Читать книгу Amaranth - eine Legende - A. B. Schuetze - Страница 7

Volands Machenschaften

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Alles wurde augenblicklich in die hintersten Winkel ihres Gedächtnisses verdrängt. Vergessen waren ihre Beobachtungen bezüglich Gedankenlesens und Telepathie. Auch die mühsamen Versuche zur Entkräftung von Helenas Vorwürfen verloren an Bedeutung. Wichtig war nunmehr lediglich der Fakt, dass es in der Tat dieses Buch über die Saphir-Prinzessin geben sollte. Was war an dieser Legende so besonders, wenn dafür sogar gemordet wurde? Und falls Jacobi dieses Buch besessen hatte, wo war es jetzt? Ob die Polizei sie vielleicht mit diesem Verbrecher, diesem Voland … oder wie auch immer der hieß … reden lassen würde? Mit Sicherheit weiß er mehr darüber, als sonst wer.

„Hallo? … Haaaalo! Halloho Helena! Weilst du noch unter uns?“ Manuel wedelte mit seinen Händen vor Helenas Gesicht herum, um ihre Aufmerksamkeit zu bekommen.

Helena dagegen starrte noch immer auf Raidon. Oder durch ihn hindurch? So viele Gedanken stürzten auf sie ein. Alles drehte sich nur noch um die Saphir-Prinzessin und wie sie an Informationen kommen konnte. Irgendwo in der Ferne nahm sie eine Bewegung wahr und zuckte erschrocken zusammen. Fragend schaute sie Manuel an. „Was? Ist irgendetwas? Hab ich etwas verpasst? … Waaas?“ Sie blickte reihum und begann nervös an ihrer Unterlippe zu kauen.

Ein Grinsen stahl sich auf Manuels Gesicht. Er hatte sie in die Gegenwart zurückgeholt. „Jupp. Da ist sie wieder. Du hast Raidon angestarrt, dass dem armen Kerl schon ganz anders wurde. Total weggetreten. Was war denn los mit dir? So kenne ich dich nur, wenn dir wieder irgend so eine Idee durch den Kopf spukt oder du etwas ausheckst.“

Raidon hatte den Kopf leicht schräg gelegt und fixierte interessiert die junge Frau. Seit er Helena das erste Mal gesehen hatte, stand sie in seinem Fokus. Nicht einen Moment waren seine Augen von ihrer Person gewichen.

Und Helena? Nie zuvor war sie sich eines solch intensiven Blickes bewusster gewesen. Es prickelte ihr unter der Haut und schon wieder einmal bemerkte sie, wie alles Blut in ihre Wangen schoss. Die Reaktionen ihres Körpers waren keineswegs sehr hilfreich bei ihren Bemühungen, diese Nervosität im Zaum zu halten.

Raidon nahm die Auswirkungen seines Blickes mit einer inneren Genugtuung zur Kenntnis. Sagte aber kein Wort. Er wartete nur, dass Helena Manuels Fragen beantworten würde.

Helena gab sich einen Ruck. Demonstrativ ignorierte sie Raidon ganz bewusst. Ihre volle Aufmerksamkeit galt nunmehr ausschließlich Manuel. „Diese Legende von der hier die Rede ist … na ja, ich habe da gestern in einem der Bücher aus der Bibliothek darüber gelesen. Da war eine Abbildung, die man einfach nicht so beiseite legen konnte. Es handelte sich um ein in blaues Leder gebundenes Buch. Den Einband zierte das ovale Porträt einer atemberaubenden Schönheit. Schwarzblaue Haare in schweren Locken bis zu den Hüften. Wespentaille. Üppiger Busen. Lange schlanke Beine und Arme. Ein Gesicht von ätherischem Liebreiz. Augen wie der Nachthimmel mit all seinen Sternen. Und in goldenen Lettern war der Titel eingestanzt. >Die Legende der Saphir-Prinzessin<. Mehr war leider darüber nicht in Erfahrung zu bringen. Aber ich wollte mir diese Legende unbedingt vormerken. Nur für den Fall, die Informationsquellen über Salwidizer versiegen irgendwann. Dann könnte ich mich gleich darauf stürzen. Nun erzählt Raidon von diesem Buch. Ist das Zufall? Auf jeden Fall … na ja. Ich muss mehr darüber erfahren. Vielleicht besteht ja die Möglichkeit, mit diesem Voland zu sprechen. Dachte ich so.“ Die Worte waren ohne Punkt und Komma nur so aus Helena herausgesprudelt.

