Читать книгу Amaranth - eine Legende - A. B. Schuetze - Страница 5
Die Offenbarung
ОглавлениеSeit Stunden schon dudelten Schlagerschnulzen aus dem Radio, und immer wenn Manuel die Hand nach dem Knopf der Senderwahl ausstrecken wollte, verpasste ihm Helena einen Klaps auf die Finger.
„Das ist mein Auto. Ergo … mein Radio … meine Musik. Sei froh, dass du mitkommen durftest.“ Damit schenkte sie ihm ein schelmisches Lächeln und raste am nächsten Auto vorbei. „Mann, was für lahme Schnecken. Sollten Landstraße fahren und nicht Autobahn.“
Manuel überhörte geflissentlich ihre Bemerkungen über den Fahrstil anderer Verkehrsteilnehmer, verdrehte die Augen und schaute genervt aus dem Fenster. Wie konnte man nur den ganzen Tage diese Herz-Schmerz-Schön-Wetter-Musik anhören. Jetzt singt sie auch noch mit. Ich weiß echt nicht, was ich verbrochen habe, dass ausgerechnet ich mit dieser Mission beauftragt worden war.
Vor nunmehr einem halben Jahr hatte Manuel den Auftrag bekommen, Kontakt mit Helena Urban aufzunehmen und sie im Auge zu behalten. Sie sollte unter seinem persönlichen Schutz stehen.
Helena war eine entzückende junge Frau mit einem Faible für Legenden und Mythen, und so war es nicht verwunderlich, sie an der hiesigen Hochschule anzutreffen. Sie studierte Kulturwissenschaften mit dem Schwerpunkt Literatur. Jede nur freie Minute verbrachte sie in den Bibliotheken des Landes. Stets schleppte sie einen Stapel Bücher unterm Arm durch die Gegend. Immer auf der Suche nach unbekannten und uralten Überlieferungen kultureller, gesellschaftlicher und anderer Existenzen, deren Entdeckung und Erforschung sie sich zum Ziel gemacht hatte.
Für Manuel hätte es nicht günstiger laufen können. Legenden und Mythen – sein Steckenpferd. Seit er lebte, waren Bücher seine große Leidenschaft gewesen. Was also hatte näher gelegen, als diese doch so schöne Gemeinsamkeit für eine Annäherung zu nutzen.
So war es beschlossene Sache gewesen, Helenas Nähe zu suchen, wo es nur ging … in den selben Kursen; zufällig im selben Lesesaal; in der Mensa am selben Tisch. Manuel schien Helenas Schatten gewesen zu sein.
Es hatte ihr schon geschmeichelt, Dreh- und Angelpunkt eines so gut aussehenden und von allen umschwärmten Mannes gewesen zu sein.
Groß, breite Schultern, schmale Hüften. Perfekt. Seine leuchtenden braunen Augen konnten die Frauenherzen zum Schmelzen bringen. Der Clou – seine schulterlangen blonden Haare, die meist in einem Zopf zusammengehalten wurden.
Anfangs hatte Helena seine Gegenwart genossen, obwohl ihr nicht klar gewesen war, weshalb gerade sie in seinem Fokus hätte stehen sollen. Sie entsprach mit Sicherheit nicht dem Beuteschema eines solchen Mannes, der sowohl Macho, Herzensbrecher und Gott in einem verkörperte. Sie war nur 1,65 m, besaß keine Modellmaße und war auch sonst eher unscheinbar. Und so hatte sich mit der Zeit die Frage nach dem Warum in den Vordergrund gedrängt und nicht lange danach wurde Manuel von ihr genervt zur Rede gestellt.
„Hab ich Speck in den Taschen, dass du ständig um mich herumschleichst? Kann es sein, dass du mich verfolgst? Was willst du?“, hatte Helena ihn angeblafft.
