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Rahmenspringe

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Burg Ramenspringe.

Esterhazy kannte Burgen, das Königreich war voll davon und Burg Telmhorst in Undidor konnte sich die größte und schönste aller Festungsbauten nennen. Aber Ramenspringe war keine Festung. Es war eine Stadt.

Zwei Doppelmauern umgaben den eigentlichen Kernbereich, mit einer halben Meile Abstand. Sie waren breit genug für vier Reiter nebeneinander und alle hundert Schritte führten Rampen auf die Mauerkronen. Selbst die Stadtmauer von Undidor hatte keine größeren Ausmaße. Die Tore standen offen, aber ein mächtiges Gitter schwebte über dem Durchgang und seitlich hingen zwei Torflügel aus eisenverstärktem Holz in gefetteten Angeln. Vier Wachen beobachteten den regen Verkehr und kontrollierten hin und wieder Wagen und Personen.

Der Ramen durchquerte den Ring als natürlicher Fluss, im Innern in zahlreiche Nebenarme aufgeteilt, die mit Steinen eingefasst ein künstliches Kanalsystem bildeten. An den Rändern standen Wäscherinnen mit ihren Körben, es gab Bereiche, wo das Vieh getränkt und andere Stellen, wo Wasser geschöpft wurde und Esterhazy sah auch zwei Wasserräder – möglicherweise für eine Mühle? Er kam aus dem Schauen nicht heraus. Saubere Katen und manchmal sogar zweigeschossige Häuser mit flachen Dächern reihten sich entlang der Wasserkanäle, dazwischen gab es kleine Äcker, Koppeln, Stallungen. Die Hauptwege waren mit glatten Steinen gepflastert, an deren Seiten Wasserrinnen liefen, die so frei von Mist und Staub waren, als ob sie täglich geputzt würden.

Sie ritten im Schritt auf die eigentliche Burg zu, vorbei an Marktständen und Händlern. Gegen die überwältigende Vielfalt der brandaianischen Märkte war das Angebot eher bescheiden: Kartoffeln, Getreide, Kohl, Kürbisse. Kaum Obst außer Äpfeln. Dafür wurde Fleisch in Hülle und Fülle angepriesen, lebend und tot, zerteilt oder ganze Rinder und Schweine, die an Querstangen baumelten und ausbluteten.

Schließlich erreichten sie das ebenfalls gewaltige Tor zur Hauptburg, die sich einen Felshang hinauf schachtelte. Auch hier wirkten die ersten beiden Höfe eher wie Marktplätze oder Gewerbeviertel, aber mit dem Unterqueren eines weiteren Tores wurde es schlagartig ruhiger. Halbmondförmig öffnete sich ein sandbedeckter Innenhof, eingefasst von niedrigen Steinbauten. Eine Gruppe gerüsteter Krieger exerzierte unter dem Kommando eines Ritters, auf der anderen Seite des Hofes standen einige Knaben mit Langbögen in der Hand und zielten auf eine Scheibe. Direkt gegenüber lag ein künstlicher Teich, in den sich aus dem Maul eines steinernen Drachens ein Wasserstrahl ergoss. Die Stufen eines geschwungenen Doppelaufganges aus rotem Granit rahmten den Brunnen ein. Roter Granit verkleidete auch die Mauern des Hauptbaus, wobei die Farbe des Steins in den beiden oberen Stockwerken immer heller wurde, was dem Gebäude trotz aller Wuchtigkeit eine Leichtigkeit verlieh, die für gordische Bauten ungewöhnlich war. Esterhazy kam aus dem Staunen nicht mehr heraus. Dies war ein Besitz, der auch einem König gerecht würde, und das sollte nur die Burg eines Vasallen sein?

„Erkandar ist eine der einflussreichsten Familien in Gorderley“, erklärte der Fürst, dem das Staunen des Baron nicht entging, „sie sitzen seit Urgedenken im Fürstenrat und in jeder Generation haben sie Helden hervorgebracht, die den Ruhm ihres Namens vergrößerten. Im letzten Krieg….“, er korrigierte sich, „ im vorletzten Krieg gegen Brandai, stellte Erkandar allein ein Sechstel der Truppen. Soviel Größe hinterlässt sogar in Gorderley Spuren.“ Er ließ den Blick die polierten Wände hinauf wandern. „Roter Marmor ist das Kennzeichen von Ramenspringe. Daher tragen die Ritter aus Erkandar auch rote Feldzeichen.“ Esterhazy sah sich unwillkürlich nach Aik und Dennis um, die ein Stück zurück geblieben waren und von ihren Pferden herab mit einigen Kriegern scherzten. Ihre Helme waren am Sattel befestigt, denn während der Reise durch Gorderley gab es keine Gefahren, die eine Vollrüstung erforderten, aber Esterhazy erhaschte dennoch einen Blick auf die rote Raute, die sich deutlich vom dunklen Metall des Gesichtsschutzes abhob. In der Drei-Tage- Schlacht war er zu sehr mit Überleben beschäftigt gewesen, um auf solche Feinheiten zu achten, aber nun erinnerte er sich, dass fast alle gordischen Ritter Zeichen oder sogar Intarsien an ihren Rüstungen trugen. „Es zeigt die Zugehörigkeit zu einem Haus?“, vergewisserte er sich. Der Fürst nickte und bevor Esterhazy die Frage stellen konnte, ergänzte er: „Eine Muschel, Baron. Das Zeichen des Fürsten von Gorderley ist eine weiße Muschel auf dunkelblauem Grund. Und ich kann Euch nicht sagen, wie es dazu gekommen ist. Im Übrigen werden wir erwartet.“ Er deutete nach vorn.

