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2. Kapitel Die Philosophische Theologie als Philosophie § 4. Die Philosophische Theologie als Metaphysik

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Die Philosophische Theologie ist nicht nur, wie im vorangehenden Paragraphen, als Theologie, sondern auch als Philosophische Theologie zu betrachten. Daher erhebt sich nun die Frage, was das Moment des Philosophischen im Titel dieser Disziplin bedeutet. An dieser Stelle der Untersuchung kommt es jedoch noch nicht darauf an, einen eigenen Begriff der Philosophie zu entwickeln. Es wird sich freilich zeigen, daß sich gerade im Blick auf die Geschichte der Philosophischen Theologie in ihrem Aufstieg und vor allem in ihrem Verfall, die den Gegenstand des 1. und 2. Teiles bilden wird, die Notwendigkeit ergibt, den Begriff der Philosophie neu zu konzipieren. Hier dagegen soll das Moment des Philosophischen nur in dem Sinne dargelegt werden, in dem es die Geschichte der Philosophischen Theologie – allerdings, wie sich zeigen wird, in einer Fülle von besonderen Gestaltungen – durchzieht. Was also bedeutet im traditionellen Sinne Philosopie, wenn sie als Beiwort in dem Ausdruck „Philosophische Theologie“ auftritt?

Einen ersten Hinweis vermag eben die Tatsache zu geben, daß im Namen „Philosophische Theologie“ das Wort „Philosophie“ nicht als Hauptwort, sondern als Beiwort auftritt; es handelt sich nicht um Theologische Philosophie, sondern um Philosophische Theologie. Das besagt: durch das Hauptwort „Theologie“ wird – wie dies im vorigen Paragraphen entwickelt worden ist – der Gegenstand dieser Disziplin bezeichnet; die Zufügung des Beiwortes „philosophisch“ kennzeichnet dagegen die Art und Weise, in der dieser Gegenstand behandelt wird. Philosophische Theologie ist demgemäß ein solches aufschließendes Reden von Gott, das sich auf philosophische Art vollzieht.

„Auf philosophische Art“ besagt: in der Weise des Philosophierens. Diese Kennzeichnung des philosophischen Charakters der Philosophischen Theologie beschränkt sich aber nicht auf diese als einen besonderen Zweig der Philosophie; sie entspricht dem Wesen der Philosophie überhaupt. Diese ist selber ihrer Natur nach nichts anderes als Philosophieren.

Das wird deutlich, wenn man die Philosophie mit den Einzelwissenschaften vergleicht. Während sich diese je durch Angabe ihres besonderen Gegenstandes, also eines umgrenzten Sachfeldes, bestimmen lassen, fehlt der Philosophie ein ihr eigentümliches Gegenstandsgebiet; es ist, sagt Aristoteles, „dem Philosophen eigen, über alles Betrachtungen anstellen zu können“ (M 1004 a 34f.) 1.

Auch die Gegenstände der Einzelwissenschaften können Gegenstände der Philosophie werden, nur daß diese sie in anderer Weise betrachtet als jene es tun. So ist etwa der Gegenstand der Biologie, das Leben, auch Gegenstand der Philosophie; der Unterschied liegt nicht in der Sache, sondern in der Weise, wie nach dem Leben gefragt wird: hier biologisch-wissenschaftlich, in der Untersuchung der Lebensvorgänge, dort philosophisch, in einer im folgenden näher zu bestimmenden Weise. Das Charakteristische der Philosophie ist also ihre Art des Fragens, ihr Vorgehen, ihre „Methode“; und die angemessene Weise, das Wesen der Philosophie zu bestimmen, liegt darin, daß man nach dem Wesen des Philosophierens fragt.

Was Philosophieren besagt, wird deutlicher, wenn man darauf achtet, daß ihm zwar kein eigentümliches Gegenstandsgebiet zukommt, daß es aber doch eine ihm eigentümliche Richtung des Fragens und demgemäß auch ein charakteristisches Woraufzu dieser Richtung besitzt. Diese Intention läßt sich – in einem zunächst noch vagen Sinne – als das Ganze kennzeichnen. Demgemäß steht in jedem Gebiet der Wissenschaft, sofern in ihm philosophisch gefragt wird, das jeweilige Ganze im Blick: im Felde der Biologie das Leben als das Ganze, das allem Lebendigen zukommt und ihm das Lebendigsein gibt; im Bereich der Kunstwissenschaft die Kunst als das Ganze, das die Region der Kunstwerke umfaßt und diese zu Werken der Kunst macht; im Gebiet der Historie die Geschichte als das Ganze, das den Bereich des Geschichtlichen umgrenzt und innerlich konstituiert. So kommt es zu einer Philosophie des Lebens, der Kunst, der Geschichte.

