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Kapitel II

Einige Wochen vor diesen Ereignissen an der Nordgrenze des Reiches hatte der König des Frankenreiches Vertraute und Vasallen zu einem Bad in seiner Pfalz Paderburni6 geladen. Huhn, Brotviertel, Käsestücke, Honig und Quark mit Kürbiskernen warteten auf einer Anrichte nahe des Badehauses. Denkbar einfach war das, denn so mochte es Carolus Rex abseits der großen Empfänge; längst nannte man diesen Karl »magnus«, den Großen also, und das lag nicht an seiner Körpergröße von mehr als sechs Fuß. Ein solcher König hatte es nicht nötig, vor seinen Leuten zu prunken.

Das Herumpaddeln im eher flachen Quellbecken der Pader hatte Karls Gästen Vergnügen bereitet; zumindest mussten sie so tun, denn der König war mitten unter ihnen. Auf Griesgrämige und allzu Schweigsame legte er keinen Wert, das war bekannt! Gottes Werk mit Demut im Herzen und froher Seele zu unternehmen, war Devise bei Hofe seit vielen Jahren schon. Der König – nur mit einem Lendenschurz angetan – hatte im Wasser mit einigen Großen aus Rheinfranken, mit einem Markgrafen und einem Prälaten aus Italien sowie vertrauten Höflingen gescherzt und gelacht und dabei doch auch ernste Dinge angesprochen: Die Viehseuche, die westlich der Maas wütete; der Aufstand der Awaren im Südosten, hinter dem bayerischen Herzogtum; neue Lieder der Kirchenliturgie, denn der König sang laut und gerne in jedem der Gottesdienste, die er besuchte.

Freilich, Karl wusste, dass unter der Oberfläche, quasi unter Wasser, ein anderes Thema längst die Gedanken seiner Badegäste in Beschlag genommen hatte: die Frage der Thronfolge. Dreißig Jahre auf dem Thron hatte der Allmächtige dem Frankenkönig bereits gegönnt! Großartige, glanzvolle Jahre zumeist, in denen Karl, der Sohn König Pippins, von Erfolg zu Erfolg geritten war, immer neue Völkerschaften unterworfen, heidnische Seelen für Christus gewonnen und die Territorien des Reiches gewaltig vergrößert hatte. War es also nicht an der Zeit, an die Zukunft, an einen Nachfolger auf dem Thron zu denken? Ja, König Karl wusste, dass zumindest zwei seiner drei Söhne bei den mächtigsten Vasallen des Reiches heimlich ausloteten, inwiefern ein neuer Herrscher sich auf sie verlassen könnte – im Fall eines Thronwechsels …

An jenem milden Badetag also unter blauem Himmel, mit piependen Amseln und räubernden Staren in der Luft, ließ der Herrscher noch im Wasser das Wort »Reichsteilung« fallen, um seine Gäste aus der Reserve zu locken. Scharf musterte er dabei die Gesichter der anderen, doch außer unverbindlichem Gemurmel und gerunzelten Brauen erntete er kaum Reaktionen – was eben auch daran lag, dass niemand vor den Ohren anderer hier irgendwie Stellung beziehen wollte, denn: Wer wusste schon, welcher Sohn am Ende das Rennen machen würde?

Da meldete sich der Markgraf aus dem südlichen Italien zu Wort. Er war ein knochiger Mann mit einer von einem Schwertstreich verkrüppelten Hand, der geradezu klein neben dem hochgewachsenen König wirkte. Während Karl sich bereits den in den Fels gehauenen Stufen näherte, die einen bequemen Ausstieg boten, sprach der Italier laut und deutlich für die Reichseinheit: »Byzantiner und Sarazenen warten nur darauf, dass sich der fränkische Thron von Italien abwendet! Ich danke dem Herrn, dass wir mit Eurem Sohn Pippin einen tüchtigen Unterkönig haben, der den Feind von Benevent und Spoleto fernhält!«

»Gut, dass Ihr ihm dabei so tatkräftig helft«, sagte der König und bedachte den Markgrafen mit einem freundlich-­gelangweilten Blick. Dann stieg Karl endlich aus dem Wasser. Am Beckenrand streckte ihm sein Leibdiener Leinentücher entgegen, andere hatten bereits eine Holzbank aus einem hell verputzten Gebäude herbeigetragen, auf der die Schüsseln mit Essen auf die Erfrischten warteten, und begannen ebenfalls, Handtücher zu verteilen.