Obwohl sie auf dieser Reise schon mehr als vier Dutzend Male bei Lehnsleuten des Fürsten genächtigt hatten, war kein Willkommen wie das andere gewesen, mit Ausnahme des Begrüßungstrunkes, der stets noch im Hof gereicht worden war. Diesmal schien sogar von dieser Regel eine Ausnahme gemacht zu werden.

Der Mann in dunklem Tuch, mit breitem Schwertgurt um die Hüften, kam gemessenen Schrittes die Treppe hinab, allerdings ohne Krug und Becher, die er auch schwerlich hätte tragen können, denn sein linker Arm war nur ein Stumpf, der in einer Hand endete, die grotesk aus seiner Schulter ragte. Ein Krüppel, grässlich entstellt von den Göttern, und dies wohl schon von Geburt an, denn eine Kriegsverletzung hatte den Mann eindeutig nicht verstümmelt, und dennoch in offizieller Funktion und ohne eine Spur von Scham – Esterhazy fühlte seinen Magen rebellieren. Im Durcheinander des Absitzens gewann er ein wenig Zeit, um sich zu fassen. Krüppel waren von den Göttern verflucht und von den Menschen nur geduldet, um Milde und Barmherzigkeit zeigen zu können, aber wer sich zu sehr mit ihnen abgab, lief in Gefahr, den Fluch auf sich zu ziehen. Fürchteten die Gorderley denn gar nichts?

„Fürst Roman, im Namen meines Herrn heiße ich Euch auf Burg Ramenspringe willkommen.“ Der Mann war am Fuße der Treppe angekommen und verbeugte sich. „Mein Name ist Brungard. Ich bin Kastellan und habe die Ehre, Euch zu Ritter Erkandar zu geleiten. Ritter Aik“, er fixierte den Kamener, der näher trat und den Kastellan aufmerksam ansah, „ Ihr kümmert Euch um das Gepäck des Fürsten.“ Aiks Kopfnicken war kaum zu sehen, aber er wandte sich sofort den Packpferden zu und schubste dabei Axel, der wie angewurzelt neben ihm stand, so unsanft vor sich her, dass der Knappe stolperte und nur nicht hinfiel, weil der Ritter ihn an der Schulter packte und festhielt. Außer Esterhazy, der überall hinsah, nur um nicht den Kastellan anzusehen, bemerkte niemand den Zwischenfall, da sich alle Augen auf den Fürsten richteten.

„Ich grüße Euch, Kastellan Brungard. Es ist immer eine Freude, Ramenspringe zu besuchen. Darf ich Euch Baron Esterhazy von Samland und Rechen, Ritter des Königs von Brandai vorstellen?“

Wie eine Marionette stakste Esterhazy vorwärts und zwang sich, den Blick auf das Gesicht des Krüppels zu richten und die Monströsität seines Armes irgendwie zu übersehen. „Ich entbiete Euch meinen Gruß“, brachte er zu seinem Erstaunen in deutlichem Gordisch heraus und der Kastellan schien nicht zu bemerken, dass ihm die nächsten Worte in der Kehle stecken blieben. Im Namen von König Melgardon, wäre die korrekte Fortsetzung gewesen, aber damit würde er den Fluch der Götter direkt auf seinen König lenken, das brachte er nicht heraus. Der Fürst stellte auch Udo vor und dann folgten sie dem Kastellan die Stufen hinauf zu einer Empore, die in einer anderen Burg schon als kleiner Hof durchgegangen wäre. Hier bestand sogar der Boden aus glänzend polierten Granitplatten in verschiedenen Abstufungen von Rot, diesmal von hell zu dunkel, so dass die Farbe nahtlos in die des Gebäudes über ging. Esterhazy nahm alles wie durch einen Nebelschleier wahr. Wie würde es geschehen. Ein Schwerthieb im Kampf? Ein Unfall, eine Krankheit? Es musste nicht der Arm sein, vielleicht nahmen die Götter ihm auch die Beine oder nur einen Fuß? Und wann? Noch in Gorderley oder erst in Brandai?

„Baron, geht es Euch nicht gut“, hörte er den Fürsten fragen, als sie durch eine Flügeltüre das Gebäude betraten. Er schüttelte benommen den Kopf. Das Einzige, was ihn vor dem Fluch retten könnte, wäre, sich von dem Kastellan fern zu halten, und das war völlig unmöglich. Also blieb ihm nur übrig, seine Botschafterrolle zu spielen, bis das Schicksal ihn ereilte...

Um sich abzulenken, hob er den Kopf und musterte die schmucklose Eingangshalle, die bis auf die meisterhaft verlegten Böden keinerlei Pracht aufwies. Von der Decke hingen dünne Banner mit verschiedenen Hauszeichen, aber es war nicht erkennbar, ob sie eine Ehrengalerie oder eine Trophäensammlung darstellten. An den Wänden standen Gestelle mit Speeren, Rüstungen und Lanzen, so dass es beinahe nach einer Waffenkammer aussah, aber das Fehlen von Schwertern und die schlichten Stühle entlang der Wände sprachen dann doch wieder für einen Vorraum eines allerdings sehr mächtigen Hausherrn. Sie steuerten auf das Ende der Halle zu. Drei Türen waren in das Mauerwerk eingelassen, ebenfalls ohne Schmuck oder Kennzeichnung, was sich dahinter befinden mochte. Der Kastellan klopfte an der mittleren und öffnete sie. An ihm vorbei betraten sie einen großen Raum, der offensichtlich zum Wohnbereich von Familie Erkandar gehörte. Durch schmale Fenster fiel nur wenig Licht, aber an den Wänden hingen mehrere der seltsamen brennenden Vasen, die die Gorderley Lampen nannten und verblüffend hellen Schein warfen. In einem Kamin brannte zudem ein anheimelndes Feuer, den Boden bedeckten Teppiche und um die Feuerstelle verteilten sich mehrere gepolsterte Sessel.

