Читать книгу Vergiss, was war, schöne Kollegin: Arztroman - A. F. Morland - Страница 7
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Оглавление„Sie kommt immer zu früh”, sagte Schwester Annegret kopfschüttelnd. „Immer zu früh. Manchmal fast eine Stunde.”
„Besser, sie kommt zu früh als zu spät”, gab Dr. Härtling, der sich auf die montägliche Vormittagssprechstunde vorbereitete, lächelnd zurück.
„Finden Sie das normal, Chef?”
„Jedem Tierchen sein Pläsierchen.”
„Sie scheint einen Horror davor zu haben, mal nicht pünktlich zu sein”, mutmaßte Schwester Annegret, der gute Geist der Frauenstation, „deshalb geht sie immer viel zu früh von zu Hause weg.”
Die Rede war von Dr. Petra Graf, einer fünfunddreißigjährigen, attraktiven, äußerst tüchtigen Chirurgin, die Dr. Härtling vor zwei Monaten an die Paracelsus-Klinik geholt hatte.
„In ihrem Leben muss irgendetwas passiert sein, das an ihrem chronischen Zufrühkommen schuld ist”, sagte Schwester Annegret grübelnd.
„Also mich stört diese ,Untugend’ überhaupt nicht.”
„Mich ja auch nicht”, gab Schwester Annegret sofort zurück. „Mich würde nur interessieren, wodurch dieses seltene Trauma ausgelöst wurde.”
„Annchen, Annchen, wie kann man nur so schrecklich neugierig sein?”
„So sind Frauen nun mal. Warum sollte ich in dieser Hinsicht eine Ausnahme sein?”
Dr. Härtling warf einen Blick auf seine Schreibtischuhr, ein Geschenk seiner Frau.
„Zeit, die erste Patientin hereinzubitten”, sagte er.
Schwester Annegret ging zur Tür und machte sie auf. Das Wartezimmer war zum Bersten voll — wie jeden Montagvormittag. Als hätte man das Wochenende ausschließlich dazu genutzt, sich gründlich zu überlegen, mit welchem Wehwehchen man am Montag zum Arzt gehen könnte.
Zur selben Zeit stand Dr. Petra Graf im Operationssaal und arbeitete mit der Präzision eines Schweizer Uhrwerks. Die schwierige Revisionsoperation ging in die Endphase. Der Patient hatte sich in einem anderen Krankenhaus einer Leistenbruchoperation unterzogen und war danach fast ein Jahr lang von starken Schmerzen gepeinigt worden. Die Operationsnarbe hatte auf einen Nervenstrang gedrückt und diesen permanenten, zermürbenden Schmerz ausgelöst. Elf Monate lang hatte der Mann immer stärkere Schmerzmittel genommen, ehe er den Entschluss fasste, sich in der Paracelsus-Klinik noch einmal unters Messer zu begeben, und es stand in diesem Augenblick bereits fest, dass der Eingriff erfolgreich verlaufen war und der Patient nach einem peinvollen Jahr endlich wieder schmerzfrei sein würde.
„Wie sind die Werte?”, erkundigte sich Dr. Graf.
„Alles okay”, antwortete Dr. Andrea Keilberg, die erfahrene Anästhesistin.
Die OP-Schwester tupfte der Chirurgin den Schweiß von der Stirn.
„So”, sagte Petra Graf und trat vom Operationstisch zurück. „Das wär’s. Jetzt bist du dran, Volker.”
Sie meinte Dr. Volker Wolff, den schlanken Assistenzarzt. Er machte die letzten Handgriffe und meinte anschließend: „Und nun ab mit ihm ins Aufwachzimmer.”
„Er wird bald reagieren”, sagte Andrea Keilberg.
Der Patient wurde aus dem OP geschoben. Die OP-Schwester zählte noch einmal das chirurgische Besteck, um sich zu vergewissern, dass nichts fehlte
„War mal wieder eine reife Leistung, schöne Kollegin”, sagte Dr. Wolff wenig später im Ärztezimmer zu Petra. Sie sah ihn verstimmt an.
„Nenn mich nicht immer schöne Kollegin!”
„Aber das bist du. Ich sage nur die Wahrheit.”
Dr. Petra Graf war in der Tat bildschön. Die Natur hatte noch kein ebenmäßigeres Gesicht geschaffen. Weiche sanfte Linien bildeten eine zauberhafte Harmonie. Ein entzückender Ausdruck von Anmut und Liebreiz wurde von blondem Haar, das in weichen Wellen auf wohlgerundete Schultern floss, seidig umrahmt.
„Du bist eine großartige Chirurgin”, stellte der gut aussehende Assistenzarzt neidlos fest. „Ich arbeite gerne mit dir zusammen.”
