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Altes Blockdenken und Versuche der Überwindung

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In den ersten Jahrzehnten des 20. Jahrhunderts bis zum Beginn des Zweiten Weltkriegs waren die Kommunisten sehr erfolgreich darin, Intellektuelle auf großen Konferenzen zu versammeln und kollektiv Deklarationen zu verabschieden. Vor 1917 bereits in Russland üblich, wurde diese Praxis organisierter Zusammenkünfte von der sowjetischen Kommunistischen Partei (KP), der Kommunistischen Internationale und ihren europäischen Mitgliederparteien in den frühen 1930er-Jahren fortgesetzt. Wie ergiebig diese Propagandaarbeit war, zeigte nicht zuletzt die große Begeisterung vieler deutscher Schriftsteller für die Sowjetunion. Im eigenen Land geächtet, verfolgt oder bereits im Exil, wurde westlichen Intellektuellen in Moskau ein grandioser Empfang bereitet. Zu Hause hatten sie ihre Leserschaft weitgehend verloren, aber im „Arbeiter- und Bauern-Paradies“ hob man sie auf ein Podest und feierte sie.

Der Kommunist, Verleger und Filmproduzent Willi Münzenberg leitete die Agitprop-Abteilung der Kommunistischen Internationale und organisierte den „Ersten internationalen Kongress der Schriftsteller für die Verteidigung der Kultur“ 1935 in Paris. Unter den Gästen waren André Gide, André Malraux, Robert Musil, Heinrich Mann, Bertolt Brecht und Aldous Huxley. Diese versammelten Schriftsteller einte der Antifaschismus, und viele westliche Intellektuelle ließen sich in seinem Namen von Moskau betören und missbrauchen, auch der Schriftsteller Lion Feuchtwanger. Er war während der Schauprozesse 1936 gegen vorgebliche Abweichler der KP in Moskau zugegen, verteidigte die Todesurteile und denunzierte Kritiker des sogenannten „Großen Terrors“ als schlechte Antifaschisten.

Mit der Gegnerschaft zu Hitler gewann der Kommunismus ein neues Gesicht: Die proletarische Revolution wurde zur Vorhut der Demokratie im Kampf gegen den Faschismus; der Antifaschismus geriet gewissermaßen zum negativen Konzept der Demokratie. Der Krieg und der Sieg über Hitler verliehen daher dem Kommunismus 1945 einen nie gekannten Glanz. Die Rote Armee verkörperte nicht nur die Stärke, sondern nun auch die Freiheit, und plötzlich schienen die Verbrechen des sowjetischen Regimes gegen die Völker und Bürger der Sowjetunion durch den Sieg über Hitler wie ausgelöscht. Verbunden war diese Haltung, besonders bei französischen Intellektuellen, mit einem Revolutionsmythos, der in der Oktoberrevolution die Fortsetzung und Vollendung der Französischen Revolution erblickte. Waren die Pariser Intellektuellen – bis auf wenige Ausnahmen – während der deutschen Besatzung eher indifferent, wenn nicht sogar kollaborativ gewesen, so neigten sie in der Nachkriegszeit dazu, diese wenig rühmliche Haltung vehement mit einer radikalen Attitüde zu kompensieren. Heftig polemisierten sie gegen Kapitalismus, Bourgeoisie und Antikommunismus und feierten stattdessen lieber die Sowjetunion. „Historisch ist die UdSSR die Chance des Proletariats, sein Vorbild und die Quelle der revolutionären Wirkung. Darüber hinaus ist sie an sich selbst ein zu verteidigender historischer Wert, der erste Staat, der, obwohl er den Sozialismus noch nicht verwirklicht, dessen Prämissen enthält.“ (Sartre 1982) Diese Einschätzung Jean-Paul Sartres teilten in den 1950er-Jahren viele Intellektuelle in Frankreich, wo die Linke kulturell dominierte. Er hatte schon früher die Sowjetunion gepriesen als ein Land, das aufseiten all derer stehe, die gegen Ausbeutung kämpften. Sein Widersacher, der Soziologe und liberale Totalitarismuskritiker Raymond Aron, hatte 1948 seinen vom Kommunismus begeisterten Pariser Kollegen entgegengehalten: „Wer ein Regime, das Konzentrationslager einrichtet und eine politische Polizei unterhält, die jene der Zaren weit übertrifft, als Station auf dem Weg zur Befreiung der Menschheit betrachtet, der verlässt die Grenzen selbst der für Intellektuelle noch erträglichen Idiotie.“ (Le Figaro, 11.4.1948)

In Paris kursierte seinerzeit das Bonmot „Mit Sartre irren ist besser, als mit Aron recht zu haben“. Aron stand damals noch auf einem ziemlich einsamen Posten und galt als Nestbeschmutzer. Sein Werk Opium für Intellektuelle, das 1955 erschien, provozierte daher erwartungsgemäß heftige Auseinandersetzungen über das Selbstverständnis der Intellektuellen. In dem Buch analysiert er akribisch die Faszinationskraft, welche die kommunistische Ideologie über solch einen langen Zeitraum trotz der stalinistischen Verbrechen auf Intellektuelle ausübt. Die später folgende Kontroverse zwischen Albert Camus und Sartre kreiste ebenfalls um diesen ideologischen Kern.

Auch in Deutschland stand der Kommunismus in den 1950er-Jahren in Intellektuellenkreisen keineswegs unter Bann. Viele sahen die DDR als legitime Erbin des Sieges über den Faschismus und der antifaschistische Gründungsmythos der DDR fand Anklang bei zahlreichen Intellektuellen. Bertolt Brecht, Ernst Bloch, Anna Seghers, Heinrich Mann, Arnold Zweig, Johannes R. Becher und andere waren nach ihrem Kampf gegen das nationalsozialistische Regime bereit, im östlichen Teil Deutschlands zu leben und ein ‚anderes‘ Deutschland aufzubauen. Dort hofierte man sie als intellektuelle Bündnispartner des antifaschistischen, demokratischen Aufbaus. Sie erhielten zahlreiche Privilegien und gebührender Respekt wurde ihnen entgegengebracht. Ganz anders damals in der eben gegründeten BRD, welche die Exilautoren teils ignorierte oder sie sogar als Störfaktoren in der Phase des Neubeginns ansah. Viele glaubten deshalb auch hier daran, in der DDR könnte tatsächlich ein alternatives Gesellschaftsmodell entstehen.

Das Schweigen der Mitte

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