Auf einem Tisch war ein einfaches Mahl angerichtet und eine Frau mit züchtiger Haube in einem fein gearbeiteten Gewand aus dunkelblauer Wolle bereitete soeben ein Tablett mit einem Krug und den üblichen Zinnbechern vor.

Am Kamin saß Hochritter Ferdinand Erkandar, der sich bei ihrem Eintreten erhob. „Fürst Roman, so früh haben wir nicht mit Euch gerechnet.“ Er nickte dem Kastellan zu: „Danke Brungard, leistet uns nach dem Abendmahl Gesellschaft, wenn es Eure Zeit erlaubt.“

Brungard neigte kurz den Kopf und schloss die Türe lautlos hinter sich.

Der Fürst stellte Esterhazy und Udo vor, der dem Hochritter die Grüße seines Vaters überbrachte und einige höfliche Fragen nach dessen Gesundheitszustand und dem Gang auf Godefell beantwortete, bevor Ferdinand Erkandar sich dem Baron zuwandte. In fast akzentfreiem Brando hieß er Esterhazy willkommen und bat schließlich seine Gattin, den Gästen den Begrüßungstrunk zu entbieten. „Betrachtet Ramenspringe als Euer Zu Hause, falls Euch dies möglich ist“, bot er an und es war das erste Mal, dass irgend jemand durchblicken ließ, dass er bis vor wenigen Wochen ein Feind gewesen war. Esterhazy nahm es ihm nicht übel. Man musste schon sehr hartgesotten sein, um keine Ehrfurcht vor dem gordischen Ritter zu empfinden. Obwohl bereits graue Strähnen seinen schwarzen Haarschopf durchzogen und er bestimmt fünfzig Jahre zählte, wirkte er stark und voller gebändigter Energie. Ganz sicher trug er sein Schwert nicht aus nostalgischen Gründen und seine Ausstrahlung kündete von Souveränität und Machtwillen.

Seit Brungard nicht mehr in seiner Nähe war, fühlte Esterhazy sich erheblich besser, und ohne langes Grübeln sprechen zu können, half ebenfalls. Auf Brando ordneten sich seine Gedanken einfach leichter und das hatte er gerade bitter nötig. Das Gespräch ging eine Weile um die Auflösung der gordischen Truppen nach dem Ende des Krieges und wandte sich dem Feldzug des Königs an der Küste zu. Erkandar wusste zu berichten, dass die Piraten geschlagen und vertrieben waren, Saladin hatte man nicht gefangennehmen können. Der König war unverletzt und befand sich mit seinem Heer auf dem Rückweg nach Undidor. „Ihr seid sehr gut informiert“, warf Esterhazy irgendwann ein. „Ihr seid nicht der erste Gast aus dem Königreich, der Ramenspringe besucht“, erwiderte Erkandar mit einem feinen Lächeln, „heute abend hoffe ich Euch einen Landsmann vorstellen zu dürfen.“

Sie saßen in den bequemen Sesseln vor dem Kamin: Der Fürst, Esterhazy und Udo auf der einen Seite, Erkandar auf der anderen. Die Hausherrin hatte sie nach dem Mahl allein gelassen und Udo übernahm ganz selbstverständlich die Bedienung, als der Burgherr nebenbei erwähnte, sein Knappe sei mit seinem Sohn auf der Jagd. Der Fürst horchte auf: „Julian ist hier? Es geht ihm gut?“, entfuhr es ihm. „Eireana stand uns in diesem Krieg bei. Mein Sohn ist unversehrt“, erwiderte Erkandar ernst. Neugierig beobachtete Esterhazy die beiden, denn solche Gefühlsausbrüche gab es nicht oft beim Fürsten, aber das Thema wechselte schon wieder: Wildbestand, das anhaltend gute Jagdwetter, sein Erfolg bei der Sagilasjagd, als plötzlich die Türe aufgerissen wurde und ein Mann herein stürmte, der wie das jüngere Ebenbild Ferdinand Erkandars aussah. Mitten im Raum blieb er wie angewurzelt stehen und starrte den Fürsten an. „Ihr!“, keuchte er ungläubig in die Stille des unterbrochenen Gespräches und Esterhazy fiel beinahe aus dem Sessel vor Überraschung. So hatte noch niemand mit dem Fürsten gesprochen und er konnte sich nicht vorstellen, dass das ausgerechnet an diesem Hof üblich war.

„Ich grüße dich, Julian.“ Der Fürst wandte sich dem Ankömmling zu und ging mit keiner Regung auf das beleidigende Verhalten ein.

Und dann passierte es unglaublich schnell.

Der Ritter zog sein Schwert, sprang zwei Schritte vor und zielte mit der Spitze seiner Klinge auf die Kehle des Fürsten.

