Читать книгу Arnulf. Der Herr der Elbe - Robert Focken - Страница 19

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Kapitel X

Arnulf hatte Erika nicht alles von seinem Gespräch mit Einhard südlich der Ulzburg erzählt

Tatsächlich hatte Arnulfs Weggefährte aus früheren Zeiten eine harte Warnung ausgesprochen: Der Königssohn Karl war mit seinem Heer gekommen, um Arnulf endlich in die Abhängigkeit zu zwingen, um ihn zu unterwerfen. Auf Geheiß des großen Königs! Dann hatte Einhard noch einen namenlosen Angehörigen der Hofkanzlei erwähnt, der dabei als Antreiber fungieren sollte. Dass der König solch einem Mann die Würde eines missus domenicus verlieh, beunruhigte Arnulf. Streng genommen beunruhigte es ihn sogar mehr als das halbe Tausend Krieger des jüngeren Karls. Denn der König hatte eine gute Menschenkenntnis! Auf einen Schlag sah Arnulf diese kuriose Anordnung vor sich: ein rangniederer Höfling, der auf den etwas unsteten, überheblichen Prinzen Karl traf … um dort sofort unterzugehen, oder aber sich mit Geschick und Verstand zu behaupten. Einhard hatte sich entgegen seiner Gewohnheit drastisch klar ausgedrückt: »Wenn dieser Diakon Euch ans Messer liefert, dann wird er einen Bischofshut und noch mehr von Karl bekommen!«

Einen Bischofshut?

Arnulf hatte Geistliche kennengelernt, die für solch eine Erhöhung töten würden. Ganz so, wie ein königlicher Hundertschaftsführer Blut vergießen würde, um eines der großen Grafenämter zu bekommen! Arnulf selbst hatte beim Kampf um das Herzogtum Bayern einst sein Blut und fast seinen Sohn Arthur gelassen. Nur um am Ende festzustellen, dass da weder der versprochene Lohn noch sonstige Erhöhung wartete, sondern nur seine Frau, über die der König hergefallen war.

Und nun schickte Karl also einen Kanzlisten: Ein Nicht-Krieger sollte den Kriegsherrn bezwingen?! Dieser Diakon konnte nur ein listenreicher Mann sein, ein kluger, verschlagener Kerl, alles andere ergab keinen Sinn. Und Arnulf hatte genügend Selbstkenntnis, um zu wissen, dass das Spiel mit Lug und Täuschung ihm so wenig lag wie die Natter einem Wolf.

Arnulf tat also, was er immer tat, wenn sich Gefahr am Horizont abzeichnete: Er stürzte sich in Rüstungen. Nicht lange nach der Rückkehr aus dem Holstengau erschien er mittags mit aufgekrempelten Ärmeln in der Schmiede. Sie stand in der Südostecke der Burg, weit genug weg von den Pferdeställen und den Wohngebäuden. Wegen der Feuergefahr war die Schmiede selbst aus Stein gebaut, abgesehen vom spitzen, hohen Holzdach. Die gesamte Festung hatten Arnulfs Männer einst aus Buchen- und Fichtenstämmen errichtet. Gewiss waren die Zwischenräume der Außenwälle noch einmal mit Erde und Feldsteinen verstärkt, doch wie leicht konnte Funkenflug die umgebenden Strohdächer in Brand setzen!

»Wie viel Erzschlacke habt Ihr noch, Kassander?«

Der quadratisch gebaute Mann mit der schweren Lederschürze vor dem Leib ließ seinen Hammer noch ein paar Mal auf den Klingenrohling krachen, bevor er auf den Burgherrn reagierte. Der dienstälteste Waffenschmied von Delbende war schwerhörig. Ferner war er meist schlecht gelaunt, eigenwillig und kaum lenkbar. Aber er schmiedete die besten Schwerter, die es an der Grenze gab: Klingen mit sechsfacher Faltung, die biegsam waren und deren Überlappungslinien dann im Sonnenlicht gefährlich schön schillerten.

