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2.2 Geistliche Literatur und Praxis als locus theologicus

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Wie bereits erwähnt, kommt es mit der Blüte der scholastischen Theologie im Hochmittelalter zu einer Differenzierung zwischen geistlicher Literatur und schultheologischen Werken über Fragen des geistlichen Lebens. Die Traktate der thomasischen Summa über die Gabe der Prophetie, die mystische Entrückung und das kontemplative Leben unterscheiden sich deutlich von den geistlichen Werken dieser Zeit, die in praktischer Orientierung zu einem kontemplativen oder apostolischen christlichen Leben hinzuführen versuchen. Neben der bereits behandelten Frage nach der Aufgabe einer Theologie der Spiritualität innerhalb des theologischen Fächerkanons stellt sich damit auch die Frage nach der Bedeutung der geistlichen Literatur für die theologische Reflexion. Dass diese Frage für die Theologie der Spiritualität von besonderer Bedeutung ist, dürfte leicht ersichtlich sein: Wenn auch die anderen Disziplinen bei Gelegenheit gleichfalls auf diese Quellen zurückgreifen, ist ihr doch die Beschäftigung mit ihnen in besonderer Weise aufgegeben.

K. Rahners These

Im Anschluss an Karl Rahner kann argumentiert werden, dass die geistliche Literatur als eigener locus theologicus zu betrachten sei. In seiner 1956 erstmals veröffentlichten Schrift Die Logik der existentiellen Erkenntnis bei Ignatius von Loyola reflektiert Rahner nicht allein auf die noch unausgeschöpften theologischen Impulse des ignatianischen Exerzitienbuchs, sondern er fragt auch in grundsätzlicher Hinsicht nach dem Verhältnis zwischen spiritueller Unterweisung und systematisch-theologischer Reflexion. Dabei unterscheidet er zwischen zweierlei Typen von Frömmigkeitsliteratur:

„Es gibt (…) fromme Literatur zu Händen von allen und jedermann, die gegenüber der hohen Theologie sekundär ist, weil sie in vereinfachter Weise bloß wiederholt, was schon in den Büchern der Schultheologie steht. Es gibt aber auch eine fromme Literatur, die ein anderes Verhältnis zur gelehrten Theologie hat. (…) Es gibt fromme Literatur, die der Reflexion der Theologie vorausgeht, die ursprünglicher ist als diese, die weiser und erfahrener ist als die Schulweisheit, eine Literatur, in der der Glaube der Kirche, das Wort Gottes und die Tat des Heiligen Geistes, der nicht aufhört in der Kirche zu wirken, sich ursprünglicher zu Wort melden als in den Abhandlungen der Theologen“ (138:75).

Im Blick auf solche Zeugnisse müsse sich der Theologe fragen, „ob er schon über die Mittel in seiner Theologie verfüge, dasjenige, was hier gelebt wird, wirklich zu einem reflexen Bewusstsein zu bringen, genauer verständlich zu machen und zu rechtfertigen, oder ob es so ist, dass (…) seine Theologie erst noch wachsen müsste (…), bevor sie (…) den Dienst leisten kann, die der unreflexe Vollzug des christlichen Daseins an sich von der Theologie erwarten darf“ (138:95f.). Nach Rahner bilden geistliche Literatur und die sich daraus speisende Praxis christlicher Mystagogie, wo sie sich nicht in schlichter Repetition und Trivialisierung erschöpfen, einen eigenständigen locus theologicus, einen Fundort theologischer Erkenntnis, der der wissenschaftlichtheologischen Reflexion vorausliegt und dem bei allen Wechselbezügen Eigenständigkeit zukommt. Die von Rahner selbst untersuchten Werke bilden nicht nur ein Scharnier zwischen christlicher Existenz und theologischer Reflexion, sondern sie enthalten auch zukunftsweisende theologische Einsichten und Erfahrungen. Solche Schriften erfassen und regulieren christliche Lebensvollzüge in einer Weise, die als sapiential zu bezeichnen ist.

Hermeneutische Herausforderungen

Für eine Hermeneutik des christlichen Lebens bietet dieser theologische Fundort reichhaltiges Material für ,dichte Beschreibungen‘. Dabei stellen sich methodisch gesehen eigene Herausforderungen. Um den Vollzugssinn von verschriftlichter Mystagogie zu erfassen, muss eine solche theologische Hermeneutik insbesondere die Performanz der (Selbst-)Artikulation ins Auge fassen, also den Zeugnischarakter der Texte ebenso beachten wie ihre mystagogische Intention. Von schlichter Bekenntnisliteratur oder aszetischen Handlungsanweisungen unterscheiden sich die mystagogischen Texte, die in Rahners zweite Kategorie passen, durch eine indirekte Form, neue Lebensmöglichkeiten zu erschließen: etwa durch poetische Verschlüsselung, allegorische Exegese oder durch regulative Modelle, die nach persönlicher Adaptation verlangen.

Historische Beispiele

Die These von der geistlichen Literatur und Praxis als einem eigenständigen locus theologicus lässt sich theologiegeschichtlich vielfach belegen. Ich nenne nur drei Beispiele: Die kappadokische Pneumatologie, die die theologische Grundlage für die lehramtliche Definition der Göttlichkeit des Geistes legte, entwickelte sich unter dem Eindruck neuer spiritueller Aufbrüche in Kappadokien, Ägypten und Mesopotamien (Staats/463:94ff.). Über tausend Jahre später war es die Lektüre der Predigten Taulers und der Theologia Deutsch, die dem Augustinermönch Martin Luther wesentliche Einsichten seiner späteren Theologie vermittelte (Leppin/437:72ff.). Als drittes Beispiel ließe sich Rahner selbst anführen, dessen intensive Beschäftigung mit der geistlichen Literatur und dem ignatianischen Erbe sein Denken nachhaltig prägte (Zahlauer/482).

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