Читать книгу Verborgen hinter Schleiern - A. B. Schuetze - Страница 7
Treffen in der Vita
ОглавлениеEs war seltsam. Julius konnte genau den Zeitpunkt benennen, in dem Marco die gefüllte Vita betrat, ohne dass er diesen sehen konnte. Er spürt dessen Blick in seinem Rücken und ein eigenartiges Gefühl verursachte ihm eine Gänsehaut. War es, weil er beobachtet wurde? Aber Hunderte anderer Salwidizer schauten bereits seit geraumer Zeit teils neugierig, teils schon fast feindselig, aber in beiden Fällen immer distanziert, zu der kleinen Gruppe, in der er stand. Und es hatte ihm bisher nichts ausgemacht. Doch nun trafen ihn die Schwingungen dieser intensiven Emotionen … hart und ungefiltert.
Julius drehte sich um und verlor sich fast in Marcos Augen, die so dunkel wie Zartbitterschokolade waren und ihn scheinbar ausdruckslos ansahen. Dennoch … War da nicht wieder dieses kurze Aufblitzen eines Funken, das ich schon öfter glaubte bei ihm gesehen zu haben? Verwirrt schüttelte er den Kopf. Er hob die Hand zum Gruß und lächelte Marco und dessen Eltern, die hinter ihm auf die Galerie getreten waren, unbeschwert zu.
Ein zaghaftes Lächeln ließ Marcos Lippen, die stets zusammengekniffen waren, weicher erscheinen. Nur ein kurzes Lächeln. Es verschwand in dem Moment, als sein Blick auf den Mann traf, der ihm in der Vergangenheit so viel Leid zugefügt hatte. Marco spürte wieder den Schmerz von damals, die Kälte des Eisblockes, an welchen er mit vier Eisspeeren regelrecht angepinnt worden war, und … Wut? Nein. Da war nichts. Keine Wut. Kein Zorn. Kein Hass. Er starrte den Mann, der keine drei Meter vor ihm stand und, einen Arm um Arabiennes Taille gelegt, in ein angespanntes Gespräch vertieft war, lediglich emotionslos an. Seine Umgebung schien er gar nicht wahrzunehmen.
Voland. Er ist es … und er ist es wiederum nicht. Dieser Mann, nunmehr zweimal viertausend Jahre alt, die scheinbar spurlos an ihm vorübergegangen waren … hochgewachsen, von stattlicher Figur; schlohweißes Haar in einem geflochtenen Zopf, der ihm bis zu den Hüften reicht; zeitlose, aristokratische Gesichtszüge mit fast schwarzen Augen, in denen sich das Leid aller Zeiten widerspiegelt. Marco zog die Stirn in Falten und zwischen seinen Brauen bildete sich eine tiefe Furche. Was?! Augen, in denen sich das Leid aller Zeiten widerspiegelt? Wie komme ich denn auf einen solchen Gedanken. Und doch. Augen, in denen sich das Leid aller Zeiten widerspiegelt. Aber wie kann das sein? Früher war in ihnen Hochmut, Neid, Zorn, Habgier und vielleicht auch Wollust zu lesen gewesen. Was ist mit ihm geschehen? Liegt es an dem silbernen Reif mit den schwarzen Diamanten, der seine Stirn ziert? Julius meinte ja, dieser sei der Grund dafür, dass der Mann all seine Fähigkeiten, die ihm als Salwidizer innewohnten, eingebüßt hätte.
„ Komm Filius! … Bei Menanim, seht euch das an! … “ Rudolfo deutete auf die Ansammlungen von Männern und Frauen in der Vita. „Niemals zuvor hat sich unser Volk dermaßen in einzelne Gruppen gespalten, wie es heute der Fall ist. Da gibt es die, die direkt Leid durch Voland erfahren haben und ganz klar Front gegen ihn machen. … Dann sind da jene, die sich keine Meinung bilden wollen, sich dann aber der stärkeren Seite anschließen werden. … Und letztlich diejenigen, die an seine neue Identität und damit an das Gute in ihm glauben. Wir haben Freunde auf den kontroversen Seiten, deshalb werden wir den Dingen, die auf uns zukommen werden, unvoreingenommen begegnen müssen. … Und ich bin mir sicher, andere werden sich uns anschließen. … Okay, dann mal los! Da vorn ist noch Platz.“ Er legte einen Arm um die Schulter seines Sohnes und mit der anderen zog er Maritta an sich.
Die Berührung brachte Marco wieder ins Hier und Jetzt zurück. Sofort schaute er zu Julius und gab ihm einen leichten telepathischen Schubs. Dem folgte ein kleines neckisches Grinsen, als dieser verwirrt in seine Richtung sah. Dann wandte er sich ab und gab seinem Vater zu verstehen, dass er ihm folgte.
