Читать книгу Arnulf. Der Herr der Elbe - Robert Focken - Страница 18

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Kapitel IX

Peinlich und für Ebos Ansehen höchst schädlich war, dass Einhard den Großteil ihrer Leibwache mitgenommen hatte. Zurückgeblieben waren neben Ebos Schreiber noch ein Koch, ein Pferdeknecht und zwei Krieger: ein Slawe vom oberen Main, der nach Bier roch und kaum fränkisch sprach und ein sich ewig kratzender, flohverseuchter Franke von der Mosel, der offenbar taub war und auf Ebos Ansagen kaum reagierte.

Wie konnte einer ahta genießen, der mit solchen Gestalten unterwegs war?

Ebo merkte, wie die Höflinge Karls sich über diese Truppe lustig machten. Auch machte immer einmal wieder jemand das Meckern einer Ziege nach, wenn er gerade nicht hinsah; in solchen Augenblicken hasste er Einhard für sein Verschwinden und den König für diese Entsendung überhaupt. Der Königssohn Karl selbst behandelte ihn zwar halbwegs freundlich, widmete ihm aber so gut wie keine Zeit; eben dies, die mit dem Herrscher verbrachte Zeit aber war der Maßstab für das Ansehen einer Person!

Dann war da die Mäuseplage in dem Loch, in dem man ihn untergebracht hatte. In der zweiten Nacht fraßen die Nager seinen Gürtel neben dem Bett an. Morgens wachte er auf, als die Tiere ihm über den Kopf krabbelten, durch das Haar über die kurz geschorene Stelle der Tonsur. Obwohl er diese Ärgernisse für sich behielt, übergab ihm dann ausgerechnet der mondgesichtige Hamstermensch Helisachar eine Katze mit braun­gelbem Fell.

»Die Witwe des Amtmanns führt ein echtes Dreckloch! Ich will sie nicht zurück – die Katze, meine ich, ha ha!«

Die Silberstücke, die Ebo zückte, hatte der Mond sofort abgelehnt. »Münzen für meinen kleinen Vertilger, das ist mir zu profan, missus! Wenn irgendwas, dann möchte ich einmal einen Löwen dafür zurückbekommen … es eilt nicht!«

Wie üblich war nicht herauszuhören, wie ernst dieser Unsinn gemeint war.

* * *

Die Gepflogenheiten an Karls Hof waren von enormer Leichtlebigkeit: das völlige Gegenteil der sittenstrengen Frömmelei, die vor geraumer Zeit in Prinz Ludwigs Umgebung Einzug gehalten hatte! So spielte etwa Helisachar kurz nach der Katzenschenkung die Hauptrolle in einem Stück über das blutige Ende des Julius Cäsar. Bevor der römische Tyrann auf der Bühne von zahlreichen Holzdolchen getroffen wurde und spektakulär niedersank, rief er lebhaften Applaus des Königssohns mit einem Dirnenbesuch hervor. Die Hure – gespielt von einem zierlichen Kanzlisten aus Odilos Stall, dem man rote Lippen gemalt hatte – musste sich vom Mondgesicht gründlich befingern lassen. Um dann sogar auf die Knie zu gehen und das Gesicht gegen Cäsars Unterleib zu drücken. Helisachar begleitete das mit Grimassen und Ächz-Geräuschen, die nicht ohne Wirkung blieben: Karl lachte heiter, zusammen mit dem Dutzend Edlen und Höflingen, die die regelmäßigen Zuschauer abgaben. Als der eher rundliche Cäsaren-Mond dann nicht gleich wieder aufstand, erschien prompt der Zwerg. Er hüpfte auf den Steiß des Liegenden, streckte die Arme aus und verbeugte sich. »Die heilige Kuh ist geschlachtet, der Wille des Allmächtigen geschah!«

Erbost schüttelte Helisachar ihn ab, aber die Lacher hatte der Gnom auf seiner Seite.