In Esterhazys Kopf geschah alles gleichzeitig: Er wollte aufspringen und sein Schwert ziehen, wusste, dass was er auch tat, zu spät sein würde, sah aus den Augenwinkeln die Finger des Fürsten auf der Lehne des Sessels zucken, begriff, dass die Geste ihm galt, und fiel zurück auf das Polster, noch bevor sein Denken wieder einsetzte.

„Julian!“, rief Ferdinand Erkandar, beide Hände auf den Lehnen seines Stuhls gepresst und starr vor Entsetzen.

Julian hörte ihn nicht. Seine Augen waren auf den Fürsten geheftet, aber er brachte kein weiteres Wort hervor, obwohl seine Lippen bebten als hätten sie einen eigenen Willen. Die Klinge in seiner Hand zitterte allerdings nicht, auch als das lähmende Schweigen anhielt. Esterhazy hatte den Eindruck, dass der Ritter nur einen Auslöser brauchte, um endgültig die Beherrschung zu verlieren, und wagte nicht einmal zu blinzeln, während er überlegte, was er tun konnte. War es ein Komplott? Ferdinand Erkandar wirkte erschrocken, war aber ohne einen Versuch, seinen Sohn aufzuhalten, sitzen geblieben. Udo stand kreidebleich am Tisch, eindeutig fassungslos aber zu weit entfernt, um irgendwie einzugreifen. Es war sonst niemand da, der den Anschlag verhindern konnte – oder bezeugen.

„Eine seltsame Weise, seinen Schwertherrn zu begrüßen“, durchbrach der Fürst anscheinend unbeeindruckt die Spannung. Der junge Ritter zuckte zusammen, aber die Bewegung erreichte nicht seinen Arm, so dass die Schwertspitze vollkommen ruhig am Hals des Fürsten verharrte. „Ihr seid nicht mehr mein Schwertherr. Ihr seid gegangen. Einfach gegangen“, stieß er hervor, „nach Brandai!“ Die letzten Worte schrie er beinahe.

„Seit wann ist ein Schwertherr seinem Knappen Rechenschaft schuldig?“, entgegnete der Fürst, ohne sich im Geringsten um die Bedrohung zu kümmern. Julian hielt dem Blick stand, aber Esterhazy glaubte an der Schwertspitze ein leichtes Vibrieren zu erkennen und schob seine rechte Hand vorsichtig in die Nähe des Schwertknaufes.

„Ihr seid fort gegangen. Ohne ein Wort“, wiederholte der junge Ritter anklagend.

„Julian, du weißt, was wir besprochen haben!“, beschwor Ferdinand Erkandar seinen Sohn, und Esterhazy kam zu dem Schluss, dass sein Entsetzen echt war: Solche Blässe konnte auch ein Mann vom Schlage des Hochritters nicht vortäuschen.

Doch Julian schenkte seinem Vater keinerlei Beachtung. „Ihr habt mich zurück gelassen. Ihr habt den Eid verletzt!“ Seine Stimme brach.

„Tatsächlich.“ Niemand anderes konnte ein einziges Wort so vernichtend aussprechen, wie der Fürst und Julian fuhr wie unter einem Peitschenhieb zusammen. Diesmal entfernte sich das Schwert ein Stückchen vom Hals des Fürsten, kehrte aber sofort wieder zurück. Esterhazy wunderte sich, dass dieser die Chance nicht nutzte, sich zu befreien, stattdessen lehnte er sich entspannt zurück, während er seinen Knappen betrachtete, als sei dessen Schwert gar nicht vorhanden.

„Wenn Du das so siehst, Julian, warum trägst du noch immer meine Farben? Warum bist du nicht zu Fürst Elder gegangen und hast dich von ihm freigeben lassen? Deine Knappenzeit war fast beendet, er hätte deiner Bitte entsprochen.“

Julian bewegte sich nicht, starrte den Fürsten an und schien kaum etwas anderes wahrzunehmen. Esterhazy beugte sich ein wenig vor und verlagerte das Gewicht auf die Füße, bereit, aufzuspringen, sobald der Fürst ihm ein Zeichen gab, doch dessen Hand lag jetzt locker auf der Lehne seines Sessels, also wartete er ab.

„Aber das konnte ich doch nicht“, flüsterte Julian und sah plötzlich so verzweifelt aus, das Esterhazy fast Mitleid mit ihm hatte, auch wenn ein verzweifelter gordischer Ritter mit gezogenem Schwert kaum weniger bedrohlich wirkte, als ein wütender.

„Ich bin doch Euer Knappe…. Herr“, Julians Stimme zitterte und nach einer schier unendlichen Pause senkte er sein Schwert und schüttelte unglücklich den Kopf: „Ich wäre Euch überall hin gefolgt.“

Fürst Roman von Gorderley erhob sich und streckte wortlos die Hand aus. Julians Augen wurden groß und ungläubig, aber dann übergab er seine Waffe mit dem Heft voran dem Fürsten und blieb aufrecht vor ihm stehen. Der Fürst führte die Spitze der Klinge auf die rechte Schulter seines Knappen. „Julian Erkandar, Sohn von Ferdinand Erkandar, du hast mir als Knappe gehorsam, wahrhaftig und voll Demut gedient. Ich spreche Dich frei von deinem Eid im Beisein Deines Vaters, des königlichen Ritters Baron Esterhazy und Ritter Udo, Sohn von Gernot, als ehrenwerte Zeugen.

Hast Du einen Wunsch für deinen Bürgen?“

„Nein, Herr“, antwortete Julian kaum hörbar.