»Zwanzig Schwerter, Herr, wie vereinbart. Ich mach’s! Wenn ich nicht dauernd gestört werde, wohlgemerkt!«

Arnulf verzog keine Miene. »Wenn Ihr alles verbraucht, was wir noch an Schlacke haben, wie viel ergibt das?«

Der Schmied kniff die Augen zusammen und wischte sich Schweiß von der Stirn. Sein Unterarm war dick wie die Ruderstange eines Schiffes.

»Dreißig Klingen, wenn Ihr nichts mehr herbeischafft.«

Arnulf machte eine schnelle Rechnung. Er hatte einige neue Krieger auszurüsten, dann waren da noch heranwachsende Söhne der Älteren, die ohnehin zu jung waren für echten Schwertkampf im Gefecht.

»Vergesst die Schwerter! Schmiedet stattdessen hundert Speerspitzen! Wir brauchen sie schon bald. Wo ist der Jungschmied? Und Eure Knechte?«

Er zuckte mit den Achseln. »Draußen. Das Pack hält ja nichts aus!«

Der Franke hieß nicht wirklich Kassander. Wegen seiner düsteren Sprüche aber war er irgendwann von Grimbald so getauft worden, nach dem Vorbild einer griechischen Unglücksseherin. Der Name war wider Erwarten hängen geblieben.

»Morgen Abend will ich die ersten zehn Spitzen sehen, ist das klar?«

»Speere, wirklich?« Kassander spuckte aus, ohne den Kopf zu drehen. »Soll der Jungschmied machen! Speerspitzen kann jedes Mädchen hinbiegen!«

Arnulfs Faust zuckte. »Morgen Abend!«, knurrte der Burgherr. Dann trat er an den doppelten Blasebalg, der sonst von den Knechten bedient wurde, und legte los. Die Ledersäcke begannen zu leben, zu atmen und zu fauchen und hell leuchtete die Glut in der Esse auf. Verdutzt musterte Kassander seinen Herrn.

Ich meine es ernst, Schmied!

Als Arnulf kurze Zeit später wieder schwitzend und stinkend aus der Schmiede kam, fing Heden ihn ab. Er fing an über Holz zu reden, doch bevor Arnulf verstand, was er wollte, wurde ihr Augenmerk von einer flatternden schwarzen Fläche gefangen genommen, die Roswith und ihre Freudinnen zusammen mit zwei jungen Burgknechten hin und herschüttelten.

»Was für ein Banner, Mann!«, stieß Heden aus und sah Arnulf mit einer Mischung aus Neid und Anerkennung an. »Rotes Kreuz auf schwarzem Grund, das wird Euch stehen und unseren Feinden Angst machen.«

»Eine Idee von Grimbald«, grinste Arnulf. »Muss eine Woche im Webhaus verbracht haben. Der ovale Kreis um das Kreuz, das soll ein Biberschwanz sein.«

»Ehrlich? Wegen der Biberburg? Die Idee gefällt mir, Mann! Toller Junge!«

»Ja, meistens«, sagte Arnulf lahm und musste die Jagdhunde abwehren, die ihr Interesse an der Kriegsfahne verloren hatten und nun ihren Herrn wieder aus der Schmiede auftauchen sahen. Eifrig umkreisten und umschnupperten sie die beiden Männer.

Heden kratzte seine Bartstoppeln. »Also, das Holz für den Schiffbau: Ich habe drei Dutzend Hauer ins Fuchsholz geschickt. Aber wir brauchen mehr!«

»Vergesst die Schiffe«, sagte Arnulf schroff. »Wir haben andere Probleme.«

»Was denn?« Heden ergriff Arnulfs Oberarm. »Den jungen Karl in Bardovyk? Er hat sich noch nie getraut, er wird sich nicht trauen – Eure Worte!«

»Diesmal ist es anders.«

Arnulf nickte mit dem Kopf zum Wehrgang hin, denn schon kamen Roswith und Gea auf sie zu.