Gemeinsam mit seinen Eltern steuerte er den noch freien Platz zwischen den einzelnen Parteien an. Damit machten die Renzinis allen ihren Standpunkt klar.
Wie Rudolfo vorausgesagt hatte, blieben sie nicht lange allein. Immer mehr Bekannte und Freunde gesellten sich zu ihnen. So auch Helena und ihr Seelengefährte Raidon. Ihre auffallend türkisfarbenen Augen, die je nach vorherrschenden Gefühlen von tiefem Blau bis zu dunklem Grün changierten, ließen keinerlei Zweifel daran, dass sie die Tochter von Luruna und die Schwester von Adanna war. Letztere standen zusammen mit Helenas Vater Thomas, ihrer Cousine Charlotte und deren Seelengefährten, ihrem besten Freund Manuel, auf der Seite Kan Hayats. Auf der gegenüberliegenden Seite befanden sich ihre Freunde mit eisigen Mienen. Vor Jahren hatte Helena mit ihnen gegen Voland gekämpft, ihn besiegt und durch sein eigenes Portal ins Nirgendwo verbannt.
Seit die Nachricht über Volands Rückkehr in Adanwe die Runde machte, äußerte Helena ihren Standpunkt klar und deutlich. Sie würde weder für die eine noch für die andere Seite Partei ergreifen. Selten stieß sie damit auf Verständnis. Doch nach allem, was ihr Charlotte und Manuel erzählt hatten, war es ihr nicht möglich, die Entscheidung ihrer Eltern und der McCullens anzuzweifeln und Kan Hayat von vornherein zu verurteilen. Also hatte sie das kurze Wiedersehen mit ihrer Familie, welches unter keinem guten Stern stand, dazu genutzt, ihre Schwester Adanna sowie die Geschwister Arabienne und Giles McCullen, die Ewigkeiten vermisst waren, kennenzulernen. Sie mochte sie auf Anhieb. Es tat ihr weh, nun zwischen den Stühlen zu stehen. Sie schämte sich auch nicht, diese Gefühle offen zu zeigen.
Gemeinsam mit Raidon begrüßte Helena Rudolfo, Maritta und Marco.
Maritta nahm die junge Frau, die einen Jungen von etwa fünf Jahren und ein wenige Tage altes Mädchen dabei hatte, in den Arm und küsste sie liebevoll auf die Wangen. „Deine Entscheidung, meine Kleine, kann sicherlich nicht einfach gewesen sein. Ich erinnere mich noch daran, wie du vor sechs Jahren Georg McCullens Respekt errungen und mit deinen sensiblen Empfindungen das Ungleichgewicht hier in unserer Welt gespürt hast. Meine Freude war so groß, als du deine Eltern gefunden hattest und Georg seine ebenso. Und nun? Nun beharrt jeder auf seiner Meinung in der Sache und Familien und Freundschaften scheinen auseinandergerissen.“
Ein Seufzen entrang sich Helenas Brust. Sie zuckte leicht mit den Schultern, denn was sollte sie tun? Ein trauriges Lächeln umspielte ihren Mund, als sie hinüber zu Thomas und Luruna sah. „Ich bin überzeugt, dass alles gut werden wird. Und deshalb stehe ich hier bei euch. Meine gesamte Familie …“ Sie atmete tief durch die Nase ein und wieder aus, um die aufkeimenden Tränen abzuwürgen. „… Es hat sich irgendwie nicht richtig angefühlt, sich auf die Seite meiner Familie zu stellen, wo ich doch auch ein so besonders … inniges Verhältnis zu meinen Freunden habe. Ich kann auch sie verstehen und das macht es so schwer, für keine Seite Partei zu ergreifen. … Georg“, sie wies mit dem Kopf in dessen Richtung, „… Georg hat nur Amaranth und ihre Familie. Seine Eltern waren länger vermisst, als mit ihm zusammen. Von seinen Geschwistern ganz abgesehen. … Die kennt er bis jetzt noch nicht mal, weil er sich weigert, sie zu treffen. Doch das alles war nicht Volands Schuld. Oder nur zum Teil. … Und das weiß er auch. Es ist kompliziert. Trotzdem fühlt er sich irgendwie von seiner Familie im Stich gelassen. Und dennoch … Was wäre er für ein Seelengefährte, wenn er nicht seiner Frau zur Seite stehen würde. Seiner Frau und ihren Angehörigen, die definitiv Opfer von Voland waren. Er … Er hat es schwer. Nicht ich. … Aber es ist lieb von dir, Maritta. Du sorgst dich immer um alle.“
Obwohl sie sich alle Mühe gab, nicht zu weinen bei ihren Worten, fand eine einzelne Träne den Weg aus ihrem Augenwinkel und lief ihre Wange hinab. Bedrückt lächelnd streichelte sie Maritta dankbar mehrmals den Arm auf und ab. Dann wandte sie sich an Marco. „Und wie geht es dir damit, Filius?“ Allein die Erinnerung, wie schlimm seine Verletzungen waren und er es beinahe nicht geschafft hätte, verursachte ihr eine Gänsehaut.