Karl machte Ebo ein Zeichen, näherzutreten. »‘Odysseus bei der Zauberin Circe’ wollen wir nächste Woche spielen«, rief er gutgelaunt. »Wollt ihr nicht mittun?«

Die Frage war zweifellos ernst gemeint.

»Ich tauge nicht für Schauspiele, Herr, Ihr habt das bereits bei meiner Ankunft gesehen.«

»Ihr nehmt uns die Ziegen noch übel!«, seufzte Karl kopfschüttelnd. »Die Circe verwandelt Odysseus’ Männer in harmlose Schweine, glaubt mir! Da spielen keine Geißen mit, Ihr habt mein Ehrenwort!«

* * *

Das Geplänkel bei Hof war eine Sache. Aber als missus konnte Ebo mit jedem Recht verlangen, die Amtsführung des königlichen Statthalters, Graf Ekbert, zu prüfen. Doch auch das war nicht einfach zu erzwingen!

Graf Ekbert, der so fleißig Berichte über die Schandtaten der halb bekehrten Sachsen an den König geschickt hatte, war weder jung noch alt. Er trug makellose Kleidung, zahlreiche Ringe an den Fingern und hatte ein Bäuchlein unter dem Waffengürtel. Als Ebo in seiner Amtsstube saß, deren Wände und Ecken mit riesigen Büffelhörnern, Wandteppichen und Fellen geschmückt war, nahm er im Hintergrund das junge Weib wahr, das Ekbert kurz zuvor geheiratet hatte. Sie schwebte gleichsam vorbei, ohne dass der Hausherr meinte, sie dem missus vorstellen zu müssen. Ekbert hatte die Angewohnheit, Sätze nicht zu Ende zu sprechen; noch dazu war sein Tonfall ein wenig leiernd, sodass er Ebo an einen recht widerwärtigen Lehrer an der Klosterschule erinnerte. Schlimmer freilich war, dass der Statthalter meinte, dieser missus diaconissus – der Spottbegriff machte die Runde – spielte keine wirkliche Rolle.

Er speiste Ebo mit wenig sagenden, krümeligen Listen über Abgaben der Händler am Stapelplatz Bardovyk ab. »Ich habe nichts zu verbergen, gar nichts. Und wenn Einhard wieder da ist, dann können wir gerne … nicht wahr? Auf jeden Fall, bleibt gesund!«

Und damit ließ er Ebo stehen, als müsse er sich auf die Aburteilung einiger Priestertöter vorbereiten: Der nächste Tag war ein Gerichtstag. Ebo gab die Unterlagen zunächst seinem Schreiber für eine erste Durchsicht. Hedi stellte fest, dass die Listen schon Jahre alt waren. Und auch im treuäugigen Blick des Burschen las Ebo die Zweifel an der Fähigkeit seines Herrn, sich hier in irgendeiner Weise durchzusetzen.

»Was schaut Ihr so dumm drein, Junge?«

»Ich, Herr? Aber …«

Einen Augenblick kämpfte Ebo mit der Versuchung, das Pockennarbengesicht des Jungen zu ohrfeigen. Nur zum Wutablassen! Aber da war diese heitere Beflissenheit des Burschen, die jede Züchtigung grausam erscheinen ließ; und grausam war der Königsbote Ebo nicht, höchstens zielstrebig.

»Haltet Ihr den Grafen für einen klugen Mann, Hedi?«

Der Schreiber blinzelte und betrachtete seine tintenschwarzen Fingernägel. »Er mag uns nicht, glaube ich.«

»Das war nicht meine Frage!«

»Wie kann ich das wissen, Herr? Kommt es denn darauf an?«

»Auf nichts anderes, Junge!«

Der Junge nickte verunsichert und berührte unwillkürlich eine rötliche Pustel am Kinn, die von schwachem Flaum umwachsen war. Er konnte kaum älter als sechzehn oder siebzehn sein.

