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„Ich schreibe über Gott; ich rechne dabei auf wenige Leser und erwarte nur von einigen Zustimmung.“ DIDEROT

„Was wäre dann sonst der Mühe wert zu begreifen, wenn Gott unbegreiflich ist?“ HEGEL

Philosophische Theologie ist ofensichtlich eine fragwürdige Sache. Und dies nicht nur für diejenigen, die bestreiten, daß dergleichen überhaupt möglich sei: etwa jene protestantischen Theologen, die behaupten, einzig und allein der Glaube könne von Gott wissen, oder jene atheistischen Denker, die in ihm keinen sinnvollen Gegenstand philosophischen Fragens erblicken. Auch dem, dem es ernstlich darum zu tun ist, auf dem Wege des Philosophierens Gott zu erkennen, kann zweifelhaft werden, ob das Denken überhaupt zu jenem Ungreifbaren gelangen kann; so jedenfalls, als das Ende eines langen und doch vergeblichen Bemühens, ist die schroffe Verwerfung des Gottes der Philosophen zu verstehen, wie sie Pascal in seinem «Memorial» ausspricht: «Dieu d’Abraham, Dieu d’Isaac, Dieu de Jacob – non des philosophes et des savants.» 1

In der Gegenwart ist die Bemühung um eine Philosophische Theologie noch tiefer fragwürdig geworden. Gesetzt, diejenigen hätten recht, die meinen, in dem Wort Nietzsches: „Gott ist tot“2, spreche sich der Grundzug unseres Zeitalters aus, oder die sich Heidegger anschließen, der behauptet, daß das Denken „den Gott der Philosophie … preisgeben muß“ 3, dann muß der erneute Versuch, Philosophische Theologie zu treiben, etwas Gespenstisches erhalten: dem Wahnwitz vergleichbar, einen Toten wieder ins Leben rufen zu wollen, in einer Situation, von der vielleicht der Satz Nietzsches gilt: „Hören wir noch nichts von dem Lärm der Totengräber, welche Gott begraben? Riechen wir noch nichts von der göttlichen Verwesung?“ 4

Doch der Verzicht auf die philosophisch-theologische Problematik ist nicht minder fragwürdig. Er bedeutet zugleich die Absage an die ganze bisherige Tradition. Die Frage nach Gott bildet ja, mit wenigen Ausnahmen, die gesamte Geschichte der Philosophie hindurch den höchsten Gegenstand des Denkens.5 Und dies nicht zufällig, sondern aus dem Wesen des Philosophierens heraus. Dieses richtet sich auf das Ganze des Seienden und damit zugleich, als Frage wenigstens, auf das, dem nach alter Tradition innerhalb dieses Ganzen eine so ausgezeichnete, das Ganze gründende und umfassende Stellung zugeschrieben wird, wie dies mit Gott der Fall ist.6 So problematisch dieser Zusammenhang auch sein mag – und eben dies zu zeigen wird eine wichtige Aufgabe der folgenden Untersuchungen sein –: Philosophische Theologie scheint dennoch, unbeschadet jenes von Pascal erhobenen und von Nietzsche und Heidegger verschärften Einspruches, dann, wenn man sich von der Tradition nicht ausdrücklich lossagen will, auch heute noch eine unabdingbare Forderung des Philosophierens zu sein. Gibt die Philosophie diese ihre wesentliche Aufgabe preis, so gibt sie offensichtlich sich selber auf.

Ein Zweites kommt hinzu, um die philosophische Frage nach Gott auch heute noch als dringlich erscheinen zu lassen. In dieser Frage steht der Fragende in einer ausgezeichneten Weise auf dem Spiel. Er gehört ja selber zum Ganzen des Seienden, und dies in vorzüglichem Sinne, sofern er die Möglichkeit hat, dieses Ganze infragezustellen. Fragt er also nach dem Ganzen, so fragt er zugleich nach sich selber, dem infragestellenden Teil des Ganzen. Daher ist es für sein Selbstverständnis von entscheidender Bedeutung, ob und wie dieses Ganze begriffen werden kann; ob es also möglich ist, über Gott als den Grund des Seienden im Ganzen Aussagen zu machen, oder ob sich dies dem menschlichen Denken verwehrt; und das heißt: ob unsere menschliche Situation unausweichlich die Gottverlassenheit ist, so daß wir nichts anderes tun können, als diese entweder begeistert preisen oder nüchtern aushalten oder schmerzlich beklagen, oder ob auch heute noch das „De profundis“ möglich ist.