Beim Namen Voland zog Manuel scharf die Luft ein. Voland befragen. Wie redete man dieser Frau nur so eine Idee aus? Er kannte Helena zur Genüge, um zu wissen, wenn sie sich einmal etwas in den Kopf gesetzt hatte, war es schwer dagegen anzukommen. Aber Voland befragen … auf keinen Fall.

Sein Freund schob lediglich eine Augenbraue nach oben. „Helena. Das ist keine so gute Idee. Dieser Voland ist ein Irrer. Er sitzt derzeit im geschlossenen Strafvollzug und Besucher sind fast eine Unmöglichkeit. Das liegt wohl daran, dass er sich schon mehrfach seiner gerechten Strafe entzogen hat. Was Informationen betrifft … Kein Mensch hat bisher etwas aus diesem Mann herausbekommen können. Sein Wissen ist seine Macht. Das wird er mit niemandem teilen.“

Helena hatte schon eine bissige Bemerkung auf der Zunge, sah dann aber, wie Raidon den Kopf schüttelte.

„Tu das nicht Helena. Du kennst dieses Monster nicht. Gegen weiblichen Charme ist er absolut immun. Du vergisst dein Vorhaben mit ihm zu sprechen und im Gegenzug hast du meine Versprechen, bei der Suche nach entsprechendem Material zu helfen.“

Okay, dann musste sich Helena eben erst einmal mit diesem Angebot zufrieden geben. Warum wollten die Jungs ihr nicht helfen, an diesen Voland heranzukommen? Eine bessere Quelle konnte sich doch kaum erschließen. Das war schon seltsam. Blieb also nur, die Option Voland tief in ihrem Geist zu bunkern, um zu einem anderen Zeitpunkt darauf zurückgreifen zu können. Später ergab sich ja vielleicht eine andere Möglichkeit. Und als hätte Raidons Vorschlag Helena überzeugt, zuckte diese mit den Schultern und tat die Angelegenheit mit einem gleichgültigen „Ist gut.“ ab.

Manuel wusste sofort, dass hier das letzte Wort noch nicht gesprochen war. Doch für heute war das Thema auf jeden Fall vom Tisch. „Also? Was liegt heute noch an? Stürzen wir uns jetzt auf die Bücher draußen in den Regalen?“ Voller Tatandrang schubste Manuel Raidon an. Herausfordernd und voller Erwartung folgte er dessen Blick zu Helena hinüber.

Wie ein Blitz traf Helena Raidons unverhohlenes Verlangen aus Augen, wie schwarze Diamanten. Sie dachte, unter diesem Blick zu verglühen. Verlangen? Lust? Diese Augen sollten echt verboten werden. Er sollte mich nicht so anschauen. Er sollte niemanden so anschauen. Krrrrrrrrr … Bestimmt glühe ich schon wieder. Sie stand von ihrem Platz auf, und während sie Manuel in die Geschäftsräume des Antiquariats folgte, fächelte sie sich frische Luft zu.

„Ähm … wieso machst du eigentlich den Nachlass von dem alten Mann?“, versuchte Manuel Raidon von Helena abzulenken. „ … und dann zeigst du mir mal deinen Obsidian. Ich hab doch recht … oder? Du und Helena? Sie gehört zu dir. Du machst sie echt fertig. So habe ich das Mädchen ja noch nie erlebt. Wenn sie dich auch nur anschaut, steht sie total neben sich“, fügte Manuel telepathisch hinzu.

Raidon grinste seinem Freund vielsagend hinterher und folgte den beiden. Sein Obsidian. Es ließ sich nicht verheimlichen. Er und Helena gehörten definitiv zusammen. Ihre Steine hatten einander erkannt. Schon als Raidon sie oben auf der Straße stehen sah, spürte er die Veränderung. Ein ihm unbekanntes Ziehen in den Lenden, ein beinah schmerzhaftes Anschwellen seines Penis'. Ein angenehmes Kribbeln, wie sein Blut durch seinen Körper raste. Die Lust, diese junge Frau an sich zu reißen und mit heißen Küssen zu bedecken. Alles Gefühle, die es in seinem Leben nie gegeben hatte und die ihn nun zu überschwemmten drohten. Nur dank seiner in tausend Jahren angeeigneten Fähigkeiten konnte er seine äußere Ruhe bewahren.