»Könnt Ihr nicht … ich meine – der Befehlshaber Iburis hat doch so viele Krieger, Herr!«

»Ich hatte gerade denselben Gedanken. Wir werden sehen!«

Wenig später trat Ebo hinaus an den Rand der Straße und wartete. Schräg gegenüber lag das Karls-Haus, aus dem der gundfanari irgendwann wieder herauskommen musste. Neben einzelnen, langhaarigen Reitern und Händlern mit Eselskarren war wenig zu sehen. Doch ein paar Jäger stachen Ebo ins Auge: Sie schleppten einen kräftigen Keiler, der von einem geschulterten Langholz mit dem Rücken nach unten hing. Auf der anderen Straßenseite hielten sie, um das Tragholz auf die jeweils andere Schulterseite zu wechseln. Neugierig ging Ebo hinüber. Er hatte sich noch nie viel aus der Jagd gemacht, doch dieser Eber hatte eine Art weißen Hauch auf den Flanken, die sein Interesse weckten.

»Salz, Herr«, grinste der vordere der beiden Träger, der auch noch einen schweren Spieß trug. »Ein paar Meilen von hier, am Kalkberg, da sind reichlich Salzsuhlen.«

Ebo erfuhr, dass Graf Ekbert dort zu gerne jagte, als dass er mit einer Salzsiederei hätte anfangen wollen. Salz sieden wäre für Haufen von Silber gut, würde aber das Wild vertreiben. Ebo verabschiedete sich mit ein paar freundlichen Worten und machte sofort eine geistige Notiz: Ekbert ist zu dumm oder träge, um sein Land zu entwickeln!

Als die Jäger weiterzogen in Richtung der gräflichen Küche, erschien Iburis mit zwei Kriegern und einem riesigen, braunschwarzen Hund. Das Tier bellte den Keiler einmal scharf an und blickte dann die Straße hinab – um Ebo zu entdecken. In einem seltsamen Hops-Trab hielt er auf ihn zu. Ebos Nackenhaare stellten sich auf. Dann aber sah er, dass dieses Vieh mit dem runden, zernarbten Kopf und der mächtigen Schnauze nur drei Füße hatte.

Musste man vor ihm Angst haben?

»Ruhig, Bero!«, rief der Heerführer.

Einen Schritt vor Ebo blieb der Hund stehen. Die kurzen Ohren waren zerbissen und die misstrauischen, irgendwie brutalen Augen erinnerten verdächtig stark an das Gesicht seines Herren.

»Keine Angst, missus«, sagte Iburis mit freundlicher Herablassung. »Gegen Geistliche hat er nichts! Ich glaube sogar, er mag Weihrauchgeruch.«

»Gundfanari«, begann Ebo etwas steif, »ich habe eine Bitte: Überlasst mir dreißig Eurer Männer, hört Ihr? Nur für ein paar Wochen!«

Iburis’ Kopf ruckte nach links und dann nach rechts. »Nein!« Schon setzte im Hintergrund ein albernes Geblöke und Gemecker ein. Ebo erkannte mit einem kleinen Ziehen im Unterleib den Pickeligen, der ihm auf den Schuh gespuckt hatte. Iburis schien diese Verhöhnung nicht zu hören. Er riss ein Stück von seiner Wurstkette am Gürtel ab und hielt es in Schulterhöhe. Trotz des fehlenden Vorderbeins richtete sich das Tier sofort auf und biss lautstark zu.

»Wollt Ihr auch?« Er riss ein weiteres Stück Fleisch ab.

»Danke, nein.« Ebo atmete durch. »Hört zu, Iburis, wenn Ihr mir zehn von Euren Leuten zur Verfügung stellt …«

»Bockmist, warum sollte ich?!« Ebo sah gelbe, kräftige Zähne, während der andere das Wurststück zerkaute. Der missus griff verlegen nach seiner Kette am Gürtel, einem Rosenkranz aus Elfenbein und befingerte die ersten Perlen. Warum hatte er sich nur zu dieser Bettelei herabgelassen? Er wollte schon weitergehen, da sagte Iburis in geradezu mitfühlendem Ton: »Ist nicht leicht, was?«

Ebo zwang sich, zu lächeln. »Der König hat mich hergeschickt«, sagte er und merkte selbst, wie lahm das klang.

