Читать книгу Geheimnis des Feueropals - A. B. Schuetze - Страница 8
Der Lebensstein
ОглавлениеSchweigend liefen sie nebeneinander durch die unterirdischen Gänge zum Versammlungsort. Obwohl er schon Hunderte Male diesen Weg gegangen war, beeindruckte Richard von Briesing die Vielfalt der aus sich selbst heraus strahlenden Steine immer wieder auf das Neue.
Die Stollen des Berges Omlamo, dem Berg der allwissenden Steine, waren keine gewöhnlichen Stollen. Vor Tausenden von Jahren wurden sie geschaffen. Der Boden bestand aus glatt geschliffenen Edelsteinen, deren Farben die eines Regenbogens widerspiegelten und der den Weg in die große Halle »Vita« zeigte. Die Wände waren in ihrer Urform belassen worden. Unendlich viele Kristalle erzeugten hier ein beinahe magisches Licht, welches so hell erstrahlte, dass keine weiteren Lichtquellen benötigt wurden.
„Schau dir das an! Kannst du dir vorstellen, was wäre, wenn die Menschen von diesem Ort wüssten?“
Georg schaute Richard, der sich um sich selbst drehte und auf all diese Pracht um sie herum deutete, fragend an. „Was willst du damit sagen? Wie kommst du ausgerechnet jetzt auf so etwas?“
„Keine Ahnung. Das schoss mir gerade eben durch den Kopf. … Wir leben jetzt schon seit Anbeginn der Zeit unter ihnen und haben unser Geheimnis wohl gehütet. Und das trotz der noch aus Urzeiten im Umlauf befindlichen Gerüchte, die auf unsere Existenz hinweisen.“
Lächelnd musterte McCullen seinen Freund von der Seite und schlang einen Arm um dessen Schulter. „He, ich weiß echt nicht, was plötzlich mit dir los ist. Seit wir hier sind, bist du so … so anders. So sonderbar. So eigenartig. … Ist es das, was dir Sorgen bereitet, dass jemand über unsere Existenz Kenntnisse hat? Du weißt aber auch, dass solche Informationen stets im Sande verlaufen. Allenfalls in Legenden enden. … Mann, Richard. Was bedrückt dich wirklich, dass du dir jetzt über derlei Dinge den Kopf zerbrichst?“
Richard runzelte die Stirn und überlegte einen Moment, wie er es seinem Freund begreiflich machen sollte, wenn nicht einmal er selbst den Ursprung seiner Bedenken kannte. „Ich weiß auch nicht. Vielleicht bin ich einfach zu alt für diese Welt. Ich habe schon so viel erlebt und gesehen … Schau sie dir an! … Da, Maritta mit ihren beiden Männern. Rudolfo hat es gut getroffen. Er hat seine Seelengefährtin gefunden. Sie ist schon lange eine von uns. Ihr Sohn bekommt heute seinen Lebensstein. Wir sind nur noch so wenige. Keiner weiß, wann der nächste dem Tod nicht entgehen kann, weil es uns nicht gelungen ist, das Leben seiner zukünftigen Gefährtin zu schützen. Außerdem … Es werden viel zu wenige weibliche Menschen mit den richtigen Fähigkeiten geboren. Wie viele haben wir derzeit zu beschützen? Zehn? Vielleicht. Und das weltweit … für beinahe dreitausend von uns.“
Während sich die beiden Männer unterhielten, begrüßten sie Rudolfo mit einem traditionellen Freundschaftsschlag, jeder legte dem anderen den rechten ausgestreckten Arm auf die rechte Schulter, und verneigten sich leicht vor Maritta.
„Entschuldigt, aber ich kam nicht umhin, einen Teil eures Gesprächs mitzuhören. In meinen Ohren klingst du, Richard, wie einer von den Uralten, die schon Moos angesetzt haben und ohne Aussicht auf ihre zweite Hälfte ihr Leben fristen.“
Ob dieser Beschreibung brüllte Georg vor Lachen los, was an den Wänden der hohen Gänge widerhallte und andere Salwidizer auf die kleine Gruppe aufmerksam machte. Sein Freund war gerade mal siebenhundert Jahre alt. Die vom alten Stamm zählten um die viertausend Jahre, wobei auch die kein Moos angesetzt hatten, sondern den Hohen Rat bildeten.
