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3. Der Herabstieg

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Wenn aber das Eine dergestalt in die Ferne gerückt und wahrhaft als das „Darüberhinaus“ verstanden wird, dann erhebt sich die Frage, wie es dann noch mit der endlichen Wirklichkeit in Verbindung stehen kann, deren Existenz von Plotin nicht geleugnet wird. Es muß also irgendeine Verknüpfung des Einen mit der faktischen Welt geben. „Das Eine kann nicht allein sein – denn dann bliebe alles verborgen …, und es existierte kein Seiendes, wenn jenes in sich selbst stehen bliebe, noch gäbe es die Vielheit dieses Seienden, das vom Einen her erzeugt ist“ (IV 8, 6). Die Frage ist also: „Wie kommt aus ihm die Vielheit“(V 3, 15)? Damit ist — nach dem Problem des Seins Gottes – die zweite große philosophisch-theologische Frage nach der Herkunft der endlichen Wirklichkeit aus dem Absoluten gestellt.

Plotin will diese Frage so lösen, daß er annimmt, die Wirklichkeit komme durch einen stufenweisen Herabstieg des Einen zustande. Dieses selber ist das Erste. Das Zweite ist der Geist, der νοῦϛ, zusammen mit dem, was er ursprünglich in sich enthält: dem Ideenreich, dem ϰόσμοϛ νοητόϛ (VI 2, 2), dem „wahrhaft Seienden“ (V9, 5). Der Geist ist ein „Abbild“ des Einen (V 1, 7); denn dieses ist es, „aus dem der Geist und das mit ihm (verbundene) Geistige (der Ideenkosmos) sind“ (III 8, 9), und zwar in der Weise, daß das Eine „durch die Zuwendung zu sich selbst sah; dieses Sehen aber ist der Geist“ (V 1, 7). Das Dritte ist die Seele (als Weltseele und als das Gesamt aller Einzelseelen), ein „Abbild des Geistes“, das „ Wort des Geistes“ (V 1, 3), der „die Seele erzeugt“ (V 1, 7). Die Seele blickt auf zum Geist (vgl. III 9, 5) und damit indirekt zum Einen, zum „Gott“ (I 8, 2). Diese Stufenfolge – das Eine, der Geist, die Seele – ist „die wesensmäßige Ordnung“, und sie macht den Bereich des νοητόν, der geistigen Welt, aus (119, 1). Sie umreißt die Sphäre des Göttlichen; denn auch die Seele ist noch ein „Göttliches“ (V 1, 3).

Die Seele aber blickt zugleich hinab, und so, „sich auf das Sinnliche richtend“ (IV 7, 13), schafft sie die Welt der Dinge, der „Nachahmungen des Seienden“ (III 6, 7): die „Natur“ als „das Äußerste der Seele“ (IV 4, 13). In der extremsten Ferne zum Einen aber, und gleichwohl von diesem her, entsteht die Materie, „in Wahrheit nicht seiend, bloßes Bild und Vorstellung von Masse, ein Trachten nach Existenz“ (III 6, 7), vergleichbar der „Finsternis am äußersten Rande des Feuers“ (IV 3, 9).

Dieser Herabstieg darf freilich nicht in der Weise gedacht werden, daß das Eine selber aus sich herausginge. Plotin sagt zwar gelegentlich vom Einen: „Es ist gleichsam übergeflossen, und seine überfülle hat ein Anderes geschaffen“: den Geist (V 2, 1). Aber doch betont er aufs deutlichste, daß es zum Wesen des Einen gehöre, in sich selber zu bleiben; es „ist nicht geteilt …, nicht bedürftig, sich zu ergießen“ (VI 5, 3); es „bleibt dasselbe, auch wenn anderes aus ihm wird“ (V 5, 5). Bei dem Herabstieg geht es also keinesfalls um eine Emanation im buchstäblichen Sinne des Wortes, demgemäß das vom Einen Herstammende „von ihm her ausflösse und es sodann verringerte“ (VI 9, 9). Wie freilich dies Widersprüchliche zu denken sei, kann Plotin nicht mehr in Begriffen, sondern – entsprechend der Unsagbarkeit des Einen – nur noch in Bildern ausdrücken. Das Eine verhält sich zur Vielheit wie „die Sonne, die gleichsam der Mittelpunkt ist in bezug auf das Licht, das von ihr ausgeht und von ihr abhängig ist“ (I 7, 1) ‚ „wie eine Quelle … ‚ die sich selbst ganz den Flüssen hingibt, nicht aufgezehrt von den Flüssen, sondern ruhig sie selber bleibend“ (1118, 10).

Daß es hier nur möglich ist, in Bildern und Analogien zu sprechen, zeigt freilich die Ungelöstheit dieser Problematik. Diese wird als offene Frage an die folgende Zeit weitergeleitet. Das Problem der Möglichkeit einer endlichen Welt angesichts des Absoluten, das doch, als Absolutes, eine solche grundsätzlich auszuschließen scheint, die Frage nach der Begreiflichkeit eines Hervorganges der Wirklichkeit aus dem Göttlichen, wird von da an das ganze philosophisch-theologische Denken begleiten.

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