.

Die strahlenden Sonnentage blieben ihnen erhalten, aber in den Nächten wurde es empfindlich kalt und eines Morgens glitzerte der Tau auf den Gräsern in Myriaden Eiskristallen. Esterhazy verschlug es beinahe den Atem, als er aus dem Zelt krabbelte. Das Gras knirschte unter seinen Stiefeln auf dem Weg zum Abort, doch schon auf dem Rückweg schmolz die Glitzerpracht unter der aufsteigenden Sonne. Er schlürfte den heißen Kaffee und fragte sich, was diese Reise noch an Überraschungen für ihn bereit hielt: Diamanten aus Wasser – kein Mensch im Samland würde ihm das abnehmen.

„Heute Nacht haben wir wieder ein Dach über dem Kopf“, verkündete Udo fröhlich. Er zumindest sprach noch, ohne dass Esterhazy sich wie auf einem unsichtbaren Podest vorkam. „Wir werden in Kamen Halt machen. Aik und Dennis haben darum gebeten, den Fürsten einladen zu dürfen. Erwartet nicht zuviel, aber zumindest ein warmes Bett werden sie für Euch haben. Unsere Ziegen sind ihre Gänse. Nicht wahr?“, wandte er sich an Aik, der ein Stück hinter ihnen ritt. Der Kamener grinste stolz: „Unsere Federn sind wärmer sind als Eure Ziegenwolle. Gebt zu Udo, dass Ihr nur mit gekommen seid, um ein paar Säcke zu erstehen. Was kann einen Godefeller sonst aus seiner Burg locken?“ Er sah Esterhazy an. „Es ist uns eine Ehre, Euch und den Fürsten auf unserem Hof zu beherbergen. Ich hoffe, Ihr werdet zufrieden sein.“

„Das werde ich zweifellos.“ Die Gorderley hatten ja keine Ahnung, wie schlicht es im Samland zuging. Esterhazy erinnerte sich an manche Wochen im Frühjahr, in denen sie hofften, von jeglichem Besuch verschont zu bleiben, weil es in Haus und Hof kaum noch etwas Essbares gab, das man einem Gast anbieten konnte.

Kamen überraschte ihn dann trotzdem. Es stellte sich nicht als Landsitz oder Lehen heraus, sondern als der Name des Weilers, aus dem die beiden Brüder stammten, und ihr Hof war tatsächlich genau das: Ein kleiner unabhängiger Bauernhof am Rande des Dorfes, den in ihrer Abwesenheit Aiks Gattin mit zwei Knechten und drei Mägden bewirtschaftete; auf dem Altenteil lebten ihre Eltern mit einem weiteren alten Knecht.

Nach dem Begrüßungstrunk zeigte Dennis ihnen voller Stolz das Anwesen und führte den Fürsten und Esterhazy schließlich in eine Schlafstube mit zwei in die Wände eingebauten Kastenbetten, einem Schrank und zwei Stühlen. Esterhazy hatte den Verdacht, dass sie gerade seinen persönlichen Raum in dem kleinen Haus besetzten. Als sie allein waren, stand er verlegen vor dem Bett und beobachtete, wie der Fürst die Kissen in seinem Alkoven prüfte und sich zufrieden anlehnte. „Sollte ich nicht woanders schlafen?“

„Ich fürchte, dann bliebe nur der Stall“, entgegnete der Fürst, „unsere Gastgeber wären untröstlich, wenn Ihr Euch das zumuten würdet.“

„Mich fragt ja auch keiner“, erwiderte Esterhazy etwas grantig und legte sich rückwärts in die Bettnische. Die Kissen waren wirklich sehr weich und schmiegten sich kuschelig um seinen Nacken.

„Aber Ihr wollt doch Eure Verpflichtung als Gast ernst nehmen.“

„Vielleicht lassen sie mich ja melken. Dann bin ich zur Abwechslung mal von Nutzen.“

„Ich bitte Euch, davon abzusehen.“

Esterhazy knallte mit dem Kopf gegen die Umrandung des Alkovens, als er sich ruckartig aufrichtete. Noch nie war er von Fürsten so direkt ermahnt worden, zudem in einem Ton, der keinen Widerspruch erlaubte.