Marco, der die ganze Zeit die Gruppe um Julius beobachtete, zuckte bei Helenas Frage an ihn zusammen. Was? Er hatte das Gespräch seiner Eltern mit Helena nicht verfolgt. Seine Aufmerksamkeit galt dem einzigen sterblichen Menschen in der Vita, der mit Fabrice und Manuel in eine heftige Diskussion verwickelt war. Immer wieder suchten dessen Augen den Kontakt zu seiner Schwester und ihrem Seelengefährten. Er hoffte wohl, sie änderten ihre Meinungen noch. Aber es schien nicht so. Das sah Marco und es stimmte ihn traurig. Bei Menanim. Ach Mann, Julius. Dieser frustrierte Ausdruck in deinem sonst so lieben Gesicht. … Was? Lieben Gesicht? Was sind das denn für Gedanken? … Und doch … Es ist liebenswert, immer freundlich und … attraktiv. Ein Gesicht zum Verl… Marco, hör auf!
Der frustrierte Ausdruck im Gesicht von Julius schmerzte Marco und das Gefühl verunsicherte ihn. Noch mehr allerdings beunruhigten ihn seine Gedanken, als ihm bewusst wurde, dass ihm keine Bewegung und keine Geste des Mannes entgingen. Er fühlte sich von sich selbst ertappt, den durchtrainierten Körper bewundert zu haben. Von seinen Beobachtungen betroffen, schaute er sich vorsichtig nach den anderen um. Hat Helena soeben etwas gefragt? Sie schaut mich so an. Hat irgendwer bemerkt, dass ich … Doch keiner machte den Eindruck, den wahren Grund seiner Unaufmerksamkeit erkannt zu haben. Auch Helena nicht, denn ihr war es plötzlich sichtlich unangenehm, überhaupt nachgefragt zu haben.
„ Entschuldige. Vielleicht hätte ich nicht fragen sollen“, räumte sie sofort ein.
„ Oh, ich muss mich entschuldigen. Ich war gerade … Ich habe deine Frage …“, murmelte Marco eine Entschuldigung.
„ Nun ja, nichts. Es war unsensibel von mir. Vergiss es einfach.“ Als sie jedoch sah, wie er misstrauisch den Kopf zur Seite legte und eine Augenbraue nach oben zog, entschied sie, die Frage doch zu wiederholen. „Ich wollte wissen, wie es dir damit geht. Der ganze Rummel um …“
„ Alles in Ordnung“, beeilte Marco sich, Helena zu beschwichtigen. „Ich habe mit meinen Eltern darüber gesprochen. … Es ist lange her und mein Leben ging weiter, während er … ähm … kein Teil unserer Welt war. Und jetzt, wo ich diesen Mann sehe, …“, er nickte zu Kan Hayat hinüber, „… stelle ich fest, er ist es … und doch wieder nicht. Eigentlich bin ich jetzt nur noch neugierig, was er zu erzählen hat.“ Und außerdem auf alles, was Julius so sagt und tut und möglicherweise für die Zukunft plant , fügte er in Gedanken hinzu und behielt seinen Freund weiterhin diskret, so hoffte er, im Auge.
Dadurch entging ihm auch nicht, dass Helenas Sohn stiften gegangen war. Dieser hatte den kurzen Moment genutzt, in dem sich Helena mit Maritta und Raidon mit einem seiner Freunde unterhielten. Nur ein Augenblick der Unaufmerksamkeit.
„ Ma…nu…el! Ma…nu…el!“ Laut rufend und fröhlich winkend rannte der Knirps auf die Gruppe um Kan Hayat zu.
„ Helena?!“ Ein kleines Glucksen entkam Marcos Brust, als er die burschikose Frau, die schon so manches Mitglied des Hohen Rates in den Wahnsinn getrieben hatte, auf das Ziel ihres Sohnes aufmerksam machte.