„Glaubst du wirklich, dass es schon so aussichtslos ist? … Schau, es haben so viele Mädchen in den letzten hundert Jahren überlebt wie noch niemals zuvor. Sie sterben nicht mehr in Not und Elend. Sicher, Sorge bereitet uns schon, dass wir sie vor der Zeit an einen Mann ihrer Art verlieren könnten. Aber wie oft ist das vorgekommen? … Sieh dir unseren Filius an. Wenn er heute in die Reihe der Männer aufgenommen wird, ereilt ihn das gleiche Schicksal wie uns alle. Es fällt uns keineswegs leicht, das zu akzeptieren. Aber wir dürfen doch deswegen die Hoffnung nicht aufgeben.“ Rudolfo zeigte stolz auf seinen Sohn, der nun das dreißigste Lebensjahr vollendet hatte.
Sie waren stehen geblieben, um weitere Bekannte und Freunde zu begrüßen.
Die Bemerkungen von Rudolfo ließen Richard nur ratlos den Kopf schütteln. „Was nützen uns all unsere Gaben, wenn wir im Grunde doch so machtlos sind. Weißt du, wir beschützen eine der wenigen Auserwählten. Eigentlich ist Hannes der Beschützer. Aber ich habe das unbestimmte Gefühl, irgendetwas stimmt mit ihm nicht. Er glaubt, sich in ein Mädchen verliebt zu haben, und vernachlässigt dadurch seine Pflichten. Alle meine Sinne sagen mir, hier läuft etwas total aus dem Ruder.“ Erst zog er ernst die Stirn in Falten, dann zuckte er kapitulierend mit den Schultern. „Ich kann mich auch irren. Es ist halt nur so ein Gefühl, das ich definitiv nicht richtig greifen kann. Aber selbst wenn mich meine Intuition nicht trügen würde, was könnten wir dagegen unternehmen? Nichts! Uns sind die Hände gebunden. Wir könnten ihm unsere Hilfe anbieten, vorausgesetzt er ist nicht beratungsresistent.“
Jean, der in diesem Moment ebenfalls zu ihnen stieß, legte einem nach dem anderen zum Zeichen der Begrüßung die Hand auf die Schulter. Mit einem spitzbübischen Grinsen blickte er neugierig in die Runde. In seinen mitternachtsblauen Augen funkelte nicht nur Freude, ein paar Tage mit seinen Freunden einen drauf machen zu können, sondern auch der Schalk. „He, Leute, so trübsinnig? Mann, freut euch doch, dass wir uns alle heute hier wiedersehen. Hab ich da gerade Hannes’ Namen gehört? Wo steckt der Kerl?“ Er machte einen langen Hals und schaute sich suchend nach ihm um.
Als jedoch Rudolfo meinte, er habe Hannes auch noch nicht zu Gesicht bekommen, bemerkten Georg und Richard das erste Mal, dass er zwar mit zum heiligen Berg gekommen war, aber …
„Hast du ihn eigentlich mit reinkommen sehen, Richard? Ich kann mich gar nicht erinnern. Auch nicht daran, dass er gesagt hat, ob er auf jemanden warten wollte. Ich habe keine Ahnung, wo …“
Rudolfo, der gar nicht erst auf Richards Antwort warten wollte, weil dieser momentan in einer so seltsamen Verfassung war, fiel Georg sofort ins Wort. „Macht euch um Hannes mal keine Gedanken. Der wird schon kommen. Mit Sicherheit treffen wir ihn beim Palam. Also los! Dann lasst uns weitergehen.“ Er legte seinen Arm um die Taille seiner Seelengefährtin, nickte seinem Sohn zu, ihm zu folgen, und machte sich als Erster daran, das Tor zur »Vita« zu durchschreiten.