„Was ist nun? Warum ausgerechnet du? Warum macht das hier nicht Richard oder … “

Raidon winkte ab und meinte, er wäre derjenige, den sie zurückgelassen hätten. Nach den ganzen Vorfällen der letzten Wochen wollten sich die anderen eine Auszeit mit ihren Frauen nehmen. Und Georg? Georg hatte sich, seltsam in sich gekehrt, zu seinen Wölfen in den entlegensten Winkel der Wälder Adanwes verkrochen. „Tja und so bin ich der Einzige, der noch übrig war. Vor wenigen Wochen habe ich angefangen, hier schon mal ein wenig Ordnung zu schaffen. Heute wollte ich die Werke für den Transport fertig machen. Sie kommen alle zu Hannes und Jean. Die haben doch in ihrem Haus diese echt fantastische Bibliothek. Dort werden sie dann nochmals gesichtet und katalogisiert.“ Raidon war zu Helena ans Regal getreten und fügte nahe an ihrem Ohr hinzu: „Es ginge doch nicht mit rechten Dingen zu, wenn wir hier nichts für dich finden. Ich würde gern mit dir … “

Scheinbar interessiert, steuerte Helena auf eines der anderen Regale zu. Sie musste einfach Raum zwischen sich und diesen Mann bringen. Er war ihr viel zu nah. Körperlich als auch gefühlsmäßig. Das war keineswegs förderlich für ihre innere Ruhe. Es brodelte mittlerweile wie ein Vulkan in ihr. Jedes Wort von ihm, jeder Blick brachte sie in Aufruhr. Instinktiv griff Helena nach dem Stein an ihrer Kette. Sie hatte das Gefühl, er pulsierte unter ihrer Bluse, seit sie Raidon das erste Mal oben vor der Tür des Antiquariats gesehen hatte. Oh Mann. Das kann doch nicht sein. Was hatte Manuel noch gesagt, als er ihr den Stein in die Hand gelegt hatte? „Es ist egal, was ich denke oder was du glaubst oder wenn du dich dagegen wehrst. Du wirst es in dem Moment wissen, in dem du dich verliebst. Es wird dich wie ein Blitz treffen. Liebe auf den ersten Blick und du kannst nichts dagegen tun. Und sollte es ein Salwidizer sein …“ Helenas Hand begann zu zittern. Das bildete sie sich alles nur ein. Manuel hatte ihr das nur eingeredet. Und nun glaubte sie daran? Sie ließ den Stein los und atmete durch. Helena zog eine Mauer hoch, um all ihre Emotionen tief im Inneren zu verbergen. Nur so konnte sie sicher sein, äußerlich gefasst und ruhig zu wirken.

Als Helena Raidons heißen Blick in ihrem Nacken spürte, zwang sie sich, ihn nicht zu beachten. Er räusperte sich und brachte seinen Satz zu Ende. „ … zu meinen Freunden fahren und dir all diese Schätze zeigen. Wenn wir hier nichts für dich finden, dann bei ihnen ganz bestimmt. Sie besitzen unzählige Bücher und gesammelte Werke aus den letzten Jahrhunderten und nicht zuletzt sind da Originalausgaben und Unikate darunter. Außerdem wird ihre umfangreiche Sammlung durch ein digitales Archiv ergänzt. Ähm … Manuel? Fahren wir gemeinsam zu Hannes und Jean? Bist du damit einverstanden? Wenn wir hier fertig sind, können wir uns in Recherchen über diese mysteriöse Prinzessin stürzen.“

Manuel nickte abwesend und murmelte irgendwelche Worte vor sich hin. Seine ganze Konzentration war auf ein riesiges Buch, welches er unter einem der vielen Ladentische entdeckt hatte, gerichtet. Nach einigem Durchblättern verharrte er.

