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Matho S. Urban

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Sie war in etwa so groß wie Charlotte. Und obwohl auch letztere als sportlich und durchtrainiert galt, konnte sie mit dieser Frau optisch nicht mithalten.

Das brünette Haar trug sie in einem auffallend fransig geschnittenen Bob, welcher im Moment wirr durcheinandergeraten war. Doch gefangen nahmen Charlotte die großen grünblauen Augen, die je nach Lichteinfall intensiv türkis erstrahlten.

Wow! Echt jetzt? Kendō? Eine abgewandelte, moderne Art des ursprünglichen japanischen Schwertkampfs, wie ihn Samurai erlernten und lebten? Aber sie ist doch … Oh Gott, und dann diese Augen. Zwei Türkise.

Charlotte starrte die Frau wie gebannt an. Verwirrt schüttelte sie deshalb den Kopf, als Manuel ihr das Bild aus der Hand nahm, bevor es zu Boden fallen konnte.

Peinlich berührt ob ihres Auftretens und verstört über das Aussehen des Mannes auf dem Foto, brachte Charlotte nicht mehr als ein „Aber … Oh …“-Gestammel heraus.

„Ja? … Hm … Ich muss mich wohl bei Ihnen entschuldigen Frau …“

„Frau Braun. Charlotte Braun … Und ohne gesprochenes 'e' bei Charlotte. … Ach übrigens, Lenchen … Was ich dich schon immer fragen wollte. Wofür steht eigentlich das 'S' im Namen deines Vaters?“ Manuel drückte Helena das Bild in die Hand und einen Kuss auf die Stirn. Anschließend warf er sich feixend in einen der bequemen Sessel vor dem Kamin.

Helena schaute liebevoll auf das Bild und strich sacht mit den Fingern darüber. „Er meinte immer … Sebastian - In pia memoria - In liebevoller Erinnerung … Und wenn ich wissen wollte, wer denn dieser Sebastian sei, drehte er sich um und lächelte wehmütig. … Später meine Kleine. Später erzähle ich dir von ihm. Nun, er ist nicht mehr dazu gekommen.“

Als sie wieder aufblickte, bekam sie gerade noch mit, wie Charlotte die Beine versagten.

„Manuel!“

Der sprang auf und war augenblicklich neben Charlotte, um sie aufzufangen. „Wow, wow, wow! Langsam! Nicht ohnmächtig werden. Charlotte! Hier bleiben. Komm, komm, komm! Tief durchatmen! Aus … ein … aus … ein! Atme mit mir!“

Zitternd lag sie in seinen Armen und versuchte den Anweisungen zu folgen. Instinktiv griff Charlotte nach ihrem Stein. Sie spürte, sein Pulsieren und wie er ihr nach und nach ihre Kräfte zurückbrachte. Doch klar denken konnte sie noch immer nicht. … hmmm … holzig würzig …

Jäh kam ihr zu Bewusstsein, dass sie schon wieder an diese muskulöse Brust gepresst wurde. Mit einem Ruck machte sie sich frei. „Danke. … Es geht schon wieder. Es war nur …“

„Oh mein Gott. Ich muss mich wirklich bei Ihnen entschuldigen, Frau Braun. Es lag nicht in meiner Absicht, Sie zu erschrecken. … Mein Name ist Helena. Helena Urban.“ Mit einem freundlichen Lächeln reichte sie Charlotte die Hand und zog sie mit sich auf die Couch.

„Geht es wirklich wieder? Möchten Sie vielleicht etwas trinken?“

Charlotte schüttelte nur den Kopf und ließ sich in die Polster drücken.

Helena setzte sich zu ihr und sah Manuel fragend an.„Sie ist diejenige, von der Fabrice erzählt hat? … Bei Menanim. Zeig mir deinen Stein!“

Aber Manuel hatte nur eine Lächeln auf die telepathisch gesendete Frage und einen hingehauchten Handkuss für seine Freundin übrig, bevor er verschwand, um Getränke für alle zu holen.

Schweigend schauten sich die beiden Frauen an und wussten nicht, wie sie die Verlegenheit ob des eben erlebten Vorfalls überwinden sollten.

„Manuel meinte, Sie kämen von einer Anwaltskanzlei? Ich kann mir gar nicht vorstellen, was ich wohl mit einem Anwalt zu tun haben sollte.“

Charlotte schüttelte nur leicht den Kopf.

Nicht schon wieder. Ich komme mir vor, wie ein Esel. Charlie, hör auf ständig den Kopf zu schütteln. Es heißt nein, wenn du was zu sagen hast.