Nur wenig versöhnlicher fuhr der Fürst fort: „Ihr versteht noch immer nicht, was es für Ritter Aik und Ritter Dennis bedeutet, dass wir hier sind. Dass Ihr sie in ihrem Haus besucht. Es ist eine Ehre für sie. Daher solltet Ihr Euch Eurem Rang entsprechend verhalten. Seid ein guter Gast. Nehmt an, was man Euch gibt. Diese Menschen wollen einen ehrenwerten Ritter bewirten, keinen Melker! Das ist der Nutzen, den Ihr ihnen bringt!“ Der Fürst hatte nicht einmal die Stimme erhoben, aber sein Ernst beschämte Esterhazy so sehr, dass ihm jeder Widerspruch im Hals stecken blieb. Er rieb sich die anschwellende Beule auf der Stirn und betrachtete verlegen den Teppich zu seinen Füßen. Nach einem Moment der Stille sprach der Fürst weiter: „Baron Esterhazy, Ihr habt eine Stellung und einen Titel, derer Ihr Euch vor niemandem schämen müsst. Morgen werden wir Burg Ramenspringe erreichen, den Stammsitz von Ferdinand Erkandar. Man wird Euch dort als Vertreter des Königs von Brandai empfangen. Wenn Ihr eine Aufgabe sucht, dann solltet Ihr Eure Fähigkeiten einsetzen, um das Reich und Gorderley einander näher zu bringen.“

Esterhazy hob den Blick vom Boden. „Ich soll es mir nicht so leicht machen, das wollt Ihr doch eigentlich sagen.“ Der Fürst schwieg, aber sein Blick war unmissverständlich.

Nach einem seiner typischen tiefen Seufzer erklärte der Baron: „Ich verspreche, dass ich aufhöre, mich wie ein Kind zu benehmen.“

Der Fürst nahm diese Äußerung kommentarlos hin, statt sie in einer höflichen Formulierung abzumildern, und das war so brandaianisch, dass Esterhazy ihn perplex anstarrte und dann plötzlich zu lachen anfing. Auch die Mundwinkel des Fürsten zuckten verdächtig und plötzlich war die Spannung verflogen. Wie macht er das nur?, dachte Roman. Es war einfach unmöglich, dem Baron zu zürnen. Und damit hatte dieser sogar das letzte Wort, wenn er gar nichts mehr sagte.

Zum Abendmahl wurde Gänsebraten aufgetischt, dazu Kohl, der in Gorderley in diversen Farben und Zubereitungsarten bei kaum einer Mahlzeit fehlte, und mehlige Knollenfrüchte, die sich in der fettigen Bratensauce wunderbar zerquetschen ließen. Esterhazy gab sich größte Mühe, den Erwartungen gerecht zu werden. Er ließ sich den Teller solange füllen, bis er mit einem bedeutsamen Stöhnen seinen Gürtel um zwei Löcher lockern musste. Er umwarb die Hausfrau mit seinem ganzen Charme, bis ihre Wangen sich rosig färbten und ihre Augen strahlten. Er stellte den Verdienst der Brüder an seinen verbesserten Waffenkünsten hervor und lobte die Qualität des Weines, obwohl er davon keine Ahnung hatte, aber Aik kredenzte den Tropfen derart stolz, dass es sich zweifellos um einen edlen Tropfen handeln musste, geöffnet zur Ehre des Fürsten und seiner Wenigkeit.

Esterhazys Gordisch war inzwischen so gut, dass er kaum noch auf die Übersetzungen des Fürsten angewiesen war und auch nicht mehr lange überlegen musste, um sich auszudrücken. Und so fragte er Aik am späteren Abend ganz ungezwungen: „Ihr habt Eure Eltern noch gar nicht vorgestellt. Erwähntet Ihr nicht, dass sie auch auf Euren Gut wohnen? Sind sie nicht wohl?“

Der Fürst erhob sich und sagte in die plötzliche Stille am Tisch: „Ich ziehe mich zurück. Bleibt ruhig noch Baron. Ritter Aik, Ritter Dennis… meinen Dank für Eure Gastfreundschaft.“ Verwirrt starrte Esterhazy ihm hinterher. „Habe ich etwas Falsches gesagt?“ Die Brüder schauten betreten vor sich hin und Udo rutschte auf dem Stuhl hin und her. „Also.. ähm...“

„Ist es … ungehörig, sich nach jemandens Eltern zu erkundigen?“, fragte Esterhazy, „Aik, ich wollte Euch nicht beleidigen, im Gegenteil… wenn ich es wieder gut machen kann? Soll ich mich beim Fürsten entschuldigen?“

„Nein Baron, nein, so ist es nicht. Aik, Dennis! Ihr könnt es Baron Esterhazy erzählen, er ist doch aus dem Reich“, rief Udo und blickte die Kamener in komischer Verzweiflung an, aber Aik und Dennis schwiegen weiter und starrten bedripst auf den Tisch. „Wieso immer ich?“, jammerte Udo, was Aik immerhin dazu brachte, aufzusehen. „Du bist Gernots Sohn.“

Esterhazy schob seinen Stuhl zurück. „Udo ist nicht mein Kindermädchen, egal was Ritter Gernot befohlen hat. Falls ich wieder in einen Fettnapf getreten bin, wäre ich Euch sehr verbunden, wenn ihr mich aufklärt. Ansonsten ist es wohl besser, dass ich jetzt ebenfalls gehe.“ Und mir doch einen Platz im Stall suche, dachte er, denn wie sollte er die Nacht in der gemeinsamen Stube verbringen, wo der Fürst ihn gerade so deutlich angewiesen hatte, ihm nicht zu folgen? Soviel gordische Etikette, verstand er dann doch.