>… Adanwe ist die Heimatwelt der Salwidizer. Ihre Gottheit oder wie auch immer dieses Volk ihn bezeichnen mag, ist der Große Menanim, der Geist der Steine. Dieses Volk ist den Gesetzen der Steine unterworfen. Sie schöpfen ihre Kräfte aus den Steinen und sie sind steinalt. Man sagt, sie besitzen große Gaben, Magie, unendliches Wissen, ewiges Leben. Sie erwählen seit Menschengedenken ihre Frauen nur aus den Reihen der Menschen, da sie selbst keine weiblichen Nachkommen zeugen könnten. Das Volk der Salwidizer lebt unter den Menschen, geben sich aber keinem zu erkennen. Die Anderwelt der Salwidizer ist durch eine magische Barriere vor der Welt der Menschen verborgen. Sie öffnet sich nur alle 360 Tage unserer Zeitrechnung, immer zur gleichen Sternenkonstellation … <

Raidon! Man sollte es echt nicht glauben, wie viel über unser Volk bekannt geworden ist. Hier habe ich übrigens das Original von Lenas Kopien.“

Raidon warf einen flüchtigen Blick auf das Buch. Was sollte er dazu sagen. Immer wieder drangen Informationen zu den Menschen durch. Wie sollte das auch verhindert werden, lebten die Salwidizer schließlich unter ihnen. Vor allem … ihre Seelengefährtinnen waren Menschen. Es war gar nicht möglich, eine gesamte Spezies zu hundert Prozent geheim zu halten. Aber man sollte wenigstens bemüht sein, die Existenz zu verschleiern und Hinweise darauf vage zu halten. Vielleicht wären diese Schriften etwas für Helena. Sie studiert diese Legenden und sagt sicher nicht nein. „Helena. Würdest du nicht lieber das Original über das Leben der Salwidizer besitzen, statt der Kopien? Manuel liest es gerade. Schau es dir doch mal an.“ Raidon schenkte Helena einen verschmitzten Blick, den sie nicht deuten konnte. Ach Mädchen, wenn du wüsstest. Vor sich hin lächelnd packte er weiter Bücher aus den Regalen in die vorbereiteten Kartons.

Nach und nach hatten sich die Regale geleert und Helena setzte sich seufzend auf die Stufen der Treppe, die hinauf zum Ausgang führte, um eine Pause zu machen. Sie sah auf die beachtliche Anzahl Bücherkisten, deren Inhalt bald ein neues Zuhause bekommen sollte. Das war es dann also mit Jacobis Antiquariat. Sollte sie nun traurig sein oder euphorisch? Es war so vieles in den letzten Stunden auf sie eingestürzt, was sie verarbeiten musste, dass sie nicht wirklich ihre Gefühle einzuordnen wusste. Sie schloss die Augen, und leise seufzte sie erneut. Sie stützte erschöpft ihren Kopf in die Hände, um die beiden Männer, die unterschiedlicher nicht sein konnten, bei ihrer Arbeit zu beobachten.

Manuel, der eher nordische Typ, und im Gegensatz dazu Raidon, dessen Name auch 'Donnergott' bedeutete. Dabei ginge wohl eher Manuel als Thor durch. Sein blondes Haar wurde im Nacken mit einem Band zusammengehalten. Nur vereinzelte Strähnen hingen ihm ins Gesicht, die er mit der Hand immer wieder hinters Ohr schob. Die goldfarbenen Wellen waren allerdings nichts im Vergleich mit der Flut schwarzer Haare, die Raidons Kopf zierten. Selbst als hochgebundener Zopf reichten sie ihm noch weit über die Schultern.

Zwei Männer, die im letzten halben Jahr in Helenas Leben getreten waren und die beide nachhaltige Eindrücke bei ihr hinterlassen hatten. Helena war immer schon ein Einzelgänger gewesen. Sie zog stets ihr Ding allein durch. An niemanden gebunden, keinem Rechenschaft schuldig. Nun hatten sich diese zwei Typen in ihr Leben geschmuggelt und wollten ihr wahrlich nicht nur bei ihren Recherchen helfen. Manuel, ihr Freund, und Raidon …

„Einen Heller für deine Gedanken.“ Mit einem Stups auf die Nase holte Manuel Helena ein weiteres Mal in die Gegenwart zurück. „Seit wann bist du denn unter die Träumer gegangen? Sind wir deiner Aufmerksamkeit nicht mehr gut genug, dass du stets und ständig mit deinen Gedanken ins Wolkenkuckucksheim abschweifst? Lass uns doch bitte daran teilhaben.“ Lachend wuschelte Manuel durch ihr Haar und fegte aufgedreht durch den Laden. „Komm Schatz, hier sind wir fertig. Den Rest macht dann ein Entrümpelungsteam in den nächsten Tagen. Hey Raidon! Kannst von Glück sagen, dass wir vorbeigekommen sind. Du würdest sicherlich noch nächste Woche allein hier rumhängen. Lasst uns nach oben gehen. Ach und Lenchen, vergiss dein Buch da nicht.“

Noch bevor Helena danach langen konnte, ergriff Raidon das überdimensionale Werk und ging beiden voran. Mit einem gemurmelten „Danke“ stieg Helena, gefolgt von Manuel, die ausgetretenen Stufen hinauf auf die Straße.

