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An diese ungefähr zwei Jahre zurückliegenden Ereignisse wurde Bount Reiniger erinnert, als er den Brief las, den ihm June March auf den Schreibtisch gelegt hatte.

Es handelte sich um ein Schreiben, das in Bangkok aufgegeben worden war. Der Absender war ein Notar mit unaussprechlichem Namen. Er setzte Bount mit dem Ausdruck größten Bedauerns über das Ableben des Mr. Shao Ch’eng in Kenntnis.

'Er wurde in der Nacht zum 13. Februar auf offener Straße erschossen', hieß es da. 'Er war auf der Stelle tot.'

Das allein war aber nicht der Grund, warum der Rechtsbeistand des alten Halunken sich mit dem Detektiv im weit entfernten Kontinent in Verbindung gesetzt hatte.

„Er hat mich in seinem Testament bedacht“, murmelte Bount überrascht und griff nach der Kaffeetasse. „Ausgerechnet mir vermacht der Gauner umgerechnet rund achtzigtausend US-Dollar. Kannst du das begreifen?“

„Dieser Phra Kwan Ho schreibt, dass sein Mandant die Ansicht vertrat, nur durch dein Eingreifen gezwungen worden zu sein, auf den geraden Weg der Gesetzlichkeit zurückzukehren. Dafür sei er dir außerordentlich dankbar gewesen. Außerdem habe er dich als einen absolut zuverlässigen und vor allem unerschrockenen Mann kennengelernt. Nur einem solchen wollte er das Schicksal seiner Tochter anvertrauen“, ergänzte June.

„Ich lese es gerade“, antwortete Bount kopfschüttelnd. „Das macht es mir aber nicht leichter, es zu verstehen. Ich erinnere mich an Shao Ch’eng als ein ausgekochtes Schlitzohr, das mit allen Wassern gewaschen war. Sein absolutes Meisterstück lieferte er bei seiner Flucht. Dass er seitdem New York unbehelligt ließ, bedeutete für mich noch längst nicht, dass er sich zum braven Bürger gewandelt hatte.“

„Und doch scheint es so gewesen zu sein, Bount. Die Seele des Chinesen bleibt eben unerforschbar. Vielleicht spielte auch seine Tochter bei dieser positiven Veränderung eine ausschlaggebende Rolle.“

„Ich wusste nicht einmal, dass er eine Tochter hatte.“

„Das lag daran, weil Myang in Thailand geboren und auch dort aufgezogen wurde. Phra Kwan Ho lässt offen, ob Shao Ch’eng mit der Mutter seines Kindes verheiratet war. Er erwähnt nur, dass sie nicht mehr lebt und dass Myang nach dem Willen des Verstorbenen in New York studieren soll.“

„Ja, und darum soll ich mich nun kümmern. Myang ist zwanzig. Findest du, dass ich mich als Gouvernante für eine Zwanzigjährige eigne?“ June lächelte vielsagend. „Ich kann nur hoffen, dass Myang dir in Karate überlegen ist, damit sie sich ihrer Haut wehren kann.“

„Na, höre mal!“, empörte sich Bount. „Ich dachte eher daran, dass so eine junge Dame mancherlei Probleme mit sich bringt.“

„Hast du dir etwa eingebildet, die Achtzigtaugend völlig ohne Gegenleistung zu erhalten?“

„Was heißt ohne Gegenleistung? Schließlich soll ich auch noch Shao Ch’engs Elefantensammlung sicher herüberbringen und bis zu Myangs 21. Geburtstag bewahren. Die Porzellantierchen stammen noch aus der Tang-Dynastie und sind bestimmt ein Vermögen wert.“

„Da kannst du mal sehen, wie groß das Vertrauen des Chinesen zu dir gewesen sein muss nach allem, was du ihm angetan hast. Seinem ärgsten Gegner nicht nur sein Erspartes, sondern auch noch die heiratsfähige Tochter auszuhändigen ist ein Zeichen außerordentlicher Wertschätzung.“

„Ich weiß ja nicht einmal, ob das Mädchen unsere Sprache spricht“, gab Bount zu bedenken.

June winkte ab. „Würde Shao Ch’eng sie sonst bei uns studieren lassen? In Thailand gilt Englisch als Handelssprache. Ich finde, leichter hast du noch nie dein Honorar verdient. Du fliegst nach Bangkok und nimmst das China-Girl und die Rüsseltiere in Empfang. Bis ihr wieder zurückkommt, habe ich ein Apartment für die Dame besorgt. Die Sammlung wird bei einer Bank deponiert. Einmal wöchentlich rufst du bei Myang an und erkundigst dich, ob es ihr gut geht. Das ist schon alles.“

„Hört sich ganz simpel an“, gab Bount zu. „Für meinen Geschmack zu simpel. An den Gedanken an Shao Ch’eng als Wohltäter muss ich mich erst noch gewöhnen. Wer sagt mir, dass er die Porzellanbiester nicht gestohlen hat?“

„Das lässt sich bestimmt in Erfahrung bringen. Außerdem hätte er sie dann nicht ausgerechnet dir anvertraut. Es ergibt auch keinen Sinn, dass er seiner Tochter den Erlös der Beute bis zum Jahresende vorenthält. Zu diesem Zeitpunkt enden übrigens auch deine Verpflichtungen Myang gegenüber. Meiner Meinung nach kannst du froh und stolz sein, Bount. Träumst du nicht immer davon, die Gangster nicht nur zur Strecke zu bringen, sondern sie vor allem auch von ihrem Unrecht zu überzeugen? Shao Ch’eng schien begriffen zu haben, dass er für dieses Geschäft zu alt wurde. Ich kann mir vorstellen, dass seine Tochter keine Ahnung hat, dass er bei uns eine fragwürdige Rolle spielte.“

„Darüber schreibt Phra Kwan Ho leider nichts. Ich muss diesen Punkt noch unbedingt klären. Immerhin wurde Shao Ch’eng erschossen.“

„Das muss in Bangkok genauso wenig wie hier bei uns bedeuten, dass das Opfer selbst ein Gangster war. Soll ich ein Gespräch mit dem Notar anmelden? Ich nehme an, du wirst vor deinem Abflug noch mit ihm sprechen wollen.“

„Das habe ich allerdings vor“, bestätigte Bount. „Aber vergiss nicht den Zeitunterschied. Ich möchte Phra Kwan Ho nicht ohne zwingenden Grund aus dem Bett holen. Ich werde es heute Abend versuchen.“

Im Laufe der nächsten Stunden versuchte Bount, noch möglichst viel aufzuarbeiten. Er fürchtete, in den folgenden Tagen nicht dazu zu kommen.

Mörder-Paket Juli 2020: 10 Krimis für den Strand: Sammelband 9015

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