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Was ist eine Prämisse und welche ist die richtige für Sie? Drum prüfe, wer sich einen Roman lang bindet

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Eine Leserin meines Blogs schriftzeit.de, dreieinhalb Fragen:

Was mache ich, wenn mir zu meiner Idee mehrere Prämissen einfallen?

Wie viele davon verfolge ich? Wohl doch nur eine?

Wie finde ich heraus, welches die richtige ist?

Zunächst einmal: Was ist eine Prämisse?

Wikipedia erklärt den uneinheitlich gebrauchten Begriff wie folgt:

Die Prämisse (v. lat.: praemissum = das Vorausgeschickte) fasst in knapper Form die Verwandlung zusammen, die eine Romanfigur im Laufe der Handlung durchmacht. Sie enthält Ausgangspunkt, Konflikt und Lösung der Figur in einem kurzen Satz.

Sie dient dem Schriftsteller als Werkzeug, um die Handlung der Geschichte auf das Wesentliche zu beschränken, indem sie der Entwicklung einer Figur ein klares Ziel gibt. Darüber hinaus lässt sich bei der Überarbeitung des Textes anhand der Prämisse überprüfen, ob die jeweilige Szene diesem Ziel dienlich und somit unverzichtbar ist.

Klar abgrenzen sollte man die Prämisse zur Moral von der Geschicht’ und zum Thema eines Romans. Letzteres bezeichnet, worum es in einem Roman wirklich geht.

Beispiel:

In Stephen Kings Roman »Es« wäre ein zentrales Thema lebenslange Freundschaft. Das Thema an der Oberfläche aber ist der Kampf einer Gruppe von Männern und Frauen gegen ein Monster, das unter anderem in der genialen Verkleidung des Clowns Pennywise auftritt.

Die Prämisse von »Es« könnte lauten:

Echte Freundschaft führt zum Triumph über ein Monster.«

Hier drin steckt, nach obiger Definition von Wikipedia

* als Ausgangspunkt: die Freundschaft;

* als Konflikt: der Kampf gegen das Monster; und

* als Lösung: der Triumph über das Monster.

Man kann noch tiefer gehen und fragen, wofür das Monster steht. King macht es uns einfach, indem er das Monster sich von Furcht ernähren lässt. Eine tiefergehende Prämisse lautet also:

»Echte Freundschaft führt zum Triumph über die schlimmsten Ängste.«

In vielen Schreibratgebern wird gerne behauptet, ein Roman müsse exakt eine Prämisse haben und diese könne und müsse der Autor von vornherein in einem Satz festmachen. Diese Aussage vereinfacht sehr stark.

In manchen Fällen ist diese Vorgehensweise nützlich, etwa in der oben geschilderten Aufgabe der Prämisse, eine Szene mittels der Prämisse auf ihre Verzichtbarkeit zu überprüfen. In vielen Fällen ist die starke Vereinfachung jedoch falsch.

Tatsächlich kann ein Roman eine ganze Reihe von Prämissen haben und beweisen. In Romanen, die mehrere Helden ins Rennen schicken oder die Handlung aus mehreren Perspektiven schildern, kann und sollte jeder Erzählstrang seine eigene Prämisse besitzen.

Doch selbst damit hat man noch nicht alle Prämissen erfasst.

Ein Roman kann die Geschichte mehrerer Helden mit eigener Prämisse erzählen – und bei jedem Helden mehrere Geschichten. Manche nennen das die Layer oder Erzählebenen. Jede Ebene kann wiederum eine eigene Prämisse haben.

Beispiel:

Der Roman von Mikael Niemi, »Populärmusik aus Vittula«, erzählt von zwei Hauptfiguren: vom Ich-Erzähler und von seinem Freund Niila.

Beim Erzähler könnte die Prämisse lauten:

»Musik machen in der Jugend führt zu einem glücklichen Leben als Erwachsener.«

Bei seinem Freund lautet sie eher:

»Musik machen in der Jugend führt zum Selbstmord.«

Aber diese Prämissen betreffen jeweils nur eine Erzählebene. Auf einer anderen Erzählebene, auf der es um die Freundschaft des Ich-Erzählers mit Niila geht, lautet die Prämisse des Ich-Erzählers, ein wenig umständlich, etwa so:

»Das Anregen und Pflegen einer Freundschaft führt zu einer wichtigen Erfahrung und Art von Liebe, die das spätere Leben aufwertet.«

So gibt es durchaus Romane, deren Helden mehrere Geschichten erleben, und jede hat ihre eigene Prämisse.

Dan Simmons etwa erzählt über seinen Roman »Drood« (ein komplexer Historiengrusler über Charles Dickens’ unvollendetes letztes Buch und über seinen Freund und Kollegen Wilkie Collins) Folgendes: Ein Freund von ihm habe ganz richtig erkannt, dass er da eigentlich sieben Romane geschrieben habe. Eben weil der Hauptplot über so viele verschiedene Ebenen verfügt.

Und dann sind da noch die angerissenen Erzählstränge oder Ebenen, die der Autor bewusst nicht ausgearbeitet hat, um dem Werk am Ende etwas Offenes, Authentisches, Lebensnäheres zu verleihen. Diese Stränge und Ebenen verweigern sich absichtlich dem Beweisen der Prämisse.

So weit, so kompliziert. Zurück zu der letzten Frage der Leserin: Woher weiß man nun, welche Prämisse die Richtige ist?

Hier gibt es kein Richtig oder Falsch. Vielmehr kommt es darauf an, was für einen Roman man schreiben will. Je nach Prämisse kann dasselbe Thema zum Krimi, zur Horrorgeschichte oder zur Komödie werden.

Beispiel:

Thema: Mädchen und Junge lieben sich.

Prämisse von Roman 1: »Wahre Liebe führt zur Verwandlung des Jungen in einen Vampir.«

Genre von Roman 1: Horror-Romanze.

Prämisse von Roman 2: »Wahre Liebe führt zur gemeinsamen Aufklärung eines schrecklichen Verbrechens.«

Genre von Roman 2: Krimi, Thriller.

Prämisse von Roman 3: »Wahre Liebe führt zur Überwindung von Religionsgrenzen und Fußpilz.«

Genre von Roman 3: Multikulti-Komödie.

Die Prämisse muss aber keineswegs am Anfang des Romanschreibens stehen. Wirkungsvoller ist es, mit einem Charakter zu beginnen, mit Was-wäre-wenn-Fragen, mit Plotschnipseln – und von dort aus, etwa dem Problem des Charakters, die Prämisse zu entwickeln. Um sie dann mit dem Roman zu beweisen. Oder, wie wir gesehen haben, die vielen Prämissen.

Womit wir bei der Prämisse des Romanautors wären:

»Einen Roman zu schreiben, führt zu verdammt viel Arbeit.«

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