Richard, Georg und Jean folgten ihnen.
Sie betraten eine Galerie, in welcher mehrere Gänge, gleich dem, den sie gekommen waren, mündeten. Sie verlief um die gesamte Höhle, deren Höhe als auch Tiefe nur zu erahnen war. Durch Bergkristalle erstrahlte die Höhle in einem gleißenden weißen Licht.
Es war immer wieder ein überwältigender Anblick. Wie gebannt schauten die Neuankömmlinge zum Mittelpunkt, dem Palam. Das Palam, ein durch viele Speichersteine erzeugtes Hologramm, zeigte bis ins kleinste Detail die Erdkugel. Erdteile, Länder und Städte waren zu erkennen. Im Erdkern befand sich ein gigantischer silberfarbener Obsidian. Auf der Oberfläche der Erde schwebten Steine in unterschiedlichen Farben und Größen.
Jedem Salwidizer war ein schwarzer Obsidian zugeordnet. Hin und wieder waren auch kleinere Feueropale in Orange bis Tiefrot zu sehen. Zu wenige. Viel zu wenige. Diese standen für die zukünftigen Lebensgefährtinnen der Salwidizer. Ein jeder Opal wurde begleitet von einem rot-schwarzen Obsidian, der den Beschützer des Lebens verkörperte.
Noch während sich Richard und seine Freunde einen Platz in den vordersten Reihen suchten, blitzte es plötzlich im Palam auf, und ein neuer Feueropal fand seinen Platz auf der Erdoberfläche. Klitzeklein nur, zog aber sofort die Aufmerksamkeit aller anwesenden Salwidizer auf sich.
„Schau, ein neues Leben, ein neuer kleiner Feueropal! Wieder einer der langersehnten und willkommenen Lichtblicke. Komm, Richard, freue dich mit uns! Es gibt immer Hoffnung.“ Georg knuffte Richard in die Seite und zwinkerte ihm aufmunternd zu.
Bevor Richard sich dazu äußern konnte, erschien auf dem Stein im Inneren des Palam das Gesicht des großen Menanim, dem Geist der Steine. Sofort erstarben alle Gespräche und Ruhe trat unter den Versammelten ein.
„Brüder, Freunde und Gefährtinnen. Ein Jahr ist vergangen und wie es Tradition ist, haben wir uns hier versammelt, um unsere Rituale festlich zu begehen, Neuigkeiten auszutauschen und fröhliche Stunden mit Familie und Freunden zu verbringen. In diesem Jahr hatten wir keine Verluste zu beklagen, was uns sehr mit Zuversicht und Freude erfüllt. Soeben seid ihr Zeuge geworden, wie wieder ein Menschenmädchen das Licht der Welt erblickt hat. In fünfundzwanzig Jahren wird sie einer von euch als seine Seelengefährtin in unsere Reihen führen. Seid mit Hoffnung und Ausdauer gesegnet. Der Beschützer des Lebens wird sich nach unserem Zusammentreffen direkt zu ihr begeben und sie auf all ihren Wegen die nächsten Jahre sicher begleiten, behüten und vor Gefahren beschützen.“
Alle schauten sich um, in der Hoffnung, den von Menanim auserwählten Beschützer zu erspähen. Doch bei so vielen Salwidizern war dies schlicht ein unmögliches Unterfangen.
Auch Georg und Richard blickten sich um, jedoch aus einem anderen Grund. Bei den Worten Beschützer des Lebens war ihnen sofort wieder bewusst geworden, dass sie seit der Ankunft in Adanwe, der Heimatwelt der Salwidizer, Hannes nicht mehr gesehen hatten. Auch jetzt konnten sie ihn nirgends entdecken. Ein ungutes Gefühl beschlich die beiden. Abgelenkt folgten sie nur halbherzig dem weiteren Geschehen.