»Ich sage Euch jetzt mal was, kluger Diakon!« Ebo zog ein Tuch aus der Tunika und wischte sich über die Stirn und den vorderen Teil des Schädels. »Dieser kleine Consiliarius Einhard, der hat Euch seinen Arsch gezeigt, hm?«

»Und wenn?«

»Wenn Ihr Kämpfer braucht, Mann, dann besorgt sie Euch! Ihr seid nicht der Erste, dem ich das sage.« Iburis Tonfall wurde geradezu vertraulich und Ebo merkte, wie der andere sich in der Rolle des Ratgebers gefiel. »Krieger, die man Euch gibt, werden Euch auch wieder genommen, missus, versteht Ihr? Nur die Männer taugen etwas, die Ihr selbst einschwört, glaubt mir.«

»Und wo findet man die hier?«

»Morgen ist Gericht«, sagte der andere achselzuckend. »Da läuft immer viel Volk zusammen.«

Und dann hatte Ebo eine geradezu irrsinnige Idee.

* * *

Unter einer weit ausladenden Eiche auf einem Hügel fand am nächsten Tag das Gaugericht statt. Eine erdfarbene Kreuzfahne hing von einem zwölf Fuß hohen Pfosten, nur gelegentlich von einer leichten Brise bewegt. In einem Halbkreis saßen ein Dutzend Richter: der Königssohn in der Mitte, der Statthalter Graf Ekbert und Hofkapellan Odilo, ein Bischof, der Heerführer Iburis und einige Edle aus der Umgebung. Ebo hatte sich den Platz zwischen dem Grafen Ekbert und dem Bischof gesichert. Auf dem etwa acht Schritt langen Tisch im Scheitelpunkt des Halbkreises stand ein massives Eisenkreuz, eingerahmt von einer Heiligen Schrift und einer flachen Holzkiste, in der gerichtliche Kapitularien oder Urkunden liegen mochten. Weiß-graue Wolken zogen sich am Himmel zusammen, als die ersten Menschen mit gesenktem Kopf vortraten. Einer der Leute Graf Ekberts trug mit schriller Stimme die Vergehen vor: Neben kleineren Diebereien, Hexerei-Anschuldigungen und einem Fall von Brautraub kam schließlich eine Frau mittleren Alters an die Reihe, die angeblich von einem der Ekbert-Leute geschändet worden war. Die stämmig gebaute, wenig hübsche Frau hatte ihr Kopftuch bis zu den Augenbrauen gezogen und glättete immer wieder mit nervösen Bewegungen die schmuddelige Schürze über ihrem Kleid.

»Wer spricht für Euch?«, fragte sie der Prinz.

Die Frau zeigte daraufhin mit grimmiger Miene auf einen der Bewaffneten am Rande der Menge und stieß irgendwelche ursächsischen Silben aus, die Graf Ekbert für Karl so übersetzte: »Sie hat keinen Leumund! Kein Mann ist bereit, ihre Anschuldigungen … sinnlos.«

Der Prinz nickte bedächtig, während seine Finger mit einem Kohlestummel einen Umriss der Frau in sein Notizbuch malten. »Dann ist der Krieger da hinten also der Beschuldigte? Einer von Euren Leuten?«

»Mag sein«, stellte Ekbert unbeeindruckt fest. »Aber sie – sie hat keinen Mann, der für sie spricht und daher …«

»… können wir weitermachen!«, ergänzte Karl, dem Ekberts Stummelsprache sichtbar auf die Nerven ging. »Anmerkungen, Ebo?«

Der geradezu melancholische Blick des Königssohns überraschte den Königsboten. »Herr?«

»Mitleid mit den Gedrückten und Gequälten, hm?«

»Wer hätte das nicht?«, sagte Ebo hölzern und beugte sich vor, sodass er an Ekbert vorbei zum Königssohn sprach. »Sollte man nicht zumindest mit dem Angeschuldigten sprechen? Ihn auf sanftere Wege bringen?«

Graf Ekbert blickte Ebo mit einem Ausdruck an, als hätte sich eine Wespe seinem Gesicht genähert. Statt einer Antwort befahl er laut, die Frau zu entfernen. Prompt scheuchten zwei Bewaffnete sie mit dem stumpfen Ende ihrer Speere vom Platz.