Aus alledem ergibt sich, wie zwiespältig die Aufgabe ist, die sich die folgende Untersuchung stellen muß, wenn sie es unternimmt, die Möglichkeit einer Philosophischen Theologie in unserer Gegenwart zu erkunden. Sie muß beidem Rechnung tragen: daß die Philosophische Theologie äußerst dringlich, wie auch, daß sie höchst fraglich ist.

Das bringt auch ein doppeltes Verhältnis zur Tradition mit sich. In der Einsicht in die Dringlichkeit der Aufgabe kann die Untersuchung an die große Überlieferung der Philosophischen Theologie anknüpfen. Aber doch nicht ungebrochen. Die Tradition kann nicht unmittelbar weitergeführt werden, weil sie fraglich geworden ist, in einem Geschehen, das in Nietzsche und Heidegger seine bisherigen Höhepunkte erreicht hat. Will man also im Denken redlich bleiben, dann kann man Philosophische Theologie heute nur so treiben, daß man fragt, ob und in welcher Weise überhaupt noch in der Gegenwart philosophisch von Gott geredet werden kann.

Wenn ferner, wie Nietzsche und Heidegger behaupten,7 unsere Epoche als die Zeit des Nihilismus zu kennzeichnen ist und wenn in diesem der Untergang aller Gewißheit stattfindet, dann läßt sich die Aufgabe der folgenden Untersuchung im Sinne des Untertitels auch als die Frage nach der Möglichkeit einer Philosophischen Theologie im Zeitalter des Nihilismus fassen. Das besagt aber: Wer sich daranmachen will, heute noch philosophisch nach Gott zu fragen, muß der Situation Rechnung tragen, in der sein Fragen einsetzt; er muß sich in den Nullpunkt stellen, aus dem allein, wenn überhaupt, im Verlust aller Gewißheit in einer neuen Weise Wahrheit erwachsen kann.

Das folgt schon daraus, daß sich die Philosophische Theologie als Philosophieren vollziehen muß. Dieses aber ist, wie zu zeigen sein wird, Fragen, und zwar ein solches, das nichts unbefragt stehen läßt, also ein radikales Fragen.8 Nur so kommt es zu sich selber. Eben in der entschlossenen Verwirklichung ihres eigensten Wesens besteht daher die Aufgabe der Philosophie in unserer Gegenwart. In der Auflösung aller scheinbaren Gewißheit aber stößt die Philosophie doch offenbar ins Leere. Ihr scheint nichts zu bleiben als das Nichts. Doch diese äußerste Möglichkeit auf sich zu nehmen, ist für ein ernstliches Philosophieren heute unvermeidlich. Ja, es muß sich das Nichts inniger zueigen machen, als es irgendwelche weltanschaulichen Repräsentanten eines sich als nihilistisch gebärdenden Zeitgeistes tun. Dies freilich nicht im schlaffen Sich-treiben-Lassen, sondern im energischen Vollzug des Fragens in seiner ganzen unbeirrten Radikalität. Das heißt aber auch: danach ausspähend, ob sich vielleicht, und am Ende gerade im fragenden Philosophieren selber, Möglichkeiten zeigen, der Lähmung durch das Nichts und durch die radikale Fraglichkeit auf eine redliche Weise zu entgehen.

Ein philosophisches Fragen nach Gott, das der Situation der Zeit Rechnung trägt, darf also nicht wähnen, es könne auf gesicherten Fundamenten aufbauen. Der einzige heute noch mögliche Grund einer Philosophischen Theologie ist, wie im folgenden gezeigt werden soll, die Fraglichkeit alles Grundes.9 Die Philosophische Theologie muß sich daher sorgfältig davor hüten, irgendwelche ungeprüften Gewißheiten, irgendwelche noch so selbstverständlich erscheinenden Voraussetzungen in ihren Ansatz aufzunehmen. Insonderheit muß sie es vermeiden, sich, wie es in der Philosophie der Gegenwart weithin geschieht, allzu willfährig dem Glauben auszuliefern.10

