Читать книгу Torres del Paine - Stephan Hamacher - Страница 25

Já estou com saudade

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Namorada, antes tarde do que nunca. Eu morro num hotel aqui en Rio, perto do cinema a rotatória que leva a Copacabana, um hotel barrato e escuro. Tem uma cama, una cadeira e una pia de banheiro, nada mas. Tem cafe de manha com una moça servinda algo marrom e morno para beber e torrada com manteiga em cima do tabuleiro. Agora estou cansado.

Dem Vertrag von Tordesillas sei Dank, dass hier am Fluss des Januars ein elegantes weiches Portugiesisch gesprochen wird und nicht dieses holprige hölzerne Spanisch der Nachbarländer. Sagen meine Freunde. Diese Stadt an der Guanabra-Bucht ist ein leuchtender Diamant, der zu jeder Tages- und Nachtzeit strahlt, ganz besonders aber jetzt zur Jahreswende. Sage ich. Feuerwerk auf den Flößen vor der Küste und Samba, muito prazer, an der halbmondsichelförmigen Copacabana, dem demokratischsten Strand der Welt, der keinen Unterschied zwischen Armut und Reichtum kennt, der größten Armut und dem höchsten Reichtum, Bandas vom Pão de Açúcar bis Ipanema, Kostüme, Flaggen, Tand und Glitzer, Momente des Taumels wie sonst nur im Karneval. Meu Deus, quanta gente! Es ist schwer, nüchtern zu bleiben, auch ohne Cervejinha und bafo de cachaça. Die Stadt ist ein betörendes Paradoxon: Anders als in den noblen Orten dieser Welt von der Côte d’Azur bis Hollywood bis Blankenese leben hier die Reichen unten und die Armen an den Berghängen. Den Regenwald hat man einfach einmal komplett abgeholzt und dann wieder komplett aufgeforstet. Das Zuverlässigste ist der Zufall, und das Unzuverlässigste ist die Zeit. No Brasil, a gente tem que ser otomista. Vieles ist rasend schnell, noch mehr ist aufreizend langsam. Desculpem o atraso. Não faz mal.

Santa Teresa, der Hügel mit den kurvigen Straßen, den pittoresken Häusern und den akrobatischen Kindern. Die springen bei voller Fahrt auf die Bonde, eine der ältesten Straßenbahnen der Welt, und foppen die Passanten. Müßiggänger schauen gelangweilt, belustigt, teilnahmslos aus ihren dunklen Hauseingängen. Wie eine Achterbahn katapultiert das wilde Gefährt von beinahe Meeresspiegel in luftige Höhen, legt sich in die Serpentinen, rast schwindelerregend über das Viadukt, Arcos de Lapa, bremst, beschleunigt, quietscht, rollt und fliegt. Kein Rummelplatz der Welt kann das bieten.

Relógio, Relógio, immer wieder tippen die Männer auf den Hockern an der Saftbar auf ihre Uhren. Nein, es geht nicht um die Zeit. Kein desculpem o atraso, não faz mal. Es geht um den allgegenwärtigen potenziellen Diebstahl, der mit der Armbanduhr beginnt und mit dem Herzen endet. Letzteres ist legal und egal. An den Märkten jonglieren dicke Mamas mit Früchten, von denen niemand außerhalb des Landes je gehört hat, mit ihren Reais und mit ihren verbalen Verlockungen, das alles in allen denkbaren Schattierungen aller sichtbaren Regenbogenfarben. O senhor deseja os cocos gelados? Um natural? Eles são doces! Der Stand vor dem Lanchonete bietet, pois não, frequês! Inhame, Macaxeira, Pitomba, Carambola, Chuchu, Açaí, Bacuri, Biribá, Graviola, Murici, Uxi, Cupuaçu, que mais? Im Park hoppeln Pampahasen zwischen Kinderwagen, auf der Straße staut sich der Verkehr in alle Richtungen, tem muitos engarrafamentos aqui, Passanten suchen nach den Lücken zwischen den Stoßstangen, um den Asphalt zu überqueren. Ainda temos tempo. Hupen sind nur einige der Instrumente in der schrägen Kakophonie des urbanen Konzerts zwischen Rufen, Kreischen, Raunen, Rauschen, Rascheln, Trillerpfeifen, Trommeln, Motorrad-motorengeknatter, Bremsenquietschen, Zugrattern. Diese Stadt sind eigentlich drei Dutzend Städte, jede anders, jede eine Herausforderung an alle fünf Sinne, die dem beschränkten Menschen zwecks Orientierung zur Verfügung stehen. Von oben sieht alles friedlich aus, grün und weiß und daneben blau das atlantische Wasser, ein Streuselkuchen, eingezwängt in ein Backblech unter der heißen Sonne zwischen Bergen und Strand. Oben, das ist entweder der Platz für schmelzende Sonnenuntergänge, der Pão de Açúcar mit seinen wildgewordenen Affen und dem Blick auf die abendlichen Lichterketten, oder der Corcovado mit dem übermächtigen Cristo Redentor, von wo die Augen den Horizont abscannen, Botafago, Urca, Leme, Copacabana, Ipanema, Leblon, Lagoa. Und Christus breitet die Arme aus, vom Blitz getroffen und immer noch standhaft, und schaut fort vom Elend im Norden, über die Favelas hinweg und blickt auf die galante Zona Azul. Hier oben ist Ruhe, aber man muss schon schwindelfrei sein, um den engen Steg zur Plattform bei der Statue zu passieren.

