Читать книгу Auswahlband 11 Top-Krimis Herbst 2018 - Thriller Spannung auf 1378 Seiten - A. F. Morland - Страница 24
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ОглавлениеWie mit flüssigem Silber übergossen schnurrte das Band der Straße unter dem Dodge weg. Der Wagen donnerte am Maschendrahtzaun einer Straßenbaufirma entlang, hinter dem gelbe Ungetüme in Reih und Glied standen, hell angestrahlt von starken Scheinwerfern. Roberto erkannte einen Wächter, der einen deutschen Schäferhund an der Leine führte.
Die erste Tankstelle glitt vorbei. Die bonbonfarbenen Girlanden über den Zapfsäulen täuschten Leben vor, doch hier am Rand der Wüste waren des Nachts keine Geschäfte zu machen.
Roberto verließ die Durchgangsstraße, über die bald die Streifenwagen der State Police und des County Sheriffs heulen würden. Roberto hoffte zwar, dass der Stromausfall des Streifenwagens auch das Funkgerät lahmgelegt hatte, aber er wusste, dass er nur mit einer knappen Galgenfrist rechnen konnte, bis die Jagd auf ihn losging. Mit dem Ramcharger und dem verletzten Gangster an seiner Seite hatte er in dieser kleinen Stadt nicht die geringste Chance.
Er folgte den Wegweisern zu einem Einkaufszentrum. Vielleicht gab es dort Bars und Geschäfte, die rund um die Uhr geöffnet hatten. Vielleicht konnte er dort seine Spur verwischen.
Die weitläufige Anlage war hell erleuchtet, doch Roberto erkannte sofort, dass außer der Tankstelle, einer Snackbar und einem Supermarkt alle Läden geschlossen waren. Nur vor dem Supermarket parkten ein paar Wagen, während die Parktaschen in der Umgebung der Bar von mehreren schweren Motorrädern eingenommen wurden.
Roberto lenkte den Wagen hinter die Tankstelle und stoppte dann bei einem Reifenlager im Schutz einer hohen Mauer. Er stellte den Motor und die Scheinwerfer ab und peilte zur Tankstelle hinüber. Die Jungs vom Büro des County Sheriff würden zuerst die geöffneten Tankstellen abklappern, wenn sie nach dem Dodge und dessen Fahrer zu suchen begannen.
Roberto untersuchte den verletzten Killer. Der Mann schlief, vielleicht war er auch bewusstlos. Sein Körper zuckte unkontrolliert, die Stirn war feucht und kalt.
Roberto stieg aus. Er löste den Gurt, der den Gangster in aufrechter Position hielt, dann zog er den Mann herüber und schnallte ihn auf dem Fahrersitz fest. Adam Petrie sackte nach vorn, seine Schulter berührte fast das Lenkrad. Roberto zog den Gurt etwas strammer und legte die linke Hand des Gangsters auf das Rad. Er warf die Tür zu und hob seinen Koffer von der Ladefläche, dann lief er zu einer Telefonkabine am anderen Ende des Platzes. Er stopfte einen Dime in den Schlitz und wählte die Notrufnummer, die neben dem Apparat angeschlagen war. Sofort meldete sich eine etwas barsche männliche Stimme.
„County Sheriff, Deputy Oliver. Was wünschen Sie?“
„Dass Sie mir einen Augenblick zuhören, ohne mich mit Fragen zu unterbrechen. Einer Ihrer Streifenwagen liegt etwa acht Meilen südlich von hier im Graben ...“
„Hören Sie, nennen Sie mir Ihren Namen und …“
„Auf dem Parkplatz des Einkaufszentrums steht ein ziemlich mitgenommener Dodge Ramcharger. Der Mann am Steuer ist verletzt. Schicken Sie am besten gleich einen Krankenwagen und einen Arzt. Hinten auf der Lagefläche liegen einige Waffen.“ Roberto legte einfach auf und ging davon.
Er steuerte eine unbeleuchtete Seitenstraße an. Schneller als erwartet sah er den zuckenden Schein eines kreisenden Dachlichts näherkommen. Er presste sich in den Schatten eines Hauseingangs.
Leise wie ein Puma glitt ein Streifenwagen über das Gelände des Einkaufszentrums. Der Wagen beschrieb eine Runde, um dann auf die Stelle zuzuhalten, wo Roberto Tardelli den Dodge Ramcharger abgestellt hatte.
