Читать книгу Arnulf. Der Herr der Elbe - Robert Focken - Страница 9

Оглавление

Prolog

Mein Name ist Brun.

Ich stamme ab von Sachsen, die Land nahmen im Gau der Holsten, weit im Norden, wo schon der große Wall der Dänen am Horizont drohte. Meine Mutter kam von der Westküste, aus dem Stamm der Diutmarser. Sie waren sächsische Brüder der Holsten, zähe Leute, die von Heringen, Salzwasser und Krabben lebten. Verbrüdert waren die Holsten auch mit dem dritten Stamm der Nordelbier, den Sturimarn. Alle drei Stämme hatten einst den großen Schwur getan: Unsere Heere würden zusammenstehen, wenn die slawischen Reiter aus dem Eisenwald im Osten vorstießen oder die Dänen aus dem Norden! Die Sachsenstämme nördlich der Elbe nannte man auch nordliuti, aber es waren Fremde, Franken nämlich, die diesen Begriff erfanden.

Ich war bereits ein gestandener Mann mit Ansehen, als ich jenes Wort – nordliuti – zum ersten Mal hörte. Ein hochgewachsener Fremder in einem Gewand aus dunkler Wolle sprach es aus, denn für ihn schienen wir alle eins. Er war ein Franke aus dem Süden, aus dem Reich des Kriegsfürsten Karl. Dieser Mann trug ein Kreuz aus Bronze um den Hals und sprach mit rauer, lauter Stimme zu uns, lauter, als ein Gast es sich sonst erlauben durfte, der ohne ein Dutzend Bewaffneter erschien! Vom Gott Jesus Christus erzählte er und dass wir alle von einem Fürsten Adam und seinem Weib Eva abstammten. Von einem Feuer unter der Erde sprach er, das uns einst verschlingen würde, wenn wir nicht zu seinem Gott beteten. Da ballten die Ersten die Fäuste und schmähten ihn. So hieß ich ihn weiterzuziehen: Ich war der Vorsteher über mehrere Hofschaften und hatte für Recht und Ordnung zu sorgen. Ich konnte nicht zulassen, dass ein Fremdling vor unserer Tür erschlagen wird.

Später hörte ich, dass ein gieriger Kerl diesem einfältigen Christus-Mann auf der Landstraße das Bronzekreuz abriss. Anstatt froh zu sein, dass ihm nicht auch Wollgewand und Schuhe genommen wurden, schimpfte der Kreuzträger wie ein Irrsinniger und drohte und so ereilte ihn doch noch das Schicksal. Ich hatte keinen Anlass, an seinem Tod zu zweifeln: Der Kreuzträger war so leichtsinnig wie unbescheiden. Und ließ sein Jesusgott nicht all das ruhig geschehen?

Wir Sachsen, die wir dem alten Glauben anhängen, kämen nicht auf die Idee, dass Wodan oder Thor, Saxnoth oder Balda uns liebten. Die Götter blickten herab auf uns Menschen. Sie fochten ihre eigenen Kämpfe, hatten ihre eigenen Zwiste. Wenn wir einst als Einherjer auffahren in die Walhall, würden wir den Göttern nicht nahekommen, bestenfalls würden wir ihnen dienen! Und wir wussten, jeden von uns konnte es an jedem Tag treffen – wer wusste schon, wie lang der Lebensfaden war, an dem die Nornen am Fuß der Weltenesche webten?