»Sprechen wir im Hugin weiter.«

Sie stiegen die Trittstufen zum linken der beiden Wehrtürme hinauf. Hugin und Munin, so hießen die beiden Raben Wodans. Ihre sächsischen Krieger hatten die beiden Türme irgendwann so genannt, vielleicht in einem rabenreichen Winter, in dem die Tiere ständig auf die Brotkrumen der Turmwachen Jagd machten.

An der Brustwehr des Turms nickte ihnen ein junger Bursche im Schuppenpanzer zu, einer von Arthurs Leuten. Er verstand Arnulfs Blick und ließ sie allein.

»Mit dem Schiffbau müssen wir warten, bis wir wieder klare Sicht haben«, sagte Arnulf mit flacher Stimme, wenn auch freundlicher als zuvor. »Einhard sagte, der König ist auf Kampf gebürstet. Will uns unterpflügen, weil wir die Rebellen aus Südelbien aufnehmen. Wegen der Flüchtlinge soll Einhard auch den Holsten und Sturimarn drohen!«

»Die werden ihn nicht gerade mit Jubel empfangen.« Heden schien plötzlich sehr nachdenklich. »Neulich in der Halle, da klang das alles halb so wild bei Euch!«

Arnulf machte eine vage Handbewegung. »Kein Grund, den Leuten schon Angst einzujagen, oder? Aber vorbereitet müssen wir sein. Also, lieber Freund, wir werden nicht gerade eine Seeschlacht gegen unsere alten Brüder kämpfen!«

»Gegen die nicht«, sagte Heden trocken und befingerte seine Ketten, die teils aus Bärenkrallen, teils aus Silberanhängern bestanden. Hedens sogenannte Bärenhäuter waren neben Arnulfs Schwarzen die schlagkräftigste Truppe König Karls gewesen. »Aber – vielleicht gegen die Dänen.«

»Wieso das denn?«

»Ich habe Widukind gesprochen. Er grüßt Euch.«

»Wo? Wann?« Durch Arnulf ging ein Ruck. »Das erzählt Ihr jetzt erst, Mann?«

Heden presste die Lippen zusammen und zog ein rostrotes Lederetui aus seiner Tunika. »Für Euch, hamar. Er braucht es nicht mehr, sagt er.«

Überrascht faltete Arnulf das Etui auf und erkannte sofort das mit Gold geprägte Herrschaftszeichen wieder, das aus Karls Namen und einem Adlerkopf bestand. »Mein altes Siegel«, entfuhr es Arnulf. »Ich gab es Widukind, als wir ihn aus diesem Gemäuer holten, damals!«

Sie sahen einander an, und beiden stand die Szene wieder vor Augen: wie sie nach ihrer Flucht aus dem Königslager das Kloster angesteuert hatten, in dem der geschlagene Sachsenherzog von Karls Vasallen gefangen gehalten wurde. Wie sie die bewaffneten Schergen des Abts zur Seite gefegt hatten; wie der ehemals so mächtige Herzog Widukind ihnen abgemagert in einer schwarzen Kutte gegenübergetreten war, mit geschorenem Kopf.

»Er hat nie geglaubt«, sagte Arnulf rau, »dass wir ihn um seiner selbst willen befreit haben.« Arnulfs Lächeln wirkte bitter. »Bei Gott, in Wirklichkeit wollte ich Karl einfach nur wehtun, ihn reizen! Aber das wisst Ihr selbst, Mann. Niemand kennt mich so gut wie Ihr, Heden!«

»Lasst das nicht Erika hören, sonst wird sie eifersüchtig!«

Arnulf musste grinsen – der Satz war eine der netten Finten, die Heden jederzeit in einem Gespräch absondern konnte. »Also, was ist mit Widukind? Ist er noch an Ragnars Hof?«