„Dann ernenne ich Ritter Wiebold von der Hohen Burg zu deinem Bürgen.“

Julians Augen glänzten, als er sich erhob und sein Schwert entgegen nahm. „Willkommen in der Ritterschaft von Gorderley“, begrüßte der Fürst ihn freundlich.

Aber der frisch gebackene Ritter antwortete nicht, sondern blieb still stehen und Esterhazy konnte sehen, wie es in ihm arbeitete. Und genauso plötzlich, wie er zuvor seine Waffe gegen den Fürsten gezogen hatte, sank er nun auf die Knie und hielt sein Schwert auf den Handflächen vor sich: „Bei meiner Herrin Eireana schwöre ich meinem Fürsten Treue und Gefolgschaft. Euer Wort soll meine Hand führen, Euer Befehl meinen Schritt lenken, für jetzt und alle Zeiten, solange ich lebe.“

Ferdinand Erkandar stöhnte und Udo schnappte nach Luft. Sogar der Fürst wirkte bewegt, als er auf den knienden Ritter herab sah. Er legte die Hand auf die Mitte der Schwertblattes. „Es ist mir eine Ehre, Ritter Julian. Erhebt Euch.“

Esterhazy begriff, dass dieser Eid eine andere Bedeutung hatte, als Udos Gefolgschaftseid, obwohl sie sich in seinen Ohren nicht besonders unterschieden.

Ferdinand Erkandar quälte sich schwerfällig aus seinem Sessel auf die Beine. Er schien um Jahre gealtert, aber der Blick, mit dem er seinen Sohn bedachte, zeugte von väterlicher Zuneigung. Er beugte den Kopf vor dem Fürsten, das erste Mal, seit sie den Raum betreten hatte, bemerkte Esterhazy, und sagte mit belegter Stimme: „Ich bitte um Vergebung für Euren Empfang auf Ramenspringe, mein Fürst.“

„Dazu gibt es keinen Grund“, erwiderte der Fürst, „niemandens Rat ist mir wertvoller aus der Eure und niemandens Gefolgschaft kann wertvoller sein, als die Eures Sohnes. Beides wird mir in den nächsten Tagen willkommen sein.“

Den Rest des Nachmittages streiften Esterhazy und Udo durch die Burganlagen. Der Godefeller war trunken vor Stolz, zum Zeugen der Freisprechung des Erkandarerben berufen zu sein und kannte kein anderes Thema. „Was für eine Ehre für unsere Familie“, wiederholte er ein ums andere Mal, „was wird mein Vater sagen? Und dann der Treueeid!“ Er schüttelte sich fassungslos: „Ich glaube nicht, dass Fürst Elder einen absoluten Gefolgsmann hatte. Welch ein Glück für Fürst Roman.“

„Was ist denn das Besondere an dem Eid. Ihr habt Fürst Roman doch auch Gefolgschaft geschworen?“, fragte Esterhazy, während sie einen Wehrgang entlang schritten. Die Burg lag an einem Felsgrat und von hier hatten sie einen fantastischen Blick über das Land, möglicherweise waren die winzigen Erhebungen am Horizont sogar die Häuser von Kamen, eine Halbtagesreise entfernt. Vor allem aber waren sie hier oben weit weg vom Hofgeschehen und würden kaum auf den Kastellan treffen, den Esterhazy hinter jeder Ecke vermutete. Je länger er einer Begegnung entgehen konnte, desto besser. Udo blieb stehen und stemmte die Hände in die Hüften: „Aber das ist doch etwas ganz anderes!“ Er klang, als hätte der Baron ein Pferd mit einem Kaninchen verwechselt und den Unterschied immer noch nicht erkannt. Esterhazy lehnte sich mit dem Rücken gegen die gemauerte Brüstung. „Erklärt es mir bitte, Udo. Ich bin nur ein Brandai.“ Der Godefeller grinste, „Stimmt ja, bitte verzeiht mir, dass ich das immer vergesse.“ Er holte Luft: „Aber einen Treueeid kennt Ihr doch auch?“ Esterhazy schüttelte den Kopf: „Ich fürchte, nicht so, wie Ihr ihn versteht. Ein Ritter schwört dem König mit seinem Lehnseid Gefolgschaft.“

„Ja, den Lehnseid hat mein Vater dem Fürsten geschworen. Godefell ist unser Lehen und mein ältester Bruder wird es einmal erben. Wir erbringen dem Fürsten dafür den Zwölften, und natürlich stellen wir Krieger für den Krieg gegen Brandai….“, Udo verschluckte sich, „also für die Kriege jedenfalls.“ Er reckte sich und seine Hand fiel auf den Knauf seines Schwertes. „Ich wurde in Lengenfeld ausgebildet, das liegt nordwestlich von Godefell. Mein Schwertherr nahm mich in seinen Dienst, aber nach Martins Tod - Ihr wisst schon, die Sache mit Rindern von Tarafall - rief mein Vater mich zurück nach Godefell. Doch nun hat Serman geheiratet und wird mit seiner Braut auf Godefell einziehen. Es ist nicht so toll, unter der Fuchtel seines älteren Bruders zu stehen, da habe ich mich schon nach einem anderen Herrn umgeschaut, als Ihr mit Fürst Roman kamt. Eine größere Ehre kann es gar nicht geben, ich bin froh, dass er meine Gefolgschaft angenommen hat.“ Er strahlte und breitete die Arme aus, „und seht, wohin es mich geführt hat. Ich bin plötzlich Zeuge für Julian Erkandar!“

