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Die Barbaren: Fremde Völker aus griechisch-römischer Sicht

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Am Ende des zweiten Gesanges der Ilias nennt Homer alle Völker, die aufseiten der Trojaner kämpften, darunter auch die „barbarisch sprechenden“ (barbaróphonoi) Karer, deren Heimat im südwestlichen Kleinasien lag.1 Der Begriff „Barbaren“ begegnet uns hier in seiner ursprünglichen Bedeutung: nicht griechisch sprechend. Auch wenn Homer das Wort keineswegs wertend verwendet, beinhaltet es doch etwas Abfälliges: Die Barbaren konnten wie die Tiere nicht verständlich reden, sie „stammelten“, was das Wort lautmalerisch ausdrückt. Der Begriff ist wahrscheinlich im Laufe der griechischen Kolonisation Unteritaliens, Siziliens und Kleinasiens (ab der zweiten Hälfte des 8. Jahrhunderts v. Chr.) aufgekommen, als Griechen erstmals auf breiter Basis mit fremden, nicht griechisch sprechenden Menschen konfrontiert waren.

Die Unterscheidung zwischen Griechen und Barbaren hängt jedoch nicht allein von der Sprache ab. Auch die Staatsform spielt eine Rolle: In Athen hatte Kleisthénes mit seinen Reformen 507 v. Chr. den Grundstein für die Demokratie gelegt, das Perserreich hingegen wurde vom Großkönig regiert. Deshalb waren die Perser für die Griechen nichts anderes als Sklaven, die von ihrem König wie Tiere geführt wurden.2 Und so fürchteten die Griechen bei den Invasionen der Perser 490 und 480/79 v. Chr. nichts mehr, als ihre Freiheit einzubüßen und selbst zu Sklaven des Großkönigs abzusinken. Der Gegensatz Griechen – Barbaren verband sich so mit dem Gegensatz Freiheit – Sklaverei.

Antike Gelehrte suchten nach Begründungen für die Unterschiede zwischen Griechen und Barbaren. Eine Theorie basierte auf der Einteilung der Erde in fünf Klimazonen: den beiden Polarzonen, je einer gemäßigten Zone auf der Nord- und Südhalbkugel und der Äquatorialzone, die ebenso wie die Polarzonen wegen ihres Klimas als unbewohnbar angesehen wurde. Im Zentrum der gemäßigten Zone der nördlichen Halbkugel lag Griechenland und bildete damit den Mittelpunkt der bekannten Welt,3 an dem sich alle positiven Eigenschaften der Völker vereinten:

Die Völker in den kalten Strichen und in Europa sind zwar mutvoll, haben aber wenig geistige und künstlerische Anlage und behaupten deshalb zwar leichter ihre Freiheit, sind aber zur Bildung staatlicher Verbände untüchtig und ihre Nachbarn zu beherrschen unfähig. Die asiatischen Völker haben einen hellen und kunstbegabten, dabei aber furchtsamen Geist, und deshalb befinden sie sich in beständiger Dienstbarkeit und Sklaverei. Das Geschlecht der Griechen aber hat, wie es örtlich die Mitte hält, so auch an den Vorzügen beider teil und ist mutig und intelligent zugleich. Deshalb behauptet es sich immerfort im Besitz der Freiheit und der besten staatlichen Einrichtungen und würde alle Nationen beherrschen können, wenn es zu einem Staate verbunden wäre.

ARISTOTELES, Politik 9, 7

Doch nicht alle sahen die Barbaren als unzivilisierte Völker. Für Herodot beispielsweise waren die Ägypter zwar Barbaren, also Nichtgriechen, was ihn aber nicht daran hinderte, Hochachtung vor ihrer jahrtausendealten Kultur zu haben, ja sogar darauf hinzuweisen, dass auch die Ägypter Menschen mit anderer Sprache als Barbaren bezeichneten.