Die Deputys würden sich zunächst einmal mit Adam Petrie beschäftigen. Vielleicht würden sie sogar für einige Zeit überzeugt sein, den Mann erwischt zu haben, der draußen auf der Landstraße den Streifenwagen abgedrängt hatte. Vielleicht bekam Roberto dadurch die Zeit, unbemerkt aus der Stadt zu verschwinden.
Er ging zur Durchgangsstraße zurück, weil er sich von dort aus am besten orientieren konnte. In Richtung Stadtmitte entdeckte er einen großen beleuchteten Platz. Zwei Greyhounds standen abfahrbereit vorm Abfertigungsgebäude. Neben einem der Busse stapelten sich Koffer und Kartons.
Roberto verwandelte sich erneut in einen Schatten. Er spähte zu den Bussen hinüber, während er Pläne entwarf und seine Chancen abwog. Dann entschied er sich gegen eine Fortsetzung seiner Reise mit dem Bus. Wenn die Deputys erkannten, dass es einen zweiten Mann geben musste, der einen der ihren reingelegt hatte, würden sie die Greyhounds von der Highway Police anhalten und jeden Fahrgast überprüfen lassen, der in Xavier zugestiegen war.
Die Straße nach Westen führte in die Indianer Reservation. Es gab mehrere Tankstellen und Autowerkstätten, die alle geschlossen waren. Roberto sah sich aufmerksam um. Er entschied sich für eine kleine Tankstelle mit einem angeschlossenen flachen Wohngebäude hinter dem Werkstattschuppen. Vor dem Schuppen stand ein verbeulter Chevrolet, der schon ziemlich alt sein musste, aber die Reifen waren in Ordnung. Vielleicht hatte der Besitzer dieses Altertums auch die Maschine gepflegt.
Roberto ging um das kleine Wohnhaus herum. Es gab noch eine Seitentür, neben der sich leere Getränkekisten stapelten. Roberto hämmerte gegen die Tür.
Hinter einem schmutzigen Fenster entstand eine Bewegung. Roberto machte einen Schritt zur Seite, so dass er vom Licht einer Lampe erfasst wurde. Er hielt die rechte Hand hoch. Zwischen den Fingern hielt er einen Fünfzig Dollar Schein.
„Ich möchte mit Ihnen reden“, sagte Roberto halblaut. Er hielt die linke Hand so, dass der Mann sie sehen konnte.
Der Besitzer der Tankstelle schob das Fenster in die Höhe. Roberto sah ein fleischiges, glänzendes Gesicht mit kleinen dunklen Augen. Über den weißen Zähnen wucherte ein schwarzer Schnurrbart. Der Mann trug nur ein schmuddeliges Unterhemd, das kräftige runde Schultern freiließ.
„Was wollen Sie von mir, Señor?“, fragte der Mann mit dunkler, unsicherer Stimme.
„Ich brauche jemanden, der mich ein Stück fährt und keine Fragen stellt.“
„Ein Stück fährt? Wohin, Señor? In einer Stunde muss ich die Tankstelle öffnen!“
„Ich muss nach Tucson, nicht weiter. In einer Stunde sind Sie längst zurück“, sagte Roberto. In Tucson, wusste er, gab es zwei größere und mehrere kleinere Flugplätze.
„Jetzt?“
„Ja, jetzt sofort.“ Roberto sah in die glitzernden Augen hinter den fleischigen Wülsten. Dann machte er einen langsamen Schritt auf das Fenster zu und streckte die Hand mit dem Geldschein aus.
Der Mexikaner schnappte die Note und hielt sie an seine Augen.
„Das sind ja fünfzig Dollar!“, rief er atemlos.
„Yeah, und Sie bekommen nochmal fünfzig, wenn Sie mich in Tucson absetzen. Beeilen Sie sich.“
„Si, Señor, sofort, Señor, ich komme.“
Das Fenster fiel herab, und hinter der nahezu blinden Scheibe leuchtete eine Birne auf.
Zwei Minuten später warf Roberto seinen Koffer hinten in den Chevy und stieg zu dem dicken Mexikaner in den Wagen. Der Mann hieß Andres Verdugo. Er war ein As am Steuer, und er kannte sich in Tucson aus. Er kannte sogar einen Piloten, der ein eigenes Sportflugzeug besaß und der es, ohne Fragen zu stellen, vercharterte.
Roberto lächelte erleichtert. In Andres Verdugo hatte er den richtigen Griff getan.
„Okay, Andres“, sagte er. „Fahren Sie mich zu dem Piloten.“ Er lehnte sich zurück und schloss die Augen. Ganz plötzlich wurde ihm bewusst, wie müde und erschöpft er war.