Mittlerweile ging es mit mehreren Ritualen weiter. Es wurde eine Seelenbindung, ähnlich einer Vermählung unter Menschen, vollzogen, und zwei junge Salwidizer erhielten ihre Steinweihe. Sie hatten ihr dreißigstes Lebensjahr vollendet und bekamen ihren schwarzen Obsidian, ein Talisman, Kommunikationsmedium, ein … Lebensstein.
Der Stein besaß die Eigenschaft, die eigenen Fehler widerzuspiegeln. Er bot seinem Träger ein klares Bild jener Veränderungen, die unerlässlich waren, um Schwachstellen auszumerzen. Diverse Energien des Steins lieferten unverblümte Antworten, brachten die inneren Visionen auf den Punkt und förderten die Vorstellungen vom erforderlichen Handlungskurs. Er legte Eigenschaften frei, die jedem erwachsenen Salwidizer ermöglichten, seine großen Fähigkeiten effizient zum Wohle aller zu nutzen.
Damit waren sie in die Reihen der erwachsenen Salwidizer aufgenommen.
Maritta und Rudolfo waren stolz auf ihren Sprössling und wollten dieses Ereignis mit ihren besten Freunden feiern. So luden sie McCullen, von Briesing und Jean de Luca ein, den Abend mit ihnen zu verbringen. Gern sagten diese zu. Selten genug, dass man sich sah, da jeder sein eigenes Leben in den Welten beiderseits der magischen Barriere besaß. Man sah sich nicht alle Tage in der Heimat.
Die Anderwelt öffnete sich nur bei einer Verschiebung des Zeitgefüges der Erde. Das geschah immer dann, wenn sich die Erde 360 Mal um ihre eigene Achse gedreht hat. Dabei entstand laut Sternenkonstellation ein zusätzlicher Tag. Und an diesem Tag riefen die Steine zur offiziellen Zusammenkunft.
Ein Mal im Jahr. … So war es auch nicht verwunderlich, dass sich die Freunde, Bekannten und Familien allerlei zu erzählen hatten. Sicher trafen sie sich auch in der Welt der Menschen, aber hier in Adanwe war alles anders. Hier waren sie zu Hause. Hier lief die Zeit ganz anders. Ein Tag in dieser Welt waren in etwa sechs Tage in der Welt der Menschen.
„Und wie schaut es aus? Habt ihr Hannes gefunden?“ Maritta war gerade dabei, eine Platte Braten auf den Tisch zu stellen, als sie die besorgten Gesichter der Männer sah.
„Nein. Keiner weiß, wo er sich gerade aufhält. Ich mache mir echt Sorgen. Wie schon gesagt, ich habe ein ungutes Gefühl.“ Richard rutschte unruhig auf seinem Stuhl hin und her und erzählte den anderen von seinem Gespräch mit Hannes auf der Galerie.
„Ach, komm schon. Wahrscheinlich hatte er nur einen schlechten Tag. Der kriegt sich schon wieder ein. Vielleicht braucht er nur mal eine Auszeit und hat sich deshalb still und heimlich verkrümelt. Hm … und das mit dieser Frau … Weißt du, wer sie ist?“
„Keine Ahnung. Spielt eigentlich auch keine Rolle. Sie wird enttäuscht sein, dass er es nicht bringt.“
„Siehst du, jetzt bist du schon viel entspannter. Es ist sein Problem.“ Wieder ein Problem auf meine lässige Art gelöst. Als ob es was bringt, sich immer eine Platte zu machen. Jean feixte Richard siegessicher an und warf fragend den Kopf zurück. „Und? Wenn Hannes frei hat, wer ist denn dann bei …? Wie heißt sie doch gleich?“
„Corri“, antworteten Georg und Richard wie aus der Pistole geschossen unisono.
„Muss sie nicht auch bald die Altersgrenze überschreiten?“ Jean war einer der Älteren, genau wie seine beiden Freunde, und hoffte nun bald, seine Seelengefährtin, die andere Hälfte seiner Seele, zu finden.