Im 5. und 4. Jahrhundert v. Chr. waren die Perser die einzige Großmacht. Ungeachtet einzelner Friedensabkommen (449 v. Chr. „Kalliasfriede“ zwischen Athen und Persien, 387/86 v. Chr. „Königsfriede“ zwischen Sparta und Persien) sahen die Griechen im Perserreich nach wie vor den „Erbfeind“. Trotzdem ging so mancher Grieche, der in seiner Heimat in Ungnade gefallen war, zum Perserkönig, um bei ihm zu Ruhm und Ansehen zu gelangen oder auch nur, um sich seinen Lebensunterhalt verdienen zu können. Dabei spielte es offenbar keine Rolle, dass die Perser doch eigentlich Barbaren waren. In persischen Diensten verdingte sich beispielsweise der abgesetzte Spartanerkönig Damáratos (um 490 v. Chr.), und sogar Themistoklés, dem die Athener ihren Sieg über die Perser in der Seeschlacht bei Salamis (480 v. Chr.) verdankten. Damaratos zog gar 480 v. Chr. zusammen mit den Persern gegen Griechenland. Miltiádes, der Sieger der Schlacht von Marathon (490 v. Chr.), war 25 Jahre zuvor als Vasall zum persischen Großkönig abgewandert. Doch nicht nur prominente Einzelpersonen standen im Dienst der Perser: Berühmt ist der Zug der Zehntausend, von dem Xenophón (um 430–ca. 354 v. Chr.)4 in seiner Anábasis berichtet: Kyros, der jüngere Sohn des persischen Großkönigs Dareios II., plante einen Feldzug gegen seinen Bruder und warb dafür griechische Söldner an. Zu deren Bezahlung prägte er Münzen, die den damals weit verbreiteten Tetradrachmen aus Athen nachgebildet waren, denn mit persischem Geld konnten die Söldner nichts anfangen.

Mögen die Perser auch von den jeweiligen politischen Führern in Griechenland als Barbaren, als der „Erbfeind“ schlechthin dargestellt worden sein, die Realität sah also anders aus. Man muss sich daher fragen, ob die strikte Trennung zwischen Griechen und Barbaren in der Antike überhaupt so empfunden wurde oder ob sie nicht ein Zerrbild der damaligen politischen Propaganda war, das durch die Griechenlandbegeisterung des 19. und frühen 20. Jahrhunderts in unsere Vorstellung eingeflossen ist.

Die Makedonen — „griechische“ Barbaren

Mit dem Aufstieg der Makedonen zu einer bedeutenden Macht wurden plötzlich andere Griechen zu „Barbaren“: Die Athener fürchteten wieder einmal den Verlust ihrer Freiheit. Vor allem der Redner Demosthénes (384/83–322 v. Chr.) machte gegen die Makedonen Stimmung und bezeichnete ihren König Philipp als Barbaren. Nachdem der jedoch in der Schlacht von Chairóneia 338 v. Chr. die Herrschaft über ganz Griechenland errungen hatte, war es zweckmäßiger, fortan von einer Dreiteilung in Griechen, Makedonen und Barbaren zu sprechen, wie sie einige Jahre zuvor bereits der Redner Isokrátes (436–338 v. Chr.) vertreten hatte.

Auch die Feldzüge Alexanders des Großen (336–323 v. Chr.) änderten nichts an dieser Vorstellung. In den eroberten Ländern bildeten Makedonen und Griechen nun die Oberschicht und blieben größtenteils unter sich. Erst der Geograph Eratosthénes plädierte im 3. Jahrhundert v. Chr. für eine völlig neue Sichtweise, nach der nur noch zwischen Guten und Schlechten, Gebildeten und Ungebildeten unterschieden werden sollte.

Griechen und Römer

Griechenland, das sich einst als Zentrum der Welt empfunden hatte, rückte mit dem Erstarken einer neuen Macht mehr und mehr ins „Abseits“. Ohnehin spielte sich im 3. Jahrhundert v. Chr. griechische Geschichte mehr und mehr in Kleinasien und im Vorderen Orient ab, wo die verschiedenen hellenistischen Königreiche, die sich nach Alexanders Tod gebildet hatten, damit beschäftigt waren, gegeneinander Krieg zu führen. Zur gleichen Zeit erstarkte Rom, man möchte fast meinen, von den Staaten Griechenlands nahezu unbemerkt. Jedenfalls gerieten die griechischen Kolonien in Unteritalien mehr und mehr unter römische Kontrolle, auch wenn König Pyrrhos von Epirus (in Nordwestgriechenland) 280 v. Chr. der von den Römern bedrängten Stadt Tarent zu Hilfe eilte. Für ihn war es ein Kampf gegen die „Nachfahren der Trojaner“, wie er die Römer wegen ihrer mythischen Abstammung von Äneas bezeichnete. Doch Rom war nicht aufzuhalten und beherrschte schließlich nach zwei gewonnenen Kriegen gegen Karthago (Erster und Zweiter Punischer Krieg 264–241 und 218–201 v. Chr.) das westliche Mittelmeer.