„Sorry, dass ich dich stalke. Na ja … eigentlich nicht, denn dafür gibt es in der Tat einen Grund. Du kennst dich doch mit Legenden und Mythen aus oder? Ich habe da nämlich etwas, was ich dir unbedingt zeigen wollte.“ Sofort hatte Manuel eine filigran gearbeitete Kette mit einem Feueropal aus seiner Hosentasche gezogen und der aufgebrachten jungen Frau vor die Nase gehalten. „Hast du so eine Kette schon mal gesehen?“
Helena hatte ganz große Augen gemacht, vorsichtig nach der Kette mit dem Anhänger gegriffen und sie ehrfürchtig hin und her gedreht. Beinahe wäre sie ihr aus den Händen geglitten, als der Stein plötzlich zum Leben erwacht war. Helena hatte nach Luft geschnappt und Manuel ungläubig angesehen. „Wenn ich es nicht besser wüsste … Aber das … das ist … Sie sieht aus, wie einer der Feueropale für … Aber das kann nicht sein. … na ja, für Auserwählte von Salwidizern“, hatte sie aufgeregt gestottert. Ihr Blick war unruhig von Manuel zu der Kette in ihrer Hand und wieder zurück zu Manuel gewandert. „Aber die gibt es nicht. Salwidizer sind eine Legende. Ein Mythos. … und somit kann das da eigentlich auch keiner ihrer traditionellen Steine sein. Andererseits … ähm … ich weiß nicht so recht. Wo hast du die Kette her?“
Auf Manuels Gesicht war ein breites Grinsen gehuscht. Jetzt hatte er echt ihre ungeteilte Aufmerksamkeit gehabt. „Kannst du etwas Zeit für mich erübrigen? Hättest du vielleicht Interesse, dich mit mir kurzzuschließen hinsichtlich dieses Mythos'? Ich bin nämlich ebenfalls von allem rund um die Salwidizer angetan. Ich würde gern meinen Erkenntnisstand mit deinem abgleichen und mit dir zusammenarbeiten. … Aber nur wenn du auch willst. Ich will mich dir nicht aufdrängen … und dich zu nichts zwingen.“
Natürlich hatte Helena keinesfalls ablehnen können, denn sie wäre sonst regelrecht vor Neugierde geplatzt. Und so hatte sie Manuel in einen der leeren Seminarräume gezerrt.
Nicht, dass er überrascht gewesen war ob ihrer Reaktion, dennoch hatten seine Augen vor Belustigung geleuchtet.
Helena hingegen hatte Manuel mit zusammengekniffenen Augen gemustert. Er sieht ganz und gar nicht wie ein Bücherwurm aus. Eher erinnert er an einen … Abenteurer, einen Mann der Tat. „Nun? Dann schieß los“, hatte sie ihn aufgefordert und gespannt auf seine Erläuterungen gelauert.
Manuel, noch immer in sich hinein lachend, hatte es mehr als genossen, Helena zappeln zu lassen. „Was weißt du über diese Art von Kette, Auserwählte und Salwidizer?“
Was? Das kann jetzt nicht sein Ernst sein. Zuerst will er sich mit mir kurzschließen und nun stellt er mir Fragen? Hat er mir überhaupt etwas zu bieten oder will er nur … Mist! Mist! Mist! Wenn ich wissen will, woher er die Kette hat, werde ich ihm wohl auch etwas bieten müssen. Pffh.
Helenas Begierde, mehr zu erfahren, hatten sie ihren Stolz vergessen und ihre Enttäuschung und Entrüstung hinunterschlucken lassen. Trotzdem hatte sie es sich nicht verkneifen können, Manuel ein weniger charmantes Lächeln zu schenken. „Also … Salwidizer … meine Lieblingslegende … oder nein … eigentlich ist das Volk der Salwidizer eher ein Mythos. Wie auch immer man das bezeichnen mag. Ihre Existenz ist nicht bewiesen. Hm … in der Legende heißt es, sie seien ein friedliebendes Volk. So alt wie die Zeit. Ihre Heimat … eine Anderwelt … nennt sich Adanwe. Sie leben nach den Gesetzen der Steine, die vom Großen Geist Menanim mehr oder weniger durchgesetzt werden. Sie bringen nur Knaben hervor und sind daher gezwungen, ihre Gefährtinnen in der Welt der Menschen zu suchen. Es heißt, ein Feueropal, so einer wie dieser, findet das weibliche Gegenstück zu jedem der Männer. Aber wie gesagt, das sind uralte Überlieferungen, denen jegliche Grundlagen und Beweise fehlen. Jetzt bist du dran. Was weißt du über dieses Volk? Vor allem, wie kommst du an einen derartigen Stein? … Ich höre!“
Helena hatte sich Manuel gegenübergesetzt. Ein Fuß unter ihren Po gezogen, einen Ellenbogen auf den Tisch und das Kinn in die Hand gestützt, hatte sie ihn fragend angesehen.