Diese auf die Teilregionen des Seienden bezogene Suche nach dem Ganzen läßt zunächst die Frage nach demjenigen Ganzen, das alle einzelnen Ganzheiten umgreift, offen. Das Philosophieren wird jedoch im inneren Zuge des Fragens nach dem Ganzen dazu gedrängt, sich auch auf das Ganze des Seienden überhaupt zu richten. Nun ist die Frage nach dem Ganzen des Seienden überhaupt die Grundfrage derjenigen philosophischen Disziplin, die, ausgehend von der „Ersten Philosophie“ des Aristoteles, in der späteren Zeit den Namen „Metaphysik“ erhalten hat. In dieser gelangt somit das Philosophieren als das sich vollendende Fragen nach dem Ganzen in sein reines Wesen; das metaphysische Fragen ist die innerste Weise, in der sich Philosophieren vollzieht. Das gilt nicht nur für die vorherrschend metaphysischen Zeitalter (Antike, Patristik, Mittelalter), sondern auch noch für die Neuzeit. In der Metaphysik liegen, wie Descartes sagt, die „Wurzeln“ des Baums der Philosophie.2 Diese metaphysische Wesensbestimmung der Philosophie hält sich, wie sich im I. Teil der Untersuchung zeigen wird, auch weiterhin durch, über Spinoza und Leibniz bis zu der letzten großen metaphysischen Epoche, dem Deutschen Idealismus. Aber auch Kant behauptet, „Metaphysik“ mache „allein dasjenige aus, was wir im echten Verstande Philosophie nennen können“ 3.

Dieser Vorrang der Metaphysik im Bereich des Philosophierens wird nicht dogmatisch behauptet, in dem Sinne, daß unterstellt würde, metaphysische Sätze müßten den Grund und die Basis des Philosophierens bilden. Wenn hier auf den metaphysischen Charakter des Philosophierens verwiesen wird, so wird damit lediglich die Richtung bezeichnet, in die das philosophische Fragen geht: die Richtung auf das Ganze in allen Teilbereichen und letztlich auf das Ganze überhaupt. Daß dieses Fragen, wenn es sich richtig versteht, selber dazu führt, das dogmatische Moment in der Metaphysik zu erschüttern, wird sich später zeigen.4

Philosophieren ist also seiner Fragerichtung nach Metaphysik und als solche Suche nach dem Ganzen. Nun kann nach dem Ganzen in einer doppelten Weise gefragt werden. Einmal so, daß das Ganze als die Summe alles dessen verstanden wird, was in ihm begriffen ist; so setzt sich die Historie zum – freilich nie völlig erreichbaren – Ziel, das Ganze der geschichtlichen Vorgänge aufzuhellen. In diesem Sinne ist das jeweilige Ganze eines Gegenstandsgebietes Thema der Einzelwissenschaften. In anderer Weise dagegen wird nach dem Ganzen so gefragt, daß gesucht wird, was die zu diesem Ganzen gehörigen Phänomene einheitlich bestimmt. Von dieser Art ist die spezifisch philosophische Frage nach dem Ganzen; sie forscht nach dem Leben in allem Lebendigen, nach dem Kunsthaften in allen Kunstwerken, nach dem Geschichtlichen in allen historischen Vorgängen. Dieses einheitlich Bestimmende und Durchwirkende läßt sich terminologisch als das Sein fassen, ohne daß damit freilich schon etwas über Wesen und Sinn des Seins ausgemacht wäre. Die philosophische Bemühung fragt demgemäß im Felde des Biologischen nach dem Sein des Lebens, im Felde der Kunstwerke nach dem Sein der Kunst, im Felde des Geschichtlichen nach dem Sein der Geschichte. In der Metaphysik schließlich, in der das Ganze des Seienden überhaupt im Blick steht, geht es um das Sein des Seienden überhaupt, nämlich um das, was alles Seiende als Seiendes bestimmt, zu Seiendem macht und als Seiendes durchwirkt. Es gibt, sagt Aristoteles, „einiges dem Seienden als Seiendem Eigentümliche, und das ist es, worüber das Wahre zu untersuchen Sache des Philosophen ist“ (M 1004 b 15ff.). Philosophieren ist somit seiner eigentümlichen Fragerichtung nach in der Weise Frage nach dem Ganzen, daß es nach dem Sein des Seienden überhaupt fragt.

