Читать книгу Geist & Leben 4/2021 - Verlag Echter - Страница 11

Generationenkonflikt: zu viel oder zu wenig Gebet?

Оглавление

Dank der historischen Recherche von Michel de Certeau wissen wir, dass sich diese Entscheidung in eine Grundsatzdebatte einfügte, die eine gesamte Generation junger Jesuiten – auch jene Surins – beschäftigte.6 Certeau arbeitete zwei verwandte Aspekte heraus, die mit zwei unterschiedlichen Generationen von Jesuiten verbunden waren. Der erste Aspekt ist abzulesen aus einem auf das Jahr 1605 datierten offiziellen Schreiben des Provinzials der Provinz Aquitanien. Dieser Brief beantwortete eine Frage, die P. General Claudio Aquaviva (1543–1615) an die gesamte Gesellschaft Jesu gerichtet hatte. Aquaviva war sich nicht sicher, ob der Orden nach Jahren spektakulären Wachstums in der ersten Dekade seiner Existenz noch auf dem richtigen Weg war und ob etwa eine Reform angebracht wäre. Die Stimme aus der Provinz Aquitanien besagte: Das innere Leben der Mitglieder lässt zu wünschen übrig. Diese gaben ihr Bestes, um im akademischen und intellektuellen Leben gute Leistungen zu erbringen. Demgegenüber fielen sie im Gebet und in der lectio divina zurück. Als Grund wurde die effusio ad exterioria genannt: Die Brüder verloren sich so in äußere Angelegenheiten, dass sie nicht mehr fähig waren zum inneren Beten, nicht einmal in den Momenten, die für das Gebet vorgesehen waren.

Der zweite Aspekt ist gegenteilig. Viele junge Jesuiten, so hat es den Anschein, führten ein intensives spirituelles Leben. Begeistert lasen sie mystische Autoren wie Teresa von Ávila, Johannes Tauler († 1361), Ludovicus Blosius († 1566) und Jan van Ruusbroec († 1381). Diese Generation junger aquitanischer Jesuiten hatte den Eindruck, dass ihre älteren Mitbrüder sie spirituell nicht führen konnten. So überrascht es nicht, dass sie eine gewisse Verbundenheit zum hl. Josef spürten, hatte doch Teresa von Ávila ihn als Führer im Gebet für alle, die geistliche Führung vermissten, empfohlen. Ebenso überrascht es nicht, dass sie spirituelle Unterstützung bei den großen mystischen Autoren der christlichen Tradition suchten. Dies würde als weise Entscheidung gesehen werden. Doch dafür hatte die ältere Generation wenig Verständnis. Die Beschwerden fanden ihren Weg nach Rom. Die junge Generation wurde beschuldigt, sich „von einem Geist leiten zu lassen, der den Jesuiten fremd ist“. Aus diesen Beschwerden sprach die Sorge, dass der Orden seine Identität verlieren könnte.

Nach dem Tod von Claudio Aquaviva folgte Muzio Vitelleschi. Seine Interventionen in dieser Frage waren hart. Das zeigt ein Brief aus dem Jahr 16287: Den Grund des Problems sieht Vitelleschi darin, dass junge Jesuiten sich tatsächlich von einem Geist leiten ließen, der dem Orden fremd war. Der sicherste Pfad sei, den normalen Richtlinien des Ordens zu folgen und dem Superior Gehorsam zu leisten. So gäbe es keine Abweichungen. Die Tendenz, den eigenen Einsichten zu folgen, würde bloß zu einem totalen Schiffbruch der Jesuiten führen. Vitelleschi insistierte auf der Notwendigkeit von Maßnahmen und bat um zusätzliche Informationen über die jungen Jesuiten. Surin war einer von ihnen: Zumindest zwei Ordner mit Beschwerden, die ihn betrafen, wurden nach Rom gesandt.

Das Generalat nahm also die Sache sehr ernst. Es hatte Sorge um die Identität und den Fortbestand des Ordens. In der Sichtweise Roms folgte die jüngere Generation der aquitanischen Jesuiten bloß ihren eigenen Einsichten, was vor allem auf die Lektüre bestimmter mystischer Autoren, die keine Jesuiten waren, zurückzuführen war. Nur Gehorsam konnte diesem Problem entgegenwirken, nur so könne „der Geist des Ordens“ gewahrt werden. Auf diesem Hintergrund wird der Satz verständlich: Das Interesse am hl. Josef bedrohte die Existenz des Jesuitenordens.

Geist & Leben 4/2021

Подняться наверх