Mich holte das Unheil einige Winter nach dem Tod jenes Frankenpriesters ein. War es Loki, der Schadengott, der die Sinne meines Nachbarn mit Neid vernebelte? Hunger konnte man stillen, Neid nicht! Mein Besitz, mein Vieh, mein Land – nach all dem gierte ein Edler aus alter Familie. Dieser Mann, der den Namen Wolfger trug, brach eine Fehde vom Zaun. Bald wurde sie zur Blutfehde. Im nebligen Morgengrauen eines Herbsttages überfiel er mit einer Schar Bewaffneter meinen Hof. Sie erschlugen meine Knechte, brachen in unser Haus ein und stachen auf mich ein, als gelte es, Tiere zu töten. Das Letzte, was ich sah, war Wolfger, wie er mit einer Schlinge mein Weib erdrosselte. Denn dieser Wolfger, der haben wollte, was mein war, würde später sagen: An meinen Händen klebt kein Blut! Und sie durchbohrten meine Kinder: den Ältesten, fast achtzehn Jahre, der sich noch mit einem Dolch wehrte; seinen Bruder, fünfzehn Jahre alt; meine Tochter, die noch ein Mädchen war und bis zum letzten Augenblick nach mir schrie.

Ich hörte sie sterben.

Doch ich selbst, ich starb nicht.

Abends stieg einer meiner Knechte, der überlebt hatte, in die Grube, in der man uns verscharren wollte. Er hatte meinen Atem gesehen, den Dampf in der kalten Luft. Abgedeckt mit ein paar Fellen brachte er mich auf einem Eselskarren zum Sohn eines Mannes, der einst mit meinem Vater befreundet gewesen war. Tage vergingen – Tage, in denen ich den Tod herbeiwünschte. Doch die Götter waren nicht so gnädig. Als ich soweit genesen war, dass ich einige Worte krächzen konnte, sprach mein Wirt freundlich klingende Dinge zu mir, ohne in meine Augen zu sehen. Dann ließ er mich fortbringen. Denn Wolfger war dabei, Bode der Holsten zu werden, Kriegsführer und Oberster Thing-Herr im Frieden. Und einen solchen Mann wollte man keinesfalls zum Feind haben!

Alte Freundschaften zählten nichts mehr.

Wer also hätte mich aufnehmen mögen?

Einen Mann gab es, der fürchtete nichts und niemanden. Er war nicht von sächsischem Blut, sondern ein Franke – sax hamar, so riefen sie ihn. Ein trutziger Kriegsmann, der mit dem großen Karl gebrochen hatte, um seine eigene Herrschaft zu gründen. Einer, der Männern Land zum Roden gab, wenn sie bereit waren, für ihn zu fechten. Der wusste, wann man stark sein musste und wann einfach nur klug. Ja, selbst die Dänen hatten Respekt vor diesem Mann! Ihre Schiffsführer überlegten sich dreimal, ob sie es wagten, einen seiner Handelsposten zu überfallen.

Zu diesem Mann brachte man mich. Mich, der ich nichts war als ein zerschlagener Habenichts. Ein Bittsteller von Rang, gewiss – aber ohne ein Silberstück in der Tasche! Und doch nahm der Franke mich auf. Seine Frau schenkte mir ihr Vertrauen, gab mir Pflichten und ließ mich über ihre Hörigen wachen. Sie war eine Sächsin aus großer, alter Herkunft und doch trug sie das Kreuz der Christenmenschen. In der Burg ließ sie ein Haus bauen, in der ihr Gott wohnte – oder so hoffte sie.

Fast zwölf Jahre sollte ich bei ihnen leben, auf der Burg Delbende1 auf dem Steilufer über dem mächtigen Strom. In dieser Zeit habe ich auch den großen König Karl gesehen, den Herrn der Welt, und ich sah seine Söhne mit den Kriegsscharen kommen. Ich, Brun, der Sohn des Hatto, weiß, wie sich alles zutrug. Gewiss, heute gibt es viele Geschichten darüber. Aber die meisten sind nicht mehr als das Geblöke von Lämmern. Weil sie von Franken erzählt werden oder von den Holsten oder gar den Slawen. Aber ich, ich war dabei. Ich habe alles miterlebt, bis zum Ende. Und glaubt mir: Solch eine Geschichte wie die vom Kriegsherrn Arnulf sax hamar und seinem Weib Erika wird noch in fernen Zeiten an Herdfeuern und in Thronsälen erzählt werden!

1 Lauenburg (Schleswig-Holstein)

Arnulf. Der Herr der Elbe

Подняться наверх