Читать книгу Amaranth - eine Legende - A. B. Schuetze - Страница 8
Legenden erleben
ОглавлениеDie Männer starrten Helena einen Moment an. Wie lange stand sie schon in der Tür? Auf jeden Fall lang genug, um wenigstens den Begriff 'Welt der Nacht' gehört zu haben.
In der Hoffnung, dass dies das einzige war, was Helena aufgeschnappt hatte, antwortete Raidon: „Die 'Welt der Nacht' ist Volands Welt. Dunkel, grauenvoll und durch und durch böse. Eine Welt der Angst, der Folter, der Schmerzen. Ausgefüllt von morbider Kriminalität. Aber lassen wir das. Du kommst gerade richtig. Das Essen ist fertig. … Hast du dir schon eines der Zimmer ausgesucht für heute Nacht?“
Helena lächelte verlegen. Es war doch nur diese eine Nacht und dann würden sie weiterreisen. Wozu sollte sie sich da für ein bestimmtes Zimmer entscheiden? Sie würde jenes nehmen, welches man ihr gab. Außerdem würde sie eh kein Auge zubekommen. Nicht mit dem Wissen, dass Raidon in einem der benachbarten Zimmer schlief, und nicht nachdem, was sie am heutigen Tag so alles zu sehen und zu hören bekommen hatte. Momentan fühlte sich Helena außerstande, zur Ruhe zu kommen. Zu sehr war sie aufgewühlt.
Sie schüttelte auf Raidons Frage den Kopf, und ließ sich zu dem ansprechend gedeckten Tisch führen.
Erstaunt betrachtete Helena, was Raidon und Manuel in so kurzer Zeit alles an kulinarischen Speisen gezaubert hatten. „Oh, wow! Das sieht ja alles so mega lecker aus. Unentdeckte oder geheime Fähigkeiten?“, entschlüpfte ihr eine kleine spitze Bemerkung. Wie viel Talente verbergen diese Männer noch? Beide umgibt eindeutig eine geheimnisvolle Aura.
Die Männer gaben ihr in der Tat Rätsel auf. Doch Helena wäre nicht Helena - die Sonnenhafte, die Strahlende und Schöne – wenn sie nicht Licht uns Dunkel bringen könnte. Zuerst jedoch wollte sie sich aber diese verlockenden Köstlichkeiten schmecken lassen.
Gemeinsam mit den Freunden setzte sie sich an den Tisch und alle drei griffen beherzt zu. Während des hervorragenden Essens besprachen sie ihr weiteres Vorgehen.
Im Studentenwohnheim lagen noch immer die Bücher, die am nächsten Tag wieder in der Bibliothek erwartet wurden. Das bedeutete, sie mussten nochmals zurück. Dabei ließ Raidon Manuel unmissverständlich wissen, er würde keinesfalls von Helenas Seite weichen. Da er aber so schnell wie möglich bei Hannes und Jean eintreffen wollte, gab es für ihn nur eine plausible Lösung für das Problem.
„Manuel nimmt Helenas Mini und fährt zurück, bringt die Bücher weg und trifft uns dann in der Klosterzeile. Helena und ich fahren mit den Büchern im Sprinter.“ Dann grinste er Manuel herausfordernd an. „ … und wenn du schnell bist, kannst du noch vor uns da sein. Ich hoffe, du hast das Teleportieren noch nicht verlernt.“
Helena wollte Einspruch erheben, doch da Manuel bereits zustimmend mit dem Kopf nickte, ließ sie es dabei bewenden. Auch wenn es ihr gar nicht so recht war, ihren kleinen Mini in fremde Hände zu geben. Oder war es doch eher das Ding mit Raidon? Es war auf jeden Fall ein weiterer Grund für eine schlaflose Nacht.
So etwas wie Panik kroch langsam in ihr hoch. Um sich nicht zu verraten, verfolgte sie schweigend die Unterhaltung der beiden Männer und zog sich früh auf eines der Zimmer zurück.
Ihr Körper schrie nach Schlaf, an den jedoch mitnichten zu denken war. Wild wirbelten tausend Gedanken durch ihren Kopf. Zu viel war an diesen zwei Tagen geschehen, was sie einfach überrollte. Ohne ein Gefühl für Zeit und Raum lag sie wach, bis ihr irgendwann langsam die Augen zufielen. Böse Träume ließen sie nur einen unruhigen Schlaf finden. Immer wieder wälzte sich Helena von einer auf die andere Seite, schreckte schweißgebadet hoch, und sah am Morgen weit weniger ausgeruht aus, als am Abend zuvor.