„Und der Eid von Ritter Erkandar?“, erinnerte Esterhazy, „was ist nun damit?“

„Oh, das war ein absoluter Treueeid“, sagte Udo und Ehrfurcht ließ seine Stimme vibrieren. „Ein Eid im Namen der Götter! Er kann nicht gelöst werden. Und der Fürst muss kein Gegenversprechen geben. Er gilt für alle Zeiten, sogar auf die Nachkommen des Fürsten, möge seine Kinderschar groß und gesund sein. So ein Eid kommt selten vor, ehrlich gesagt: Fast nie. Im Grunde hat Ritter Julian gerade das Lehen an den Fürsten zurück gegeben. Mit einem absoluten Eid hat er kein Recht auf Eigentum.“ Udo runzelte die Stirn und dachte nach, bevor er langsam ergänzte: „Man könnte eher sagen, dass er jetzt Eigentum des Fürsten ist.“

Esterhazy wurde schwindelig. „Der Ritter hat sich selbst zum… Leibeigenen geschworen?“, fragte er mit leichtem Grausen, aber Udo zuckte die Achseln: „Das ist ein brandaianischer Ausdruck, ich weiß nicht, was Ihr damit meint. Ritter Julian hat seine Ehre in die Hand des Fürsten gegeben. Ich glaube nicht, dass Fürst Roman das Lehen zurück fordert, wenn Ritter Ferdinand stirbt. Aber er könnte es.“

Esterhazy drehte sich um und blickte hinaus in die Weite. Das ganze Land gehörte Erkandar, in Brandai wäre es mindestens eine Grafschaft, wenn nicht sogar ein Herzogtum und Julian war der einzige Erbe. Der Fürst hatte ihn ausgebildet, aber danach war er fast drei Jahre verschwunden, im Feindesland, wie die Gorderley ja irgendwann heraus gefunden hatten. Es hatte den Knappen verletzt, geschmerzt, das war unverkennbar gewesen. Dennoch hatte er sich dem Fürsten so vollständig und unwiderruflich hingegeben. Welch ein Vertrauen! Was hatte Gorderley, dass es solche Ritter hervor brachte?

Udo redete schon weiter und begeisterte sich aufs Neue an den sensationellen Ereignissen, während er die Mauer entlang schlenderte. Esterhazy ließ sich mit ziehen und sie brauchten bis zum Abend, um die Wehrgänge komplett abzulaufen.

Die Speisehalle von Ramenspringe bot Platz für mehrere große Tafeln und es hielten sich schon mehr als zwei Dutzend Ritter dort auf, als Esterhazy und Udo eintrafen. Vor dem Eingang warteten Aik und Dennis, um sie zu ihren Plätzen an der großen Quertafel zu bringen, wo die Familie und ihre bevorzugten Gäste speisten. Kevin, Erkandars Knappe, brachte ihnen Wein und versicherte dem Baron in gebrochenem Brando, dass sein Herr bald erscheinen würde und die Gäste sich bis dahin bitte wie zu Hause fühlen und ihre Wünsche mitteilen sollten. Als er zu Udo das Ganze auf Gordisch wiederholen wollte, gab ihm der Godefeller eine Kopfnuss mit der flachen Hand. „Was glaubst du, Bengel! Ich konnte schon Brando, da warst du noch nicht geboren.“ Angesichts eines Altersunterschiedes von vielleicht sechs bis sieben Jahren erschien Esterhazy die Aussage nicht ganz glaubhaft, aber Kevin verbeugte sich nur entschuldigend und Udo feixte: „Erkandars Knappen haben einen guten Ruf. Das wird er sich merken!“

Sie wurden abgelenkt, denn in diesem Moment betraten Ferdinand Erkandar und der Fürst die Halle und hinter ihnen folgten der Kastellan und….Gunter von Curfeld, der oberster Heerführer des Königs. Esterhazy kannte ihn vom Sehen, denn als Graf Leanders Truppenkommandant hatte er an einigen Besprechungen seines Lehnsherrn mit den königlichen Beratern teilgenommen, aber mehr noch, als die Überraschung, diesen wichtigen Mann hier in Gorderley zu treffen, erschütterte ihn der Anblick des Krüppels an dessen Seite. Curfeld wechselte einige Worte mit Brungard und dann klopfte er ihm freundschaftlich die Schulter, bevor er mit dem Fürsten um die Längstafeln herum auf Esterhazy zuschritt.

„Baron Esterhazy, ich freue mich, Euch persönlich kennen zu lernen“, grüßte Curfeld, „ich hörte, Ihr seid mit dem Fürst gereist?“

Esterhazy schaffte es gerade noch rechtzeitig, sich zu erheben und er verbeugte sich. „ Curfeld“, einem Moment verwirrte ihn die ungewöhnliche Förmlichkeit des Heerführers, aber dann passte er sich an: „Seid gegrüßt. Ja, Fürst Roman war so großzügig, mich in seine Begleitung aufzunehmen.“ Dann packte ihn die Neugierde: „Darf ich fragen, wie Ihr hier her kommt? Seid Ihr vom König gesandt? Ritter Erkandar erzählte, die Piraten seien geschlagen? Ist Brandai außer Gefahr?“

Curfeld nickte: „Falls es Euch passt, lasst uns später ausführlich sprechen. Jetzt sollten wir unseren Gastgeber nicht warten lassen.“

Ferdinand Erkandar stand mit seiner Gemahlin an seinem Platz in der Mitte der Tafel. Rechts neben ihm zog Axel den Stuhl des Fürsten zurück, daneben war ein freier Sitz, zu dem ein plötzlich aufgetauchter Knappe Curfeld leitete. Als sich der Burgherr setzte, folgten ihm alle anderen und wie ein Bienenschwarm stoben die Knappen herum, um den Rittern Wein, Wasser und Bier zu bringen.

