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Berührungsängste: Kontakte zu fremden Völkern

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Zu einem „erfolgreichen“ Feindbild gehört nicht nur, dass man den Gegner verunglimpft. Wichtig ist auch, dass niemand das Gegenteil beweisen kann, mithin niemand auf den Gedanken kommt, dass der Feind doch eigentlich gar nicht so bedrohlich ist.

Dazu hätten die Griechen und Römer ihre Gegner näher kennen müssen. Tatsächlich gab es aber kaum unmittelbare Kontakte zwischen den Menschen verschiedener Völker, die zum gegenseitigen Kennenlernen und Verstehen geführt haben könnten. Gelegenheit zum Reisen hatten nur relativ wenige. Wenn man reiste, dann nicht zum Vergnügen, sondern aus Notwendigkeit, wie beispielsweise politische Gesandte, Söldner und Kaufleute.

Wie viel wussten Griechen und Römer eigentlich von anderen Völkern? Welche Kenntnisse besaßen sie in der Geographie und der Volkskunde? Aufgrund ihrer topographischen Lage fuhren die Griechen schon früh zur See, was sich auch in den Mythen widerspiegelt: Über das Meer – nicht über Land – zogen die Griechen nach Troja, auch Jason erreichte in der Argonautensage Kolchis im heutigen Georgien auf dem Seeweg, um dort das Goldene Vlies zu erringen.1 Funde griechischer Keramik zeugen von den weit reichenden Handelsbeziehungen, die bereits im 2. Jahrtausend v. Chr. bestanden, so auch in Amarna, der kurzlebigen, um 1345 v. Chr. gegründeten Hauptstadt des ägyptischen Ketzerkönigs Echnaton.

Die griechischen Kaufleute und Seefahrer besaßen daher schon im 2. Jahrtausend v. Chr. Kenntnisse über andere Länder und Völker im östlichen Mittelmeerraum. Vor allem auf der Suche nach neuen Absatzmärkten für ihre Waren drangen Griechen, Phönizier und Karthager immer weiter vor.

Um 500 v. Chr. unternahmen zwei Seefahrer unabhängig voneinander Erkundungsreisen. Sicher waren sie nicht die Einzigen und wohl auch nicht die Ersten; doch ihre Namen sind der Nachwelt durch ihre Reiseberichte erhalten geblieben, die beide den Titel Períplus (Umsegelung) tragen. Der Karthager Hanno wandte sich hinter den Säulen des Herakles (der Straße von Gibraltar) nach Süden, wohl mit dem Ziel, den Handel weiter auszudehnen. Leider sind seine Beschreibungen nicht eindeutig, sodass wir nicht sagen können, wie weit er an der afrikanischen Westküste vorgedrungen ist.

Skylax aus Karyanda im südwestlichen Kleinasien erkundete 519–512 v. Chr. im Auftrag des Perserkönigs Dareios verschiedene Seewege: Er gelangte über den Indus bis an die indische Küste und umsegelte die arabische Halbinsel. Unter seinem Namen sind Fragmente eines Reiseberichtes überliefert, der neben dem Mittelmeer die Atlantikküsten Europas beschreibt.

Asien ist größtenteils erst unter Dareios entdeckt. Der wollte gern wissen, wo der Indus, der einzige Fluss außer dem Nil, in dem es Krokodile gibt, ins Meer münde, und schickte dazu eine Anzahl Männer, denen er zutraute, dass sie die Wahrheit sagen würden, darunter auch Skylax aus Karyanda, mit einer Flotte aus.

HERODOT, Historien 4, 44

Die Küstenregionen rund um das Mittelmeer und Arabiens sowie die europäischen und wenigstens zum Teil die afrikanischen Atlantikküsten waren bekannt. Mit den Eroberungszügen Alexanders des Großen (336–323 v. Chr.), die ihn bis in das heutige Pakistan führten, nahm das Wissen über fremde Länder und Völker noch einmal enorm zu.2

An der wissenschaftlichen Aufarbeitung mangelte es nicht: Es gab in der Antike eine Reihe herausragender Gelehrter, die sich mit Geographie und Volkskunde beschäftigten, wie beispielsweise Eratosthénes, der den Erdumfang bereits im 3. Jahrhundert v. Chr. annähernd genau berechnet hatte,3 Strabon mit seinen wohl um 25 n. Chr. veröffentlichten Geographiká und im 2. nachchristlichen Jahrhundert der Astronom Klaudios Ptolemaios.