Manuel hatte noch geholfen, die Kisten in den Transporter zu verladen. Ein paar mahnende Worte von Helena, wie Manuel den Mini zu behandeln hatte, und dann trennten sich ihre Wege.
Nun waren Helena und Raidon schon mehr als eine Stunde im Sprinter unterwegs.
Anfangs versuchte Raidon ein Gespräch mit ihr in Gang zu bringen, aber außer wenigen knappen Antworten war sie nicht zu bewegen, etwas zu sagen. Sie zog sich in sich zurück.
Vorsichtig betrachtete Raidon Helena von der Seite.
Mit geschlossenen Augen lehnte ihr Kopf am Seitenfenster. Ihr Haar war verstrubbelt und sie sah blass aus. Obwohl sie sich stets burschikos zu geben bemühte, wirkte sie im Augenblick sehr verletzlich und zerbrechlich. Raidon kam nicht umhin, sich einzugestehen, in gewisser Weise zu diesem Zustand beigetragen zu haben. Am liebsten würde er ihr zärtlich über die Wangen streichen und durch die braunen Haare fahren. Entschlossen schluckte er sein Begehren hinunter und konzentrierte sich wieder auf die Fahrt. Aus dem Radio erklang leise Musik, und so fuhren sie dem Ziel entgegen.
„Helena … “ Behutsam, um sie nicht zu erschrecken, strich Raidon über Helenas Arm. „Wir sind gleich da.“
Sie öffnete blinzelnd die Augen und ihr Herz machte einen Sprung. Wie konnte er sie mit einer so leisen sonoren Stimme wecken? Sie so anschauen? Sie so zärtlich berühren? Was, wenn er sie jetzt küssen würde? Allein bei dem Gedanken wurde Helena schon wieder rot.
„Geht es dir gut?“
„Oh. Oh … ja, danke. Es tut mir leid. Ich habe wohl die ganze Fahrt verschlafen. Wir sind bald da? Raidon, erzähl mir von deinen Freunden. Wie sind sie so?“ Es tat ihr aufrichtig leid, seine Bemühungen zu Beginn der Fahrt so einsilbig abgetan zu haben. Er hatte es nicht verdient. Sie schaute lächelnd zu ihm hinüber. Dabei zupfte sie sich ihren Bob zurecht und richtete ihr Shirt. „Nun? Wie sind deine Freunde so? So wie du?“ Wie oder was auch immer du bist.
„Hm … Wie soll ich sagen?“ Raidon schmunzelte vor sich hin und zwinkerte Helena zu. „Alles Freunde von Jacobi. Judith und Hannes. Corri und Jean. Sie waren so wie … du und ich. Vor einem halbe Jahr haben sie … hm … geheiratet. Jedes Paar hat einen wundervollen kleinen Sohn. Die süßen Kerlchen sind ihr ganzer Stolz.“
Helena schluckte nervös und verknotete beinahe ihre Finger, bis Raidon seine große Hand darauf legte. „Helena. Sie werden dir gefallen. Glaub mir. Gar kein Grund, in Panik auszubrechen. … Und voilà … da stehen sie schon.“
Der Sprinter bog in die Klosterzeile ein und da standen sie. Zwei Pärchen, die in freudiger Erwartung vor einem formidablen Fachwerkhaus aus dem 17. Jahrhundert warteten. Ein Fachwerkhaus, das, weil detailgetreu restauriert, noch heute von seinem einstigen Prunk und Reichtum zeugte.
„Woher wussten sie so genau, wann wir … “
Raidon parkte den Kleintransporter und sprang auf die Straße. Sofort kamen ihm die beiden Männer entgegen und begrüßte ihn mit dem traditionellen Schlag auf die Schulter.
Helena schluckte erneut bei ihrer Beobachtung. Genau wie gestern bei der Begrüßung mit Manuel. Als ob es irgendetwas Rituelles wäre. „Sie waren wie du und ich.“ Was meinte Raidon damit? Ledig? Freunde? Jetzt sind sie … verheiratet. Aber Raidon hat … gezögert. … ihr ganzer Stolz sind ihre zwei süßen kleinen Söhne.