Die frische Luft und der leichte Wind machte den dreien erst jetzt so recht bewusst, sie hatten den ganzen Tag unten im Antiquariat mit seiner muffigen, abgestandenen Luft zugebracht, ohne auch nur eine Pause zu machen. Inzwischen neigte sich der Tag seinem Ende zu. Hinter den Häusern verschwanden gerade die letzten Sonnenstrahlen und brachten den Himmel zum Glühen.

Helena atmete tief durch und musste sich leicht an Manuel anlehnen. Ihr schwindelte ein wenig. Ein Zustand, den sie sehr gut kannte, wenn sie in der Bibliothek alles über ihren Studien vergaß. Vor allem zu Essen. Manuel sah prüfend auf seine Freundin hinab und nun spürte auch er die Leere in seinem Magen, der sich lautstark zu Wort meldete.

Raidon runzelte leicht die Stirn, als er dieses Knurren hörte. „Erzähl mir nicht, dass du als Student ein solches Hungergefühl entwickelt hast. Zu lange unter Menschen und du lässt es an Beherrschung mangeln. Anpassung ist ja gut, aber musst du gleich übertreiben?“

Nach diesem verbalen Staucher musste Manuel laut lachen, und als Helena sich dann auch noch verwundert umschaute, war es an ihm sich zu entschuldigen. Er meinte, sein Magen habe wohl noch nie so laut nach Nahrung verlangt und man sollte sich doch gefälligst beeilen. Er hoffte nur, in der Wohnung genügend Vorräte für ein opulentes Mahl zu finden.

Ein Blick in die Vorratskammer ließen Manuels Augen leuchten. Und während Helena alle Räume inspizierte, wurde in der Küche geschnippelt, gebrutzelt, gekocht. Ohne sie war es für die beiden Salwidizer sehr viel einfacher, sich zu unterhalten.

Seit einem halben Jahr hatten sie sich nicht gesehen. Obwohl sie in regem Austausch von Informationen standen, stellte sich der Wissensdurst nach Neuigkeiten aus Adanwe, von den Freunden und ihren Familien als unerschöpflich dar. Und Manuel wollte mehr über die Vorkommnisse von vor über einem halben Jahr wissen. Nicht alles wurde darüber in ihrer Welt bekannt. Menanim und der Hohe Rat vertraten die Ansicht, das Offensichtliche sei gerade mehr als genug. So erfuhr man lediglich, dass bei der Verfolgung und Gefangennahme Volands, sowie bei der Sicherung der magischen Barriere Opfer zu beklagen waren. Conrad, Gustavo und auch Eusepius Jacobi hatten dabei ihr Leben lassen müssen. Für Freunde, Bekannte und Verwandte war das jedoch keine ausreichenden Erklärungen.

Aber jetzt und hier, aus erster Quelle mehr zu erfahren … Besser konnte es für Manuel gar nicht kommen. Nun wollte er alles ganz genau wissen, und Raidon berichtete über die damaligen Geschehnisse.

Er war genau wie Manuel in einer Eliteeinheit gewesen , die den Auftrag hatte, Jagd auf einen Abtrünnigen ihres eigenen Volkes zu machen. Mehr und mehr seltsame Ereignisse hatten sich in ihr aller Leben gedrängt. Von unbekannter Seite waren Gerüchte gestreut worden. Die Mitglieder der Einheit und ihre Freunde wären in diverse verschwörerische Machenschaften Volands involviert gewesen. So auch Richard, Georg und Conrad, die sich daraufhin sofort von der Einheit getrennt hatten und den Quellen dieser Behauptungen auf den Grund gegangen waren. Raidon, als ein Meister der Magie und für derartige Einsätze prädestiniert, hatte sich dieser kleinen Gruppe freiwillig angeschlossen.

Das war das, was Manuel bereits wusste. Doch was geschah weiter?

Es fiel Raidon schwer, darüber zu reden. Was war wichtig? Wo sollte er beginnen? Wo aufhören? Vor sich hinschnippelnd versank er schließlich in seinen Erinnerungen.