„Es hat gar nichts mit Euch zu tun, Baron. Es ist nur so….“, Udo raufte sich die Haare, suchte nochmal mit flehendem Blick die Unterstützung der Brüder und stöhnte schließlich: „Leif von Kamen, also der Vater von Aik und Dennis.. ist in Unehre gefallen.“

„Das...wusste ich nicht.“ Betroffen legte Esterhazy die Hand vor seinen Mund. So etwas posaunte man natürlich nicht hinaus. Wie peinlich. Aber die Mienen der drei Gorderley zeigten keinen Vorwurf. Die Kamener wirkten fast gleichmütig und Udo… Udo war eindeutig verärgert. „Er musste sich zur Feigkeit vor dem Feind bekennen und deshalb aus Erkandars Gefolge austreten.“

„Ritter Erkandars“, warf Dennis ein.

„Ja, ja, aus Ritter Erkandars Gefolge. Aber Schuld an der Sache war eigentlich Bertram.“

„Hochritter Bertram“, verbesserte Aik.

Udo funkelte ihn an: „Soll ich nun erzählen, oder willst du?“

Aik sagte nichts und so fuhr er schließlich versöhnlicher fort: „Ihr habt ja schon gemerkt, dass Hochritter Bertram nicht so gut auf uns zu sprechen ist.“

„Ich dachte, das läge an dem Reitunfall.“

„Deshalb hasst er mich, aber den Kamenern hat er auch übel mit gespielt. Das war nämlich so:

Ihr Vater war in Hochritter Erkandars Auftrag unterwegs.“ Er machte eine Pause und wartete offenbar auf Zustimmung. Als Aik und Dennis zufrieden nickten, nahm er die Erzählung wieder auf: „Er hatte schon alles mit Hochritter Bertrams Gemahlin besprochen. Die lebte da noch. Klar, sonst hätten sie ja nichts besprechen können. Sie hat immer alles geregelt, wenn Bertram unterwegs war. Aber gerade, als das Geschäft per Handschlag abgeschlossen war, kam der edle Bertram von Tarafall und erklärte alles für hinfällig. Leif hätte Tarafall übervorteilt. Stimmte gar nicht, das war nur wieder einer von seinen Ausbrüchen, Bertrams meine ich“, Udo ereiferte sich immer mehr,

„jedenfalls reiste Leif dann ab und machte das Geschäft mit meinem Vater. Das hat Bertram natürlich erst so richtig wütend gemacht, wir lagen damals ja auch schon in Fehde.“

„Es ist nie gut, sich mit einem Hohen Ritter zu streiten“, bemerkte Dennis trocken, „Vater musste dafür bezahlen.“

„Ja, leider.“ Udo war keineswegs so gelassen und höflich wie die Brüder. „Als Leif von Kamen nämlich ein paar Wochen später mit ein paar anderen von einem Barbarentrupp überrascht wurde, konnten sein Dom und er sich als einzige freikämpfen. Vier Mann mussten sie zurück lassen. Hochritter Bertram beschuldigte Leif daraufhin der Feigheit. Flucht vor dem Feind und so weiter. Und als Leif das bestritt, fühlte Bertram sich der Lüge bezichtigt und forderte ihn. Wozu das führt, wissen wir ja: Bertram von Tarafall war ein großer Kämpfer und er gab sich nie mit weniger als dem Tod seines Gegners zufrieden. Aber Leif war jung verheiratet, Aik und Dennis waren...wie alt wart ihr?“

„Aik fünf Jahre und und ich vier“, antwortete Dennis knapp.

„Genau. Und da gab ihr Vater zu, dass der Hochritter Recht hatte. Mit so einer Schmach konnte er natürlich auch nicht Ritter bei Erkandar bleiben.“

„Hochritter Erkandar!“, verbesserten Aik und Dennis gleichzeitig.