„ … und das ist Helena.“
Als die Beifahrertür aufgerissen wurde, schrak Lena ein weiteres Mal zusammen.
„Ich glaube, die junge Dame schien in Gedanken gewesen zu sein? … Entschuldige. Wir wollten dich … Das Du ist doch in Ordnung? Freunde von Freunden sind auch unsere Freunde. Wir wollten dich nicht erschrecken. Ich bin Hannes, und der hier ist Jean. Darf ich?“ Hannes hielt Helena die Hand hin, um ihr beim Aussteigen zu helfen.
Plötzlich entdeckte Helena auf der anderen Straßenseite … Manuel? Das kann doch gar nicht sein. Wie sollte er denn so schnell …
Sie schüttelt kaum merklich den Kopf, als auch schon Corri und Judith auf sie zukamen. „Männer, lasst mal die Frauen an die Front und dieses kleine Persönchen vor dieser Ballung von Testosteron retten. Helena, ich bin Corri und das ist Judith. Wenn es dir recht ist, lassen wir die Männer unter sich. Du hast bestimmt etwas Erholung nötig. Komm einfach mit uns beiden mit.“
Dankend sah Helena von einer zur anderen. Ein letzter Blick zu Raidon, der bereits am hinteren Teil des Sprinters stand und im nächsten Augenblick die ganze Beachtung seiner Freunde genoss.
Judith hakte Helena unter und zog sie mit sich zum Haus.
Durch eine Tür, die in ein großes, reich verziertes Tor aus schwerem dunklen Holz, eingearbeitet war, traten sie in eine riesige Halle. Sehr beeindruckend, hoch, weit. Fenster, die bis unter die Decke einer Galerie reichten, säumten die eine Seite. Auf der anderen Seite befand sich eine Art Freitreppe ins darüber liegende Geschoss.
Lächelnd beobachtete Corri, wie Helena mit staunenden Augen diese faszinierende Architektur in sich aufnahm.
„So habe ich vor etwa zwei Jahren auch hier gestanden. Ich war als Architektin bei der Restaurierung des Gebäudes für die Innenausstattung verantwortlich. Oft habe ich ebenso ehrfürchtig diese riesige Empfangshalle, deren Höhe sich über zwei Stockwerke erstreckt, betrachtet. Schau! … Auf halber Höhe umgibt eine Galerie mit Fenstern die Halle. Die Geländer des Laufganges haben wir originalgetreu aufarbeiten beziehungsweise neu anfertigen lassen. Die kunstvollen Schnitzereien sind doch jedwede Bewunderung wert. Oder?“ Bei jedem Wort hörte man Corris ganzen Stolz auf dieses Haus heraus.
Mit nach oben gerichteten Blicken drehten sich die Frauen langsam im Kreis, um die Neugestaltung der Galerie zu bewundern. Deckenhohe Bücherregale hatten da ihren Platz gefunden. Nischen mit bequemen Sesseln und kleinen Tischchen luden zum Verweilen und Lesen ein.
Ein Lächeln machte sich auf Helenas Gesicht breit. Oh ja, eine Bibliothek. Hier konnte sie nach Herzenslust stöbern und Nachforschungen in Sachen Legenden betreiben. „Raidon erzählte mir schon, ihr hättet eine erstaunliche Bibliothek. Er meinte auch, ich könnte hier meine Studien betreiben.“
Corri und Judith horchten auf. Helena war eine Freundin von Jacobi gewesen. Das wussten die beiden schon. Und auch, dass jeder, der eng mit Jacobi befreundet war, sich mehr oder weniger für das Leben der Salwidizer interessierte.
„Was studierst du denn?“, fragte Corri neugierig nach.
„Sie befasst sich mit der Legende der Salwidizer und ihrer Anderwelt. Obwohl sie fast alles über unser Volk weiß, ist sie nicht davon überzeugt, dass es uns wirklich gibt. Seid also bitte sehr vorsichtig mit dem, was ihr ihr erzählt.“ Auch wenn Raidon nicht anwesend war, im Geist und Herzen war er ständig mit Helena verbunden. Wovon sie natürlich keine Ahnung hatte. So war es ihm ein Leichtes, die beiden Seelengefährtinnen seiner Freunde telepathisch in Kenntnis zu setzen.