Zwei Millionen Menschen für eine Viertelstunde Feuerwerk, alle beisammen mit ihren Rückblicken und Ausblicken und Enttäuschungen und Hoffnungen, alle beisammen am Strand, fern von allen Festas auf den Dachterrassen und in den Hinterzimmern, tudo bem, was auch sonst, quer tomar uma cervejinha? Warum auch nicht, und die Flasche wandert von Mund zu Mund, von bekannt zu völlig fremd. Kein Relógio, Relógio dieses Mal, noch nicht, nicht jetzt, jetzt nicht, warte bis es Mitternacht schlägt, denn seltsamerweise kommt selbst in der Cidade Maravilhosa das neue Jahr pünktlich, das lässt sich nicht verhindern. Nicht einmal mit einem Jeintinho, einem kleinen feinen Kniff, der sonst doch omnipräsent ist und dazu dient, den Alltag mais lindo, leichter zu gestalten. Und dann explodieren die Böller und Kracher und Raketen, und es ist nichts gegen Sydney, Hongkong oder London, aber es ist grandios vor dieser Kulisse mit der Lichterkette rund um den Halbmond in dieser schwülen Tropenluft, gemildert durch die Prise einer milden Brise. Será que a gente ainda vai ter a sorte?

Wenn der Puls dann schneller schlägt, die Musik lauter wird, die Poren ihre Schleusen öffnen und der Schweiss sich seine Bahnen sucht, dann suche ich die Kraft in der Ruhe, in der Abgeschiedenheit, in den Tönen zwischen Absinthgrün und Zyperngrün im Jardim Botânico, hoch über dem Küstensaum, dem Lärm und den Abgasen der Stadt. Es ist der perfekte Ort für einen Neubeginn. Ein neues Jahr sollte in der Stille starten. Hundertachtund-zwanzig Palmen führen wie ein Fächerspalier von der Barbosa Rodrigues zu den Treibhäusern, Orchidarien, Rosenbeeten, zum Bromelienhaus und zu den Pousadas der fleischfressenden Pflanzen. Am Ende wartet stumm der See mit der Vitória Regia, der größten Seerose des Amazonas. Eine japanische Brücke führt über einen Steg. Ein weißer Reiher stolziert am Ufer. Säulen, Arkaden, Dschungelvillen, majestätische Portale, ziselierte Pforten, Brunnen mit wasserspeeinden Göttinnen, Diven, Mägden warten am Wegesrand, dazwischen opulente namenlose Regenwäldler, Aufmerksamkeit haschende Botenblüter, und in den Baumkronen krächzt und lallt die gefiederte Oberwelt. Die Atmosphäre pendelt zwischen melancholisch, morbid und heiter, Licht und Schatten geben sich einen Kampf um jeden Quadratzentimeter, und meist behält der Schatten die Oberhand. Das Rauschen der Wellen am Strand, das Raunen der Autos auf den Straßen, das Gemurmel der Märkte - all das ist jetzt weit fort, abgelegen, abgelegt, fast schon vergessen, wird verschluckt von dieser leisen schleichenden tropischen Musik, in der Wind und Wasserspiele die Hörkulisse im Hintergrund anstimmen. Und dann diese Farben, mal laut, mal leise, aber immer in sich stimmig. Olhe as cores! Adoro essas cores fortes e puras.

Saudade vor der Fahrt zum Flughafen. Noch einmal auf die sanften Wellen zur Rechten schauen. Der Bus ist klimatisiert, wie unpassend in dieser Umgebung. Als ob jemand den betörenden Duft aussperren wollte. Ein letzter Stopp, ein letzter Blick wie eine Henkersmahlzeit. Vamos pasear na praia. Noch einmal. Ein paar Jungs kicken den Ball, im Palmenschatten flicken Fischer ihre Netze und streichen ihre Boote. Ein garçom legt sich zur Sesta unter eine umgestülpte Schaluppe. Umas meminas bonitas. Der Strand als Laufsteg. La garota da Ipanema ist nicht unter ihnen, oder doch? Ein Mann liest Zeitung, eine Frau löst Kreuzworträtsel, ein junges Paar gebnießt eine Caipirinha. Ein dicker brauner Bauch liegt neben einem blassen dünnen. Strandtücher, Handtücher, kaum Sonnenschirme, dafür ein paar Fahrräder auf dem gemusterten Pflaster, dort, wo der Stein endet und der Sand beginnt. Der Strand macht nicht alle gleich, doch alle dürfen sich gleich fühlen, für eine Weile wenigstens. Então você vai voltar? Com certeza. Adoramos essa vista e esse cheiro de mar. Depois a gente se despede.

Der Portugiese Gaspar de Lemos entdeckte die Bucht im Januar 1502. Er hielt das vor ihm liegende Gewässer fälschlicherweise für eine Flussmündung, und so trägt die Stadt, die aus dem Posten erwachsen ist, den Namen Januarfluss. Der Strom, der in ersten Monat eines neuen Jahres entdeckt wurde. Der Fluss, der keiner war. Die einheimischen Tamoio aber nannten den Ort Guanabara, was Meeresarm bedeutet. Eine Stadt wurde auf einen Irrtum gegründet, das geschah nicht zum ersten und nicht zum letzten Mal. Aber es gelang zum schönsten Mal.

Você já está com saudade do Rio? E como!

Torres del Paine

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