Dieses umfangreiche Wissen über das Volk der Salwidizer, welches sich Helena angeeignet hatte, hatte Manuel erstaunt aufhorchen lassen.
Gab es doch arg wenig Unterlagen über Anderwelten. Woher wusste sie nur so viel? Die Salwidizer konnten wohl kaum riskieren, dass allzu viele Fakten ihrer Existenz in der Welt der Menschen die Runde machten. Wollte er mehr darüber wissen, durfte er im Moment Helena auf keinen Fall länger warten lassen.
„O...kay. Du siehst mich baff erstaunt. Ich wusste nicht, dass dir so viel über unser … ähm … über dieses Volk bekannt ist. Der Stein an der Kette in deiner Hand ist tatsächlich einer der Feueropale für die Auserwählten. Frag mich nicht, wie ich an den gekommen bin. Aber er hat mich direkt zu dir geführt. Der Stein hat dich gefunden. Und nur seine wahre Besitzerin kann die Leuchtkraft des Steins entfesseln. So wie jetzt eben.“
Helena hatte eine ihrer Augenbrauen nach oben gezogen und ihre Lippen gekräuselt. Das waren eindeutig Anzeichen dafür gewesen, dass sie Manuels Erklärungen eine gewisse Portion Skepsis entgegenbrachte. Sie hatte den Stein in ihrer Hand angestarrt, der in den Farben des Feuers zu lodern schien. Fast hatte sie das Gefühl, die Hitze auf der Haut spüren zu können. Das kann auf gar keinen Fall sein. Das gibt es nicht. Manuel erlaubt sich einen dummen Streich mit mir. Bestimmt ist das irgendein fauler Trick.
Kurz vor ihrem Aufbegehren hatte Manuel seine Ausführungen fortgesetzt und sie nicht erst zu Wort kommen lassen.
„Pass auf. Solch ein Feueropal findet normalerweise seine Besitzerin bereits gleich nach deren Geburt. Nun war laut meinen Quellen dieser Stein … also dein Stein … er war sehr lange Zeit verschollen und besaß nicht die Möglichkeit, seine Magie zu entfalten. Vor wenigen Monaten hat man ihn … sagen wir mal, wiedergefunden und jetzt hat er mich halt zu dir geführt. Sprich, er hat dich gefunden. Der Grund, warum ich dir das alles erzähle, liegt einzig und allein in deinem Interesse für Legenden und Mythen begründet. Und wie bereits gesagt, der Stein hat mich direkt zu dir gebracht. Ich wollte dir nur den Opal zukommen lassen und dir sehr gern bei deinen Studien und Recherchen behilflich sein.“
Erleichtert, den ersehnten Kontakt hergestellt und Helena den Stein gebracht zu haben, hatte sich Manuel auf seinem Stuhl zurückgelehnt.
Auch wenn Helena nicht sofort von seinen Ausführungen überzeugt gewesen war, hatte er keine negativen Reaktionen befürchten müssen. Er hatte gewusste, sie würde sich seine Worte durch den Kopf gehen lassen und analysieren, inwieweit sie der Wahrheit entsprechen könnten.
Hatte die junge Frau eben noch Proteste und die eine oder andere Fragen einwerfen wollen, so war jetzt eine längere Pause entstanden.
Das war dann doch starker Tobak gewesen, was sie da gehörte hatte. Konnte das wirklich wahr sein? Aber warum sollte Manuel sich solch unglaubliche Dinge ausgedacht haben? … und der Stein? Er war definitiv in ihren Händen zum Leben erwacht. Er hatte pulsiert.
Viele Fragen waren durch Helenas Gedanken gewirbelt. Nun gut. Wie auch immer. Einerlei, was der Kerl damit bezweckt oder was wirklich dahintersteckt, man kann das Spielchen ja erst mal mitmachen. Was soll schon passieren. Sie hatte ein paar Mal tief durchgeatmet und mit undurchdringlicher Miene Manuel gemustert, der ruhig und sichtlich tiefenentspannt auf seinem Stuhl gekippelt hatte.
„Hm … ich will deine Erklärung gar nicht anzweifeln.Gesetzt dem Fall, es ist so ein besagter Stein, ich ihn aber nicht möchte, weil ich keine Auserwählte sein will? Und schon gar nicht von einem dieser uralten Salwidizer. Ich würde mir schon ganz gern meinen Mann allein wählen, so ohne jeglichen Hokuspokus. Was bedeutet das für mich?“ Unschlüssig hatte Helena auf eine Erwiderung gewartet.