„Notar. Schröder&Partner waren ausschließlich eine Notarkanzlei. … Ich muss mich bei Ihnen entschuldigen, denn dieses Päckchen sollte eigentlich schon am 14. Dezember vergangenen Jahres zugestellt werden. Leider ist es durch traurige Umstände in Vergessenheit geraten. Ich hoffe nur, Ihnen damit keine Unannehmlichkeiten bereitet zu haben.“

Schon allein die Gedanken an die Geschehnisse der vergangenen Wochen trieben Charlotte die Tränen in die Augen, die sie tapfer wegblinzelte, denn Manuel, der just in diesem Moment ein Tablett mit Getränken und Knabbereien auf den Tisch stellte, musste nicht sehen, wie es in ihrem Inneren aussah.

Was sie nicht wusste, er konnte ihr bereits bis in die Seele sehen.

Ein Quieksen und plötzlich war Manuel abgelenkt. Er stürmte freudestrahlend zur Tür.

„Da kommt ja mein Lieblingskumpel. Musstest du wieder zuschauen, wie die Mama dem Papa den Hintern versohlt hat? Du armes kleines Würmchen. Bekommst einen total falschen Eindruck von dieser Welt. Glaub mir, das ist nur in deiner Familie so und genau deshalb ist dein Onkel Manuel da. Der wird dir zeigen, wo's im wahren Leben lang geht.“

Damit befreite er den zappelnden und quietschenden Anderthalbjährigen aus Raidons Armen, der gerade den Raum betrat. Er warf ihn in die Luft, fing ihn auf und beide gingen zu Boden. Jauchzend und lachend rollten sie über den weichen bunten Teppich.

„Es muss Ihnen eigenartig erscheinen, aber Manuel hat einen Narren an unserem Sohn gefressen. … Darf ich Ihnen meinen Mann, Raidon, vorstellen?“

Charlotte riss ihren Blick von dem Schauspiel, welches sich ihr eben noch bot, los und musterte erstaunt den Mann, der sie mit einer formvollendeten Verbeugung begrüßte.

Tiefschwarzes Haar, zusammengehalten in einem Pferdeschwanz, samtene Mandelaugen, eine gerade kleine Nase und Lippen …

Lippen, wie Bruce Lee … Und überhaupt … Ein Samurai. Wo ist der japanische Kaiser?

„Sie sind also Charlotte? Es freut mich, Sie kennenzulernen. Das mit ihrem Großvater tut uns sehr leid.“

Raidon sah das Erstaunen in Charlottes Gesicht und beeilte sich, zu erklären. „Die Zeitungen waren ja voll, von diesem brutalen Überfall. Ständig diese Presse und Reporter, die wie die Geier hinter einer sensationsträchtigen Story her sind. Als ob nicht schon alles schlimm genug gewesen wäre … Immer und überall dieses Rumgeschnüffel. Ich hoffe, es blieb Ihnen weitestgehend erspart. Und wie gesagt, es tut uns sehr leid. Sie haben unsere aufrichtige Anteilnahme.“

Charlotte nickte nur und tupfte sich eine einzelne Träne, die es dennoch geschafft hatte, aus dem Augenwinkel. Dankbar lächelte sie Raidon an. „Ja. Ja, natürlich. Ich danke Ihnen. Es ist weniger wegen des ganzen Rummels. Der ist vorbei. Trotzdem … Man kommt nicht zur Ruhe. Jetzt bin ich dabei, die Kanzlei an einen alten Freund meines Großvaters zu übergeben. Es ist nicht leicht, sich zu trennen … von all den Mitarbeitern, die zu meinem bisherigen Leben dazugehörten … den Klienten, von denen ich die meisten sehr gut kannte … dem Haus samt Grundstück, welches mit wundervollen Erinnerungen verbunden ist … Eigentlich von meinem ganzen alten Leben. Im Grunde genommen beginne ich bei Null. Aber das ist es alles nicht. Das ist nicht das, was mich so durcheinander bringt, was mich so aufwühlt.“

Was ist denn los mit mir? Wieso erzähle ich wildfremden Menschen von meinen Problemen? Weil sie mir so vertraut scheinen? Weil ich vor ihnen mein seelisches Gleichgewicht verloren habe? Aber ich muss es einfach tun. Es ist wie ein Zwang.

Helena und Raidon verhielten sich ganz still und sahen sie teilnahmsvoll an. Sie wussten bereits mehr, als Charlotte ahnen konnte. Und so hörten sie ihr einfach nur zu, ohne sie zu unterbrechen.

