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In der Damenkabine neben dem großen Salon prüft Erika im Spiegel, ob ihr Hut korrekt auf dem Haar sitzt. Sie hat sich für den heutigen Tag, passend zum dunklen Kostüm und der hellen Bluse, eine auffallend hohe Kopfbedeckung ausgesucht. Unter der schwarzen, breit ausladenden Krempe fallen die blonden Haare beidseitig des Kopfes lockig herab.

Daneben, am Waschtrog, zieht Christa Nussbaumer das Lippenrot nach. An einer Sitzung des Kindergartenbeirats hat Erika die kleine Bündnerin kennengelernt. Schon bald haben die Frauen sich auch privat getroffen und pädagogische Ideen ausgetauscht. Christa beschrieb Erika die Reformen nach Maria Montessori, den offenen Unterricht für die Kleinen. Sie brauchte wenig, um Erika davon zu überzeugen, sie rannte bei ihrer Vorgesetzten offene Türen ein. In der Ostschweiz habe sie von ähnlichen Versuchen gehört, bestätigte ihr Erika.

Mit den modernen pädagogischen Absichten gehen die beiden Frauen nicht hausieren. Erika ist froh, dass Christa ähnliche Werte unterstützt wie sie. Zum Beispiel, wenn Christa den Eltern erklärt, die Kinder anders anzuleiten, als sie selber es vielleicht einmal erlebt hatten, kindgerechter. Oder wenn sie am Elternabend die Gedanken zum freien Spiel vorsichtig einfließen lässt, weil sie beide wissen, dass einzelne Eltern auf das Ansinnen skeptisch reagieren. Die Kinder brauchten eine straffe Führung, hören sie, gerade in Kriegszeiten sei dies äußerst wichtig.

»Ist das in Ordnung, wenn ich meine Ansprache auf dem Rütli halte, nachdem ich die Lieder mit der Handorgel gespielt habe?«

Erika runzelt die Stirn. »Ich weiß nicht, mein Mann hat mir keine klare Antwort gegeben. Er war überrascht, als ich ihm das Anliegen heute Morgen vortrug.«

»Du hast es ihm erst heute Morgen gesagt?«

Erika nestelt am Hut. »Ja, es war besser, ihn vor die vollendete Tatsache zu stellen, ich befürchtete eine Absage.«

Christa überlegt. »Es wäre gut, wenn ich gleichzeitig zu allen Mitarbeitern sprechen könnte, das wird einzig auf dem Rütli der Fall sein. Ich habe den Text, den ich dir gezeigt habe, noch ein wenig geändert, Beispiele hinzugefügt, sicher nicht verschärft.« Sie prüft ihr Lippenrot und rückt das aufgesteckte Haar zurecht.

»Du weißt, Christa, dass mir deine Gedanken gefallen. Sie werden bei einigen, die zuhören, auf Unverständnis stoßen, womöglich Unmut auslösen, das macht nichts. Den Namen von Maria Montessori würde ich nicht erwähnen, die meisten kennen sie nicht, und für ein paar wenige ist sie ein rotes Tuch. Karl wird an deiner Rede sowieso zu beißen haben. Wir nehmen ihn beim Wort, oft lobt er uns Frauen, manchmal mehr, als mir lieb ist.«

»Du bist eifersüchtig?«

»Es kommt vor. Aber mehr stört mich, wenn er uns als Hausfrauen rühmt. Meine chemischen Kenntnisse sind bescheiden, einverstanden. Der Zugang zur Welt von Säuren, Soda und Sulfaten fällt mir nicht leicht. Ich kenne die Arbeit meines Vaters, den Umgang mit Seidenprodukten, und weiß, dass dieser ohne chemische Indus­trie nicht auskommt. Von zu Hause ist mir vertraut, wie in einem Unternehmen geführt und entschieden wird, oft schnell und ohne lange Absprachen. Doch Karl hat mich nicht als Mitarbeiterin im Betrieb ausgewählt, sondern als Ehefrau. Aber ich will, dass er mich am Geschehen im Betrieb teilhaben lässt, dort, wo ich mir eine Meinung bilden kann.«

»Tut er das nicht?«

Erika zieht das dunkle Braun der Lidschatten nach. »Zu wenig, finde ich. Das Geschehen in der Fabrik und im Dorf bleibt in unseren Gesprächen oft ausgeklammert. Zwar berichtet er, wenn’s hochkommt, von Schwierigkeiten mit der Büroabteilung, er schimpft über Unpünktlichkeiten und Alkoholkonsum von Arbeitern, deutet Probleme mit den Behörden in Bern an wegen der Kriegswirtschaft. Aber so richtig interessiert ihn meine Meinung dazu nicht. Es geht ihm mehr ums Dampfablassen.«

»Apropos Dampf: Dass er den feudalen Raddampfer für eure Hochzeitsreise ausgewählt hat, ist kolossal.« Christa kneift die Augen zusammen, als gelte es, eine Zielscheibe aufs Korn zu nehmen. »Zahlt dein Karl die ungewöhnliche Spritzfahrt aus dem eigenen Sack oder übernimmt die Fabrik die Kosten? Immerhin ist es eine Extrafahrt, ausschließlich für uns, das wird kein Pappenstiel sein.«

Erika kennt das spitze Mundwerk der Kollegin, nicht immer findet sie es passend. Ihr Gesicht rötet sich leicht.

»Es ist ein Beispiel für Karls Umgang mit Finanzen. Er sagt, dass die Schiffsmiete günstig ist, weil in den Monaten Juni und Juli keine Fahrten der ›Schiller‹ auf dem Vierwaldstättersee gebucht wurden, weder als Kursschiff noch zu privaten Zwecken. Die Nachfrage für Schifffahrten muss in den vergangenen zwei, drei Kriegsjahren eingebrochen sein. Was die Fa­brik vom Ausflug übernimmt und was mein Gatte zahlt, weiß ich nicht. Immerhin ist es auch ein Betriebsausflug.«

»Hast du ihn gefragt?«

»Nicht wirklich. Ab und an wage ich es.«

»Und?«

Erika steckt die Schminkutensilien ins Handtäschchen.

»Dann weicht er aus, er müsse zuerst den Buchhalter fragen, oder meint ohne Umschweife, um Geld und Finanzen müsse ich mich nicht kümmern. Zum Gefrierpunkt kommt es, wenn er fragt, ob ich denn mit dem Haushaltsgeld nicht zufrieden sei.«

»Das kommt mir bekannt vor.«

»Dein Mann verhält sich ähnlich?«

»In Geldfragen …«

Erika lächelt. »Vielleicht baust du in deine Rede ein paar Gedanken zum Thema Ehemänner und häusliche Finanzen ein.«

Christa schwenkt den Kopf hin und her.

»Warum nicht?«

Vom Ende einer Rütlifahrt

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