»Ja. Wir trafen ihn am großen Slawen-Handelsplatz in Reric17, per Zufall. Er fuhr ein mit einem Schiff Ragnars. Ein prachtvolles Kampfschiff mit dreißig Rudern, Mann, und einem Segel, dessen Stellung man verändern konnte …«

»Weiter«, schnappte Arnulf. »Kommt zur Sache!«

Der andere verzog das Gesicht und blickte hinaus auf das Flusstal, wo die Graugänse vom Wasser aufstiegen – der Adler kreiste über ihnen! »Es hieß, er wirbt Männer an«, fuhr Heden fort, die Arme vor der Brust verschränkend. »Als würde er einen Rachefeldzug gegen König Karl planen.«

»Die Zeiten sind vorbei!« Unwillig schüttelte Arnulf den Kopf. »Schätze, heute könnte er kaum noch seine Falen aufwiegeln!«

»Eben«, nickte Heden, der Arnulfs Verwirrung nur kurz genoss. »In Wirklichkeit geht es ihm um etwas anderes. Er hat in Reric mit einem Slawenfürsten verhandelt, im Namen von Ragnar.«

»Meint ihr den Ragnar Ragnarsson, dem wir neulich bei der Sklavenjagd auf den Schwanz gehauen haben? Wolfgers Freund?«

Heden nickte und seine Stimme klang lebendiger denn je. »Genau mit dem! Er sitzt jetzt mit Widukind in einem Boot! Sie wollen den jetzigen Dänenkönig stürzen und suchen Verbündete!«

»Himmel«, ächzte Arnulf. Er ahnte, worauf Heden hinauswollte, aber das Ganze klang reichlich vage und vor allem nebelhaft! Es war eine Sache, die sie voneinander unterschied: Das strategische Intrigenspiel anderer Stämme schien Heden nicht nur zu faszinieren, sondern auch neue Möglichkeiten zu bieten. Für Arnulf hingegen war solche Unübersichtlichkeit wie der üppige, allzu grüne Bewuchs einer feuchten Senke: die konnte sumpfig sein und ins Verderben führen! Arnulf massierte sein Kinn, kräftiger als zuvor. »Was hat das alles mit uns zu tun, Mann?«

»Ihr wisst, Arnulf, was eine Horde Dänen anstellt, um die Krone zu beanspruchen: Sie machen Krieg! Um ahta zu erwerben und um an Beute zu kommen, mit der sie neue Vasallen anwerben. Es kann sein, dass Ihr diesen Ragnar-Leuten ein neues Ziel gegeben habt mit dem kleinen Gefecht gegen Wolfger.«

Die letzten Worte ärgerten Arnulf, sie klangen leichtfertig bis gehässig.

»Mann, das ist alles reichlich übertrieben! Wegen der Sklavengeschichte machen die nicht einfach Krieg gegen uns! Und im Übrigen treffe ich hier die Entscheidungen! Ihr habt dafür die Freiheit, durch die Welt zu segeln, wie es Euch gefällt! Als Wolfger uns hier vor der Nase vorbeifuhr, da hätten wir Euch gut brauchen können!«

»Und?«, knurrte der andere gereizt. »Wollt Ihr eine Entschuldigung hören?«

»Blödsinn!« Arnulf packte den anderen am Oberarm. »Mann, wir sind zusammen durch so viel Scheiße gegangen, wir müssen zusammenstehen! Immer!«

Zu Arnulfs Überraschung zeichnete sich nun ein Lächeln zwischen Hedens dunklen Stoppeln ab. Natürlich, was sonst?, schien dieses Lächeln zu sagen.

Arnulf streckte seine Rechte aus. Nach einem kleinen Zögern ergriff sie Heden so, dass die Hände jeweils das Handgelenk des anderen umklammerten. Der Schlachtenschwur, den sie dann sprachen, hätte für Außenstehende seltsam geklungen:

»Gottes Heil und Saxnoths Segen

Auf Knochen und Blut!«

17 Heute: Groß-Strömkendorf bei Wismar (Ostsee)

Arnulf. Der Herr der Elbe

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