Roman hob die Hand und bedeutete Axel, seinen Teller abzuräumen. Der Knappe tat es einigermaßen flüssig und geräuschlos. Der Fürst beobachtete aus den Augenwinkeln, wie ein Diener ihm das Geschirr nach wenigen Schritten abnahm, so dass er zu seinem Platz hinter dem Stuhl des Fürsten zurück kehren konnte, wobei ihm nicht entging, dass Kevin den Diener mit einem schnellen Blick dazu aufgefordert hatte.

Roman hatte Axel ohne Erklärung als seinen Knappen vorgestellt, und Erkandar akzeptierte dies kommentarlos, aber er schien seinen eigenen Knappen angewiesen zu haben, den jungen Brandai zu unterstützen. Offensichtlich gehörte der Dienst an der Tafel nicht zum wichtigsten Teil der brandaianischen Knappenausbildung, denn Axel, der immerhin schon ein halbes Jahr in Graf Hochfels Diensten stand, war auch hier verblüffend unerfahren und hatte Kevins Hilfe bitter nötig. Roman wusste aus eigener Erfahrung, dass es himmelweite Unterschiede gab, wie ein erfahrener Knappe einem jüngeren helfen konnte: Von dem Verhindern größerer Katastrophen bis zum vorausschauenden in-Szene-setzen des Anfängers war alles möglich und Kevins unauffällige Führung zeigte Feingefühl und Respekt. Es sprach für Axel, dass er sich den hochrangigen Knaben schon zum Freund gemacht hatte – und für Kevin, wie er damit umging.

„Wie lange ist Kevin in Eurem Dienst?“, fragte er Erkandar, der sofort sein Messer sinken ließ. „Zwei Jahre. Er kommt aus der Hohen Burg. Ein heller Kopf. Guter Charakter. Nur Brando will ihm nicht von der Zunge. Euer Knappe hat unsere Sprache ja schon leidlich erlernt.“

„Die Reise hat ihm gut getan. Die Knappen Eurer beiden Ritter waren gute Lehrmeister.“ Leistungen, Fortschritte und Schwächen ihrer Knappen waren für gordische Ritter ein unerschöpfliches Thema und Roman ließ sich mit Freude darauf ein, zu lange hatte dieser Alltag seinem Leben gefehlt. Aus den Augenwinkeln sah er, dass Kevin Axel ein wenig von der Tafel weg lotste, wie es sich gehörte, wenn die Ritter über ihre Schützlinge sprachen.

Der Burgherr spießte ein Stück des zarten Lammfleisches auf, führte es jedoch nicht zum Mund. „Es ist mir eine Ehre, Euch zu Diensten zu sein. Ritter Aik und Ritter Dennis stehen in der zweiten Generation im Gefolge von Erkandar. Ich schätze sie und bin froh, wenn sie Euch nützlich sein durften. Erlaubt Ihr mir die Frage, warum Ihr keinen gordischen Knappen genommen habt, mein Fürst? Ich hätte Euch Kevin überlassen, solange Ihr ihn benötigt.“ Als sei die Antwort nicht so entscheidend, biss er jetzt ein Stück Fleisch ab und schluckte es genießerisch hinunter. Roman hatte die gleiche Frage und dasselbe Angebot schon ein Dutzend Mal bekommen und entgegnete leise lächelnd: „Ich bin überzeugt, dass Kevin mir ausgezeichnet gedient hätte. Aber Axel ist brauchbarer, als es auf den ersten Blick scheint. Er lernt schnell und wird mehr aus Gorderley mit nehmen, als ein paar neue Benimmregeln.“ Er beobachtete wie Axel zu Erkandars Gattin trat, die leise mit ihm sprach. Er hielt sich tapfer, antwortete, schien kurz nachzudenken und sagte noch etwas, worauf die Dame ihn mit einem huldvollen Kopfnicken entließ und sich wieder ihrem Tischherrn zuwandte. Axel wich erleichtert zurück, musterte aber sofort wieder die übrige Tafel und bückte sich unauffällig nach einem Knochenstück, hob es auf und winkte energisch einen Diener herbei, dem er den Knochen in die Hand drückte. Auch Erkandar verfolgte die Szene. „Ja, er lernt schnell“, gab er zu.

Der Fürst lehnte sich zurück: „Und Ihr, Erkandar, warum habt Ihr Curfeld nicht nach Witstein geschickt, wo Timbermeyn in meinem Namen herrscht?“ Erkandar stutzte und blickte zu dem hochgewachsenen Brandai, der sich gerade angelegentlich mit Brungard unterhielt, dann nickte er nachdenklich. „Diese Brandai wachsen einem erstaunlich ans Herz, sobald man sie näher kennen lernt. Ist es das, was Ihr meint?“ Roman blickte Ferdinand Erkandar über den Rand seines Bechers an. Der Hochritter neigte wahrlich nicht zu übermäßiger Offenheit und das Bekenntnis war überraschend persönlich. „Ritter Curfeld steht beim König in hohem Ansehen“, erklärte er, ohne die Frage direkt zu beantworten.