„Ja doch!“ Udo sprang auf und stemmte die Fäuste auf den Tisch: „Leifs Dom war ja auch entkommen und erzählte jedem die wahre Geschichte. Das passte Hochritter Bertram natürlich gar nicht. Hat seinem Ruf ziemlich geschadet und seitdem hetzt er gegen Kamen, wo er kann. Aber Leifs Ehre ist dahin, er kann sich an keiner Rittertafel mehr sehen lassen, auch nicht hier in seinem eigenen Haus. Das wäre eine Beleidigung für den Fürsten. Und für Euch natürlich auch. Ihr seid schließlich ein Baron. Deshalb können Dennis und Aik Ihren Vater nicht vorstellen. So, nun kennt Ihr die Geschichte.“ Schwer atmend ließ er sich wieder auf seinem Stuhl nieder. Esterhazy hütete sich, seinem ersten Impuls nachzugeben und den Brüdern seine Entrüstung zu zeigen. Wenn die gordische Ehre eine Begegnung verbot, sollte er das hinnehmen. „Ich… bin sicher, dass es für Euren Vater eine große Freude ist, seine Söhne bei seinem alten Herrn im Dienst zu wissen.“

Aik nickte gemessen. „Hochritter Ferdinand forderte uns in sein Gefolge, sobald wir freigesprochen wurden. Erst mich und ein Jahr später Dennis.“

Udo grinste schon wieder. „Ich wette, Bertram hat sich vor Wut in den Hintern gebissen, als er davon erfuhr.“ Auch Aik konnte sich sein Schmunzeln nicht verkneifen. „Euer Vater hat es ihm ja brühwarm erzählt.“ Jetzt sah er Esterhazy endlich an. „Unsere Familien sind seitdem freundschaftlich verbunden. Ich war Knappe bei Udos älterem Bruder und als ich freigesprochen wurde und Ritter Serman die Nachricht erhielt, dass ich nach Rahmenspringe kommen solle, hat Gernot sogar einen Boten nach Tarafall geschickt, um die Botschaft zu verkünden.“ Sein Bruder ergänzte ernster: „Ihr habt Recht Baron. Unser Vater ist sehr glücklich, dass wir Hochritter Ferdinand dienen dürfen. Und nun ist sogar der Fürst bei uns zu Gast, und Ihr auch. Das ist eine große Würdigung.“

Esterhazy kam eine Idee. Wenn die Kamener unbedingt einen brandaianischen Baron in ihrem Haus ehren wollten, sollten sie ihn bekommen. Dann aber auch richtig. Er musste es nur geschickt anfangen…. „Ritter Aik, Ritter Dennis, ich danke Euch für die Freundlichkeit, mich über die sicher schmerzlichen Geschehnisse zu aufzuklären. Das gibt mir die Gelegenheit zu einer Bitte.“

„Was immer Ihr wünscht, Baron.“ Die drei Gorderley warteten aufmerksam, dass er weiter sprach und Esterhazy formulierte langsam, jedes Wort abwägend: „Ich bin Gast in Eurem Hause als Ritter und Baron Brandais. Aber ich bin auch der Sohn meines Vaters, Gerhard Esterhazy. Ist es möglich, als solcher, bei einer… zufälligen Begegnung mit Eurem Vater, seine Grüße auszurichten?“ Jedem im Raum war völlig klar, dass es keinerlei Grüße gab, die ein Baron Gerhard Esterhazy an einen unbekannten Gorderley zu übersenden hatte, ob nun mit Titel oder ohne. Aber wenn sich Esterhazy nur als Sohn vorstellte, der einen Vater im Namen eines anderen Vaters seine Achtung erwies, entfielen die offiziellen Beschränkungen von Rang und Ehre. Trotzdem blieb er ja ein Mann von hohem Ansehen und eine Begegnung mit Leif von Kamen stellte eine Würdigung dar. Es war eine absurde Konstruktion, aber die gordischen Ehrbegriffe waren nicht weniger absurd, warum also nicht einen Versuch wagen. Als er in Aiks aufgerissene Augen sah, wusste er, dass er richtig lag. „Das würdet Ihr tun?“

„Es ist mir eine Freude“, versicherte Esterhazy. „Ich gedenke, mir morgen früh noch ein wenig die Füße zu vertreten, bevor wir abreisen. Vielleicht laufe ich bis hinter Euren Gänsestall. Sah ich dort nicht eine Bank?“

Sprachlos nickte Aik und Dennis sog so tief den Atem ein, dass er anschließend mit einem Schluckauf zu kämpfen hatte. „So – hck – so ist es, Baron.“

„Ein sehr guter Ort, um die Sonne aufgehen zu sehen. Schickt doch bitte eine Magd, um mich rechtzeitig zu wecken. Ich fürchte, ansonsten geben Eure Daunendecken mich nicht mehr her.“

Esterhazy erhob sich. „Ich empfehle mich. Meinen besonderen Dank an Eure Gemahlin, Aik. Dieses Fruchtgelee war köstlich.“

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