„Ich habe von Henry, meinem Großvater, auch ein Päckchen bekommen. Ähnlich dem Ihrigen. Und ich war nicht froh darüber. Es enthielt neben einem Brief meines Großvaters ein Tagebuch meines Vaters. Darin schreibt er von den Ereignissen auf einer Expedition durch die Wildnis Alaskas, an der er und sein Bruder vor sechsundzwanzig Jahren teilgenommen hatten. Dabei lernte er Henry kennen. Aber er verlor auch seinen Bruder auf mysteriöse Weise. Laut den Aufzeichnungen sind sie auf ein Dorf gestoßen. Die Bewohner zelebrierten ein seltsames Ritual. Sie riefen die Göttin Luruna an. … Ich weiß nicht einmal, was das für eine Göttin sein soll. … Weiter schildert er, dichter Nebel habe das Dorf umschlossen, woraufhin sich die Expeditionsteilnehmer zurückzogen, denn es war ihnen nicht geheuer. Nur mein Onkel, der wollte alles ganz genau verfolgen. … Kein Wunder, ich glaube, er hatte etwas mit Kulturwissenschaften studiert … Er ging tiefer in den Nebel hinein. Dann verschwand er. Spurlos. Auch spätere Suchtrupps konnten weder Spuren von ihm finden, noch die eines Dorfes. Den Aufzeichnungen waren diverse Fotografien beigefügt. … Als ich dann das Bild Ihres Vaters sah … Ich kenne ihn … Ich meine, er sieht aus, wie … wie der Bruder meines Vaters. Na ja und wie Sie dann sagten … Sebastian - In pia memoria - In liebevoller Erinnerung ... Mein Vater hieß Sebastian.“

Helena stieß hörbar die Luft aus.

Raidon musterte aufmerksam Charlotte.

Jetzt wurde auch Manuel wieder hellhörig.

Luruna? Tauchte dieser Name nicht bei Helenas Recherchen über eine Legende eines Volkes auf, welches eine Wolfsgöttin anbeteten? Damals wollte sie noch mit Georg und Amaranth nach einem gemeinsamen Ursprung für ihre Affinität zu Wölfen erforschen. Dann kam jedoch ihr Winzling dazwischen und irgendwie ergab sich keine Gelegenheit mehr dazu.

Manuel verfrachtete Helenas Sprössling in sein Laufgitter und setzte sich zu seinen Freunden. In seinem Kopf arbeitet es. Wenn das stimmt, was Charlotte da sagt, dann …

„Was wenn dein Vater in der Tat dieser verschollene Bruder ist? Wenn er seinen Namen geändert hat? Schau … Braun … Urban. Es sind die gleichen Buchstaben, in einer anderen Reihenfolge. Charlotte? Der Bruder Ihres Vaters hieß nicht zufällig … Thomas?“

Charlotte schnaufte überrascht. Beinahe vergaß sie, weiterzuatmen. Sie sah Manuel mit großen Augen an. „Woher …“

Helena schwieg. In Gedanken ließ sie ihr Leben Revue passieren. Konnte es tatsächlich so sein? Bisher war ihr ganzes Leben ungewöhnlich verlaufen. Ihre Mutter war angeblich bei ihrer Geburt gestorben und so hatte sie allein zusammen mit ihrem Vater gelebt, der nie irgendwo sesshaft geworden war. Stetig waren sie durch die Welt gereist und nie irgendwo länger als ein, zwei Jahre geblieben. Anfangs war es für Helena aufregend. Später fand sie selbst kaum noch Zugang zu anderen Kindern und Jugendlichen. Sie blieb eine Einzelgängerin, die sich Mangels sozialer Kontakte immer mehr in die Welt der Bücher flüchtete. Sie häufte im Laufe der Zeit ungeheures Wissen an und war intellektuell Gleichaltrigen weit überlegen. Ihre einzige richtige Bezugsperson war ihr Vater. Er vergötterte seine Tochter und tat alles für sie. Nur auf Fragen, warum sie so viel reisten; ob sie denn keine Verwandten hätten; wo denn ihre Heimat sei, antwortete er ausweichend mit … Später meine Kleine. Später erzähle ich dir davon. … Aber dazu war es nicht mehr gekommen. Eines Tages war er weg. Helena fand lediglich einen Abschiedsbrief, in welchem er schrieb:

… ich kann deine Mutter, die ich über alles geliebt habe und die noch immer in meinem Herzen lebt, niemals vergessen. Meine Kleine, ich weiß, ich habe dir immer erzählt, sie sei bei deiner Geburt gestorben, doch dem ist nicht so.Ich mache mich auf den Weg in ihre Heimat, um dort Ruhe und Frieden zu finden. Meine Kleine, für den Fall, dass es das Schicksal will und ich nicht zu-rückkehren sollte, habe ich Vorkehrungen getroffen, die all deine Fragen der vielen Jahre beantworten werden. Ich hoffe, du kannst mir verzeihen und behältst mich in liebender Erinnerung. Dein Paps.