»Wisst Ihr, Graf Ekbert, dass gestern zu mir zwei Weiber kamen, Hörige. Ihr habt richtige Stoßböcke unter Euren Leuten, erzählten sie. Sie schänden so manche Magd mit mehreren Männern!«

»Gerede, Gerede, dummes Zeug!«, stieß Ekbert aus, dessen Gesicht Farbe bekam. »Schickt solche Leute zu mir!«

»Wirklich?«, wollte der Prinz nun wissen. »Ekbert, Ihr steht hier für das fränkische Königtum, wenn ich mich nicht irre?!«

»Herr … Die Rebellen … Wir müssen uns jetzt um sie kümmern!« Er wies nach vorn, wo die Gerichtswachen nun gut ein Dutzend gefesselter und sichtbar geschundener Männer in das Halbrund vor den Richtern trieben. Aus der Menge hinter den Wachen wurden Rufe laut, manche klangen wie Jammerschreie, andere wie Drohungen.

Diese Männer waren dem Tode geweiht.

Schon begann Ekberts Anklageleser mit seiner durchdringenden Stimme zu schildern, wie die Unholde die Zehnteintreiber des Statthalters mit Knüppeln und Äxten umgebracht hatten.

Ebo beschloss, aufs Ganze zu gehen.

»Herr, Imperator des Nordens!« Der ungewöhnliche Titel gefiel dem Königssohn Karl, sofort hatte Ebo seine Aufmerksamkeit.

»Was ist denn noch, missus?«

»Ist das nicht ein übler Gegensatz, Herr?« Ebo beugte sich wiederum vor. »Dass die Krieger des ehrenwerten Grafen Ekbert hier nichts Besseres zu tun haben, als Weiber zu besteigen? Gleichzeitig wächst auf der anderen Seite der Elbe nur ein paar Meilen weiter ein gewaltiger Handelsplatz heran, der unseren Stapelplatz schrumpfen lässt wie einen Schneeball im Frühling?«

»Schluss damit, Diakon!« Der Statthalter war rot angelaufen.

»Sprecht unseren missus hier mit dem gebührenden Titel an, Graf«, sagte der junge Karl kühl. »Was sollen die Heiden um uns herum denken, wenn wir uns nicht gegenseitig respektieren? Und was die Rebellen angeht: Dieser sax hamar am Nordufer ist einer! Warum seid Ihr dem nicht längst auf den Leib gerückt, he?«

»Krieger … er hat viele Krieger …« Ekbert rang die Arme. Und schon stieß Ebo mit einer Halbwahrheit nach: »Unsere Einnahmen am Stapelplatz sind nur noch halb so hoch wie vor fünf Jahren! Das geht aus den Verzeichnissen des Grafen hervor, leider! Eine schlechte Amtsführung ist das, ich werde dem König davon berichten!«

»Lüge, verdammt!« Wütend sprang Graf Ekbert auf, die Hand am Schwertgriff.

»Setzt Euch, Graf«, sagte der Königssohn gereizt. »Wir besprechen alles Weitere morgen mit Euch. Nun zu diesen Kerlen da vorne! Sie haben den Priester Rupert, ähm, getötet?!«

»Verletzt, nicht getötet«, gab Ebo zu bedenken, der sorg­fältige Nachforschungen angestellt hatte.

Beim hitzigen Austausch, der nun zwischen den Richtern erfolgte, ergab sich folgendes Bild: Die Beschuldigten, allesamt mit ihren Zehnt-Abgaben im Rückstand, hatten zwei Eintreiber des Grafen Ekbert getötet und einige mehr in die Flucht geschlagen. Sie waren vom Priester des Sprengels geschickt worden, dem wiederum der Bischof im Nacken saß: In seinen Scheunen und Speichern liefen die Zehnt-Abgaben zusammen.