„Ich studiere Kulturwissenschaften mit dem Schwerpunkt Literatur. Ganz besonders habe ich mich auf Legenden und Mythen über Völker aus Anderwelten spezialisiert. Mein Interesse gilt den Salwidizern und ihrer Heimat Adanwe. Habt ihr schon mal von ihnen gehört? … Wohl eher nicht. Ist ja auch egal. Auf jeden Fall wusste Jacobi jede Menge über sie und hat mich an seinem Wissen teilhaben lassen. Bis dieser irre Voland, oder wie der heißt, ihn ermordet hat. … Ich habe gehört, ihr wart dabei … Ich meine, als das alles passiert war. Es muss doch furchtbar gewesen sein.“
Helena hatte, wie so oft wenn sie aufgeregt war, ohne Punkt und Komma gesprochen. Es platzte einfach alles aus ihr heraus. Sie fand diese beiden Frauen aber auch gleich so sympathisch, dass sie nicht anders konnte.
Und die beiden mussten schlichtweg herzlich über Helenas Begeisterung lachen. „Komm, wir zeigen dir zuerst einmal dein Zimmer. Da kannst du dich ein wenig frisch machen. Du schaust aus, als hättest du tagelang nicht geschlafen. Aber wir bekommen dich schon wieder hin“, meinte Judith noch immer lachend. „Dann ziehen wir uns in eine der kleinen Nischen in der Bibliothek zurück und machen das, was Frauen am besten können … reden. Ich glaube, wir haben uns jede Menge zu erzählen.“
Während die Frauen sprachen und die Treppe zur Galerie emporstiegen, bestaunte Helena noch immer die eindrucksvolle Treppenhalle, schaute und konnte nicht genug bekommen. Eine große Doppelflügelglastür mit wunderschönen schmiedeeisernen Ziergitter gab den Blick in einen parkähnlichen Garten frei. „Da waren …“ Wölfe. Liefen da draußen soeben Wölfe vorbei? In Gedanken folgte Helena den beiden Frauen und wäre um ein Haar über die erste Stufe der Treppe gestolpert.
„Corri, Judith …“ Doch bevor Helena fragen konnte, waren die beiden bereits auf einer weiteren Treppe hinauf verschwunden und sie musste sich beeilen, um den Anschluss nicht zu verlieren. Vor einer mit prachtvollen Schnitzereien verzierten Tür mit einer edlen Klinke aus poliertem Messing hielt sie inne. Dahinter tat sich ein langer Korridor auf, der mit dem gleichen dichten rot-schwarz melierten Teppich ausgelegt war wie die Treppe. An den weißen Wänden hingen ausgewählte Gemälde verschiedener Epochen, die indirekt angestrahlt wurden. Rechts und links gingen mehrere Türen ab.
„Willkommen in unserem Allerheiligsten. Das sind unsere Privaträume.“
Vor einer Tür blieben sie stehen.
„Hier ist dein Zimmer. Es besitzt ein kleines Bad, und in den Schränken findest du eigentlich alles, was man so als Frau haben muss. Die Klamotten … Ach du wirst schon sehen. Nimm dir, was du brauchst.“
Corri drehte sich um und zeigte den Gang hinunter. „Dort hinten, die Glastür führt zu einer großen gemütlichen Wohnküche. Da werden wir auf dich warten. … Wenn du irgendetwas brauchst, sag ruhig Bescheid.“ Mit diesen Worten gab Corri Helena einen sanften Schubs durch die Tür und schloss diese hinter ihr.
Helena spürte, sie war allein.
Neugierig schaute sie sich um. Ein gemütlich eingerichtetes Apartment, welches keine Wünsche offen ließ. Couchecke. Unterhaltungszentrum mit LCD-Bildschirm, DVD-Player, Stereoanlage und diversen anderen Elektronikgeräten. Eine kleine Hausbar.
Mit einem Kopfschütteln blieb sie vor einem großen Fenster mit Blick auf einen fantastischen Garten und einen hinter einer Mauer beginnenden Wald stehen. Gott ist das schön. Hier lässt es sich echt aushalten. Ob wir wohl lange hier bleiben werden? … und was dann? Ach egal.