Sie verfolgte die Schritte des kleinen Mannes, bis er bei Manuel angekommen war. Dabei kam sie nicht umhin zu sehen, wie andere Anwesende nur verständnislos den Kopf schüttelten oder ihr einen missbilligenden Blick zuwarfen. Auch der eine und andere Kommentar, der fallen gelassen wurde, zeugte nicht von den Charaktereigenschaften, die Salwidizern im Allgemeinen nachgesagten wurden. Sofort fragte sie sich, ob nicht auch dieses Volk die gleiche Entwicklung wie ihre sterblichen Artgenossen, die Menschen, durchmachte. Nur eben viele Tausende Jahre später und bedeutend langsamer.
War Voland möglicherweise nur ein Vorreiter?
Seit Voland durch sein Portal ins Nirgendwo verbannt worden war, betrieb Helena gemeinsam mit Raidon Nachforschungen in den Archiven Adanwes, besonders in der Bibliothek, die sie damals in Volands Welt sichergestellt hatten, um den Ursprung seines Wesens zu finden und ob nicht früher oder später jeder von ihnen davon betroffen sein könnte. Bei ihren Studien waren ihr auch hin und wieder untypische Verhaltensweisen bei Einzelnen ihres Volkes aufgefallen, aber sie hatte diese immer auf besondere Situationen geschoben.
Heute jedoch lag eine Feindseligkeit in der Luft, wie es sie noch niemals gegeben hatte. Selbst damals nicht, als sie und ihre Freunde sich dem Hohen Rat widersetzt hatten und die Überlebenden aus Volands Welt nach Adanwe gebracht hatten.
Nichtsdestotrotz blieb Helenas Miene gelassen, mit einem kleinen Lächeln und viel Wärme in den Augen. Warum sollte ihr Kind nicht seinen allerbesten Freund besuchen dürfen? Außerdem waren seine Großeltern ebenfalls dort. Nur weil sich die Erwachsenen momentan nicht grün waren, wollte sie die Handlungsfreiheit des Kleinen nicht beschneiden. Früher gab es keinerlei Probleme, wenn die Kinder bei Zusammentreffen in der Vita zwischen ihnen hin und her rannten. Sie waren der Stolz des ganzen Volkes und bei jedem gern gesehen. Doch heute …
Gleichzeitig wandte Manuel den Kopf und sah seinen kleinen Freund auf sich zuschießen. Er fing ihn auf und wirbelte ihn vergnügt durch die Luft.
„ Da ist ja der Krümel, mein Lieblingskumpel. … Bist du ausgebüxt?“
„ Ich bin doch kein Krümel mehr. Ich bin schon fünf. Aber das kannst du natürlich nicht wissen, denn du warst schon ganz lange nicht mehr bei uns“, gab der Junge altklug von sich. Sein dabei ernstes Gesicht brachte die Umstehenden zum Schmunzeln. Ein eher seltener Anblick in den letzten Tagen.
„ Und hast du deine Mama gefragt, ob du hierher kommen darfst?“
„ Ähm … Waaa…rum? Du bist doch mein Freund. Oma und Opa sind auch bei dir. Und Charlie. Und Fabri.“ Er zeigte beim Aufzählen auf die betreffenden Personen, betrachtete aber neugierig die anderen, die er nicht kannte. Schließlich kam er zu dem Schluss, wenn sie alle bei Manuel standen, mussten sie auf jeden Fall Freunde sein. Und das äußerte er auch aus voller Überzeugung.
„ Tja, Kumpel, das sehen leider nicht alle so. Weißt du, die Leute sind neu in Adanwe und keiner kennt sie. Also sind alle noch sehr vorsichtig, denn …“
„ Ja, ja, ich weiß. Man kann nie wissen, was sie im Schilde führen. Denn nicht jeder darf hierher kommen. … Weil nämlich unsere Welt geheim ist.“ Den letzten Satz flüsterte er Manuel hinter vorgehaltener Hand ins Ohr. „Aber ich will trotzdem bei dir bleiben“, bettelte er mit einem Hundeblick, der jedes Herz in der Brust erweichen konnte.
Manuel schaute hinüber zu Helena. „Hallo Lena, mein Herzblatt. Was dagegen, wenn der Knirps bei uns bleibt?“
„ Herzblatt? Lass das ja Charlie nicht hören“ , gab diese auf ihrem gemeinsamen telepathischen Pfad Manuel zu verstehen und stupste ihn gleichzeitig lachend mental an. „Ja sicher, das ist für uns kein Problem. Aber passt auf, dass er nicht auf Wanderschaft geht. Der ist schneller weg, als du zwinkern kannst.“
„ Kunststück. Ist ja auch eine gute Mischung meiner zwei besten Freunde. Wir bringen ihn danach zu euch …“ Weiter kam Manuel nicht.