Sie war während Manuels Offenbarung erregt von ihrem Stuhl aufgesprungen und im Raum auf und ab gelaufen, und nun hatte sie mit in die Hüften gestemmten Armen vor ihm gestanden und ihn herausfordernd angeschaut. „Also was? Nehmen wir an, ich will partout keine Auserwählte sein. Was dann? Verwenden sie in dem Fall ihre ach so besonderen Gaben? Können sie mich dann zu irgendetwas zwingen? Was geschieht, wenn ich mit meinem Wissen hausieren gehe?“
Manuel hatte die Arme hinter dem Kopf verschränkt. „Es ist egal, was ich denke oder was du glaubst oder ob du dich dagegen wehrst. Du wirst es in dem Moment wissen, in dem du dich verliebst. Es wird dich wie ein Blitz treffen. Liebe auf den ersten Blick und du kannst nichts dagegen tun. Und sollte es ein Salwidizer sein …“ Manuel hatte mit den Schultern gezuckt. „Was willst du dann machen? Sei ehrlich, du würdest es schon gern wissen? Es reizt dich. Ich glaube sogar, du würdest es dir wünschen. Mich persönlich würde es brennend interessieren. Wir können beide zusammen der Sache auf den Grund gehen. Lass mich dir dabei helfen. Nimm die Sache, was sie ist. Ein aufregendes wissenschaftliches Experiment … in Sachen Schicksal und Liebe. Was die zweite Frage angeht … Du wirst es niemandem erzählen. Zum einen kenne ich dich viel zu gut und zum anderen würdest du nicht nur diesem Volk schaden, sondern auch dir persönlich. Nein. Nein, du würdest nicht damit hausieren gehen.“
Diese Worte hatten Helena den Wind aus den Segeln genommen. Darauf hatte sie nichts zu erwidern gewusst. Ratlos hatte sie sich wieder hingesetzt und die Kette in ihrer Hand betrachtet.
Jetzt, wo sie unvermittelt in ein unbekanntes Abenteuer hineingeschlittert war … Was sollte sie damit anfangen? Wie sollte es mit ihr weitergehen? Einfach weitermachen wie bisher? So als wäre nichts geschehen? Was war denn geschehen? Eigentlich nichts. Oder doch? Die Kette war nun einmal da. … Was zum Teufel dachte sich Manuel dabei, mir diese Fakten gleich mal so ganz lapidar an den Kopf zu knallen?
Helena hatte zu Manuel hinüber geblinzelt. Der hatte dagesessen, als wären für ihn solche Informationen das Natürlichste der Welt gewesen. Dann dieses Lächeln. Selbstzufrieden. Aber auch versöhnlich, einfühlsam und verständnisvoll.
Wie machte er das nur, so viele Facetten in ein Lächeln zu zaubern? … So, so. Die Kette ist auf mysteriöse Weise zu dir gelangt, damit du mich stalken kannst. Wir werden noch sehen. Offenbar werde ich dich jetzt nicht mehr so schnell los. Freue dich nicht zu früh, ich werde schon herausfinden, was du mir verschweigst. Könntest du bitte aufhören, mich so schadenfroh anzugrinsen. Du hast ja gewonnen. Was … ?
Das Lächeln war aus Manuels Gesicht verschwunden gewesen.
„Du hast meine Gedanken gelesen?“ Das schien weniger eine Frage gewesen zu sein, als eine Feststellung. Helena hatte sich plötzlich an den Mythos über die Salwidizer und ihre besonderen Gaben erinnert. Magie. Telepathie. Teleportieren. … und neben vielen anderen auch Gedankenlesen. Urban reiß dich zusammen. Du entwickelst ja schon eine Paranoia. Es hat den Anschein, dass die neuen Informationen deine Synapsen durcheinanderbringen. Wie auch immer.
Helena war aufgesprungen, hatte Manuel gegen den Oberarm geboxt und im Nu an der Tür gestanden. Auf sein fragendes Gesicht hatte sie nur abgewinkt. „Ach vergiss es. Komm lieber. Wir müssen zur nächsten Vorlesung.“ Und damit war sie zur Tür hinaus gewesen.