Helena schlenderte durch den Raum und das angrenzende Bad … Von wegen klein! … und stöberte in diesem und jenem Schrank. Es war wirklich an alles gedacht.
Während die Frauen im Haus verschwanden, entluden die Männer den Sprinter und machten sich daran, die Bücherkisten in die Bibliothek zu schaffen.
„Lasst uns die Kisten später auspacken.“ Manuel war zu ihnen gestoßen. Teleportieren hatte schon was für sich, wenn nicht die dumme Gefahr bestehen würde, allgemeines Aufsehen zu erregen. Beinahe hätte Helena ihn gesehen, als er sich auf der anderen Straßenseite materialisierte. Oder hatte sie? Manuel war sich nicht sicher. Da aber keiner seiner Freunde etwas Derartiges andeutete, hatte er es im Nu verdrängt und bot ihnen den Arm zum Freundschaftsschlag. „Hannes … Jean … seid gegrüßt.“
„Gute Idee, Manuel. Reintragen und später auspacken ist okay. Ihr habt uns sicherlich jede Menge an Neuigkeiten mitgebracht“, wandte sich Jean an Raidon. „Oder sollte ich mich irren?“ Ein breites Grinsen zeigte seine weißen Zähne.
Ein Schlag auf die Schulter, dass Raidon leicht nach vorn stolperte, sorgte für allgemeine Belustigung.
„Dann lasst uns mal nach oben gehen. Die Damen warten sicher schon auf uns.“ Jean marschierte voran, gefolgt von den anderen.
Hannes, der zu Jean aufholte, sah ihn schief von der Seite an und schüttelte zweifelnd den Kopf. „Davon kannst auch nur du träumen. Die sind doch froh, uns mal los zu sein. Da können sie so richtig über Gott und die Welt herziehen. Vor allem jetzt …“, ein verschmitzter Blick zu Raidon, „ … wo diese süße kleine Helena da ist. Was meinst du, was die alles zu bereden haben. … Frauen eben.“
„Lass das ja nicht deine Judith hören. Sonst gibt's …“
Hannes zeigte Manuel für diese schadenfrohe Bemerkung den Mittelfinger. Dem folgte wieder ausgelassene Heiterkeit, bis sie bei ihren Frauen ankamen, die in der Wohnküche frischen Kaffee gebrüht hatten und auf Helena warteten.
Die Männer schnappten sich jeder eine Tasse und nahmen um den großen runden Tisch Platz. Ein wildes Durcheinander an Fragen und Antworten erfüllte den Raum, bis sich Manuel lautstark Gehör verschaffte. „Leute! Leute … hört zu! Kurz und bündig. Ich erzähle euch schnell, was es mit Helena auf sich hat.“ So setzte er seine Freunde, über alles was er über Helena wusste, in Kenntnis.
Als Raidon dann schließlich den anderen seinen Obsidian in den Farben eines Regenbogens zeigte, holten Corri und Judith tief Luft. Raidon war der Seelengefährte von Helena.
„ … und ihr seid sicher, dass sie keine Ahnung hat? Helena ist hochintelligent. Es sollte mich echt wundern, wenn sie nicht schon einiges mitbekommen und sich ihren Reim darauf gemacht hat“, warf Corri bedenklich ein.
„Hm … ja, irgendwie schon. Aber wir haben noch immer die Kurve bekommen“, musste Manuel kleinlaut zugeben.
Judith schüttelte den Kopf. „Männer. Machos. Unsensibel. Ist euch denn gar nicht aufgefallen, wie mitgenommen Helena ausschaut? Wahrscheinlich drehen sich ihre Gefühle im Kreis und spielen total verrückt, dass sie nicht mehr weiß, was Einbildung oder Wahrheit ist. Ihr macht es uns Frauen aber auch wirklich nicht leicht. … Salwidizer eben!“
Die taffe kleine Rothaarige redete sich regelrecht in Rage. Sie musste unwillkürlich an die Zeit denken, als sie das erste Mal mit Salwidizern zu tun gehabt hatte. Damals hatten diese auch alle möglichen Ausreden von sich gegeben, nur um ihre wahre Identität zu vertuschen. Ganz abgesehen von den vielen Missverständnissen, die daraus entstanden waren. Daran erinnert, fuchtelte sie mit den Armen und funkelte die Männer wütend an. „Ihr müsst es Helena sagen!“
„Wer soll mir was sagen?“
Alle Köpfe fuhren erschrocken herum und sofort wurde es mucksmäuschenstill im Raum.