„Conrad hat ein Auge auf Corri, solange Hannes hier in Adanwe weilt. Das hielten wir für eine gute Idee. Und nun ist er noch nicht mal da. Dieser … dieser …“
„Coquin“, half Jean Georg aus, der sich nun eher wütend als beunruhigt und besorgt anhörte. „Ach kommt schon. Er ist halt ein Strolch. Aber es besteht doch kein Grund zur Sorge, wenn Conrad bei der Kleinen ist … Wie ich schon sagte, lasst ihn sich doch die Hörner abstoßen. Hannes wird keinen Schaden nehmen, wenn er sich mit einem Mädchen vergnügt. Er wird schon merken, dass er keinen Ständer bekommt, wenn sie nicht die Richtige ist. Ich meine, er ist echt alt genug und hat doch bestimmt in dieser Hinsicht die eine oder andere Erfahrung gemacht.“ Jean konnte sich wieder einmal sein jungenhaftes, unbeschwertes Lachen, welches er sich all die Jahre bewahrt hatte, nicht verkneifen. Dabei schlug er Georg auf die Schulter. „Was ist nun, wann hat denn eure Kleine das richtige Alter erreicht?“
„Mann, Jean. Ehrlich, dein sonniges Gemüt möchte ich haben“, feixte Georg und boxte seinerseits dem Freund gegen den Oberarm. „Corri … Die wird in weniger als zwei Wochen fünfundzwanzig Jahre. Drei Kreuze, wenn dann ihr Gefährte auf der Bildfläche erscheint und wir die Verantwortung für sie abgeben können.“ Er blickte reihum und nickte wie zur Bestätigung.
Richard verdrehte die Augen über Georgs Worte. „Du hörst dich an, als ob sie uns nur Ärger machen würde. Sie ist so eine … na ja. Sie ist eine tolle Frau.“
Maritta zwinkerte Rudolfo zu, der Richard auch prompt ins Wort fiel: „Höre ich da ein … gewisses Interesse? Das muss ja ein echt reizendes Persönchen sein, wenn sie sogar dem eiskalten von und zu den Kopf verdreht.“
Obwohl Richard bis an den Haaransatz errötete, winkte er nur lachend ab. „Es ist nur … Ihr wisst schon, mein Bauchgefühl. Wenn sie erst ihren Gefährten hat und er sie … ähm … zu einer der Unseren gemacht hat, dann haben wir eine Sorge weniger.“
Heiterkeit erfüllte mit einem Mal den Raum.
„Zu einer der Unseren …“, schmunzelte Maritta.
„Ich wusste gar nicht, dass du so prüde bist, Richard“, meinte Rudolfo und schlug sich vor Lachen auf die Schenkel.
„Kannst es auch beim Wort nennen! Wir sind doch unter uns, Richard“, grunzte auch Georg belustigt und alle verfielen in wildes Gelächter.
„Ihr habt sie doch nicht mehr alle. Euch ist wohl Rudolfos Selbstgebrannter zu Kopf gestiegen. Aber okay … Wenn ihr Gefährte sie beansprucht“, konterte Richard, der nun ebenfalls lachend auf den Tisch klopfte und damit den Feierabend einläutete.
Hinter den Bergen des Monsiug, dem größten Gebirge Adanwes, ging die Sonne unter. Es war höchste Zeit, sich zu verabschieden.
Die Nächte in Adanwe waren zwar sehr kurz, dafür aber stockdunkel. Die Temperaturen fielen rapide unter Null. Anders als auf der anderen Seite der Barriere. Da gab es … lange Abende unter dem Sternenhimmel, Vollmond und laue Nächte. Das war halt das Schöne in der Welt der Menschen.
Richard, Georg und Jean nahmen Abschied vom Gastgeber und seinem Sohn mit dem traditionellen Schulterschlag, verbeugten sich voller Ehrerbietung vor der Gastgeberin und begaben sich in ihre Quartiere, bevor das Klima umschlug.
