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4. Die metaphysische Erfahrung Plotins

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An Plotins Philosophische Theologie knüpft sich noch eine weitere, für die Folgezeit bedeutsame Problematik an. Wenn das Eine unsagbar und unerfaßbar ist, dann entsteht die Frage, wie denn der Philosophierende überhaupt auf es aufmerksam werden oder sich gar seiner vergewissern kann. Plotin erblickt die Möglichkeit dessen in einer spezifischen Erfahrung und legt diese – nach Ansätzen in Platons Lehre vom Eros – als erster genauer aus.

Er kennzeichnet diese Erfahrung als „Schauen“. Das Eine ist „weder hörbar noch kann es dem Hörenden verstehbar sein, sondern, wenn überhaupt irgendwem, dann dem Sehenden“ (V 5, 6). Das Erschauen des Einen ist freilich vom sinnlichen Sehen unterschieden; es hat seinen eigentümlichen und unverwechselbaren Charakter; es ist „eine andere Weise des Sehens“ (VI 9, 11); was es erblickt, ist kein Etwas, sondern jenes unfaßbare Eine. Daher sagt Plotin vom Geist, daß er, wenn er auf das Eine blickt, „nicht sehend schaut“ (V 5, 7).

In dieser ihrer Paradoxie ist die Schau, wie Plotin betont, „schwer auszusprechen“ (VI 9, 10). Eigentlich kann man nur von dem reden, „der zum Schauenden von Ursprung und Einem wird“, und ihm „gleichsam den Weg zeigen“ (VI 9, 3f.). Seine nächste Aufgabe ist, „von allem Außen abzulassen und sich gänzlich zum Innen zu wenden“ (VI 9, 7). Aber dies nicht in dem Sinne, daß er nun im Medium der Selbstbesinnung verweilte. Er muß vielmehr auch von sich selber absehen; wer zum Schauen gelangen will, muß, „sich selbst nicht wissend“ (VI 9, 7), zu einer völligen Entselbstung gelangen, um „still zu warten, bis es (das Eine) etwa erscheinen möge“ (V 5, 8).

Ist der Mensch zu dieser Haltung gelangt, dann kann es geschehen, daß ihm das Eine „gegenwärtig“ wird (VI 9, 7), so daß „wir Gott berühren“ (VI 9, 9). Dann wird „der Schauende eins mit dem Geschauten“. In solcher ἔϰστασιϛ, in solcher „Hingabe seiner selbst“ (VI 9, 11), vereint er sich „mit jenem Gott, der lautlos anwesend ist“ (V 8, 11). Die Seele, selber „ein Göttliches“ (V 1, 10), ist dann „Gott geworden, ja noch mehr: (Gott) seiend“ (VI 9, 9); „der Ursprung schaut den Ursprung“ (VI 9, 11).

Plotins metaphysische Erfahrung des vereinzelten, sich mit der Gottheit einenden Philosophen ist gleichsam das Schlußwort der antiken Philosophischen Theologie. So spricht denn auch der Schlußsatz der „Enneaden“ Plotins von der „Flucht des Einsamen zum Einsamen“ (VI 9, 11). Und Porphyrios berichtet, das letzte Wort des sterbenden Plotin sei gewesen, es gelte, „das Göttliche in uns hinaufzuheben zu dem Göttlichen im All“ 4.

1 Die Zitate sind den „Enneaden“ Plotins entnommen. Dabei wurde, soweit erschienen, der Text der zweisprachigen Ausgabe von Plotins Schriften, Harburg 1956f., zugrunde gelegt. Die für den noch nicht erschienenen IV. Band dieser Ausgabe vorgesehenen Schriften werden nach dem Text der Société d’Édition «Les helles lettres», Paris 1924–38, zitiert. – Die Übersetzungen stammen vom Verfasser.

2 Vgl. Platon, Politeia 509 b.

3 Vgl. Dionysios Areopagita, Mystica Theologia, § 3, wo das griechische ἐπέϰεινα mit „ultra omnia“ übersetzt wird.

4 Porphyrios, Vita Plotini 2.

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