Читать книгу Torres del Paine - Stephan Hamacher - Страница 21

Crossroads

Оглавление

Jetzt ist Babalas. Natürlich haben wir gefeiert. Haben auf das neue Jahr angestoßen, mit Bier. Mit viel Bier. Und gelacht haben wir, Geschichten erzählt. Geschichten von damals und Geschichten von heute und Geschichten, wie wir sie uns für morgen ausmalten. Ausmalen können wir gut. Wir sind Meister im Ausmalen. Wir sind Träumer, die mit beiden Beinen auf der Erde stehen, Und ich bin eine der größten Träumerinnen.

Meine Haut ist so dunkel wie der Instant-Kaffee, den ich morgens trinke. Meine Zähne leuchten nachts im Dunkeln. Meine Augen sind müde und so wach wie Kinder, die vor Hunger nicht schlafen können. Sie sind so wach und so müde, weil meine Kinder manchmal vor Hunger nachts nicht schlafen konnten. Aber jetzt geht es uns besser, dem Herrn sei Dank. Jetzt haben wir sogar Bier, um auf das neue Jahr anzustoßen, und wir haben sogar eine Kneipe, in der wir die Bierflaschen öffnen und trinken und uns Geschichten erzählen. Geschichten von gestern, heute und morgen. So ist das hier in Crossroads.

Es gibt mehr Kinder als Geld in Crossroads. Viel mehr Kinder. Ich selbst habe vier, zwei Mädchen, zwei Jungs. Die Jungs gehen jetzt zur Schule, aber sie mögen den Fußballplatz lieber. Dort lernt man mehr, sagt Madiba. Ich habe ihn Madiba getauft, nach dem Mann, der dafür gesorgt hat, dass die Dinge hier wenigstens etwas besser laufen als früher. Unsere Hütten sind immer noch aus Wellblech, Holz und Pappe, und wenn es regnet, wird die Stube nass, weil das Dach undicht ist, und die Gassen versinken im Schlamm. Immerhin, es gibt ab und zu Strom. Und wir müssen nicht mehr täglich damit rechnen, dass die Bagger kommen. Unsere Flaggen sind die Wäscheleinen vor den Haustüren, denn es gibt so viele Kinder hier, und alle sollen sauber sein.

Mein Mann Marvin ist Tagelöhner. Wie fast alle anderen stellt er sich morgens ab sechs an die Durchgangsstraße und wartet auf die Bakkies und die Pickups. Mal geht es auf die Felder, meist zum Bau, mal kommt gar nichts. Marvin wartet eine Stunde, zwei Stunden, drei. Er wartet, und manchmal hat er Glück. Wie Marvin machen das hier alle Männer, darum sehen Sie tagsüber nur Frauen und Kinder in Crossroads. Die Arbeit ist für die Männer hart und macht sie müde. Aber Marvin ist ein guter Mann. Seit dem Ende der Rassentrennung ist es ein wenig besser geworden, nicht viel, aber ein wenig. Immerhin. Auch ich habe meine Gelegenheitsjobs. Putzen im Supermarkt in Khayelitsha oder in den schicken Büros in Claremont. Jetzt, gegen Ende des Sommers, geht die Weinlese los. Dann kommt morgens bei Sonnenaufgang der Minibus, und dann geht es los nach Stellenbosch oder Paarl. Hier, hinter unserer Siedlung, kannst du schon die Berge sehen. Schön, nicht wahr?

So eine Fahrt in einem Minibus ist immer wieder ein Abenteuer. Vorne der Kapitän und seine Amulette und Kreuze, die von seinem Rückspiegel baumeln. Die leiernden Kassetten. Da sitzen wir, eine ganze Damenfußballmannschaft von Pflückerinnen, und singen uns unsere kleinen Geschichten zu. Und dann die Straßen. Die schwarzen Männer fahren mit ihren schrottreifen Kisten wie Selbstmörder, und die weißen Männer fahren in ihren Panzerkarossen wie Mörder. Wenn ein Robot rot zeigt, heißt das noch lange nicht, dass man auch anhalten muss. Einmal habe ich zwei Blechhaufen gesehen, am Straßenrand war das, da konnte man nur noch ahnen, dass das mal Autos waren. Die Ambulanz war da, aber ich glaube, die konnten da auch nichts mehr machen. Ich mache jedes Mal drei Kreuze, wenn wir heil ankommen.

Ich mag die Arbeit mit den Trauben, vor allem im Herbst. Es gibt nichts Besseres, wenn die Sonne scheint und die Luft noch frisch ist. Ende Januar geht es wieder los. Wenigstens zahlen die in Stellenbosch und Paarl die Löhne aus, während Marvin immer wieder bei den Bossen um sein Geld betteln muss.

Ich mag die Reichen, auch die Buren. Stellenbosch ist so weiß, so sauber. Und das Weiß der Häuser und das Grün der Reben passen gut zueinander. Manchmal, wenn keine Touristen da sind, kommen wir auch schon mal in den Hof oder in den Keller, um dies und das zu tun. Aber nicht sehr oft. Unglaublich, wie viel Glitzerzeug und wertvoller alter Trödel da rumsteht. Ich glaube, die mögen uns nicht. Oder vielleicht haben sie auch nur Angst vor uns. Vielleicht, weil wir so viele sind. Irgendwie kann ich sie ja auch verstehen. Diese ganzen schicken Häuser und Autos kommen ja von nicht von nichts. Und jetzt soll auf einmal alles anders gehen. Aber das gibt sich schon, da bin ich mir sicher. Wie gesagt, ich hab‘ nichts gegen die Reichen.