***
Richard von Briesing lag noch lange wach in seinem Zimmer und fiel erst in einen unruhigen Schlaf, als bereits die ersten Sonnenstrahlen den neuen Tag verkündeten. Ein Klopfen an der Tür ließ ihn jäh aufschrecken. Noch benommen, öffnete er und ließ Georg eintreten.
„Guten Morgen, Richard. Mann, ist das aber heute ein …“ Georg hielt mitten im Satz inne und betrachtete mit hochgezogenen Augenbrauen seinen Freund und danach aufmerksam dessen Zimmer. „Sag mal, wie siehst du denn aus?“
Blass, große Augenringe, wirres Haar und Schweißtropfen auf der Stirn, so stand Richard mitten im Zimmer und war dabei, sich zu sammeln und den Traum der vergangenen, viel zu kurzen Nacht von sich abzuschütteln. Er hatte das Gefühl, seinen Körper verlassen zu haben und noch nicht so ganz zurück zu sein. „Ein Albtraum. Ich glaube, es war ein Albtraum. Ich weiß es nicht mehr.“ Noch immer benommen, taumelte Richard ins Bad, um sich eine Handvoll Wasser ins Gesicht zu schütten.
„So hab ich dich ja noch nie gesehen. Der Traum muss ja ganz schön derb gewesen sein. Sicher, dass es nur ein Traum war und du nicht … na ja, du weißt schon … deinen Körper verlassen und irgendetwas … hm … anderes durchgemacht hast?“
Langsam erholte sich Richard, der noch immer kritisch von McCullen gemustert wurde.
„Ich meine ja nur. Ich hab bestimmt zwanzig Minuten an deine Zimmertür geklopft. Wollte schon Verstärkung holen, für den Fall, dass dir was passiert ist. Mensch, Junge! Du siehst aber auch wirklich fürchterlich aus. Soll ich nicht lieber …“
Einen Blick von Richard und Georg schwieg mit einem unschlüssigen Schulterzucken. „Lass gut sein, Georg! Ist schon alles wieder in Ordnung. Setz dich und vertreibe dir die Zeit, während ich mich schnell fertig mache.“ Damit verschwand Richard wieder im Bad und ließ Georg allein zurück.
Dieser schaute sich derweil im Zimmer um, auf der Suche nach verräterischen Spuren der vergangenen Nacht. Aber ohne Erfolg.
Sobald Richard wieder hergestellt war, gingen die beiden Männer auf die Dachterrasse, um ein Frühstück einzunehmen. Dort wurden sie bereits von Jean erwartet.
Zur Überraschung der beiden sah Jean so aus, als hätte er die gleichen nächtlichen Erfahrungen wie Richard gemacht. Weiß im Gesicht, die Augen eher übermüdet, als denn ausgeruht. Und auch sonst begrüßte er leicht derangiert die beiden.
„Wie ich sehe, hat Richard auch eine sehr bewegende Nacht hinter sich … Na Hauptsache einer von uns konnte die nächtliche Ruhe ausgiebig genießen“, zwinkerte Jean müde Georg zu und bat seine Freunde Platz zu nehmen. „Setzt euch! Setzt euch! Ich muss euch was zeigen. … Hier! Schaut euch das mal an.“ Dabei holte er seinen Lebensstein hervor, den er unter seinem Shirt an einem Lederband um den Hals trug.
Normalerweise wäre der Stein ein schwarzer Obsidian, aber was Jean da in der Hand hielt, war ein … Regenbogenobsidian.
Der Regenbogenobsidian brachte Licht und Liebe ins Leben. Er gestattete, die spirituelle Seite seines Trägers zu erkennen. Er wurde für das innere Sehen benutzt in Bereichen, die mit Liebe, zwischenmenschlichen Beziehungen und der Gesamtentwicklung zu tun hatten. Er wurde auch der Stein der Lebensfreude genannt, weil er Dankbarkeit und das Gefühl der inneren Zufriedenheit in seinem Träger weckte.
Und er war der Stein eines … Seelengefährten.