»Die Heiden müssen begreifen, dass sie den Geboten des Herrn nicht trotzen können!«, stellte der Bischof fest, ein kurzer Mann, der in seinem Purpur-Gold-Ornat wie ein fetter Käfer schillerte. »Sie haben meinen armen Rupert krumm und lahm geschlagen, am Altar!«

»Dann meinten sie wohl Euch, Hochwürden?«, schlug Ebo nüchtern vor.

»Was?« Der Prälat musterte Ebo böse, wobei ihm unglücklicherweise ein lauter Furz entwich.

»Amen, sprach der Darm«, murmelte der Königssohn und leerte den Wasserbecher, der vor ihm stand. »Zur Sache: Die Kerle haben sich gegen uns, gegen die Kirche erhoben. Auf solche Art von Empörung steht der Tod!«

Eine Pause entstand; die Gefesselten schienen die Worte gehört zu haben, denn sie stierten die Richterbank nun mit der Miene der Verzweifelten an.

Graf Ekbert räusperte sich und stopfte ein weißes Seidentuch in seinen Ärmel. »Sind Hörige darunter, für den Ast? Sonst soll das Schwert ihr Leben beenden. Hauptmann?!« Einer der Bewaffneten zog ohne Hast sein Schwert, worauf ein runder Holzklotz in die Mitte der Gerichtswiese gerollt wurde.

»Herr?«, rief Ebo nun mit fester Stimme. »Ich möchte mit den Männern sprechen. Es gibt etwas, das geklärt werden muss!«

Prinz Karl verzog das Gesicht. »Ob sie getauft sind, vielleicht? Das tut nichts zur Sache, mein Lieber!«

Aber er schien nicht wirklich gegen diese letzte Unterredung zu sein. Bevor Karl es sich also anders überlegen konnte, eilte Ebo direkt auf den vierschrötigen, massiven Mann zu, der wie der Anführer der Verurteilten wirkte. Er hatte kaum verschorfte Platzwunden im Gesicht, am Kopf klebten dunkelblonde, fettige Haarsträhnen. Er hatte kleine, blutunterlaufene Augen und eine riesige, unförmige Nase, die aussah, als wäre sie mehr als einmal gebrochen. Der Bart wucherte auf die Brust hinab wie bei einem Greis, doch Ebo schätzte den Mann auf das eigene Alter.

»Ich bin ein Bote des großen Königs Karl, Mann. Hört mir gut zu …«

* * *

Wenig später lief Ebo mit gemessenen Schritten zurück zum Prinzen. Alle der Richter standen nun, raunten leise miteinander oder nippten an den Bechern; es war ein wenig abgekühlt, der Himmel hatte eine gelbgraue Farbe angenommen, es roch nach warmem Regen. Über einen Ast der Eiche waren zwei Seile geworfen worden, für die beiden Hörigen unter den Verurteilten.

»Ich möchte, dass Ihr die Männer begnadigt, Herr«, sagte Ebo ohne Umschweife. »Sie haben sich nach der Bluttat in den Schutz der Kirche, an den Altar geflüchtet, wie gute Christen dies tun. Dort hat der Priester sie überrascht. Aber nach dem neuen Kapitular Eures Vaters vom letzten Herbst ist allen Straftätern, die sich in den Schutz des Gotteshauses flüchten, mit Milde zu begegnen!«

»Auf keinen Fall!«, rief Ekbert. Und der Bischof krächzte, dass Milde die Revolte nur noch vergrößern würde. Der König kratzte sich verdutzt am Hinterkopf, nur über Iburis’ Gesicht flackerte ein spöttisches Grinsen – als Einziger ahnte er, was Ebo vorhatte.

»Zwei meiner Männer!«, ereiferte sich Ekbert. »Die Sachsen haben sie gemordet!« Er schrie den Prinzen regelrecht an, was Ebo insgeheim frohlocken ließ: Der junge Karl mit der kleinen Nase und dem Ringbärtchen sah nicht gerade majestätisch aus, aber anschreien ließ er sich nur höchst ungern.

