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Es war einer dieser leider viel zu seltenen, angenehmen, geruhsamen Sonntagnachmittage. Im Hause Härtling herrschte wohltuende Stille.

Die Kinder waren nicht daheim. Jana Härtling blätterte in einem Modejournal, Sören Härtling las die Sonntagszeitung, und Ottilie, die Wirtschafterin, werkte in der Küche. Bald würde sie den Kaffee servieren. Sein verlockender Duft zog sich bereits bis ins Wohnzimmer, das erfüllt war von den leisen Klängen klassischer Musik: „Impromptu in B-Dur” von Schubert. Davor war der „Ungarische Tanz Nr. 3“ von Brahms zu hören gewesen. Und nach Schubert würde das „Präludium Nr. 1” von Bach erklingen. Sören Härtling kannte die Reihenfolge. Er hatte die CD schon x-mal gehört, und es war immer wieder ein Ohrenschmaus für ihn, sie sich zu Gemüte zu führen.

Ein Regenschauer war noch vor einer Stunde über München niedergegangen. Jetzt schien wieder die Sonne, und die Wassertropfen funkelten draußen im Garten wie kunstvoll geschliffene Diamanten an Blättern und Zweigen.

„Darf ich dich stören?“, fragte Jana Härtling.

„Aber natürlich, Schatz.“ Sören ließ die Zeitung sinken.

Jana stand auf und setzte sich neben ihn. Sie legte ihm das aufgeschlagene Journal in den Schoß. „Was hältst du von diesem Kostüm?“

„Es ist sehr hübsch.“

„Meinst du, es würde mir stehen?”, fragte Jana.

„Du siehst selbst in einem Kartoffelsack hinreißend aus.”

„Deine Schwester Trixi gibt doch demnächst eine Gartenparty”, sagte Jana.

„Ja. Und?”, gab Sören Härtling zurück.

„Du hast hoffentlich nicht die Absicht, mir vorzuschlagen, da in einem Kartoffelsack zu erscheinen.”

Sören schmunzelte. „Nachtigall, ick hör dir trapsen.”

„Ich war schon zweimal mit demselben Kostüm auf Trixis Gartenparty. Wenn ich es noch mal anziehe, werden alle denken, die Frau des bekannten Klinikchefs Doktor Sören Härtling hat zu Hause einen leeren Kleiderschrank stehen.”

„Und das wollen wir natürlich nicht”, meinte Sören belustigt.

„Man kommt sehr schnell ins Gerede.“ Jana verzog keine Miene bei ihren Worten.

„Es könnte sich das unangenehme Gerücht verbreiten, dass wir über Nacht verarmt sind”, sagte auch Sören todernst.

Jana streichelte liebevoll über seinen Handrücken.

„Würde dich das nicht stören?”

„Doch. Ungemein sogar, deshalb denke ich, du holst dir dieses wunderhübsche Kostüm, damit niemand auf die Idee kommt, einen Hut herumzureichen und Geld für uns zu sammeln.”

Jana strahlte ihn begeistert an.

„Ich wusste, dass du das sagen würdest!”

„Du hast mich mit deinen überzeugenden Argumenten ja auch ganz schön clever in die Ecke gedrängt.”

Ottilie erschien. „Kaffeezeit, die Herrschaften!”

Sören erhob sich. Ottilie stellte einen selbst gebackenen Nussstrudel auf den Tisch — und ein kuppelartiges Gebilde, das dekorativ auf einem gläsernen Tortenteller thronte.

„Was ist das?”, erkundigte sich Sören Härtling.

„Das?” Ottilie warf sich in die Brust. „Das ist etwas Neues.”

„Und wie nennt es sich?”, wollte Sören wissen.

„Papaya-Charlotte mit Limetten.”

„Sieht lecker aus”, stellte Jana fest.

„Ich hoffe, es schmeckt Ihnen”, sagte die Haushälterin.

„Wann hat uns schon mal etwas, das Sie zubereitet haben, nicht geschmeckt?”, fragte Sören.