Je nach Schamgefühl griffen die triefenden Männer schneller oder langsamer nach dem trockenen Leinen. Der König, das Tuch über einer Schulter, löste nun mit einer Hand den nassen Lendenschurz und rief im selben Augenblick seinem altgedienten Consiliarius Einhard etwas zu. Der watete mit langsamen Schritten auf die Stufen zu – schmalbrüstig, grauhaarig, aber mit sehr wacher Miene. »Bringt den Diakon gleich zu mir, Einhard!«

In ebendiesem Augenblick streifte der König den Schurz ab und schlang mit der Rechten das Tuch um die Hüfte. Annähernd gleichzeitig geschahen diese Bewegungen, aber eben nur annähernd: Da war der wie zufällige Augenblick, kaum länger als ein halber Herzschlag, in dem die Badenden das Geschlecht Karls sehen konnten.

Einhard murmelte eine halblaute Bestätigung des königlichen Wunschs. Und vielleicht wusste er, der langjährige Vertraute, als Einziger der Anwesenden, dass diese Offenbarung der königlichen Lenden kein Zufall gewesen war: Denn das Geschlecht des Herrschers war riesig.

* * *

Etwa eine Stunde später standen vier Männer vor einer Karte des Frankenreiches, die auf eine Standtafel genagelt war. Der geflieste Raum, den man von der großen Prachthalle der Pfalz aus betrat, war mit Sitzbänken, Kissen und Wandteppichen ausgestattet, die Bonifatius’ Fällung der Donareiche zeigte und auch das spätere Martyrium, nämlich die Tötung des Missionars durch friesische Banditen. Stehend hatten die Männer eine Zeit lang die Karte betrachtet, waren mit ihren Augen von Friesland bis Akquitanien, von Septimanien7 bis nach Alemannien und vom Rhein bis an den Tiber gereist, währenddessen ein schwarzhaariger Mann mittleren Alters in konzentrierten, nüchternen Sätzen eine mögliche Aufteilung des Riesenreiches erläuterte.

Nur die abrupten Kopfbewegungen des Vortragenden und die gelegentlichen Berührungen seiner Stirn mit zwei Fingern deuteten darauf hin, dass der Vortragende unter erheblicher Anspannung stand.

»Und die Alpenpässe, Diakon?«, unterbrach der König mit den Händen in den Hüften. »Wem wollt Ihr die geben?« Mit einem Klaps auf den Kopf verscheuchte der König den braunschwarzen Jagdhund, der ihn jaulend bedrängte. Worauf das Tier wiederum mit kräftig wedelndem Schwanz nach Mäusen unter der Kartentafel zu jagen begann, wo tiefe Lücken zwischen Bodenfliesen Verstecke für kleine Nager boten.

Der Diakon Ebo hielt inne. Dann räusperte er sich und warf einen schnellen Seitenblick auf Einhard und die ein wenig abseitsstehende Gestalt des Erzkapellans, dessen Brust ein matt glänzendes Silberkreuz mit goldener Einfassung schmückte. Erzkapellan Hildebald war fast so groß wie Karl, aber deutlich schmaler und trug eine gewaltige Adlernase im Gesicht. Sein Kopf hing immer ein wenig nach vorn, als sinniere er über irgendetwas. Da er einen kurzen Hals hatte, erinnerte dieser Anblick mitunter an einen riesigen Vogel.

