Читать книгу Auswahlband Krimi Winter 2020 - A. F. Morland - Страница 68
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ОглавлениеEs fanden sich tatsächlich Fingerabdrücke am Tresen – was an sich nicht weiter verwunderlich war. Insgesamt wurden Abdrücke von sechs verschiedenen Personen gesichert.
Später, nachdem wir zur Federal Plaza zurückgekehrt waren, ließen wir sie durch AIDS, das Automated Identification System, überprüfen. Dort sind die Fingerabdrücke von mehreren hundert Millionen Amerikanern gespeichert – Lebenden und Toten. Kriminelle, denen bei einer erkennungsdienstlichen Behandlung Fingerabdrücke abgenommen wurden sind ebenso dabei wie Bewerber für die Army, den öffentlichen Dienst oder im Gesundheitswesen.
Wenn Gary Schmitts Annahmen über den beruflichen Werdegang des Aschenbecher-Killers den Tatsachen entsprachen und er Abdrücke auf dem Tresen hinterlassen hatte, kamen wir vielleicht zu einem Treffer.
Wir warteten gespannt ab.
Das Ergebnis überraschte mich kaum noch.
„Jonathan Allan Morane“, las Schmitt vor, als auf dem Schirm ein Dossier erschien. „Er hat sich vor vielen Jahren tatsächlich bei der Army gemeldet und eine Ausbildung zum Sanitäter absolviert!“
„Er hat sich den Frauen gegenüber offenbar mit seinem zweiten Vornamen vorgestellt“, sagte Milo. „Sie hatten recht mit Ihrer Einschätzung, Dr. Schmitt! Er ist so korrekt, dass er nicht einmal einen falschen Namen benutzte…“
„Warum sollte er auch?“, erwiderte Schmitt. „Schließlich wusste er doch, dass seine Partnerinnen das jeweilige Rendezvous nicht überleben würden.“
„Die Frage bleibt trotzdem, weshalb er Hoffman getötet hat“, meinte Milo.
„Zunächst sollten wir zusehen, dass wir ihn finden“, meinte ich.
Wenig später saßen Milo und ich wieder im Sportwagen und waren zu Steuerbüro Markham, Donelli & Partners unterwegs.
Schmitt folgte uns in einem Chevy. In einem weiteren Fahrzeug unserer Fahrbereitschaft befanden sich unsere Kollegen Jay Kronburg und Leslie Morell. Wir wusste ja nicht, wie Morane reagieren würde, wenn wir uns anschickten, ihn zu verhaften.
Selbst Schmitt konnte uns da nicht weiterhelfen. Er meinte zwar, dass Morane eigentlich jemand sei, der nicht zu spontaner Gewalt neigte, sondern zu geplanten, bis ins Kleinste überlegten Taten, bei denen nichts dem Zufall überlassen wurde. Aber trotzdem hätte ich keine Vorhersage darüber gewagt, ob er nicht vielleicht doch in Panik reagierte.
Wir trafen ohne vorherige Vorankündung bei dem Gebäude ein, in dessen komplettem Erdgeschoss sich die Büroräume von Markham, Donelli & Partners befanden.
Eine junge Frau im eng anliegenden Business-Kostüm öffnete uns. Wir hielten ihr unsere ID-Cards entgegen. Jay und Leslie postierten sich derweil an den beiden Gebäudeausgängen, während Milo und ich zusammen mit Gary Schmitt den Bürotrakt betraten.
„Mister Markham ist gerade in einer Besprechung und Mister Donelli…“
„Eigentlich sind wir auf der Suche nach Mister Morane“, sagte ich.
„Mister Morane ist nicht im Büro“, sagte die junge Frau. „Mein Name ist übrigens Isabel Tinsdale. Und wenn Sie wollen, kann ich Ihnen einen Kaffee anbieten und…“
„Dazu haben wir leider nicht die Zeit“, erwiderte ich. „Wo befindet sich Mister Morane im Augenblick?“
Isabel Tinsdale druckste etwas herum. „Ich bin mir nicht sicher, ob ich autorisiert bin, Ihnen darüber Auskunft zu geben. Ehrlich gesagt, würde ich da doch lieber erst Rücksprache halten.“
„Dann tun Sie das. Und zwar möglichst schnell, denn wir würden hier nicht mit dieser Dringlichkeit auftreten, wenn es nicht wirklich wichtig wäre!“
„Genauer gesagt haben wir einen Haftbefehl für Mister Morane und wenn Sie uns hier unangemessen hinhalten, machen Sie sich unter Umständen der Behinderung der Justiz schuldig“, ergänzte Milo. „Davon abgesehen haben wir einen Durchsuchungsbefehl für Mister Moranes Arbeitsplatz.“
Isabel Tinsdale errötete leicht. „Einen Moment“, sagte sie kühl und verschwand hinter einem der Bürotüren.
Die Meetings von Markham und Donelli waren wohl doch nicht so wichtig, wie es erst geheißen hatte, denn plötzlich hatten beide Senior Chefs des Steuerbüros für uns Zeit.
