Читать книгу Auswahlband Krimi Winter 2020 - A. F. Morland - Страница 67
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ОглавлениеWir fuhren mit Rotlicht Richtung Norden in die South Bronx. Unser Ziel war das Hotel Chapman, einen achtstöckigen Sandsteinbau, der seine besten Jahre in den Zwanzigern gehabt haben musste. Jetzt war es ein heruntergekommenen Stundenhotel. Man konnte die Zimmer stundenweise mieten und es war ein offenes Geheimnis, dass es sich eigentlich um ein Bordell handelte. Sein Besitzer war Logan Alvarez, der früher eine ganze Reihe ähnlicher Objekte in der Bowery besessen hatte, dann aber in Guiliani-Jahren dort vertrieben worden war.
Das unter den Opfern des Aschenbecher-Killers Prostituierte waren, war mir bewusst.
Aber das Opfer, das wir vorfanden, als wir Zimmer 409 betraten, war keineswegs eine Prostituierte, sondern jemand, den wir nur allzu gut kannten.
„Tamara Jordan“, murmelte ich, als ich sie auf dem Bett liegen sah.
Die Schuhe waren wieder sorgfältig nebeneinander abgestellt. Turnschuhe. Entgegen ihrem ansonsten eher konservativen Business-Outfit trug sie Jeans und T-Shirt. Ein Blouson war sorgfältig über eine Stuhllehne gehängt.
Dr. Schmitt erwartete uns bereits. Der Gerichtsmediziner Dr. Brent Claus und einige seiner Kollegen von der Scientific Research Division waren ebenfalls bereits bei der Arbeit und suchten eifrig nach Spuren.
Außerdem war da noch Lieutenant Alicia McNeill, eine Beamtin der Homicide Squad des zuständigen Polizeireviers, die wohl vom Betreiber des Hotels als erste verständigt worden waren.
„Es sieht alles genauso aus wie bei Hoffman“, sage ich.
„Ja, aber der Unterschied ist, dass man Tamara Jordan wieder angekleidet hat“, sagte Schmitt. „So wie bei den anderen weiblichen Opfern der Serie. Die Blutergüsse im Hüftbereich sind typisch. Es muss für den Täter ziemlich schwierig gewesen sein, ihr diese enge Jeans wieder über die Hüften zu ziehen.“
„Das heißt, er hat sich an ihr vergangen?“ Milos Worte waren keine echte Frage.
Dr. Schmitt nickte. „Ja“, sagte er tonlos. „Er ist in jedem Detail so vorgegangen, wie wir es von dem Aschenbecher-Killer kennen. Das bedeutet wohl, dass Darren W. Hoffman nicht sein New Yorker Opfer war. Jedenfalls nicht in der privaten Zählung, die dieser Unbekannte verwendet…“ Schmitt schwieg. Sein Blick wirkte in sich gekehrt. Auf seiner Stirn erschien eine tiefe Furche. Es schien ihn unglaublich zu wurmen, dieses Phantom immer noch nicht dingfest gemacht zu haben.
Bei der Tatzeit legte sich Brent Claus auf die letzte Nacht fest. Wir sprachen mit dem Portier, der zu dieser Zeit Dienst gehabt hatte.
„Hören Sie, ich schau mir weniger die Leute an, die hier ein Zimmer mieten, als vielmehr die Geldscheine, die sie mir anzudrehen versuchen“, sagte der Mann, ein Mittvierziger mit hoher Stirn und breiten Schultern. Die Glatzenbildung war bei ihm schon ziemlich weit fortgeschritten. Abgesehen von einem dunklen Haarkranz war ihm auch noch eine Haarinsel geblieben, die sich genau am höchsten Punkt seiner Schädeldecke befand und die Haare wirkten so, als wären sie elektrisch aufgeladen. Sein Name war Sandro Fuller. Später fanden wir ein umfangreiches Dossier unter diesem Namen über das Datenverbundsystem NYSIS. Er wurde dort in der Rubrik Criminal geführt, hatte mehrere Verurteilungen wegen Körperverletzung und Förderung der im Staat New York strafbaren Prostitution, aber in den letzten Jahren war er strafrechtlich sauber geblieben.
