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1.2 Pneumatische Erfahrungen

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Deutungskategorie oder Erfahrung?

Nach Udo Schnelle nimmt Paulus innerhalb antiker Sinnentwürfe „eine Neudefinition göttlicher Gegenwart vor, indem er den Geist als uneingeschränkte schöpferische Präsenz des Kommenden definiert“ (460:555). Schnelle schließt sich einer jüngeren Tendenz der deutschsprachigen Paulusforschung an, die betont, ,Pneuma‘ sei im corpus paulinum vornehmlich als kerygmatische Deutungskategorie zu verstehen. Diese Deutung richtet sich gegen Hermann Gunkels einflussreiche These, den pneumatischen Erlebnissen der Urkirche komme eine geschichtliche und sachliche Prävalenz gegenüber den theologischen Deutungen zu. Dass die biblischen Schriften eine Fülle von Geisterfahrungen bezeugen und die metaphorische Rede vom Pneuma Gottes auf eine dynamische und als solche erfahrbare Wirklichkeit verweist, ist allerdings schwerlich zu bestreiten. Diese jüngere Forschungskontroverse ist in gewisser Weise in der Sache selbst begründet, bezeichnet doch die Rede vom ,Pneuma‘ eine ebenso wirkmächtige wie ungreifbare Realität. Die Wahrnehmungsschwierigkeiten ergeben sich durch ein besonderes Näheverhältnis. Der Geist Gottes ist unbeobachtbar und zeigt sich nur indirekt an den Wirklichkeiten, die er heilsam verändert: an der Leidenschaft, die er weckt, und der Frucht, die er hervorbringt. Die beiden exegetischen Thesen sind deshalb als komplementär zu verstehen: ,Präsenz des Pneumas‘ ist eine kerygmatische Deutungskategorie, die sich pneumatischen Erfahrungen verdankt und solche zu erkennen hilft.

Geisterfahrung als Differenzerfahrung

Die Erfahrung einer (neuen) Gegenwart des Geistes ist im Kontext des christlichen Glaubens an die schöpferische Allgegenwart Gottes und die erlösende Selbstvergegenwärtigung in Leben, Tod und Auferweckung Jesu Christi als spezifische Differenzerfahrung zu bestimmen. ,Gegenwart‘ bedeutet in diesem Zusammenhang weder temporale Gleichzeitigkeit noch räumliches Beieinandersein, sondern eine durch Gott frei gewirkte Relation: ein schöpferisches und freies Sich-in-Beziehung-Setzen zu Zeitlichem, das ohne ihn nicht wäre. Spezifisch christlich ist dabei nicht, dass Christen glauben, Gott sei allem Zeitlichen gegenwärtig, sondern wie sie diese Gegenwart verstehen und auf welche Weise sie diese wahrzunehmen glauben. Im Anschluss an die paulinischen Aussagen über die Gegenwart des Geistes im Herzen der Glaubenden lässt sich zwischen Gottes Allgegenwart und den vielfältigen Weisen seiner eschatologisch qualifizierten Einwohnung unterscheiden. Gott ist allem gegenwärtig, doch nur Menschen vermögen diese wirksame Gegenwart zu erkennen und ihr zu entsprechen. Gott vergegenwärtigt sich allen Menschen, doch nicht allen auf die gleiche Weise, und nicht alle erkennen es und sind bereit, sich von dieser Gegenwart bestimmen und Gottes Geist bei sich ,einwohnen‘ zu lassen. Dass der Geist einwohnt, manifestiert sich nicht nur in besonderen Gebetserfahrungen (Röm 8,26; 1 Kor 14), der Geisttaufe (Apg 2,1ff. und 10,44ff.) oder den Auswirkungen eines christusförmigen Lebens (Gal 5,22f.), sondern ebenso in einer neuen Selbst- und Weltwahrnehmung. Wenn es wahr ist, was Christen glauben, nämlich dass Gott als schöpferische Liebe gegenwärtig ist, dann erschöpft sich die gläubige Wahrnehmung der Gegenwart Gottes nicht in einer religiösen Interpretation weltlicher Faktizität. Sie ist vielmehr selbst als geistgewirkt zu verstehen und damit eine Konkretionsform von Gottes transformativem Wirken am Menschen.

Geisterfahrung als Kontrasterfahrung

Diesseits der Kontroverse um die Geisttaufe, auf die noch zurückzukommen sein wird, sind sich die Lehrer des geistlichen Lebens darin einig, dass besondere Geisterfahrungen nicht gesucht werden sollen. Der primäre Ort christlicher Pneumaerfahrung ist die Bedrängnis, Schwachheit und Zerbrechlichkeit der Zeugen und Zeuginnen der Geistesgegenwart. Während der ideale Pneumatiker sich nach gemeinantiker Vorstellung durch Machttaten und Stärke ausweist, beruft sich Paulus auf seine Leiden und Anfechtungen. Gerade im paradoxen Beieinander von Schwäche und Kraft erweist sich sein Apostolat als dem Geschick Christi gemäß und als aufbauender Trost für seine Adressaten (Horn/429:413). Mit der pneumatologischen Metapher vom ,Angeld des Geistes‘ verweist Paulus ebenso auf die schon erfahrbare neue Präsenz des Geistes wie auf seine noch ausstehende Fülle. Als Zeit der Bedrängnis trägt die lebens- und geschichtszeitliche Gegenwart eines geistbestimmten Lebens das Signum des Kreuzes. Sie ist geprägt von einer Hoffnung, in der das spannungsvolle Miteinander von der Präsenz des Geistes und der Persistenz der Abergeister erkannt wird als die Gleichzeitigkeit einer vergehenden und einer neuen Zeit. Die altgewordene und dennoch nicht vergehen wollende Zeit menschlicher Selbstbezogenheit ist durchbrochen von der neuen Zeit Gottes, die als letztgültige Wirklichkeit den Absolutismus des Faktischen durchbricht und als wirksame Gegenwart neue Anfänge und unverhoffte Ausgänge erschließt.