Manuel hatte schon alle Felle davonschwimmen sehen, als Helena die Vermutung über das Gedankenlesen äußerte. So leicht hatte man ihr nichts vormachen können. Früher oder später würde er sie aufklären müssen. Hoffentlich eher später. Er hatte mit der Schulter gezuckt ob der unabdingbaren Angelegenheit und war Helena nachgeeilt.
So hatte es begonnen.
In den nächsten Monaten hatte es am Campus die Runde gemacht, die strebsame Helena habe den feurigen Manuel aufgerissen. Sie seien ein Paar. Kein Wunder, denn seit dem Nachmittag im Seminarraum waren sie wie siamesische Zwillinge unterwegs gewesen. Niemals hatte man nur einen von ihnen gesehen.
Und dann am gestrigen Abend, sie hatten wie so oft über ihren Studien gesessen, hatte Manuel unter Helenas Aufzeichnungen Kopien und Abhandlungen über das Volk der Salwidizer entdeckt. Auf seine Frage, wie sie an diese Papiere gekommen war, hatte Helena gemeint, sie habe diese Unterlagen von einem Freund, einem alten Buchhändler bekommen.
„Ich bin bei Internetrecherchen auf Jacobi's Antiquariat aufmerksam geworden und habe mich umgehend mit ihm in Verbindung gesetzt. Es war ein Treffer unter Tausenden. Ein Glücksfall. Er ist einer der ältesten Legendenjäger. Ein Quell von unsagbarem Wert. Er besitzt viele Kostbarkeiten und Schätze, eine Fundgrube für all meine Studien. Viele Jahre schon pflegen wir einen regen Briefwechsel. Obwohl wir uns nicht persönlich kennen gelernt haben, hat sich eine tiefe Freundschaft zwischen uns entwickelt. Wir sind uns so nahe wie kaum jemand sonst.“ Begeistert hatte sie Manuel von ihm erzählt. Ja, sie hatte nahezu von dem Alten geschwärmt. „Leider brach der Kontakt vor Monaten ab. Eusepius ist ein alter Mann und man muss immer mit dem Schlimmsten rechnen. … “
Plötzlich hatte sie mitten in der Erzählung innegehalten., denn just in diesem Moment war sie von einem eigenartigen Gefühl überschwemmt worden. Ihr war eingefallen, was Eusepius im letzten Brief geschrieben hatte.
> … meine Liebe, du wirst es mir nicht glauben. Ich habe die Bekanntschaft mit ganz besonderen Menschen gemacht. Du wärest von ihnen begeistert. Sie könnten ein großer Gewinn für deine Nachforschungen sein. Ich werde sie fragen, ob sie an einem gemeinsamen Treffen interessiert wären. …<
Seitdem war keine Zeile, keine Nachricht mehr gekommen.
„Manuel. Wir müssen los. Ich weiß nicht, was passiert ist. Bei dem Gedanken an meinen alten Freund ist mir so seltsam. Ich kann es nicht benennen. … Bei der Gelegenheit können wir ihn auch gleich noch nach einer anderen Legende fragen. Lass dich überraschen.“
Kurzentschlossen hatten sie ein paar Kleinigkeiten eingepackt und schon waren sie unterwegs gewesen.
„He! Wo bist du mit deinen Gedanken? Du schmollst jetzt aber nicht etwa wegen der Musik?“
Manuel zuckte zusammen. Hatte er gedöst?
Noch immer waren Schlager aus dem Radio zu hören. Manuel erwartete, dass in absehbarer Zeit der ganze Schmelz aus den Lautsprechern fließen würde. Ein Schmunzeln huschte über sein Gesicht. „Ich überlegte gerade, womit ich dich verdient habe. Was hab ich nur verbrochen, um diese Strafe auf mich nehmen zu müssen.“ Dabei lachte er laut auf. „Nein. Keine Angst. Natürlich nicht. Ich war in Gedanken am ersten Tag unserer 'Beziehung'. Du hast dich gut damit arrangiert. Trägst du die Kette eigentlich? Ich bin fast ein bisschen traurig, dass wir nicht … He! … Schau auf die Fahrbahn!“
Helena nestelte an ihrer Bluse, um die Kette hervorzuholen. Dabei hatte sie für einen Augenblick ihre Konzentration als Fahrerin missen lassen. Schuldbewusst schaute sie wieder geradeaus.
„Tja, wenn du tatsächlich eine Auserwählte bist, werden wir das bis zu deinem 25sten Geburtstag wissen. Dann legst du auf meine Freundschaft kaum mehr Wert. Du hast dann nur noch Augen für deinen Seelengefährten“, meinte Manuel lachend. Und obschon es selbst in seinen Ohren nicht glücklich klang, stupste er seine Freundin neckend an.