Mit alledem wird die Möglichkeit, heute noch philosophisch von Gott zu reden, immer rätselhafter. In seiner Radikalität gerät der Versuch, Philosophische Theologie zu treiben, unausweichlich in die Gefahr, sich als vergeblich zu erweisen und zu scheitern. Es könnte geschehen, daß der Gott der Philosophen, eben indem er, zuhöchst des Fragens würdig, erfragt wird, sich als ein bleibend Fragwürdiges herausstellte. Das aber ist das unvermeidliche Wagnis jedes ernstlichen Philosophierens und damit auch jedes ehrlichen Versuchs einer Philosophischen Theologie. Wer weiß denn, ob es nicht in die Antwortlosigkeit führt, wenn man auf dem Wege des radikalen Fragens nach Gott fragt?

Vielleicht ist es aber an der Zeit, diesen Weg des radikalen Fragens, den Weg der Philosophischen Theologie, konsequent zu beschreiten. Denn noch immer gilt – als Mahnung – der Satz Fichtes: „Nur an den höchsten Aufschwung des Denkens kommt die Gottheit.“ 11

Unter dem Titel „Grundlegung einer Philosophischen Theologie“ geht es vorab darum, die Möglichkeit einer solchen philosophischen Disziplin in der Problemsituation der Gegenwart zu prüfen. Da dies ein weithin ungebahnter Weg ist, muß die Untersuchung sorgfältig die Ausgangspunkte festzulegen versuchen. Die Einleitung bemüht sich daher, Begriff und Aufgabe einer Philosophischen Theologie herauszuarbeiten und diese gegen andere Weisen, von ihrem Gegenstande zu reden, abzugrenzen.

Die beiden ersten Teile haben zum Thema „Aufstieg und Verfall der Philosophischen Theologie“. Im Mittelpunkt steht die Geschichte der Philosophischen Theologie von ihren Anfängen bei den frühen griechischen Philosophen bis zu Hege!, sowie daran anschließend die allmähliche Zersetzung dieser Disziplin von Hege! bis zur Gegenwart. Dabei mußte natürlich eine Auswahl getroffen werden; der Verfasser hat sich aber bemüht, die charakteristischen Gestaltungen der Philosophischen Theologie zur Anschauung zu bringen. Zu Beginn beschränkt sich die Darstellung weitgehend auf ein das Wesentliche heraushebendes Referat über die philosophisch-theologischen Ansichten der jeweiligen Autoren. In den späteren Abschnitten, vor allem in dem Bericht über die Zeit von. Kant bis zur Gegenwart, tritt deutlicher hervor, daß es die Intention des Verfassers ist, nicht nur wiederzugeben, was gesagt wird, sondern auch die mehr oder minder verborgenen Wurzeln aufzudecken, aus denen heraus jeweils Philosophische Theologie getrieben oder kritisiert wird. Zugleich soll die Darstellung bis an den Punkt führen, an dem das Unternehmen der einzelnen Autoren sich als fragwürdig oder gar als scheiternd erweist. Diese vorwiegend historische Orientierung des ersten Bandes hat freilich auch eine systematische Absicht. Im Gesamtüberblick über die Geschichte von Aufstieg und Verfall der Philosophischen Theologie tritt deutlich hervor, daß die Philosophische Theologie in eine tödliche Krisis geraten ist. Das muß zu einer grundsätzlichen Selbstbesinnung führen. Es wird sich zeigen, daß die Krisis der Philosophischen Theologie die der Philosophie überhaupt ist. Daher muß im zweiten Teil das Wesen des Philosophierens zum Thema werden, und zwar gerade eines Philosophierens im Zusammenbruch der Philosophie. Dabei wird am Ende deutlich, daß Philosophie heute nur noch als radikales Fragen möglich ist.

An diesem Punkte wird der zweite Band die Problematik wieder aufnehmen. Er wird zunächst die Situation der Philosophischen Theologie zwischen Offenbarung und Glauben auf der einen, Atheismus und Nihilismus auf der anderen Seite darstellen. Dabei wird insbesondere das Problem von Sinnhaftigkeit und Sinnlosigkeit des Daseins zu erörtern sein. Sodann werden einige in der Gegenwart unternommene Versuche, Philosophische Theologie zu treiben, kritisch untersucht. Das Ergebnis wird auch hier wieder sein, daß allein die Radikalität des Fragens übrig bleibt. Diese aber – das ist die Grundthese der gesamten Untersuchung – ermöglicht eine Weise der Philosophischen Theologie, die sich gerade und eben auf das radikale Fragen gründet. Sie in ihren verschiedenen Aspekten auszuarbeiten, in der Richtung auf einen der Problematik der Gegenwart entsprechenden philosophischen Gottesbegriff, wird die Hauptaufgabe des zweiten Bandes sein.12