„Neulich — die Bechamelkartoffeln mit Schinken”, erinnerte sich Ottilie sofort. Sie hatte in diesen Dingen bedauerlicherweise ein phänomenales Gedächtnis.

„Na ja”, schwächte Sören verständnisvoll ab, „jedem kann mal was danebengehen, aber das kommt bei Ihnen zum Glück so selten vor wie … wie … wie ein Warzenschwein am Nordpol.”

Jana lachte.

„Wieso Warzenschwein?”

Sören zuckte grinsend die Schultern.

„Mir ist auf die Schnelle kein anderes Tier eingefallen.”

Die von Ottilie kunstvoll mit Sahnetuffs dekorierte Kalorienbombe schmeckte vorzüglich. Sören konnte sich nicht beherrschen, er musste sich unbedingt noch ein zweites - etwas kleineres - Stück nehmen. Und als die alte Wirtschafterin später abservierte, sparte er nicht mit Lob, weil er wusste, dass das Ottilie mehr gab als jede Gehaltserhöhung.

Kurz vor achtzehn Uhr kam Dana, die siebzehnjährige Tochter der Härtlings, mit einem scheuen, blassen, nicht unhübschen Mädchen nach Hause.

„Das ist Heike Meerwald”, stellte Dana ihre neue Freundin vor. „Heike, das sind meine Eltern.”

„Guten Tag”, sagte Heike verschämt. Sie schien so gut wie überhaupt kein Selbstbewusstsein zu besitzen. Ihr dunkles Haar war strähnig. Sie hielt sich nicht gerade, ihre Schultern hingen nach vorn, und sie war sehr unvorteilhaft gekleidet. Es hätte sich viel mehr aus ihr machen lassen.

„Guten Tag”, gaben Jana und Sören Härtling zurück.

„Heike ist eine Schulfreundin”, erklärte Dana. „Sie kam vor ein paar Wochen in unsere Klasse. Wir haben uns angefreundet. Bei ihr daheim hängt zur Zeit der Haussegen ziemlich schief, deshalb habe ich ihr angeboten, bei mir zu übernachten. Ihr habt doch nichts dagegen, oder?”

„Machen sich deine Eltern keine Sorgen, wenn du nicht nach Hause kommst, Heike?”, fragte Jana Härtling.

„Heikes Mutter weiß Bescheid”, sagte Dana. „Und ihrem Vater ist sie in letzter Zeit ziemlich gleichgültig geworden.”

„Wieso denn das?”, fragte Sören Härtling prompt.

„Er hat Probleme in der Firma und lässt den Ärger daheim an seiner Familie aus”, erklärte Dana.

„Ich werde Ottilie sofort sagen ...”, begann Jana.

„Nur keine Umstände meinetwegen”, bat Heike Meerwald schüchtern.

„Wir kommen schon klar, Mutti”, versicherte Dana. Sie tippte Heike an und sagte: „Komm mit, ich zeig dir mein Zimmer.”

„Das arme Ding”, sagte Jana, als sie mit ihrem Mann allein war. „Ganz verschreckt sieht sie aus.”

„Wir werden dafür sorgen, dass sie sich bei uns wohlfühlt.”

Jana schüttelte verständnislos den Kopf.

„Manche Männer sind schrecklich unvernünftig. Was kann Meerwalds Familie für seine Schwierigkeiten in der Firma?”

„Es gibt Leute, die können Beruf und Privatleben nicht trennen. Und es gibt Menschen, deren Leben von einer gewissen Hackordnung beherrscht wird. Was sie nach oben kriegen, geben sie nach unten, zum Beispiel an ihre Familie, weiter.”

Nach und nach trudelten die restlichen Kinder ein — zuerst Josee, dann Tom und schließlich Ben —, so dass die Familie Härtling zum Abendessen vollzählig war. Alle waren freundlich zu Heike Meerwald und bemühten sich sehr um sie. Heike hatte Tränen in den Augen, und sie wäre glücklich gewesen, wenn sie auch ein Mitglied dieser vorbildlichen Familie hätte sein dürfen.

Vergiss, was war, schöne Kollegin: Arztroman

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