Helena kaute auf ihren Lippen herum. Was war es, was sie so beunruhigte? Höre ich da so etwas wie Eifersucht aus Manuels Worten? Wie war das? Spätestens, wenn ich 25 Jahre bin? Woher nimmt er nur dieses Wissen? Memo an mich: Manuel ausquetschen. Später. „Ah … hier müssen wir abfahren. Ich dachte, wir suchen uns einen zentralen Parkplatz und gehen zu Fuß zum Antiquariat. Du kannst schon mal Ausschau halten nach … Warte! … Hier, Ringpassage am Krämertor. Dort müssen wir hin.“ Auf Manuels hingeworfene Bemerkung von eben wollte Helena im Moment keine Antwort geben. Auch weil sie nicht wusste, was sie sagen sollte. Außerdem hatte sie den Kopf eh schon voll unbeantworteter Fragen und da mochte sie nicht auch noch darüber nachdenken.
Zum Glück verlangte gerade der Verkehr ihre ungeteilte Aufmerksamkeit. Ein Kreisverkehr mit sechs beteiligten Auf- und Abfahrten war nun gar nicht nach Helenas Geschmack.
Manuel, der in der Zwischenzeit auf der Karte den Weg zum Krämertor ausfindig gemacht hatte, dirigierte sie fachmännisch durch das Verkehrschaos, so dass Helena das Auto problemlos auf einen nahegelegenen Parkplatz lenken konnte. Erleichtert lehnte sie sich für einen Moment im Sitz zurück. Sie waren da und jeden Moment sollte sie Eusepius Jacobi kennenlernen.
Durch schmale Gassen schlendernd, bewunderten sie den außerordentlichen Stadtrandcharme. Es hatte nichts von einer Großstadt mit mehrspurigen Straßen und an jeder Ecke ein Einkaufscenter. Hier beherrschten Einbahnstraßen, die beidseitig von kleinen Privatläden in Fachwerkhäusern gerahmt wurden, das Bild. Ähnlich einer größeren Kleinstadt.
„Irgendwo hier vorn muss das Antiquariat sein. … Komm schon, Manuel“, drängelte Helena. „Was machst du denn da?“
Manuel war stehen geblieben. Verdutzt betrachtete er ein leerstehendes Geschäft. Val's Gothic-Shop? Bei Menanim. Das ist der Laden von … Dann ist der Antiquitätenhändler … Scheiße! Hatte Lenchen seinen Namen überhaupt mal erwähnt? Mann, da Silva, du Idiot! Du solltest in Zukunft besser hinhören. Ich muss es ihr sagen. „Helena! Warte!“ Er rannte hinter ihr her und hielt sie aufgeregt am Arm zurück. „Warte! Ich muss dir was sagen. Dein Freund … “
Doch Helena riss sich los und eilte über die Straße. Vor einem, im wahrsten Sinne des Wortes, kleinem und schäbig wirkendem Kellerladen blieb sie stehen.
~~Antiqu … Bücher und … ~~ war noch auf einem verrostetem und halb herunterhängendem Schild über der Tür zu erkennen. Der Rest der Schrift war bereits dem Zahn der Zeit zum Opfer gefallen. In der Auslage waren zum Teil zerfallene und vergilbte Bücher mehr oder weniger ansprechend drapiert.
„Was hast du denn Manuel? … Schau hier. Das ist Jacobis Antiquariat. Gott, bin ich aufgeregt.“
Gerade wollte Helena nach der Klinke greifen, als von innen geöffnet wurde. Erschrocken sprang sie einen Schritt zurück und stieß mit dem Rücken an Manuels breite Brust. Ungeachtet dessen, starrte Helena den Fremden an, der aus dem Laden kam und wie angewurzelt in der Tür stehen blieb.
Ein Typ ganz in Schwarz. Durch sein eng anliegendes Shirt zeichnete sich jeder Muskel seines Oberkörpers ab. Das Haar von der Farbe eines Raben war zu einem Pferdeschwanz gebunden. Total untypisch für einen Mann. Seine Augen, mandelförmig und schwarz wie Onyxe, ruhten unverwandt auf ihrem Körper.
Ein Schauer durchlief Helena.
Da stand er, wie einer der letzten Samurai.