Wahrheit und Fiktion

Doch die breite Bevölkerung hatte an diesem hohen Wissensstand keinen Anteil. Gern lauschte man freilich den Geschichtenerzählern, hörte spannende Abenteuer aus fernen Ländern und Beschreibungen von absonderlichen Wesen. Hier liegt ein entscheidender Punkt, der die Vorstellung der Griechen und Römer von der Geschichte ebenso wie der Geographie aus moderner Sicht geprägt hat: die Vermischung von Wahrheit und Fiktion.4 Mythen waren für die Griechen geschichtliche Ereignisse, Teil ihres großen historischen Erbes. Von den Amazonen beispielsweise glaubte man, dass sie wirklich existierten. Da sie seit Menschengedenken noch niemand zu Gesicht bekommen hatte, wurde angenommen, dass sie am Rande der bewohnbaren Welt lebten. Auch die zunehmenden geographischen Kenntnisse änderten nichts an dieser Vorstellung; man räumte nur ein, dass die Amazonen offenbar weiter weg lebten, als bisher vermutet wurde.

Auch in erhaltenen Schriften lässt sich diese Tendenz, die Vermischung von Wahrheit und Fiktion, feststellen: Im 3. nachchristlichen Jahrhundert verfasste ein gewisser Gaius Julius Solinus ein Buch mit dem Titel Collectanea rerum memorabilium (Sammlung merkwürdiger Dinge).

Das geographische Werk des Solinus

Bei diesem Werk handelt es sich um eine Küstenbeschreibung von Europa, Afrika und Asien, die vor allem auf der naturalis historia (Naturgeschichte) des älteren Plinius (23–79 n. Chr.) basiert. Es ist die älteste erhaltene antike Quelle, die den Begriff mare mediterraneum (Mittelmeer) verwendet. Zur Erbauung seiner Leser füllte Solinus die weit entfernten und noch unerforschten Gegenden der Welt mit merkwürdigen Wesen wie Menschen ohne Köpfe oder mit nur einem Auge. Der Unterhaltungswert des Buches führte dazu, dass es in der Spätantike und im Mittelalter große Verbreitung erfuhr und gern als Quelle für mittelalterliche Reisebeschreibungen verwendet wurde.

Wie der Titel des Werkes sagt, besaß Solinus eine besondere Vorliebe für „merkwürdige Dinge“, die er zur Unterhaltung der Leser zusammengetragen hatte. Auch die älteste erhaltene geographische Abhandlung in Latein, das Buch De chorographia (Beschreibung der bewohnten Welt) von Pomponius Mela (erschienen 43/44 n. Chr.) bevölkert die entlegensten Gebiete der Welt mit allerlei absonderlichen Wesen und Monstern, während es über andere entfernte Gegenden wie z. B. Jütland erstaunlich genaue Angaben liefert.

Tacitus und Herodot

Tacitus (um 55–120 n. Chr.) verfasste nicht nur seine Geschichtswerke5, sondern auch einen Band zur Volkskunde der Germanen (s. S. 24). Doch der Historiker Tacitus war viel zu sehr Römer, um sich ernsthaft für die Lebensgewohnheiten der Germanen zu interessieren. Wie er wirklich über das Land dachte, geht aus seinen Worten hervor:

Wer hätte auch – abgesehen von den Gefahren des schrecklichen und unbekannten (Nord-)Meeres – Asien oder Afrika oder Italien verlassen und Germanien aufsuchen wollen, landschaftlich ohne Reiz, rau im Klima, trostlos für den Bebauer wie für den Beschauer.

TACITUS, Germania 2

Man darf kaum annehmen, dass Tacitus selbst die Sitten und Bräuche der Germanen studiert hat. Vielmehr trug er Informationen aus zweiter Hand zusammen, reihte altbekannte Klischees von den Barbaren aneinander und idealisierte dem damaligen Trend entsprechend das „Naturvolk“ der Germanen.

Wie alle Historiker orientierte sich auch Tacitus an Herodot (ca. 485–425 v. Chr.), dem „Vater der Geschichtsschreibung“. Herodots Historien schlagen einen Bogen vom Trojanischen Krieg zu den Perserkriegen bis 479 v. Chr. Thema seines Werkes ist der Gegensatz zwischen der griechischen Demokratie und der persischen Gewaltherrschaft. Darin eingebettet sind Schilderungen verschiedener Länder und Völker, die besonders deshalb bemerkenswert sind, weil sich Herodot im Gegensatz zu Tacitus offenbar die Mühe gemacht hatte, seine Quellen6 wenigstens teilweise zu überprüfen, indem er selbst einige dieser Länder – z. B. Ägypten – bereiste.

Auch abgesehen von dieser […] Geschichte habe ich in Memphis von den Hephaistos-Priestern noch manches gehört und mich deswegen nach Theben und Heliupolis begeben, um mich zu überzeugen, ob man darüber dort ebenso dächte wie in Memphis. Die Priester in Heliupolis sollen nämlich unter allen Ägyptern in den alten Geschichten am besten bewandert sein.

HERODOT, Historien 2, 3

Das Bild, das sich die Griechen und Römer von fremden Völkern machten, war trotz aller Erkundungsreisen und Forschungen voller Legenden und Märchen. Nur wenige hatten die Gelegenheit, die Fremden selbst näher kennen zu lernen. Und so konnte kaum jemand die Schreckensbilder, die in der politischen Propaganda vom Feind gemalt wurden, widerlegen.

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