Es gab nur wenige Kanzlisten, die jemals vor beiden sprachen, vor dem Herrn der Welt und seinem höchsten Berater. Und offensichtlich war die Idee einer Reichsteilung, die Ebo auftragsgemäß ausgearbeitet hatte, ein guter Grund für eine vertrauliche Besprechung. Aber trotzdem wurde der Kanzlist das Gefühl nicht los, dass es hier noch um etwas anderes ging. Einhard hatte ihm eben doch nicht alles erzählt! Der kluge, ledrig-asketisch wirkende Vertraute Karls hatte ihm ursprünglich den Auftrag für die Kartenerstellung gegeben. Dieser Einhard hatte eine verbindliche, wohlwollende Art, der man leicht vertrauen konnte. Obwohl Ebo doch als Verstandesmensch wusste, dass es schlicht und einfach keinen Sinn hatte, jemandem zu vertrauen. Es sei denn, man war der Herrscher selbst – dann blieb einem nichts anderes übrig.

»Die Alpenpässe, Herr? Ihre Aufteilung folgt demselben Muster …«

Der aufdringliche Hund störte Ebos Vortrag wie ein rotziges Kind. Zumal ein ekelhafter Geruch von ihm ausging. Doch dann sagte der Erzkapellan zwei Sätze hintereinander, die die Wichtigkeit der Pässe noch einmal unterstrichen und Ebo wurde klar: Erzkapellan Hildebald hatte Magenprobleme, von ihm ging dieser Verwesungsgeruch aus!

»Herr«, begann Ebo aufs Neue, »den Reschenpass bekommt der jüngere Karl, der dann vom Rhein aus nach Italien ziehen kann. Der Lukmanier bleibt beim Herrn von Italien. Und Ludwig, der den Südwesten unter sich hat, kann von der Rhone aus den Mons Jovis8 nehmen …«

Der König nickte und klang plötzlich nicht mehr so herablassend wie zuvor. »Wie viele Leute haben diesen Entwurf gesehen, Ebo?«

Ebo spürte Schweiß unter den Achseln. »Neben meinem Schreiber, Herr, nur der ehrenwerte Consiliarius Einhard. Und der Leiter der Hofkanzlei natürlich …«

»Schon gut«, winkte der König ab. »Unser Kanzler ist mittlerweile halb blind, der weiß nicht, ob ich vor ihm stehe oder mein Pferd.« Der König ließ sich in einen massiven Holzstuhl fallen, der mit geschnitzten Verzierungen und Eberzahn-Einsätzen wie das Geschenk eines ostelbischen Heidenfürsten aussah. Prompt tauchte der Hund wieder auf, um seinem Herrn die Hand zu lecken.

»Euer Entwurf ist gut durchdacht«, sagte der Erzkapellan mit seinem federnden Nicken. »Der junge Karl bekommt mit den altfränkischen Gebieten östlich des Rheins, mit Sachsen und Neustrien mehr Land als die anderen, aber die südlichen Gebiete sind wirtschaftlich höher entwickelt. Nur – der Allmächtige dürfte Euch noch viele Jahre schenken, mein König, bevor wir dergleichen ernsthaft zu berücksichtigen haben.«

»Amen«, sagte der König trocken.

Aber warum hatten sie ihn, den Diakon aus der zweiten Reihe der Hofkanzlei, mit dem ganzen Verschwiegenheitsbrimborium befrachtet, wenn die Reichsteilung gleich wieder begraben wurde?

Ebo spürte wiederum den prüfenden Blick des Königs. Seit seiner ersten Begegnung mit dem großen Karl – damals hatte Ebo noch als Schreiber im Dienst des Erzbischofs von Moguntia9 gestanden – waren die Tränensäcke unter den dunklen Augen des Herrschers deutlich größer geworden; die schwarzen Brauen wucherten wie Gestrüpp über den Augen und gaben dem Antlitz etwas Einschüchterndes, zumal, wenn der Herrscher die Stirn in Falten legte. Der Ansatz des Haupthaars war um zwei oder drei Zoll zurückgewichen, reichlich silberne Strähnen durchsetzten das Schwarz. Der Kopf saß auf einem dicken, rötlichen Hals, der Karls Figur wiederum noch massiger erscheinen ließ.