„Zweifellos zu Recht. Er ist ein sehr mutiger Mann“, stellte Erkandar fest, „ich hätte nie gedacht, einmal so etwas von einem Brandai zu sagen, aber er hat mich beeindruckt.“

Curfeld war ohne Begleitung im Auftrag des Königs nach Gorderley aufgebrochen, um den Fürsten von den letzten Ereignissen zu unterrichten. Natürlich wurde er abgefangen, kaum dass sein Pferd einen Huf auf gordischen Boden setzte. Der Krieg war gerade fünf Wochen beendet und die Gorderley verunsichert, was sie mit dem Brandai anstellen sollten, der so völlig furchtlos verlangte, zum Fürsten gebracht zu werden. Niemand ahnte, wo Fürst Roman sich gerade aufhielt und so eskortierten die Ritter den Brandai quer durch das Fürstentum zum Sitz ihres Herrn, nach Ramenspringe. Dort allerdings hatte das förmliche Geleit ein schnelles Ende, denn Ritter Erkandar war noch gar nicht heimgekehrt und sein Kastellan steckte den Brandai umgehend in ein Verlies. Ketten blieben Curfeld immerhin erspart, denn seine unerschütterliche Autorität beeindruckte auch Brungard, der ihn dann nach vier Tagen auf Ferdinand Erkandars Geheiß eigenhändig wieder aus dem Kerker befreite und in ein prächtiges Gästezimmer brachte.

Seitdem weilte Curfeld auf Ramenspringe und Erkandar fand in dem Brandai einen klugen und unvoreingenommenen Gast, voller Interesse für alle Einzelheiten gordischen Lebens, so dass er selbst immer wieder Gründe entdeckte, dessen Abreise zu verschieben, bis die Nachricht von der baldigen Ankunft des Fürsten alle Ausreden überflüssig machten.

Romans Blick streifte den brandaianischen Kommandanten und wanderte zu Baron Esterhazy, den der Kastellan neben Ferdinands Gattin Gertrudis platziert hatte. Ob aus Zufall oder Menschenkenntnis eine gute Wahl, denn wo sie auch auf ihrer Reise genächtigt hatten und wie auch immer die Ritter zu dem plötzlichen Frieden im allgemeinen und dem Brandai an ihrem Tische im Speziellen standen, die Frauen lagen ihm nach kürzester Zeit zu Füßen.

Frau Gertrudis verwaltete die Burg und die Ländereien ihres Gatten zusammen mit dem Kastellan und war geachtet und gefürchtet für ihre Klugheit und Unnahbarkeit. In der Öffentlichkeit zeigte ihr verschlossenes Gesicht niemals ein Lächeln, aber nun lag dieser leicht verträumte Ausdruck in ihren Augen, der verlässlich zeigte, dass auch sie dem Charme des Brandai erlegen war. Es war, stellte der Fürst immer wieder fest, in Gorderley nicht anders als in Undidor.

Esterhazy fühlte seinen Blick und gab ihn fragend zurück, ohne sein Gespräch mit Frau Gertrudis zu unterbrechen. Der Fürst nickte freundlich, aber er konnte sich des Gefühls nicht erwehren, dass den Baron irgendetwas bedrückte, seit sie in Ramenspringe waren.

„Es wird einige Tage dauern, bis die Ritter der nördlichen Lehen, sich hier einfinden“, unterbrach Erkandar seine Gedanken, „wollt Ihr auch noch nach Convallen oder darf Ramenspringe Euch beherbergen? Es wäre mir eine Freude, ein Turnier zu Euren Ehren auszurichten.“

Der Fürst trank seinen Becher leer und setzte ihn ab. Axel war sofort da, wartete aber einen halben Schritt hinter dem Stuhl. Roman deutete mit zwei Fingern kurz auf den Wasserkrug auf dem Tisch, während er antwortete: „Kein Fürst reist ungebeten nach Convallen. Gero wird kommen. Es wäre in der Tat günstig, Eure Gastfreundschaft ein wenig länger in Anspruch zu nehmen und alle Geschäfte von hier zu regeln.“ Axel schenkte den Becher halbvoll mit Wein und füllte mit Wasser auf. Er war so konzentriert, dass er übersah, wie Erkandar seinen Zinnbecher ebenfalls auf dem Tisch abstellte, doch Kevin stand bereit und schenkte seinem Herrn nach, notgedrungen von der falschen Seite, aber so flink, dass das kaum auffiel.

Roman nippte an seinem Becher. „Ein Turnier?“

Erkandar richtete sich in seinem Sessel auf: „Gebt mir fünf Wochen, und ich veranstalte Euch ein Turnier zur Feier Eurer Rückkehr. Nach allem was geschehen ist, braucht das Volk Ablenkung. Und für den Fürsten ist es eine gute Gelegenheit sich zu zeigen, bevor Ihr nach Brandai zurück kehrt.“

Das stimmte. Nicht umsonst hatte Ferdinand Erkandar einen Sitz im Fürstenrat. Er regierte sein Lehen schon fast so lange, wie Roman lebte und seine Erfahrung war wertvoll. Gedankenverloren wanderten Romans Augen durch die Halle, ohne die Ritter an den Tischen wirklich wahrzunehmen. Erkandars Loyalität würde Gorderley stabilisieren, wenn die Auswirkungen eines dauerhaften Friedens spürbar wurden. Und dennoch stellte er sich jedes mal, wenn er den Hochritter ansah die selbe Frage: Hatte Erkandar von Fürst Elders Verrat gewusst?

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