Das war vor sieben Jahren. Dann lernte sie Manuel bei ihren Studien über eine Legende, die sich mit einem Volk aus einer Anderwelt beschäftigte, kennen. Kurze Zeit später trat Raidon und seine Welt in ihr Leben und alles schien nun perfekt. … Jetzt plötzlich tauchte diese Charlotte Braun auf und vermeinte, ihren Vater unter einem anderen Namen zu kennen. War ihre Vergangenheit alles nur eine Lüge?

In Helenas Schoß lag noch immer das Päckchen ihres Vaters, welches Charlotte ihr übergeben hatte. Sollte sie darin all die Antworten auf ihre Fragen finden?

„Schatz. Du wirst immer in meinem Herzen sein und ich in deinem Kopf. Es ist egal, wer du warst oder bist. Unsere Seelen haben sich gefunden und sind untrennbar miteinander verschmolzen. Wir stehen das gemeinsam durch und werden den Dingen auf den Grund gehen. Ich liebe dich“, flüsterte Raidon an Helenas Ohr und knabberte zärtlich daran.

Er wollte absichtlich nicht auf die intime Kommunikation seiner Spezies zurückgreifen. Sollten es ruhig alle hören. Egal was ans Tageslicht befördert wurde, sie würden damit fertig werden.

Manuel blickte zwischen den beiden Frauen hin und her und als Helena leicht den Kopf neigte, zog ein kleines Grinsen in sein Gesicht. Er liebte alles Knifflige und das nicht nur auf technischem Gebiet. Auch alles um Zahlen, Buchstaben und Wortspiele … Je komplizierter, um so besser.

Und genau das war es hier. Ein Spiel mit Buchstaben. Man verschob einfach die seines Namens, machte einen neuen daraus und nahm eine andere Identität an.

„Thomas … Eindeutig Matho mit dem S. … Matho kommt aus dem Indianischen und bedeutet übrigens 'Wald oder Wildnis'. Wobei wir wieder bei der Expedition wären, von der Charlotte erzählte. Damit schließt sich der Kreis.“

Allgemeines Schweigen folgte Manuels Theorie. Ein jeder suchte in Gedanken nach seiner persönlichen Antwort.

Meinst du es könnte so gewesen sein? Ich meine, dass dein Vater dieser Thomas Braun ist.“

Manuel, ich habe keine Ahnung. Stell dir doch nur mal vor. Vor sechsundzwanzig Jahren. Da muss er meine Mutter doch schon gekannt haben. Ich bin fünfundzwanzig … plus die Schwangerschaft. Wie soll das gehen, wenn er damals an dieser Expedition teilgenommen hat und angeblich verschollen ist?“

Du hast die Möglichkeit außer Acht gelassen, dass er deine Mutter in diesem Dorf kennengelernt hat. Wer weiß, was es mit diesem Ort auf sich hat. Es gibt zwischen Himmel und Erde Phänomene, die für Normalsterbliche unerklärbar sind. Oder hast du ernsthaft an unsere Existenz geglaubt? Und schau … Das Namensspiel, welches Manuel uns gezeigt hat, ist doch schlüssig. Oder wie viele Namen kennst du, bei denen das so funktioniert?“

Ach Schatz, ich kann es mir nicht vorstellen … oder ich will es auch gar nicht, aber außer dem Tagebuch von diesem Sebastian Braun haben wir keine Anhaltspunkte, was wirklich auf dieser Expedition vorgefallen war. Wenn es so gewesen ist … Warum haben sie ihn einfach zurückgelassen? Letztlich ist mein Vater doch wieder aufgetaucht. Warum hat er sich dann nicht bei seinem Bruder gemeldet? Warum hat er seinen Namen geändert? Warum war er ständig auf der Flucht? … Und so kann ich noch viele Warum anführen. Es ergibt alles keinen Sinn für mich.“

Nun, dann sollten wir Charlotte bitten, uns diese Unterlagen, Fotos und was auch immer, zu zeigen. Und dann haben wir ja auch noch das Päckchen von deinem Paps. Ihm wird doch sicherlich daran gelegen sein, dich über seine und deine Herkunft aufzuklären.“

Ja, du hast ja recht, Manuel. … Ähm … Aber mal was anderes. Wann und überhaupt … Willst du Charlotte erzählen, dass wir anders sind? Vor allem, dass sie deine Seelengefährtin ist?“

Was? Das glaub ich ja jetzt nicht. Unsereiner wartet tausend Jahre und dieser Jungspund … Nicht zu fassen. Keine dreihundert Jahre auf dem Buckel und schon eine Seelengefährtin. Das kostet ja was.“

Während sich die Freunde auf telepathischen Pfaden austauschten, hing Charlotte ihren eigenen Gedanken nach. Und diese bewegten sich in eine Richtung, die weder ihr selbst behagten, noch Helena Urban und den Männern gefallen würden.