»Einhard hat gut von Euch gesprochen, Diakon«, sagte der König langsam. »Mit Recht! Hinter einer hohen Stirn steckt doch immer wieder ein starker Verstand!« Diese auf Ebos Äußeres gemünzten Worte verstärkten dummerweise den Juckreiz über seiner rechten Braue, der alten Problemstelle. Dann stellte der König eine Frage, die wie ein Scherz klang: »Was meint Ihr, Ebo: Welcher meiner Söhne hat das Zeug, mir nachzufolgen? Wer wäre es wert, die Oberherrschaft auszuüben, am Ende meiner Reise?«

»Herr, Euch stehen größere Geister zur Verfügung, um diese Frage …«

»Nicht so schüchtern! Wenn man weiterkommen will, dann muss man auch mal etwas wagen!«

»Herr …«

»Ihr habt Karl und Ludwig und Pippin gleichermaßen erlebt«, fuhr der König nüchtern fort. »Ihr seid herumgekommen, reichlich! Und wenn ich mir Euren Überwurf mit diesem hellen Blau ansehe, dann scheint mir der eher in Pavia als in Utrecht gewebt! Ihr könnt nicht klagen … Eigentlich entstammt Ihr einer hörigen Familie, meine ich?«

»Nein, Herr!«, sagte Ebo etwas zu energisch. »Mein Großvater war ein Freier! Er begleitete den heiligen Bonifatius auf der letzten Friesland-Fahrt, wo er das Martyrium erlitt!«

»Aber Euer Vater nicht«, fiel Einhard ein, der dem Stuhl des Königs näher gerückt war und die Hände auf dem Rücken hatte, wie ein Schulmeister. Ebo spürte einen neuen Juckreiz, diesmal war es der linke Handrücken.

»Widersprecht ihm lieber nicht, Ebo«, lächelte Karl. »Der Consiliarius kennt sich aus! Gleichwohl, wir brauchen solche Leute wie Euch, versteht Ihr nicht? Eure Loyalität, Diakon Ebo, soll uns gelten, uns allein! Und nicht einer alten Sippe, die zehntausend Hufen Land hat mit fünftausend Hörigen und die beides gerne verdoppeln würde! Solche Vasallen habe ich reichlich! Und ich kann Euch sagen, dass das Verhandeln mit denen sehr anstrengend ist. Schaut unseren Consiliarius hier an: Einhards Großvater war ein Schmied!«

»… und mein Vater ein königlicher Amtmann«, fügte Einhard sicherheitshalber hinzu, damit keine Missverständnisse aufkamen. »Ich besuchte die Klosterschule in Fulda. Ihr wart in Moguntia. Guten Schülern steht die Welt offen, hieß es bei den Römern!«

Ebo lächelte etwas angestrengt, dann tauchte der Hund vor ihm auf und stieß seine Schnauze zwischen Ebos Beine, als wolle er dessen Geschlecht kennenlernen. Peinlich berührt versuchte der Diakon, das Tier mit einem Kniestoß abzudrängen.

Der König lachte, als schaue er einer Theatertruppe zu. »Er mag Euch, Ebo«, rief Karl. »Und glaubt mir, es gibt viele, die er nicht mag!«

Ebo schluckte etwas hinunter, das bitter schmeckte. Er zog den Saum des Überwurfs straff, der vom Gürtel zusammenhalten wurde, mit einem Auge auf den Hund. »Warum habt Ihr mich holen lassen, Herr?«

»Um Euch kennenzulernen, Diakon«, kam es vom König zurück, ernst und hart, vielleicht sogar respektvoll. »Einhard wird Euch einweihen.«

Der Consiliarius sah Ebo an wie einen Prüfling, der erste Aufgaben bestanden hatte und nun für Höheres infrage kam.