Warum musste sich Helena auch immer so anschleichen? Eindeutig eine ihrer Unarten, musste Manuel feststellen.
Mit einem lauten Plumpsen ließ sich Judith auf ihren Stuhl fallen und versteckte ihr Gesicht in ihren Händen. Sie wurde mit grimmigen, bedauernden und belustigten Blicken bedacht.
„Also? Wer soll mir was sagen?“ Helena hatte sich noch keinen Schritt von ihrer Position im Türrahmen wegbewegt.
Manuel räusperte sich, stand auf und bot Helena den Platz neben sich an. „Ich. Ich muss dir was sagen.“ Dabei sah er nicht gerade glücklich aus. „Ich habe dir doch vor ein paar Monaten die Kette mit dem Feueropal gegeben. Damals wollte oder konnte ich dir nicht sagen, woher … ähm … wie ich daran gekommen war. Es wird dich sicherlich nicht überraschen, wenn ich dir sage … ich habe die Kette direkt von der Quelle. Direkt aus Adanwe, denn ich … bin ein Salwidizer. Wir, wir alle sind … Salwidizer. Du kannst mir nun böse sein, mir den Kopf abreißen oder so. Schließlich habe ich dich ja die ganze Zeit, sagen wir mal, mehr oder weniger hinters Licht geführt.“ Schuldbewusst klimperte er mit den Wimpern.
Helena hatte sich mittlerweile auf den angebotenen Stuhl gesetzt und musterte dabei alle Anwesenden. Sie verzog nicht eine Miene.
Wieder konnte Manuel keinen ihrer Gedanken auffangen. Er blickte prüfend in die Runde. Nichts. Niemand drang in ihre Gedanken vor. Außer Raidon, der eine kaum wahrnehmbare Lücke in der Barriere gefunden hatte und sich um keinen Preis aus Helenas Kopf zurückziehen würde. Sie gehörte ihm und er war stolz, dass seine Seelengefährtin allem Anschein nach die natürliche Begabung besaß, eine geistige Mauer aufzubauen.
„Weiter. Erzähle weiter.“ Ohne einen Funken ihrer Gefühle preiszugeben, forderte sie Manuel zum Weitererzählen auf.
… und wie schon einmal sprang Raidon für Manuel ein. „Ich sagte ja schon, Manuel und ich, wir kennen uns schon sehr lange. Ich sagte seit der Kindheit. Das ist so nicht ganz richtig. Nun … hm … ich kenne Manuel schon seit seiner Geburt vor zweihundertachtundsiebzig Jahren. Eigentlich ist er noch ein Teenager unter uns Salwidizern.“ Huschte da ein hinterhältiger Gedanke durch ihr Köpfchen? Die Vorstellung, Manuel könne noch in der Pubertät sein, schien Helena Vergnügen zu bereiten. Ewig würde sie ihm das vorhalten können.
„O … kay? Was sollte ich sonst noch so wissen?“ Helena sah einen nach dem anderen fragend an. Bei Jean blieb ihr Blick verblüfft hängen. Sie legt den Kopf zur Seite und kniff die Augen ein wenig zusammen. Gerade so, als grübelte sie. „Kann es sein, dass wir uns schon irgendwo begegnet sind?“
„Ich bin Jean … und ja, vorhin. Draußen am Auto“, meinte Jean verdutzt.
„Nein. Nein, nein. Ich meine früher. Ich habe das Gefühl, dich zu kennen. Da ist etwas, das … hm … deine Augen, dieser Zug um deinen Mund und … dein Haar. Ich habe das schon mal gesehen“, murmelte Helena gedankenverloren mehr zu sich selbst.
Alle schauten sie erstaunt an.
„Vielleicht meinen Zwillingsbruder Richard? Er wohnt in der gleichen Stadt wie Jacobi. Hast du ihn vielleicht durch Zufall flüchtig gesehen? Im Unterbewusstsein wahrgenommen?“
Auch diese Möglichkeit verneinte Helena. Sie wusste es ganz genau, irgendwoher …