Es mag seltsam erscheinen, daß sich auf den folgenden Seiten verhältnismäßig viele wörtliche Zitate finden. Das hat wohlbedachte Gründe. Jede Umschreibung eines Gedankens bringt immer auch eine wenn auch oftmals unscheinbare Verschiebung des Gemeinten mit sich. Der Verfasser hat daher überall, wo es möglich war, das wörtliche Zitat zu bringen, von dieser Möglichkeit Gebrauch gemacht. Daß aber schon in der Auswahl der Zitate, auch wenn die Auslegungsabsicht nicht eigens vermerkt wird, eine bestimmte Interpretation steckt, wird dem Kenner der Geschichte der Philosophischen Theologie nicht entgehen.

Für intensive Mithilfe bei der Durchsicht des Manuskripts habe ich den Herren Dieter Brumm, Norbert Hinske, Tilmann Pinder und Rudolf Schrastetter zu danken. Besonders Herr Hinske hat sich, vor allem in den ersten Abschnitten des Manuskripts, durch sorgfältige Überprüfung des Textes und der Zitate erhebliche Verdienste erworben. Bei der Herstellung des Manuskripts in seinen verschiedenen Fassungen haben die Damen Hannelore Sacha, Christa Schmülling und Margarete Tietze unermüdlich mitgewirkt. Dank gebührt schließlich der Wissenschaftlichen Buchgesellschaft, Darmstadt; die die Drucklegung des umfangreichen Buches ermöglicht hat; vor allem danke ich in diesem Zusammenhang den Herren Knauer und Geist.

28. November 1970

1 Aus dem „Memorial “, einer Aufzeichnung über ein religiöses Erlebnis, die nach dem Tode Pascals in seinen Rock eingenäht gefunden worden ist. – Zum Problem des scheiternden Philosophierens Pascals vgl. Wilhelm Weischedel, Der Abgrund der Endlichkeit und die Grenze der Philosophie, Versuch einer philo – sophischen Auslegung der „Pensees“ des Blaise Pascal. In: Wilhelm Weischedel, Wirklichkeit und Wirklichkeiten, Aufsätze und Vorträge, Berlin 1960.

2 Friedrich Nietzsche, Die fröhliche Wissenschaft, 125, V 163. Zur Zitierweise vgl. § 80, Anm. 1.

3 Martin Heidegger, Identität und Differenz, Pfullingen 1957, S. 71.

4 Friedrich Nietzsche, a.a.O.

5 Vgl. Teil I.

6 Vgl. § 4.

7 Vgl. Teil II.

8 Vgl. § 5.

9 Vgl. § 5.

10 Zur Auseinandersetzung mit dem Glauben vgl. den zweiten Band, sowie: Helmut Gollwitzer und Wilhelm Weischedel, Denken und Glauben, Ein Streitgespräch, Stuttgart 21965.

11 Johann Gottlieb Fichte, Die Anweisung zum seligen Leben, V 123. Zur Zitierweise vgl. § 40, Anm. 1.

12 Vorausdeutungen dessen, was im zweiten Band in extenso entwickelt werden soll, finden sich in zwei Aufsätzen des Verfassers: Philosophische Theologie im Schatten des Nihilismus, und: Von der Fragwürdigkeit einer Philosophischen Theologie. Beide Aufsätze sind zunächst in der Zeitschrift „Evangelische Theologie“ erschienen (Jg. 22, 1962 und Jg. 27, 1967). Sie wurden sodann übernommen in: Wilhelm Weischedel, Philosophische Grenzgänge, Vorträge und Essays, Stuttgart/Berlin/Köln/Mainz 1967. Zuletzt sind sie gesondert erschienen in: Philosophische Theologie im Schatten des Nihilismus, mit Beiträgen von W. Weischedel, G. Noller, H.-G. Geycr, W. Müller-Lauter, W. Pannenberg, R. W. Jenson, hrsg. von ]. Salaquarda, Berlin 1971.

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