»Wir wollen«, begann er, »dass Ihr Euch an den Hof des Königssohns Karl begebt. Ihr werdet ihn beobachten! Unser Eindruck ist, dass er tatkräftig und willig ist, aber noch einer gewissen Reife bedarf. Ihr werdet uns also berichten, wie er sich hält, was er denkt und mit wem er näher verkehrt. Bei Bedarf werdet Ihr auch seine Hand führen!«

»Die Hand des Königssohns, des Prinzen Karl?« Ebo glaubte, sich verhört zu haben. »Aber mit welcher Autorität trete ich ihm gegenüber?«

»Abwarten!«, sagte Einhard in seiner Dozentenstimme. »Wichtig ist: Ihr gehört keiner Fraktion und keiner Sippe an und steht in keiner Abhängigkeit außer unserer! Ihr werdet uns die Dinge so schildern können, wie sie wirklich sind. Euch winkt ein Bischofshut und mehr, wenn Ihr Euch geschickt anstellt!«

Ebo kratzte sich abermals an der Stirn und fühlte eine Mischung aus Schrecken und Hoffnung. Ein Bischofshut, im Ernst?

Oder wollten ihn diese Höflinge hier in Karls Lager untergehen lassen, um damit wiederum etwas ganz anderes zu erreichen?

Ebo nahm seinen Mut zusammen, denn Mut hatte der König ihm selbst empfohlen. »Warum zum jungen Karl, Herr Einhard? Warum schickt ihr mich nicht in Prinz Ludwigs Lager? Er hat große Frömmigkeit und er zeugt Kinder und …«

»Das wird mein Sohn Karl auch tun, Diakon!«, stieß der König aus. Seine Hand landete in einer Schale mit Nüssen neben dem Stuhl, etwas zu heftig, sodass einige Nüsse auf den Boden klickerten. »Man muss ihm notfalls die richtige Schönheit vorsetzen, damit er Appetit bekommt!«

Für einen Augenblick herrschte verlegene Stille. Ebo fühlte neuen Schweiß unter den Armen: Er war zu direkt gewesen! An den kühlen Verstand von anderen zu glauben, war sein alter Fehler. Nur – dass der jüngere Karl nicht mit Frauen schlief, hatte sich am Königshof längst herumgesprochen. Und der ach so weise König tat, als sei das nur Zufall?!

»Immerhin, lieber Diakon«, kaute Karl mit angestrengter Gutmütigkeit hervor, »eben noch hattet Ihr gar keinen Favoriten, jetzt seid Ihr schon bei Ludwig!«

Einhard raunte Karl etwas zu, während Hildebald sich ruckartig zur Seite drehte, als müsste er sich übergeben.

»Herr«, sprach Ebo in die Stille hinein, »ich bin geehrt von Eurem Vertrauen! Wie lange soll meine Mission beim Prinzen Karl dauern?«

Karl schwieg kauend. An seiner Stelle antwortete Einhard: »Ein Jahr oder auch mehr, je nachdem, wie sich die Dinge entwickeln.«

»Und Pippin in Italien?«, überlegte Ebo laut. »Kommt der gar nicht in Betracht?«

Karl hob stirnrunzelnd die Hand und betrachtete zunächst Hildebald, der sich wieder aufrichtete und etwas von »Kolik« murmelte, wobei er über sein Brustkreuz strich, wie um sich selbst zu beruhigen.

