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Keuschheit als Schule der Beziehungsfähigkeit

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Die bisherigen Überlegungen haben eines deutlich werden lassen: Keuschheit ist die Grundlage echter Beziehungsfähigkeit16. Nur jener kann anderen wirklich selbstlos und im Sinne Christi dienen, der eine reife Persönlichkeit ausgebildet hat, um seine Bedürfnisse weiß, sie reflektieren kann und sie in seine Persönlichkeit integriert hat. Keuschheit hat demnach nichts mit prüder Verklemmtheit oder falscher Schüchternheit zu tun. Sie ist als Tugend die positive Grundhaltung, die einen wahrhaft menschlichen, personen- wie situationssensiblen Umgang ermöglicht. Wer ganz bei sich ist, kann auch ganz beim anderen sein. Beziehungen verbleiben dann nicht im Oberflächlichen oder auf der Ebene des rein professionell-seelsorglichen, sondern gewinnen Tiefgang, so dass Herz zu Herz sprechen kann, ohne in unangemessener Weise Grenzen zu verletzen.

Zu den besonderen Herausforderungen des zölibatär lebenden Priesters gehört sicher die Spannung zwischen der Verfügbarkeit gegenüber den Oberen einerseits und der Verpflichtung zur aufopferungsvollen Hingabe für die seiner Hirtensorge anvertrauten Menschen andererseits17. Falls es dem Einzelnen nicht gelingt, in diesem Spannungsgefüge eine wechselseitige Kommunikation aufzubauen, kann das zu einer falschen Spiritualisierung des Lebensideals führen. Sie zeigt sich darin, dass der Priester im Letzten sich selbst verhaftet bleibt, ohne sich dem jeweiligen Gegenüber wirklich zu öffnen. Trotz des tagtäglichen Einsatzes im doppelten Gehorsam gegenüber Bischof und Gemeinde fällt dann eine authentische Kommunikation aus, die für ein erfüllendes Leben unabdingbar ist. Verfügbarkeit geht auf Kosten echter Beziehungsfähigkeit. Das Ergebnis ist der „blutleere Kirchenbeamte“18, der zwar funktioniert, aber dem es nicht gelingt, andere Menschen zu erreichen. Über das Bemühen, sich im Dienst voll zu verausgaben, versäumt er es, für andere zur Gabe zu werden19.

Wenn Papst Franziskus dagegen von der „Revolution der Zärtlichkeit“20 spricht, dann meint er damit wohl genau diese notwendige, innere Zugewandtheit, die es ermöglicht, in der Seelsorge Menschen an sich heranzulassen, ihnen die eigene Aufmerksamkeit zu schenken und sich von ihrer Person wie auch ihrer Situation berühren zu lassen. Erst wo man „auf Augenhöhe“ zueinander findet, kann sich Wandlung ereignen21.

Geist & Leben 4/2021

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