„Richard war es gelungen, während seiner Gefangenschaft mit seiner Seelengefährtin geistigen Kontakt aufzunehmen. So erfuhren wir, dass Voland hinter all dem steckte und er sich eine eigene Welt geschaffen hatte. Wir fanden sein 'Portal ins Nirgendwo' und benutzten es, um ebenfalls in seine Welt zu gelangen. Du kannst es dir nicht vorstellen. Diese Anderwelt wurde von beständiger Dunkelheit, Folter und Grauen beherrscht. Seit mehreren Jahrhunderten verschleppte der Irre junge Menschen für seine Forschungszwecke und um sie zu missbrauchen. Voland wollte unbedingt neues Leben erschaffen. Klone seiner selbst. Ist das zu fassen? Ich meine … Er war einer von den ganz Alten. Einer der Ältesten. Jeder fragt sich nun … Ist sein abnormes Verhalten eine Folge der Evolution? Ein Fluch unserer Langlebigkeit? Keiner weiß, ob sich unsere Gene in einem so hohen Alter verändern und solche abstrusen Handlungsweisen hervorbringen. Immerhin ist er schon an die viertausend Jahre alt. … Aber ich schweife ab. In seiner Welt verging die Zeit um ein vielfaches schneller, als hier. Ungefähr so, wie das Zeitverhältnis 'Welt der Menschen' zu 'Adanwe'. Sechs Tage hier – ein Tag in unserer Heimat. Sechs Tage in der 'Welt der Nacht' – ein Tag hier. Kannst du dir vorstellen, was das für Adanwe bedeutete? So konnte er sich Zeit verschaffen. Zeit für seine Experimente. Zeit, die wir niemals hatten. Niemals haben würden. Seine Forschungen haben Ausmaße angenommen … Was er da geschaffen hatte … Da sieht man wieder ein Mal mehr, Genie und Wahnsinn liegen so dicht beieinander. Eine seiner Entwicklungen entpuppte sich als perverse Falle, die wir alle zu spät als solche erkannten und Gustavo dabei verloren. Nun ja. Aber wir konnten immerhin Richard und den Filius retten. Jacobi nicht. Ach ja … der Filius. Der war durch einen unglücklichen Zufall in dieses Portal geraten und wurde dann zusammen mit Jacobi, der ja schon Stunden zuvor von Voland entführt worden war, gefangengehalten . Hm … zu Richard. … Wir fanden ihn in einer wahrscheinlich extra für ihn geschaffenen Magnetkugel. Durch Magnetfesseln an Handgelenke und Fußknöchel sowie um den Hals und Brustkorb aller Bewegungen beraubt, schwebte er nackt im Mittelpunkt dieser Kugel. Mittels langer Nadeln, die bis ins Knochenmark eindringen konnten, entzog Voland ihm Emotionen und Kraft. Alles nur, um seine Seele zu schwächen und ihn dann zu einer seiner Marionetten zu machen. … Ja so war das. Wir stellten das Portal, durch das wir in die 'Welt der Nacht' gelangen konnten, sicher und verwahrten es gut. Wir schufen den Bewohnern dieser Welt eine mögliche Zukunft, indem wir den Industriekomplex so umfunktionierten, dass die Männer, Frauen und Kinder dort ein menschenwürdigeres Leben führen konnten. Sie mitnehmen, war keine Option. Sie waren seelenlose Wesen. Willenlose Geschöpfe. Programmiert auf ein Leben in der 'Welt der Nacht'. … Und obwohl das alles hinter uns liegt … Ich weiß nicht. Ich habe so eine unbestimmte Ahnung, dass das alles noch nicht vorbei ist. Ständig plagen mich schlimme Träume. Träume, in denen wir in die 'Welt der Nacht' zurückkehren.“

Raidon musste seine Erzählungen mehrmals unterbrechen. Öfter als ihm lieb war, übermannten ihn Trauer und Wut über das Erlebte.

Manuel hörte einfach nur zu, ohne seinen Freund auch nur ein einziges Mal zu unterbrechen. Schweigend hing nun jeder seinen Gedanken nach, aus denen sie jäh gerissen wurden.

Helena stand nach ihrem Rundgang durch die Räume in der Küchentür. Da sie anscheinend keiner bemerkt zu haben schien, fragte sie neugierig: „'Eine Welt der Nacht'? Wo?“

Amaranth - eine Legende

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