Wie nun kann das Philosophieren das Sein des Ganzen in den Blick bekommen? Offenbar nur so, daß es den Punkt sucht, von dem her dieses Ganze sich ursprünglich entfaltet; denn nur von daher kann es auch ursprünglich begriffen werden. Daher behauptet Aristoteles, „am meisten wißbar“ seien „das Erste und die Ursprünge“ (M 982 b 2). In diesem Sinne fragt das Philosophieren im Bereich des Biologischen nach dem Leben als dem Ursprünglichen, von dem her alles Lebendige entfaltet und als Lebendiges begriffen werden kann. Das Vonwoher der Entfaltung und des Begreifens nun kann als der Ursprung bezeichnet werden: So erklärt auch Aristoteles, zu jeder Art von Ursprung (ἀϱχή) gehöre es, „das Erste zu sein, von woher etwas ist oder wird oder erkannt wird“ (M 1013 a 17ff.). Die Frage nach dem Ganzen des Seienden als Frage nach dem Sein des Seienden wird also aus der Sache heraus zur Frage nach dem Ursprung des Seienden im Ganzen.

Die Philosophie fragt demgemäß innerhalb der einzelnen Seinsbereiche jeweils nach dem Ursprung, von dem her das darin inbegriffene Seiende als das, was es ist, konstituiert und erkennbar wird. Entsprechend besteht die Aufgabe der Metaphysik im strengen Sinne, die nach dem Sein des Seienden überhaupt fragt, darin, ineins damit nach dem Ursprung des Seienden überhaupt zu forschen. Daher kommt es, daß Aristoteles die Aufgabe der Metaphysik (der πϱώτη φιλοσοφία) in doppelter Weise bestimmt: als Suche nach dem „Seienden als Seiendem“ (ὂν ᾗ ὄν), und nach den „ersten Ursprüngen und Ursachen“ (πϱῶται ἀϱχαί ϰαί αἰτίαι) (M 982 b 9). Oder, nun beides zusammengefaßt: das Philosophieren geht auf „die ersten Ursprünge und Ursachen“, und zwar „des Seienden als Seiendem“ (M 1025 b 3f.). Philosophieren also ist, betrachtet im Hinblick auf die Richtung seines Fragens, Suche nach dem Sein des Ganzen und damit zugleich Suche nach dem Ursprung des Seienden im Ganzen.

In dieser Bestimmung des Philosophierens als der Suche nach dem Ursprung steckt eine eigentümliche Problematik. Es ist sehr die Frage, ob es überhaupt solche ersten Ursprünge des Seienden gibt, ja, ob nicht schon die Suche nach ihnen sinnlos ist, weil sie keine mögliche Antwort finden kann. Die Untersuchung wird sich damit noch zu befassen haben.5 Im jetzigen Stadium der Überlegungen kann jedoch diese Problematik außer acht gelassen werden, sofern es vorerst nur um den Aufweis der Intention des Philosophierens geht, das, sich als metaphysisch verstehend, auf das Sein und auf die Ursprünge des Seins geht.

Eben das Gleiche nun, worum es der Philosophie in ihrer höchsten, der metaphysischen Frage geht, ist auch die Intention der Philosophischen Theologie. Wenn diese nach dem ϑεόϛ oder nach dem ϑεῖον sucht, so meint sie den Ursprung alles Seienden. Wenn die Philosophische Theologie ferner nach dem Verhältnis des Seienden zur waltenden oder schaffenden Gottheit fragt, so fragt sie zugleich nach dem Sein des Seienden, nämlich ob und wie dieses in seinem Sein dadurch bestimmt ist, daß es im Ursprung wurzelt. Die Wesensverfassung der Philosophie als Metaphysik – in ihrem Doppelcharakter als Frage nach dem Sein und als Frage nach dem Ursprung – läßt also aus der Sache heraus einsichtig werden, was im I. Teil als geschichtliches Faktum dargestellt werden wird: daß die Philosophie, wo sie in ihre Tiefe gelangt, zur Philosophischen Theologie wird. Daher kann nun abschließend formuliert werden: Philosophische Theologie ist ihrem Wesen nach Metaphysik, Metaphysik ist ihrer innersten Intention nach Philosophische Theologie.

1 Zur Zitierweise vgl. § 12, Anm. 3.

2 René Descartes, Œuvres, hrsg. von Ch. Adam und P. Tannéry, Band IX/II, Paris 1904, S. 14.

3 Kant, Kritik der reinen Vernunft, B 878.

4 Vgl. §§ 5–7.

5 Vgl. §§ 5–7.

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