»Pippin liebt die südliche Sonne«, sagte Karl mit einer Spur von Resignation. »Er hasst unsere Wälder, Moore und unseren Regen. Das bestätigt er mir bei jeder Gelegenheit. Lassen wir ihn erst einmal da, wo er ist! Was Euren Titel angeht, mit dem Ihr Euch bei meinem Sohn einführt … Hildebald, geht es?«

»Gewiss, Herr!« Karls erster Berater straffte sich, bemüht, Einhard keine weitere Gelegenheit zu geben, für ihn oder den König zu antworten. »Ihr selbst, Ebo, habt dem jungen Karl das gesamte Sachsenland gegeben«, sagte Hildebald in offiziellem Tonfall. »Wir könnten Euch als Boten mit besonderen Vollmachten dorthin schicken, als Begleiter eines missus domenicus oder sogar als missus selbst.« Er wechselte einen Blick mit Karl, beide sahen Einhard an, doch der reagierte nicht.

Ebo nickte und sah die Situation vor dem geistigen Auge: wie er, der Diakon aus der Hofkanzlei, den Beratern des Königssohns erklären musste, warum er fortan dem Königssohn beigeordnet war … »Ich brauche bewaffneten Geleitschutz, Erzkapellan«, sagte der Diakon mit einer gewissen Forschheit. »Ein Königsbote ohne Krieger wird nicht ernst genommen!«

»Nicht so schnell«, fiel der König ein. »Ich brauche dort hinten vor allem Euren Verstand, Ebo! Und vielleicht sogar etwas wie List.«

Der Blick des Königs, fand Ebo, bekam nun etwas Lauerndes. Gespannt wartete der Kanzlist auf die Erkenntnis, was in jener gottverlassenen Gegend so dringend zu tun war. Es konnte eigentlich nur einen echten Grund geben!

»Geht es um Arnulf sax hamar, Herr, den Abtrünnigen?«

»Um genau den.« Der König richtete sich auf. »Mein Sohn hätte sich längst um den Burschen kümmern müssen!« Der König trat nun auf den Diakon zu, bis sie nur noch eine Armeslänge trennte. »Die aufständischen Sachsen«, knurrte der Herrscher, »gehen einfach über die Elbe! Sie kriechen bei den nordliuti unter, bei Holsten und Sturimarn und wie sie alle heißen. Und am liebsten gehen sie zu diesem Arnulf, der ihnen auch noch Land gibt! Wir hätten diese Giftpflanze schon vor Jahren ausreißen müssen!«

Ebo musste den Blick ein wenig heben, um seinem König in die Augen zu sehen. Rachsucht leuchtete aus diesen Augen. Und plötzlich wusste der Diakon aus der zweiten Reihe, dass dieser Tag einen Sinn hatte und dass sein Leben in diesem Augenblick, hier und jetzt, eine gewaltige Wendung nahm.

»Dieser Arnulf, Herr, war einer Eurer Hundertschaftsführer, nicht wahr?«

»Bis er davonlief, mit einigen sehr tüchtigen Kriegern«, entgegnete der König mit bedrohlichem Unterton.

»Man sagt, sein Weib …«

»Sprecht nicht weiter!« Karls Stimme war wie brechendes Glas. »Dieser Mann trotzte mir im Angesicht des gesamten Hofes, weil ich ihm nicht den Oberbefehl über die Panzerreiter geben wollte. Alles andere sind dreckige Gerüchte!« Wie zufällig landete Karls Hand auf dem Elfenbeingriff eines langen Dolchs, den er am Gürtel trug. Dann drehte er sich zu Einhard um. »Consiliarius, ich will, dass Ihr Ebo begleitet!«

»Ich, Herr?« Einhard schien ernsthaft überrascht. »Herr, es müsste doch …«

»Nein, Einhard, Ihr seid der Richtige! Mir kommt gerade eine hübsche Idee. Kommt nach der Abendmesse zu mir!«

6 Paderborn

7 Heute etwa die Region Languedoc-Roussillon (südwest­liches Frankreich).

8 Der alte Name für den Großen Sankt Bernhard.

9 Mainz

Arnulf. Der Herr der Elbe

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