Читать книгу Der schicksalhafte Kuss - Regina Zeh - Страница 8

Krankengymnastik

Оглавление

Meine Eltern hatten einen Elektrisierapparat gekauft, damit sie mich nach der Behandlung im Krankenhaus weiter therapieren konnten. Diese Elektrotherapie sollte die Nerven im gelähmten Bein anregen, damit sie ihre Funktion wieder aufnehmen konnten. Die Lähmungen in meinem rechten Bein waren zurückgegangen. Das Bein war wieder stark. Wenn meine Eltern zu besonderen Anlässen Geld geschenkt bekamen oder etwas übrig hatten, brachten sie mich zur Krankengymnastin. Die arbeitete auch mit mir, aber oft musste ich lange warten, und bekann kalte Füße. Ich musste immer dann lange warten, wenn meine Mutter diese Zeit nutzte, um wichtige Besorgungen zu machen. Gleichzeitig hatte sie meine drei jüngeren Geschwister im Schlepptau, die sie auch noch zu beaufsichtigen hatte. Das für mich Schreckliche an der Krankengymnastik war, dass ich Dinge tun musste, die ich nicht gut oder gar nicht konnte, erst recht nicht, wenn ich kalte Füße hatte. Es machte mir keinen Spaß, aber ich musste dorthin und wusste nicht warum, es war nur lästig, langweilig und frustrierend.

Ich sollte mit einem Stützapparat laufen, der meinem linken, gelähmten Bein mehr Sicherheit geben sollte; deshalb benötigte ich auch orthopädische Maßschuhe. Erstens musste der linke Schuh so geräumig sein, dass die Schiene mit hineinpasste, und zweitens musste dieser linke Schuh schon deutlich kürzer sein, weil das ganze linke Bein und auch der Fuß durch die Kinderlähmung im Wachstum zurückgeblieben waren. Die orthopädischen Maßschuhe sahen schrecklich aus, sie waren plump und rotbraun. Aber die Schuhe hätten auch dunkelbraun oder schwarz sein können, das hätte sie auch nicht schöner gemacht. Auf alten Familienfotos habe ich entdeckt, dass ich bei Sonntagsausflügen selten meine Schiene trug. Damals war es üblich, dass kleine Mädchen Kleider oder Röckchen und Bluse trugen. Beim Sonntagsspaziergang wäre der Stützapparat da sehr unschön aufgefallen.

Immer wieder musste ich zu Kontrolluntersuchungen ins Krankenhaus. Von 1951 bis 1964 fuhr ich fast immer mit meiner Mutter dahin, ab und zu auch mit meinem Vater. Wir mussten immer lange warten. Die Sessel, mit Binsen beflochten, waren viel zu hoch für mich. Ich kam mit meinen Füßen nicht auf den Fußboden. Kinderstühle gab es nicht.

Im Wartezimmer gab es Zeitungen und Broschüren, aber kein Spielzeug für Kinder das war damals in Krankenhäusern oder Arztpraxen nicht üblich. Wurden wir endlich zur Untersuchung aufgerufen, wurde ich ausgezogen und musste vor den Ärzten zeigen, wie ich laufen konnte. Immer fassten sie meine Beine an, und das tat oft sehr weh. Außerdem musste ich zeigen, wie stark ich war, das heißt gegen den Widerstand des Arztes meine Beine bewegen.

An einem Wintertag fuhr ich mit meiner Mutter ins Krankenhaus. Es war kalt, und wir fuhren mit dem Zug von dem Dorf, in dem wir wohnten, in die nächste Kleinstadt, dann mit Bahn oder Bus in die Großstadt und dann mit der Straßenbahn zum Krankenhaus. Als wir aus der Straßenbahn ausstiegen, waren Schnee und Eis auf der Straße und auf dem Gehweg. Ich rutschte aus und fiel hin, obwohl ich an der Hand meiner Mutter war. Und dachte: Papa hätte mich festhalten können. Ich hatte diese Untersuchung vor mir, fühlte mich ängstlich und unbehaglich und wurde von meiner Mutter begleitet, die ich gerade als nicht zuverlässig erlebt hatte. Meine Angst und meine Beklommenheit nahmen zu.

Der schicksalhafte Kuss

Подняться наверх