Natürlich waren die Römer aus Sicht der Griechen ebenfalls Barbaren. Sie selbst bezeichneten ihre Sprache im Gegensatz zum Griechischen als „barbarisch“, wenn man den Worten des Komödiendichters Plautus (um 200 v. Chr.) glauben darf. Mit dem zunehmenden Einfluss Roms schwand diese Polarisierung mehr und mehr. Einerseits mussten die Griechen Zugeständnisse machen: So wurde den Römern seit dem späten 3. Jahrhundert v. Chr. die Teilnahme an griechischen Wettkämpfen wie den Olympischen Spielen erlaubt, zu denen ursprünglich nur freie hellenische Bürger zugelassen waren.5 Auf der anderen Seite waren die Römer selbst nicht länger bereit, sich als Barbaren verunglimpfen zu lassen. Sozusagen als Kompromiss entwickelte sich eine neue Dreiteilung der Welt in Griechen, Römer und Barbaren.6

Im Prinzip übernahmen die Römer das Barbarenbild der Griechen, allerdings mit einem wesentlichen Unterschied: In der offiziellen Politik galten die Provinzen des Römischen Imperiums nicht als Barbarenland, auch wenn deren Bewohner kein Latein sprachen und sich aus Sicht der Römer „barbarisch“ kleideten, also beispielsweise Hosen trugen. Im Gegenteil: Man war stolz auf die Vielfalt der Völker, die innerhalb des Römischen Reiches friedlich zusammenlebten. Dies zeigt sich auch an den Reliefplatten des 145 n. Chr. in Rom erbauten Tempels für den vergöttlichten Kaiser Hadrian († 138 n. Chr.), auf denen Personifikationen der römischen Provinzen dargestellt sind.7

Von Troja nach Rom

Der Sage nach verführte einst die Göttin Aphrodite den trojanischen Hirten Anchises und gebar ihm einen Sohn, der den Namen Äneas erhielt. Als Troja fiel, war Äneas bereits herangewachsen und selbst Vater eines kleinen Sohnes: Askanios, der später Julus genannt wurde. Äneas konnte sich mit seiner Familie aus dem brennenden Troja retten und gelangte nach einer abenteuerlichen Reise, die der römische Dichter Vergil (70–19 v. Chr.) in seiner Äneis besungen hat, nach Latium. Sein Sohn Julus gründete die Stadt Alba Longa (nahe dem heutigen Castelgandolfo). Viele Generationen später wurde dort die Königstochter Rea Silvia im Schlaf vom Kriegsgott Mars besucht. Das Ergebnis dieser Liebesnacht waren die Zwillinge Romulus und Remus, die mythischen Gründer Roms.

Wie schnell in der offiziellen Politik ein gerade erst unterworfenes Barbarenland zu einer blühenden Provinz werden konnte, lässt sich auch an den Münzen des Kaisers Trajan (98– 117) ablesen: In zwei Feldzügen unterwarf er Dakien (101–102 und 105–106), das heutige Rumänien. Bald nach dem endgültigen Sieg 106 n. Chr. wurden Münzen in Umlauf gebracht, auf denen entweder ein trauernder oder ein gefesselter Daker auf einem Haufen abgelegter Waffen sitzt, erkennbar an der landesüblichen Tracht, Hosen und einer spitz zulaufenden Mütze. Die Beischrift lässt keinen Zweifel an der Darstellung: DAC[ia] CAP[ta est], Dakien ist eingenommen. Keine zehn Jahre später hat sich das Bild völlig geändert: Die Personifikation der Provinz, ebenfalls in landesüblicher Kleidung, sitzt beinahe majestätisch auf einem Felsen und hält ein Feldzeichen, das auf die militärische Präsenz in der Provinz weist (womit der Frieden gewährleistet ist). Vor ihr spielen zwei Kinder mit Ähren und einer Traube in den Händen, Symbol für den landwirtschaftlichen Wohlstand. Auch die Beischrift hat sich geändert und lautet nun DACIA AVGVST[a] PROVINCIA, kaiserliche Provinz Dakien.