„Ja, wir sind kein übles Team”, stimmte Petra Graf zu.
Sie tranken schwarzen Kaffee. Volker Wolff nahm einen Schluck von der heißen Brühe.
„Eine großartige Chirurgin“, wiederholte er, und sein markantes Gesicht verzog sich zu einem breiten Grinsen, „aber eine lausige Tennisspielerin.“
„Na, na, na, so schlecht bin ich auch wieder nicht!”
„Du hast letzten Freitag alle drei Sätze verloren”, erinnerte Dr. Wolff die Chirurgin.
„Da war ich nicht gut drauf. Du hast mich weit unter meinem Wert geschlagen. Noch mal gelingt dir das bestimmt nicht.”
„Du kannst jederzeit eine Revanche kriegen, schöne Kollegin”, schmunzelte der Assistenzarzt.
„Wie wär’s mit morgen?”
Volker Wolff nickte sofort. „Einverstanden.”
„Siebzehn Uhr?”, fragte Petra Graf.
„Ist mir recht”, antwortete De Wolff. „Aber komm nicht wieder eine Stunde zu früh.”
Die Chirurgin senkte den Blick, und ihre blauen Augen umwölkten sich mit einem Mal. Volker Wolff kannte diesen ernsten, traurigen Ausdruck.
Irgendetwas stimmte nicht mit dieser wunderschönen Frau. Manchmal lag ihr Blick in tiefen Schatten. Volker hatte sich an dem Tag, an dem Petra ihren Dienst in der Paracelsus-Klinik angetreten hatte, in sie verliebt. Er hatte sie in Dr. Härtlings Büro kennengelernt. Sie waren einander vom Klinikchef vorgestellt worden, und Volker hatte es augenblicklich die Sprache verschlagen. Inzwischen waren sie Freunde geworden, und Petra hatte bewiesen, dass man sich hundertprozentig auf sie verlassen konnte. Pferde konnte man mit diesem Prachtmädchen stehlen. Aber — es gab einen Punkt ...
„Ich hasse es, zu spät aus dem Haus zu gehen”, sagte Petra gepresst, und ihre großen, schönen Augen waren dabei ganz schmal.
Tags darauf traf sie kurz nach sechzehn Uhr auf dem Tennisplatz ein. Sie übte an der Trainingswand, bis Volker Wolff kam.
„Seit wann bist du hier?”, wollte der junge Assistenzarzt wissen. Sie sagte es ihm. Er schüttelte den Kopf und meinte: „Du bist unverbesserlich.”
Da Petra schon schön warmgespielt war, schlug Volker sich nur fünf Minuten ein, und dann begannen sie mit dem Match. Bereits nach den ersten langen Ballduellen erkannte Volker, dass er heute auf der Hut sein musste, wenn er nicht mit fliegenden Fahnen untergehen wollte.
Petra spielte mit Biss, war ehrgeizig, aggressiv und zudem schnell und leichtfüßig wie eine Gazelle. Sie erlief so gut wie jeden Ball und brachte ihn so gefährlich zurück, dass Volker hin und wieder große Probleme damit hatte. Petra entschied den ersten Satz klar für sich, verlor den zweiten nur knapp und sehr unglücklich, weil in entscheidenden Phasen zwei Netzroller für Volker zu Buche schlugen, und sie hielt den dritten Satz lange Zeit offen, ehe sie sich erneut, wieder nur ganz knapp, geschlagen geben musste.
Als sie einander über das Netz hinweg die Hand reichten, keuchte Volker Wolff: „Donnerwetter, heute hast du’s mir aber gezeigt.”
Ihre himmelblauen Augen funkelten. Sie sah aus wie eine kriegerische Amazone.
„Und beim nächsten Mal schlage ich dich”, kündigte sie an.
Er lachte. „Oh, das wollen wir aber erst mal sehen.”
„Ich kann mich immer besser auf dich einstellen.”
Er wurde ernst, hielt immer noch ihre Hand.
„Hast du eigentlich schon gemerkt, dass ich dich liebe?”
Sie entzog ihm ihre Hand.
„Bitte, Volker!” Sie ging zu ihrer Tennistasche. Er folgte ihr.
„Was ist? Habe ich etwas Falsches gesagt?”
Sie nahm wortlos ihre Tasche. Er nahm seine Tasche.
„Trinken wir noch etwas?”
„Ich muss nach Hause“, antwortete Petra rau.
„Wieso hast du es auf einmal so eilig?”
„Ich habe noch etwas Wichtiges zu erledigen”, gab sie knapp zurück. „Wir sehen uns morgen in der Klinik.” Und weg war sie.
Volker Wolff kratzte sich am Hinterkopf und murmelte verstört: „Also wirklich, Mädchen, ich verstehe dich nicht.”