Das hier ist jetzt unsere Kneipe, keine Shebeen, eher so etwas wie unser Klubhaus oder unsere Klubkabine, etwas abseits von all den Hütten. Wir haben sie zusammen aufgebaut, so wie wir fast alles zusammen machen. Wenn Mama Arbeit hat und putzt oder wischt oder Trauben klaubt, und wenn Papa auf dem Bau schwitzt, dann muss ja eine auf die Kleinen aufpassen. Willst Du noch ein Witblitz oder ein Bier? Teilen wir uns eins. Da draußen, hinter den Bäumen, das ist der Bolzplatz. So haben wir die Kinder immer im Blickwinkel. Damit sie ja keinen Blödsinn anstellen. Es gibt schon zu viel Blödsinn in dieser Gegend. Wie überhaupt im ganzen Land. Betrunkene, Diebe, Vergewaltiger, Mörder. Man sieht es ihnen ja nicht auf den ersten Blick an. Die großen Städte sind ein Problem. Ich war noch nie dort, aber man hat mir gesagt, kein vernünftiger Mensch lässt sich je in Jo’burg blicken. Nicht in der City. Nie. Die anderen Städte sollen wenigstens tagsüber einigermaßen sicher sein. Einmal kam mit einem Touristenbus ein fremder Weißer vorbei, nackt bis auf das Unterhemd, die Unterhose und die Socken. Alles andere hatten sie ihm abgeknüpft. Kein Wunder, bei der Polizei geht es ja auch drunter und drüber. Zuerst waren da die Weißen mit ihren Schlagstöcken, dann waren da plötzlich die Schwarzen mit ihren Schlagstöcken, und jetzt teilen sich die Weißen und die Schwarzen die Schlagstöcke. Verstehen muss man das nicht. Aber wenn wir was können, das andere nicht so gut können, dann ist das improvisieren. Für Wehwehchen gibt es Sangoma, für großes Leid ist Mama da. Und für alle anderen Reparaturen Marvin. So ist das in Crossroads.

Wer viel hat, hat auch viel Angst. So ist das bei den reichen Weißen. Wir haben nichts, und wir haben auch keine Angst. Aber bei den Weißen in den guten Vierteln, da ist das anders. Hohe Mauern mit Stacheldraht und Glasscherben oben drauf, damit niemand aufs Haus sehen oder über die Absperrung klettern kann. Uniformen mit Knarren vor der Tür, damit niemand auf die Idee kommt, ungefragt hineingehen zu wollen. Dicke schnelle Autos, die im Stau stehen. Vor jedem roten Robot halten sie, wenn sie überhaupt halten, mit einer Wagenlänge Abstand. Sollte jemand mit einer Wumme auf sie zukommen, können sie dann immer noch Gas geben und durch preschen. Die Knöpfe im Auto bleiben sowieso immer unten. Also für mich wär‘ das kein Leben.

Einmal, ich hatte zufällig Geburtstag, und der Chef bekam Wind davon, einmal hat mich der Chef sogar einen Schluck von dem Wein kosten lassen, den wir machen. Na ja, den wir zu machen helfen. Das muss man sich mal vorstellen. Kommt der Chef, macht eine Flasche auf, gießt in zwei Gläser ein und prostet mir zu. Ich glaube, das war der unglaublichste Geburtstag meines Lebens. Ich glaube, der Boss ist ganz nett. Wir sehen ihn ja fast nie.

Früher haben sich die Weißen nicht her getraut, weiß auch nicht so recht, warum. Ist ja auch keine feine Gegend hier, auch wenn wir alles sauber halten. Aber seit einiger Zeit kommen sogar Minibusse mit Weißen vorbei. Die steigen dann aus und fotografieren. Als ob es bei uns was zu fotografieren gäbe. Schon verrückt, die Weißen. Dann geben sie den Blagen Bonbons und Buntstifte. Wie im Zoo. Aber, ehrlich, wir gucken einfach nur zurück und fragen uns schon, wer hier jetzt die Affen sind.

Noch ein Bier? Nein? Ich bin jetzt auch müde. Ich werde jetzt gehen. Der Tag war lang. So Tage mit viel Bier bin ich ja auch nicht gewöhnt. Heute ist wirklich eine Ausnahme. Heute So, ist werde jetzt die Wäsche abhängen. Und die frische Wäsche aufhängen. Und auf die Leine kommt dann auch noch das alte Jahr, nur so zur Erinnerung. Es war gar nicht mal so schlecht, das alte Jahr. Ich hoffe, das neue wird mindestens genauso gut. Es wird schon werden. Wir sind Artisten, wir sind Träumer, die mit beiden Beinen auf der Erde stehen, Und ich bin eine der größten Träumerinnen. Gute Nacht.

Torres del Paine

Подняться наверх