Читать книгу Er schenkt mir ein weites Herz - Ursula Theresa Dippel - Страница 14

Оглавление

9 • Einsamkeit

» RB 1,3–4: Anachoreten – Einsiedler. Nicht in der ersten Begeisterung für das Mönchsleben, sondern durch Bewährung im Alltag und durch die Hilfe anderer hinreichend geschult, haben sie gelernt, gegen den Teufel zu kämpfen.

Einsamkeit wird zunehmend »populär«. Grund genug, sich damit zu beschäftigen – auch geistlich. Einsamkeit passiert auch Menschen, die wenig oder gar nicht allein sind. Andere sind häufiger allein, fühlen sich aber dabei nicht einsam. Viele vermeiden das Alleinsein aus Furcht vor der Einsamkeit. Alleinsein sei ein sozialer Zustand, Einsamkeit ein psychologischer, definieren manche. Jedenfalls sind Alleinsein und Einsamkeit offenbar nicht immer dasselbe. Wer gut einsam sein kann, kann auch gut allein sein. Aber wer schon das Alleinsein meidet wie der Teufel das Weihwasser, der kommt auch nie in einer positiven Einsamkeit an. Da unsere Zivilisation offenbar zunehmend sehr viele Möglichkeiten bietet, zum Einsiedler zu werden, wäre es eigentlich an der Zeit, das Thema einmal sehr intensiv in den Blick zu nehmen und auch seine Chancen populärer zu machen, anstatt nur unter den Risiken zu leiden.

Unter klösterlichen Gesichtspunkten stellen Alleinsein und Einsamkeit kein Problem dar, sondern im Gegenteil etwas sehr Erstrebenswertes. Gleichwohl sagt auch Benedikt, dass sich nicht jeder Mensch bzw. Mönch in gleicher Weise dazu eignet. Einsamkeit soll man erst lernen – und zwar in der Gemeinschaft. Bewährung in der Gemeinschaft und gelingende Einsamkeit sind zwei Seiten einer Medaille. Wenn Gemeinschaft gut funktioniert, wirkt sie stärkend auf den Einzelnen ein. Aus dieser Stärkung heraus kann man auch mal für einige Zeit allein sein, ohne darunter zu leiden. Dieses Alleinsein hat dann eher einen Erholungscharakter, ähnlich dem berühmten Wunsch nach der einsamen Insel, auf die so mancher überforderte Zeitgenosse gern flüchten würde, um dort festzustellen, dass er auch damit überfordert ist. Zu viel Alleinsein stresst mitunter genauso wie zu viel Gemeinschaft.

Dass der Mensch ein auf Gemeinschaft hin angelegtes Wesen ist, wussten schon die alten Griechen. Auch der Schöpfungsbericht der Bibel bescheinigt, dass es nicht gut ist, dass der Mensch allein bleibt (Gen 2,18). Im Alleinsein steckt also tatsächlich eine Gefahr, die wir spüren und deshalb instinktiv die Flucht davor ergreifen. Wer von sich sagt, dass er nicht allein sein kann und will, ist deshalb unwiderlegbar auf dem richtigen Weg. Besser, man akzeptiert dieses Unvermögen, als darin unterzugehen.

Aber Alleinsein lässt sich nicht immer vermeiden. Es gibt immer wieder Wegstrecken, die zur Einsamkeit zwingen. Schon die normale Arbeitswelt zwischen Rationalisierung und unendlicher Flexibilität eröffnet jede Menge Raum für Einsamkeit. Bei längeren Krankenhausaufenthalten kann nicht ständig jemand am Bett sitzen. Viele alte Menschen müssen über viele Stunden allein bleiben, bis wieder jemand nach ihnen schaut. In Trauerfällen entsteht ein inneres Alleinsein, eine Lücke, die der andere hinterlässt und die sich nicht so einfach schließen lässt. Oder nach einem größeren Konflikt mit dem Gesetz kann es einen – was ferne sei – gar hinter Stahltüren verschlagen.

Der monastische Ansatz, Einsamkeit als Erfahrungsort zu begreifen, kann dabei helfen, diese Wegstrecken unbeschadet, ja sogar mit Gewinn zu meistern. Denn auch in der Einsamkeit geschieht Begegnung. So einsam ist Einsamsein nämlich gar nicht. Da ist nicht niemand, der mit einem spricht, sondern dort erwarten einen im Gegenteil sehr viele Stimmen: die eigenen inneren Stimmen, die sonst im Lärm des Alltags und der Ablenkung durch die Themen der Gemeinschaft nicht so oft zu Wort kommen. In der Einsamkeit kann man vor diesen nicht mehr davonlaufen. Sie verfolgen einen sehr schnell, manchmal wie der sprichwörtliche Teufel die arme Seele. Benedikt empfiehlt nun nicht die möglichst schnelle Flucht, sondern den Mut, mit diesen Stimmen den »Kampf« aufzunehmen, sich ihnen zu stellen, mit ihnen in Kontakt zu treten und sich anzuhören, was sie zu sagen haben. Oft entdeckt man dabei, dass es gar keine Feinde sind, die sich da bemerkbar machen, sondern nur unterdrückte und vernachlässigte Freunde, die gekommen sind, um eigene Missstände zu benennen und nach Abhilfe zu suchen, damit es ihrem Freund, dem Menschen, den sie begleiten, wieder besser geht. Manche Menschen schaffen es, diesen Kampf autodidaktisch zu erlernen. Vielen wird man aber auch erst helfen müssen, ihn zu begreifen. Auf jeden Fall lohnt es sich, ihn nicht zu vermeiden. Ein guter Feind ist wie ein guter Freund: Er zeigt einem die eigenen Schwachstellen auf, die Anteile, an denen sich etwas besser machen lässt.

Der größte Wandel geschieht immer in der Einsamkeit. Am Ostermorgen entdeckte man nur ein leeres Grab. Wie es kam, dass Jesus wieder lebendig werden konnte, hat bis heute niemand erfahren, außer ihm.

Er schenkt mir ein weites Herz

Подняться наверх