Während Milo und Gary Schmitt sich den Arbeitsplatz vornahmen, ging ich mit Markham und Donelli in einen Nebenraum. Eine Anwältin wurde noch hinzu gerufen. Ihr Name war Brenda Sullivan und sie hatte feuerrotes Haar, das sie zu einem strengen Knoten gebunden hatte.
„Wir möchten uns gerne etwas absichern“, erklärte Markham. „Sie wissen ja wie das ist. Im Handumdrehen wird einem irgendein juristischer Strick geknüpft.“
„Nein, ehrlich gesagt kann ich das nicht nachvollziehen, denn Ihr Steuerbüro wird ja nicht beschuldigt. Ich habe einfach nur ein paar Fragen, die sich normalerweise auch leicht beantworten lassen. Die erste betrifft Mister Moranes jetzigen Aufenthaltsort.“
Markham und Donelli blickten zu ihrer Anwältin. Brenda Sullivan nickte schließlich.
„Er hat zwei Tage Urlaub genommen“, sagte Markham schließlich. „Ich nehme also an, dass er zu Hause ist.“
„Wo wohnt er? Wir haben keine Adresse von ihm. Und zumindest hier in New York hat sich auch keine Adresse von ihm ermitteln lassen.“
Jetzt ergriff Donelli das Wort. „Mister Morane war Dauergast im Hotel Panhaligon in Greenwich Village. So gesehen hatte er keinen festen Wohnsitz.“
Ich griff zum Handy und telefonierte mit unserem Field Office. Clive und Orry würden sich umgehend mit paar weiteren G-men zum Hotel Panhaligon aufmachen, um Morane dort festzunehmen, falls sie ihn dort antrafen.
Morane gehörte zu schätzungsweise ein paar zehntausend New Yorkern, die sich dauerhaft in einem Hotel eingemietet hatten. Bei den meisten war das eine Notmaßnahme. Sie hausten in heruntergekommenen Absteigen, an denen die Touristenströme vorbeigingen. Menschen, die sich auf dem New Yorker Wohnungsmarkt keine Bleibe leisten konnten, aber aus irgendeinem Grund gezwungen waren, in der Stadt zu bleiben. Aber auf Morane traf da ganz sicher nicht zu. Er hatte in seinem Job einen Verdienst, von dem ein G-man nur träumen konnte und das Panhaligon Hotel war eine gute Adresse. Wahrscheinlich wollte Morane einfach nur nach seinem Job in eine Umgebung kommen, die penibel in Ordnung gehalten wurde. Und so passte der Umstand, dass er im Hotel wohnte irgendwie in das Bild, das wir uns inzwischen von seiner Persönlichkeit gemacht hatten.
„Was genau wird Mister Morane vorgeworfen?“, fragte nun Brenda Sullivan. „Und auf welchen Beweisen fußen diese Anschuldigungen?“
„Sie sind nur die Anwältin dieses Steuerbüros, aber Sie haben kein Mandat für Mister Morane“, sagte ich. „Aber ich will Ihnen trotzdem ein paar Dinge dazu sagen. Wir glauben, dass Morane der Mörder von Darren W. Hoffman ist. Davon abgesehen hat er eine Reihe von Frauen in New York, Chicago, Philadelphia und Washington umgebracht. Einzelheiten werde ich Ihnen dazu nicht nennen, aber wir brauchen sämtliche Termine, die Morane in diesen Städten hatte.“
„Mister Morane betreut seit langem ein paar sehr gute Kunden in…“ Donelli stockte.
„In genau diesen Städten“, stellte ich fest.
„Ja. Er macht nicht nur Steuerklärungen, sondern auch die Buchhaltung und ein externes Controlling, das diese Firmen – allesamt wichtige Großkunden – bei uns gebucht haben. Wenn sich tatsächlich herausstellen sollte, dass Ihre Anschuldigungen zutreffen, wäre das für uns ziemlich unangenehm.“
„Er ist gut in seinem Job, nehme ich an.“
„Eine Spitzenkraft mit fotografischem Gedächtnis für Zahlen. Ich habe kaum jemanden erlebt, der die gleiche Gewissenhaftigkeit an den Tag legte.“ Donelli schüttelte den Kopf. „Ein höflicher, sehr zurückhaltender Mann, der im Umgang mit Kunden eher schüchtern wirkte – ehrlich gesagt kann ich mir nicht vorstellen, dass dieser Mensch ein Mörder sein soll!“
„Es geht uns darum, die Wahrheit herauszufinden, Mister Donelli. Und es wäre nicht das erste Mal, dass sich nahe Bekannte nicht vorzustellen vermögen, wozu jemand fähig ist, den sie gut zu kennen glaubten…“
„Trotzdem… Allerdings ist mir aufgefallen, dass er in letzter Zeit gereizt wirkte. Die Kratzerei an seinen Händen wurde schlimmer. Er hat manchmal die Handschuh innerhalb von zehn Minuten dreimal abgestreift und wieder angezogen und wirkte völlig zerfahren.“
„Haben Sie irgendeine Erklärung dafür?“
„Nein. Er war immer sehr zurückgezogen. Dass er Probleme mit der Haut hatte, ließ sich ja nicht verbergen. Aber es war ja nichts Ansteckendes…“