„Hören Sie, es geht uns nicht darum, Ihnen irgendwelche Schwierigkeiten zu machen“, sage ich. „Und wir gehören auch nicht zur Vice-Abteilung des hiesigen Polizeireviers…“
„Seltsam… Und woher kenne ich dann diesen weiblichen Lieutenant, der hier ein und ausgeht?“
„Lieutenant McNeill arbeitet in der Homicide Squad“, sagte Milo.
„Aber das kann noch nicht lange der Fall sein. Letztes Jahr hat es hier eine Razzia gegeben, und da war sie definitiv dabei.“
Jetzt mischte sich gar Schmitt ein, der unbedingt bei der Befragung des Portiers dabei sein wollte. „Es geht um einen Serienkiller, Mister Fuller. Sie brauchen uns nichts vorzumachen, jeder weiß was hier geschieht – und Sie haben natürlich genauso wenig damit zu tun, was in den Zimmern geschieht wie Ihr Boss.“
„Sie nehmen mir die Worte direkt aus dem Mund, Sir!“, sagte Fuller.
„Aber reden wir mal Klartext: Sie müssten genauso froh darüber sein, wenn so eine Bestie aus dem Verkehr gezogen wird wie wir. So lange der Kerl frei herumläuft, bringt er doch nur Unruhe in das Geschäft, mit dem Sie nichts zu tun haben.“
Sandro Fuller schluckte. „Okay… Der Kerl, der das Zimmer gemietet hat, war schon ein seltsamer Typ. Trug Autofahrerhandschuhe. Er musste einen Augenblick hier warten, weil ich gerade jemanden am Telefon hatte. Der Mann hat sich die Handschuhe dreimal ausgezogen, sich gejuckt und sie wieder angezogen. Ich hatte schon Bedenken, ihm überhaupt ein Zimmer zu geben. Krätze ist schließlich ansteckend.“
„Er kam also allein“, stellte ich fest.
„Ja.“
„Wissen Sie noch, wann das war?“
„Irgendwann nach 22.00 Uhr.“
„Woher wissen Sie das so genau?“
„Ich habe drüben in einem Raum einen Fernseher. Da sehe ich mir die Lokalnachrichten auf NY-TV ONE an – und die sind genau um 22.00 Uhr zu Ende. Aber der Typ kam später.“
„Und wann kam die Frau?“
„Etwa eine Dreiviertelstunde danach. Mir ist gleich aufgefallen, dass sie überhaupt nicht hier hin passte.“
Er gab uns eine Beschreibung des Mannes, die aber ziemlich vage war. Grauer Dreiteiler, unscheinbar. Der Täter, mit dem wir es zu tun hatten, war offenbar jemand ohne Ecken und Kanten. Jemand wie Jonathan Morane. Aber auch wie viele andere.
Plötzlich kann mir ein Gedanke. „Sie erwähnen gerade, dass der Kerl seine Handschuhe ausgezogen hat, während Sie telefoniert haben.“
„Ja. Und bevor Sie mir noch ein paar Löcher in den Bauch fragen, sage ich Ihnen gleich, dass ich Ihnen nicht sagen werde, mit wem ich telefoniert habe. Es geht um eine heiße Braut, die ich gerade erst kennen gelernt habe, und wenn ich dazu beitrage, dass sie mit der Polizei zu tun bekommt, dann kann ich die vergessen…“
Wahrscheinlich eine Illegale, dachte ich. Aber von uns aus konnte Sandro Fuller das gerne für sich behalten. Mir ging es um etwas anderes.
„Hat der Mann den Tresen berührt?“
„Weiß ich nicht mehr.“
„Versuchen Sie sich zu erinnern!“
„Meine Güte, er wurde etwas ungeduldig. Ich glaube ja, er hatte die Handschuhe ausgezogen, tickte dann so laut auf dem Tresen herum. Immer mit den Fingernägeln! Das war ein ganz unangenehmes Geräusch, ich konnte mich kaum noch auf das Telefongespräch konzentrieren.“
„Fassen Sie hier nichts mehr an“, wies ich ihn an.
Im nächsten Moment erntete ich ein paar fragende Blicke – sowohl von Fuller als auch von Milo und Dr. Schmitt.
„Am Tatort brauchen wir weder nach Fingerabdrücken noch sonst welchen Spuren suchen“, sagte ich. „Unser Täter ist extrem reinlich. Falls nicht irgendetwas daneben geht, so wie bei Hoffman, als er gekratzt wurde, hinterlässt er nichts. Aber hier am Tresen war er vielleicht unvorsichtiger.“