Wenn es sich bei diesem Matho Urban tatsächlich um ihren verschollenen Onkel handeln sollte, dann war er ja wieder aufgetaucht. Warum hatte er sich dann nicht bei ihrem Vater gemeldet? Oder verhielt sich die Sache ganz anders? Aber wie?

Charlotte wollte auf jeden Fall den Aufzeichnungen ihres Vaters Glauben schenken. Die Männer hatten keine Chance, Thomas zurückzuholen.

Vielleicht konnte Thomas an diese Möglichkeit nicht glauben und dachte, sie hätten ihn absichtlich zurückgelassen? Was wenn er gewartet hatte, bis seine Tochter volljährig war und ist dann auf Rachefeldzug gegangen?

Er hat vor sieben Jahren das Päckchen für Helena in Auftrag gegeben. Ein Jahr später gab es den ersten mysteriösen Unglücksfall. Dann jedes Jahr einen weiteren. Sollte Thomas alias Matho etwas damit zu tun haben?

„Charlotte?“

Aus ihren Gedanken gerissen schrak Charlotte auf und sah in zwei braune Augen, in denen sie zu ertrinken drohte. Schnell zwinkerte sie ein paarmal und rutschte ein wenig von Manuel weg. Trotzdem konnte sie nicht verhindern, seinen würzig-holzigen Duft einzuatmen.

W ann hat der sich denn neben mich gesetzt. Oh Gott … der Geruch benebelt all meine Sinne.

Ein Kribbeln ging durch ihre Blutbahn und eine feine Gänsehaut lief ihr den Hals hinunter über den Rücken.

Hoffentlich werde ich jetzt nicht rot.

„Charlotte. Sie waren in Gedanken. Ich wollte Sie nicht erschrecken. … Geht es Ihnen gut? Ich meine, so nach all der Aufregung. … Hm … Wir möchten Sie um etwas bitten.“

Fragend schaute Charlotte in die Runde. Es schien den anderen nicht leicht zu fallen, diese Bitte zu äußern. Was konnten sie nur wollen?

„Wir wollten Sie fragen, ob Sie uns das Tagebuch Ihres Vaters zeigen könnten. … Und die Fotos. Nicht, dass wir Ihnen nicht glauben würden, aber … Na ja, wenn wir es mit eigenen Augen sehen …“

Manuel zog alle Register. Obwohl ihm nicht so ganz wohl war, sie um derartige private Dinge zu ersuchen, lächelte er sie gewinnbringend an und legte all seinen Charme in seine eh schon verführerischen Augen. Ein Wimpernschlag tat ein Letztes.

Charlotte konnte sich seinem Flair nicht entziehen. Ein Lächeln umspielte ihren Mund, dann schüttelte sie den Kopf. „Sie brauchen sich gar nicht so ins Zeug zu legen. An Ihrer Stelle hätte ich auch meine Zweifel, wenn mir jemand derartige Dinge erzählte. Sicher kann ich Ihnen die Unterlagen zeigen, doch dazu müsste ich nach Hause. Ich weiß ja noch nicht einmal, wo ich hier bin. Ich wurde einfach mal so … entführt. Allerdings kann ich mir eines der Fotos übers Handy schicken lassen. Fürs Erste.“

Helena erhob sich und trat zu Charlotte. Dabei warf sie Manuel einen vernichtenden Blick zu, so dass dieser gleich die Hände hob.

„Waas? Ich hab nichts gemacht? Ich hab Charlotte nur hergebracht.“

„Eben. Ohne nachzudenken. Rein ins Auto und los. Mensch, Manuel.“ Helena blies die Backen auf und verdrehte die Augen. Dann zog sie Charlotte aus den Polstern und hakte sich bei ihr unter. „Kommen Sie mit. Wir gehen jetzt den Junior versorgen, machen uns frisch und dabei können wir zwei über alles reden.“

Ohne auf eine Reaktion von Charlotte zu warten, schob sie diese vor sich her aus dem Zimmer hinaus.

Zurück blieben zwei verdutzt dreinschauende Männer.

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