Geistesgegenwart im Zeitalter der Beschleunigung

Im Hinblick auf das Zeiterleben, in dem sich Selbst- und Welterleben verschränken, ist die neue Zeit des geistesgegenwärtigen Lebens zugleich geprägt von Zeitbefristung und Zeitgewährung. Während nämlich, biblisch gesprochen, die Macht des alten Äons radikal befristet wird, erfahren sich Glaubende als Menschen, denen sich aller Befristung zum Trotz Gegenwart neu erschließt, indem sie von der Last des Vergangenen und der Sorge um das Künftige befreit werden. So kann Meister Eckhart schreiben, Gott sei „ein Gott der Gegenwart. Wie er dich findet, so nimmt und empfängt er dich, nicht als das, was du gewesen, sondern als das, was du jetzt bist“ (9b:373). Deshalb ist auch die apokalyptische oder gnostische Tendenz, die auf ihr Ende zulaufende Geschichts- und Weltzeit schlechthin mit dem alten Äon zu identifizieren, ebenso problematisch wie die spiritualistische Ankündigung eines neuen Zeitalters des Geistes. Die geistgewirkte Erfahrung, Zeit für ein neues Leben eingeräumt zu bekommen, entfaltet dort ihr kritisches Potential, wo sie Alternativen zu erschließen vermag zur scheinbar unaufhaltsamen geschichtszeitlichen Beschleunigung. Denn sollte die Diagnose stimmen, dass uns durch die neuzeitliche Fixierung auf die Zukunft die Gegenwart abhanden gekommen ist und uns zwischen „dem bisherigen Noch-Nicht und dem bevorstehenden Nicht-Mehr (…) nur das unglückliche Bewusstsein“ bleibt, „immer zur Unzeit gelebt zu haben“ (Sloterdijk/462: 333), so ist es dennoch fraglich, ob ein ,eurotaoistisches‘ „Sein als Sein-zur-Ruhe-in-der-Bewegung“ (462:93) eine wirkliche Alternative oder lediglich eine Variante der mobilisierenden ,Ontologie des Noch-Nicht‘ darstellt. Anders als ein solcher „Geist des Weltbürgertums“, der beansprucht, „als aufgeklärter Akosmismus über sich ins klare“ zu kommen, und mit „authentischer Mystik“ identifiziert wird (462:344), bezieht sich der christliche Glaube auf die geschichtswirksame Gegenwart Gottes, die in Gegenstellung zum untergründig wirksamen Großmythos einer „evolutionistisch entfristete(n) Zeit“ (Metz/442:170) lebenszeitlich befristete Gegenwart erschließt und in wenig aussichtsreichen Umständen eine tätige Gelassenheit freisetzt, die nicht verloren gibt, was ihr geschichtlich aufgegeben wurde (2 Kor 4,8ff.). Wenn Glaubende auch an der ,Schrumpfung der Gegenwart‘ teilhaben, die sich die mobile Gesellschaft durch den Versuch einhandelt, die Kürze des Lebens durch Beschleunigung des Erlebens wettzumachen, so leben sie doch zugleich in einer anders bestimmten Gegenwart, die sich zwischen dem vergangenen alten Leben und der Hoffnung auf den endgültigen Durchbruch des neuen ausspannt. Diese eschatologische Neubestimmung der Gegenwart bringt ihre Spannungen nicht zum Verschwinden, sondern ans Licht, indem sie aufgrund der kontrasterzeugenden und Handlungsspielräume erschließenden Zeitgewährung konkret fragen lässt, „wer wen oder was, wo und warum beschleunigt – oder verzögert“ (Koselleck/435:202) und wer unter dieser Beschleunigung oder Verzögerung leidet oder gar durch sie zu Tode kommt. Das durch den Schöpfungs- und Erlösungsglauben geschärfte Kontingenzbewusstsein, dass die Welt nicht sein müsste und nicht so sein müsste, wie sie ist, dass die „Zeit kurz ist (…) und die Gestalt dieser Welt vergeht“ (1 Kor 7,29.31), führt nicht notwendigerweise zu einer spiritualistischen Entwertung des irdisch Vergänglichen oder zu einer apokalyptischen Abbruchsehnsucht, die im „Sog des Endgültigen (…) alles unwichtig werden (lässt), was als Unterscheidung an der Gegenwart zu treffen wäre“ (Weder/473:55). Eine solche Vergleichgültigung des Vorläufigen und Befristeten kann als religiöse Variante der menschlichen Versuchung gesehen werden, seine Vergänglichkeit imaginativ zu überspielen. Als eine von der verborgenen Gegenwart Gottes erfüllte hat die befristete Gegenwart des Menschen eine eigene Kostbarkeit. Während sie ihre Fülle dem verbirgt, der ungeduldig über sie hinausdrängt, offenbart sie sich der Kontemplation des Glaubens als pneumatisch qualifizierte Stunde, die bei aller Offenheit für das noch Ausstehende Anfang, Mitte und Ende in sich trägt.

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