Das Palam, das im Zentrum der Vita freischwebende Hologramm der Erdkugel, begann zu flimmern und ein silberner Obsidian manifestierte sich und sofort erschien darauf das Antlitz des Großen Menanim, dem Geist der allwissenden Steine. Er war der, dem kein Wissen verborgen blieb … sowohl jenseits der magischen Barriere, noch in Adanwe. Er existierte seit Anbeginn der Zeit und hatte diese Anderwelt geschaffen. Der Große Menanim stand dem Hohen Rat vor, war aber ebenso für jeden Salwidizer mit seinen persönlichen Belangen ein treuer Ratgeber.
Mit seinem Erscheinen erstarben abrupt alle Gespräche. Jegliche Aufmerksamkeit galt nur noch ihm und dem, was er zu sagen hatte. In der plötzlichen Stille konnte man die Anspannung und Aufregung jedes Einzelnen regelrecht spüren. Es schien, als hielt ganz Adanwe den Atem an.
„ Brüder, Freunde und Gefährtinnen … Nun, in den letzten Jahren hat sich so vieles in unserer Welt und dem Volk der Salwidizer verändert, dass diese Anrede nicht mehr zeitgemäß ist. Deshalb lasst mich euch so begrüßen … Liebe Salwidizer und Salwidizerinnen und nicht zuletzt Julius, ein Sterblicher, der heute unter uns weilt. Wir treffen uns dieses Mal nicht, um der Tradition willen, sondern aus einem aktuellen Anlass. Wie ihr alle gehört habt, haben einige von uns auf der Suche nach vermissten Angehörigen einen Mann, der sich Kan Hayat nennt, uns aber allen als Voland in Erinnerung geblieben ist, gefunden und aus Gefangenschaft befreit. Viele von euch mögen ihn nicht persönlich kennen, haben allerdings von seinen Vergehen gegen Menschen und Salwidizer gehört. An uns ist es nun, in dieser Anhörung herauszufinden, inwieweit es sich in der Tat um dieselbe Person handelt und wie wir gegebenenfalls mit ihm verfahren sollen.“
Ein aufgeregtes Murmeln ging durch die Höhle. Vereinzelte Zwischenrufe verlangten, ihn dahin zurückzuschicken, woher er kam. Wiederum andere forderten lautstark, ihn irgendwo für immer einzusperren und diejenigen, die ihn hierher gebracht hatten, zur Verantwortung zu ziehen.
Der Große Menanim zog sein Gesicht in Falten und seine Augen begannen zu glühen.
„ Hört ihr euch eigentlich selber reden?!“, donnerte die tiefe, furchteinflößende Stimme Menanims durch die Vita und es gab kaum einen, dem sich nicht alle Härchen aufstellten.
Augenblicklich wichen die in der vorderen Reihe stehenden Salwidizer entsetzt zurück. Keiner konnte sich entsinnen, wann der Große Menanim jemals so außer sich gewesen war. Und es sollte noch nicht alles sein.
Mit gedämpfter Stimme ermahnte er die Männer und Frauen: „Was ist aus unseren Werten der septem rationem creationis, den Werten der Schöpfung geworden?! Ich spüre hier Zorn, Wut und Hass! Sind das neuerdings die elementaren Bausteine unseres Zusammenlebens?! Geht in euch und prüft eure Emotionen und Gefühle. Ich werde mich in der Zwischenzeit unseren Neuankömmlingen und Besuchern zuwenden.“ Dann setzte er mit seiner gewohnt ruhigen, sonoren Stimme seine Rede fort.
„ Ich heiße herzlich willkommen: … Adanna, Tochter von Thomas Braun und Luruna, … die Geschwister Arabienne und Giles McCullen … sowie Lilly, die Seelengefährtin von Giles, … Larissa, die Seelengefährtin von Fabrice … und nicht zuletzt Julius, den Bruder Judiths und guten Freund zahlreicher Salwidizer. … Kan Hayat.“ Ihm galt nur ein kurzes Kopfnicken.
„ Julius, würdest du bitte auf den kleinen Balkon kommen. Ich möchte dir im Namen unseres Volkes danken. Du hast dich uneigennützig um eine unserer Seelengefährtinnen gekümmert, als noch keiner von uns zur Stelle war. Du hast Fabrice ohne einen Augenblick des Zögerns das Leben gerettet. Du hast mitgeholfen, die schon lange Zeit vermissten Angehörigen unseres Volkes zu finden und sie in die Arme ihrer Familien zu führen. Dir gebührt wahrlich großer Dank. Julius, du wirst immer in Adanwe ein Zuhause haben.“