»Das neue Kapitular«, sinnierte der Königssohn säuerlich, »nun ja … Hofkapellan! Sagt, gilt es nicht nur für die Kernlande? Oder auch für Sachsen?«

Der Angesprochene, der irgendwo zur Rechten Karls stand, kräuselte die Stirn. »Ich meine, es gilt sogar ausschließlich für Sachsen, Herr. Ihr müsst freilich ermessen, ob die Misshandlung eines Priesters davon gedeckt ist.« Dabei wiegte er den Kopf wie einer, der nicht unbedingt Verantwortung für seine Worte übernehmen möchte.

»Und selbst wenn nicht, Herr«, setzte Ebo nach und sah Karl in die Augen. »Ihr seid der neue Herrscher des Nordens, wenn Euer Vater zum Herrn gerufen wird. Ihr erbt doch das Sachsenland und Friesland, Austrien und Mainfranken! Es werden Eure Kernlande sein und Eure Untertanen!«

Für einen Augenblick war Stille.

»Ach wirklich«, sagte Karl spitz und blickte Ebo auf eine ganz neue Art an. »Und das alles weiß so ein …«

Diakon?

»Frevel!«, schrie jetzt Ekbert mit rotem Kopf. »Diese Bastarde« – sein Finger zeigte auf die Verurteilten – »haben meine Krieger ermordet, sie sollen hängen!« Feine Speicheltröpfchen trafen das Gesicht Karls.

»Haltet Euer Schandmaul!«, zischte der Königssohn und wischte sich mit einem Tuch durchs Gesicht. »Ihr seid ein eitler Idiot mit einem fetten Arsch, und wenn Ihr nicht den ganzen Tag auf Eurem Weib liegen würdet, dann würden solche Rebellionen gar nicht passieren! Ich habe ein Maultier in meinem Gefolge, das trägt meine Bücher und Pergamente, wenn wir auf Kriegszug sind. Dieses Tier hat mehr Verstand als Ihr, es ist fleißiger als Ihr und, wenn ich es richtig bedenke …« Karl machte eine dramatische Pause, gleichsam um Luft zu holen.

»… wenn ich es richtig bedenke, ist das Tier sogar hübscher als Ihr. Habe ich recht?«

Die Großen am Tisch schwiegen verlegen, doch aus Prinz Karls Gefolge hinter der Richterbank kamen jetzt laute Lacher. Ekbert war dunkelrot angelaufen. Wild sah er um sich, mit den Händen am Waffengürtel; würden seine Bewaffneten ausreichen, um im Fall eines Kampfes diesen Ort lebend zu verlassen? Das Klirren von Metall lief durch die Reihen der Krieger. Iburis brüllte seinen Leuten etwas zu und trat neben den Königssohn, mit Front zu Ekbert. Sein düsterer Blick signalisierte dem Grafen, dass heute mehr als dessen ahta gefährdet war.

Ekbert fuchtelte mit den Armen. »Ich werde mich bei Eurem Vater … das werdet Ihr … bereuen, zur Hölle …«

Dann rief er nach seinem Pferd und hatte noch so viel Übersicht, seine Kreuzfahne einrollen und mitnehmen zu lassen.

Ebo aber bekreuzigte sich und dankte heimlich Gott. Denn die Verurteilten standen nach wie vor auf der Wiese, umringt von bulligen Speerträgern mit etwas verwirrten Mienen. Ob sie nun als begnadigt galten, wollte Ebo den kommenden Herrscher schon fragen. Doch der zuckte nur die Achseln und fragte, was zum Henker Ebo mit den Männern vorhabe. Der missus straffte sich, da redete Karl schon weiter, in seiner heiter unbeschwerten Art.

»Nein, sagt nichts! Wir machen heute Abend ein Ratespiel und wir wollen es erraten! Habt Ihr genügend Silber, um etwas einzusetzen? Egal, das bekommt Ihr von mir! Und nun erzählt mir mehr von dem Teilungsplan meines Vaters!«

Arnulf. Der Herr der Elbe

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