An diesem Beispiel wird die römische Sichtweise deutlich: Barbaren sind nur diejenigen, die außerhalb der Grenzen des Römischen Imperiums leben und deshalb nicht in den Genuss der Segnungen der römischen Zivilisation kommen. Den unterworfenen Fremdvölkern hingegen wurde der „Roman Way of Life“ nahe gebracht, und auf diese Weise wurden sie immer mehr integriert, ohne ihnen ihre eigene Kultur gänzlich zu nehmen. So war es ihnen in der Regel erlaubt, ihre alten Götter weiter zu verehren. Mit der Constitutio Antoniniana von 212 n. Chr. wurde allen freien Bürgern des Reiches das römische Bürgerrecht zugesprochen; damit waren auch die einstigen „Barbaren“ schließlich zu Römern geworden.

In der Antike spielte die Vorstellung von den Barbaren bei der Erschaffung eines Feindbildes eine wesentliche Rolle. Die Barbaren waren fremd – und diese Fremdheit schlug sich in vielen Dingen nieder: in der Sprache, der Staatsform, den Sitten und Gebräuchen, der Kleidung, der Haar- und Barttracht oder den Essgewohnheiten. Auf jeden Fall bedrohten sie die eigene Zivilisation und konnten daher der Bevölkerung von den politischen Führern als Feindbild glaubhaft gemacht werden.

Unter den Römern änderte sich das Bild. Unterworfene Völker wurden möglichst schnell integriert, allein schon um die neuen Provinzen innenpolitisch zu stabilisieren. Und mit zunehmender Größe des Reiches blieben schließlich nur noch wenige Völker jenseits der Grenzen des Römischen Imperiums, die als Barbaren bezeichnet werden konnten, wie beispielsweise die Germanen.

Römer und Germanen

Zusammen mit den Parthern (im heutigen Irak) waren die Germanen über lange Zeit hinweg der einzige ernst zu nehmende Gegner für die Römer. Kaiser Augustus (27 v.–14 n. Chr.) versuchte, ihr Land bis an die Elbe zu erobern, musste seine ehrgeizigen Pläne aber nach der vernichtenden Niederlage des Varus im Teutoburger Wald 9 n. Chr. aufgeben. Zwei Dinge machten den Römern in Germanien schwer zu schaffen: Das Fehlen einer zentralen Regierung – jeder Stammesfürst hatte im Prinzip uneingeschränkte Macht über sein Volk – und die Landesnatur mit ihren unendlichen Wäldern und Sümpfen.8 Die Römer mussten sich durch unwirtliches Gelände schlagen, in dem sie ihre gewohnte Taktik nicht anwenden konnten, und mühsam gegen einen Stamm nach dem anderen kämpfen statt „nur“ gegen ein gesamtgermanisches Heer oder einen König aller Germanen, mit dessen Untergang ganz Germanien auf einen Schlag hätte erobert werden können.

Landesnatur und Gesellschaft Germaniens bildeten damit einen Gegensatz zur römischen Zivilisation. Der Historiker Tacitus verfasste ein Werk mit dem Titel De origine et situ Germanorum (Über Ursprung und Wohnsitz der Germanen, erschienen 98 n. Chr.), in dem er das Land mit seinen Menschen, ihren Lebensgewohnheiten, Sitten und Bräuchen beschreibt. Doch Tacitus’ Anliegen bestand nicht darin, gegenüber seinen Landsleuten das Bild eines unzivilisierten Feindes zu entwerfen, der die römische Zivilisation bedroht. Vielmehr wollte er den kultivierten, aber zur Dekadenz neigenden Römern eine Gegengesellschaft vor Augen führen, eine Gesellschaft, die bei aller Unzivilisiertheit moralische Werte besaß, die in Rom längst verloren gegangen waren:

So leben die Frauen in wohlbehüteter Sittsamkeit, nicht durch lüsterne Schauspiele, nicht durch aufreizende Gelage verführt […]. Überaus selten ist trotz der so zahlreichen Bevölkerung ein Ehebruch […] Dort lacht nämlich niemand über Ausschweifungen, und verführen und sich verführen lassen nennt man nicht „modern“.

TACITUS, Germania 19

Sicher entsprachen die Schilderungen von Tacitus nicht in allen Punkten den tatsächlichen Gegebenheiten. So manches Klischeebild, das bei den Römern über die Barbaren im Allgemeinen verbreitet war, ist in sein Werk eingeflossen, so z. B., dass die Kinder nackt und schmutzig heranwuchsen (Tacitus, Germania 20). Doch entscheidend ist, dass die Barbaren nicht länger nur als Feinde gesehen wurden, sondern in gewisser Weise auch als Vorbild dienen konnten.

Krieg in der Antike

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